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10.05.2015
Im Mai diesen Jahres
Welchen Jahres?
Zu den Dauerbrennern (oder Ladenhütern) der Sprachkritik gehört der schwach gebeugte Artikel in Datumsangaben wie diesen Jahres/diesen Monats, angeblich „Kaufmannsdeutsch“. Er soll von hier aus auch in andere Bereiche vorgedrungen sein:
mit einem Lernerwörterbuch diesen Typs (Wiegand, Herbert Ernst (Hg.): Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen II. Tübingen 2002:3)
Das Grammatische Telefon (RWTH AACHEN) teilt mit:
"im Mai diesen Jahres" oder "im Mai dieses Jahres"?
Frage: Heißt es "im Mai diesen Jahres" oder "im Mai dieses Jahres"?
Antwort: "Im Mai dieses Jahres" ist richtig. Das Demonstrativpronomen "dieser, diese, dieses" wird nämlich stark gebeugt, nicht schwach. Daher lautet die Form für den Genitiv Singular bei sächlichen und männlichen Substantiven "dieses" - auch wenn man in den Medien (sogar von Herrn Wickert) zunehmend die verkehrte Version hört. Sie beruht wahrscheinlich auf einer falschen Analogiebildung zu "im Mai nächsten/letzten Jahres". Jedoch würde keiner "eine Scheibe diesen Brotes" und "der Rahmen diesen Bildes" sagen.
In der SZ vom 7.2.2007 „beweisen“ zwei Leser, daß „diesen Jahres“ falsch ist ... Beide berufen sich auf „Regeln“ oder auf die schlichte petitio principii: „dieser“ wird nicht schwach dekliniert, weil es stark dekliniert wird. Einer schließt: „'Diesen Jahres' ist falsch. Punkt, basta.“ So apodiktisch äußern sich auch Sick und Mackowiak.
Die Dudengrammatik meint: „Der schwache Genitiv diesen kann stehen, wenn das Substantiv ein Genitiv-s hat.“ (269) Es ist also ein Fall von vereinfachter Monoflexion.
Die kürzeste Geschichte allen Lebens (Buchtitel Piper 2008)
Je nach Nutzung der Telekommunikation kann eine solche Speicherung die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers ermöglichen. (Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung vom 2.3.2010)
Diese mechanische Dissimulation verdunkelt den Befund, den ich weiter unten bespreche.
Auch das IDS ist der Frage nachgegangen:
„Es musste heißen dieses Jahres. Für diese Form finden sich in den Textkorpora des Instituts für Deutsche Sprache Belege in großer Zahl, für die Form diesen Jahres hingegen bis Ende der sechziger Jahre kein einziger.“ (Grammis: http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/fragen.ansicht?v_kat=4&v_id=36)
Das ist merkwürdig und muß am Korpus liegen. Schon Sütterlin und andere haben die Erscheinung beobachtet.
Es gibt aber auch Bedeutungsunterschiede. Das hat Heringer bei den Datumsangaben vermutet, aber keine Bestätigung gefunden:
„Eine Vermutung war: Die beiden Varianten zeigen ein unterschiedliches deiktisches Verhalten. Nach meiner Intuition neigt diesen Jahres mehr zu situationeller Deixis, während dieses Jahres die anaphorische Deutung nahelegt, wenigstens hier offener ist:
Damals im Jahre 1420 wandelte sich die Stadt Augsburg. Von Anfang bis Ende dieses Jahres ...
Hier scheint mir naheliegend, dass das Jahr 1420 gemeint ist. Im Folgenden hingegen eher das Jahr des Schreibens oder Lesens.
Damals im Jahre 1420 wandelte sich die Stadt Augsburg. Bis zum Ende diesen Jahres ...
Leider bestätigen die Daten diese Vermutung nicht, wenngleich es mir immer noch plausibel ist.“
(http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/fragen.ansicht?v_kat=4&v_id=4547)
Vielleicht liegt es auch hier wieder am Korpus. Ich glaube nämlich, daß Heringers Intution richtig ist.
Verlassen wir die Datumsangaben. Ich beobachte folgendes:
Man sagt eher besondere Merkmale jedes Geschlechts, aber Bewerber jeden Geschlechts. Im ersten Fall liegt der possessive Genitiv vor, im zweiten der qualitative.
Eine Bestätigung findet man in folgenden Beispielen: Kinder diesen Alters (Tomasello, Michael: Die kulturelle Entwicklung des Denkens. Frankfurt 2003: 224. Dagegen spricht man von den Problemen dieses Alters; denn jedes Alter hat seine Probleme, während nur wenige Probleme ein bestimmtes Alter haben. So haben auch die Kinder ein bestimmtes Alter, aber das Alter hat keine Kinder.
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Kommentare zu »Im Mai diesen Jahres« |
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.03.2023 um 06.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1637#50617
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"Zu den sehr beliebten Fehlern gehört es auch, zu sagen ‚diesen Jahres‘, was mich immer wieder erstaunt, denn man sagt ja auch nicht ‚die Farbe diesen Autos‘.“ (FAS 4.3.23)
Diese schlichte Argumentation (die wahrscheinlich nichts mit Jochen Reineckes wirklichem Sprachgebrauch zu tun hat) wird wohl nie aussterben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.11.2017 um 07.45 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1637#37127
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Die Erstgeburt allen Bösens soll mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. (Wikipedia: Zehn Plagen)
(Ebd.: „Ob die Autoren viele einzelne Erfahrungen zu einem Schreckensszenario komprimierten oder das Alte Testament eine einzige gravierende Klimakatastrophe beschreibt, die eine ökologische Kettenreaktion auslöste, war lange strittig. Aktuelle Forschungen sehen aber eine durchaus realistische Möglichkeit, dass zumindest die ersten neun Plagen in genau ihrer dargestellten Reihenfolge aufeinander folgten. Erst neuere Forschungen konnten auch eine schlüssige Theorie zu der zehnten Plage als letzte Folge der Plagenkette entwickeln.“)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.03.2017 um 06.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1637#34762
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Man sagt eher besondere Merkmale jedes Geschlechts, aber Bewerber jeden Geschlechts. Im ersten Fall liegt der possessive Genitiv vor, im zweiten der qualitative.
Eine Bestätigung findet man in folgenden Beispielen: Kinder diesen Alters (Michael Tomasello: Die kulturelle Entwicklung des Denkens. Frankfurt 2003: 224). Dagegen spricht man von den Problemen dieses Alters; denn jedes Alter hat seine Probleme, während nur wenige Probleme ein bestimmtes Alter haben...
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Kommentar von Kurt Albert, verfaßt am 14.05.2015 um 19.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1637#28881
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Ich halte diese Diskussion und den von Theodor Ickler eingebrachten Aspekt für sehr hilfreich und weiterführend. (Seinerzeit als Sprachberater bei der Gesellschaft für deutsche Sprache habe ich auch sozusagen konservativ geantwortet, dabei u. a. gern die Analogie zu "nächsten/vorigen Monats/Jahres" betont sowie auf die Frage der Doppelmarkierung des Genitivs hingewiesen.)
Jetzt erinnere ich mich auch daran, daß man früher allgemein sagte: "(er ist) gutes Mutes".
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.05.2015 um 15.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1637#28860
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Ich auch, und was die Datumsangaben betrifft, so war das ja auch die Vermutung Heringers, nur ein bißchen anders ausgedrückt. Herr Achenbach erinnert auch an die Einträge, mit denen wir das vor Jahren schon mal erörtert haben. Ich hätte vielleicht eine andere Überschrift wählen sollen, weil ich ja die Datumsangaben nur als Einstieg benutzt habe, um etwas anderes zur Diskussion zu stellen (Unterschied von Genitivus possessivus und G. qualitatis; letzten Endes wieder zwischen Bestandssystem und Begriffssystem).
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 10.05.2015 um 15.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1637#28859
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Ich stimme hier Herrn Markner zu (s. 897#10293).
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Kommentar von R. M., verfaßt am 10.05.2015 um 13.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1637#28858
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Wie sieht es mit dem zeitlichen Aspekt aus? Diesen Monats weist doch zumeist voraus: bis Ende diesen Monats, also des laufenden Monats. Das heißt, dieses steht dort, wo auch jenes stehen könnte: »Am neunten dieses Monats erfolgt das erste Gespräch mit Goethe, auf das sofort eine zweite Einladung ausgesprochen wird.« (Josef Rattner: Goethe: Leben, Werk und Wirkung in tiefenpsychologischer Sicht, 1999, S. 236)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.05.2015 um 09.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1637#28857
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Für jeden Kalibers gibt Google viele Belege, wenn auch nicht so viele wie für die starke Form (ungefähr 1 : 3). Filtert man aber die rein qualitativen Genitive heraus, indem man etwa für Geschosse jeden Kalibers eingibt, so findet man für die schwache Form 180 Belege, für die starke gar keinen. Über Details mag man streiten, aber die Größenordnung dürfte stimmen. Damit ist klar, daß es sich um einen Bedeutungsunterschied handelt und nicht nur um die mechanische Dissimulation (Monoflexion).
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