Zum vorherigen / nächsten Tagebucheintrag
Zu den Kommentaren zu diesem Tagebucheintrag | einen Kommentar dazu schreiben
26.02.2015
Superspartaner
Unlösbar oder sinnlos?
Der „Superspartaner“ oder „Superstoiker“ ist eine Figur, die sich Hilary Putnam ausgedacht hat, um ein schon älteres, auch für Wittgenstein zentrales Problem zu diskutieren. Peter Bieri formuliert es so:
„Man kann sich eine Gemeinschaft besonders spartanischer Personen vorstellen, die, obwohl sie beispielsweise Schmerzen haben, kein entsprechendes Verhalten zeigen, und eine Gemeinschaft perfekter Schauspieler, die Schmerzverhalten vorspielen, obwohl sie keine Schmerzen haben.“ (Analytische Philosophie des Geistes. 2., verb. Aufl. Bodenheim 1993:34)
Putnam hält es seinem Gedankenexperiment für logisch möglich, daß dieses Verhalten erblich geworden ist, so daß also unsere Superspartaner niemals Schmerzverhalten zeigen, obwohl sie durchaus Schmerzen empfinden. Die biologische Sinnlosigkeit scheint er zuzugeben. Aber was heißt „logisch möglich“? Es ist logisch möglich, daß Pflanzen Schmerz empfinden, obwohl sie niemals eine Reaktion zeigen. (Beim OBI steht immerhin vor den fleischfressenden – pardon: „Fleisch fressenden“ - Pflanzen ein Schild „Bitte nicht ärgern!“) Das wäre eine uninteressante Spielerei, weil nichts daraus folgt.
Hier noch ein Zeugnis:
„Mit einem Zahnschmerz beispielsweise ist dem Bewußtsein selbst dann etwas gegenwärtig, wenn derjenige, der den Zahnschmerz hat, weder in seinem verbalen noch in seinem sonstigen Verhalten etwas davon zu erkennen gibt. Umgekehrt mag jemand Schmerzverhalten an den Tag legen, ohne daß er tatsächlich einen Schmerz fühlt. Also sind Elemente bewußter Erfahrung nicht einfach Verhaltensdispositionen. Im übrigen brauche ich im eigenen Fall nicht mein Verhalten zu beobachten, um zu erfahren, was ich denke und was ich empfinde.“ (Peter Lanz in Hügli/Lübcke (Hg.): Philosophie im 20. Jhdt. II, Reinbek 1993:279)
Entsprechend mit anderen Empfindungen:
„(...) der Begriff des Seelischen geht nicht im körperlichen Ausdruck seelischer Empfindungen auf; Wut gibt es auch ohne Wutverhalten, wie jeder von uns weiß.“ (Alfred Gierer in: Ernst Pöppel, Hg.: Gehirn und Bewußtsein. Weinheim 1989:78)
Kann etwas logisch in Ordnung sein, wenn es empirisch sinnlos ist? Wenn die Evolution Schmerz an Flucht- und Vermeidungsverhalten gekoppelt hat, so daß beides im Grunde Teile oder Phasen desselben Vorgangs sind – wäre dann nicht auch die logische Möglichkeit hinfällig? Könnte man logisch korrekt von einem Blatt Papier sprechen, das nur eine Vorderseite, aber keine Rückseite hat und letzteres als bloß empirisch-zufällig abqualifizieren? Könnte man logisch korrekt von einem Dreieck sprechen, das zwar gleichseitig, aber nicht gleichwinklig ist? Putnam sistiert eine Phase des Gesamtgeschehens, den von uns so genannten Schmerz, die anderen Teile des Verhaltens streicht er in Gedanken weg. Wir wissen aber nicht, welche psychologischen (transgressiven) Konstrukte – und ob überhaupt welche – eine Gemeinschaft entwickeln würde, die so grundsätzlich anders funktioniert als wir. Daraus folgt die Nichtigkeit der Gedankenexperimente, durch die Putnam berühmt geworden ist. Immerhin spricht dafür, daß im Einzelfall (also nicht generisch, unter Einbeziehung der Evolution) anscheinend oder offenkundig Schmerzempfinden vorkommt, ohne daß es kommuniziert wird. Skinner bespricht das Problem unter „Stoicism“ in seinen Notebooks (348f.): Es kann für den Boxer vorteilhaft sein, nicht zu zeigen, daß er getroffen wurde usw.
Lassen wir die Sache mit den vieldiskutierten privaten Empfindungen mal beiseite. Bekanntlich können wir auch innerlich sprechen, ohne daß jemand etwas davon bemerkt. Die Theorie der mentalen Sprache nimmt sogar an, daß ohne Lernen von anderen eine angeborene innere Sprache unser Denken ausmacht. Aber auch hier würde ich sagen: Die Rede kann zwar im konkreten Fall unterdrückt werden (aus vielen Gründen, die Skinner in Verbal Behavior ausführlich bespricht), aber sie muß im Normalfall äußeres, wahrnehmbares Sprachverhalten sein. Nur das hat biologisch Sinn.
Diesen Beitrag drucken.
Kommentare zu »Superspartaner« |
Kommentar schreiben | neueste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben |
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.04.2019 um 05.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#41219
|
Meine Uhr hat keinen Sekundenzeiger, weil ich ihn praktisch nie brauche. Sehr teure Armbanduhren mit nur einem Zeiger gelten als besonders schick, auch wenn man die Zeit nicht so genau ablesen kann. Das Ideal wäre eine Uhr ganz ohne Zeiger. Ihr kostbares, natürlich mechanisches Laufwerk würde die Zeit zwar sehr genau messen, aber nicht verraten. Als Sammlerstück zu empfehlen, beziehbar über FAZ „Selektion“.
Uhren, die niemals erkennen lassen, daß sie die Zeit messen, könnte man als Sinnbild des „Superspartaners“ vorstellen. Die philosophische Frage, besonders von Wittgenstein erörtert: Kann man von solchen Menschen überhaupt sinnvoll sagen, daß sie Schmerzen haben? Man kann lernen, Reaktionen zu unterdrücken, aber nicht grundsätzlich und für alle Zeit. Man kann auch Schmerzen simulieren, die man gar nicht hat, aber nicht grundsätzlich und für alle Zeit. Pflanzen haben keine Angst, weil sie nicht weglaufen können (timor est fuga). Wenn Roboter lernen, Schmerz zu zeigen, haben sie Schmerz; man kann es auch als Simulation programmieren, aber nicht grundsätzlich und für alle Zeit. Aber Roboter sind doch Maschinen? Menschen sind auch Maschinen; allerdings haben sie eine Geschichte, aber die könnten Roboter auch haben, wenn man sie läßt.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.04.2019 um 14.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#41220
|
Kann man ein mechanisches Laufwerk oder einen Quarz ohne Zeiger (oder Anzeigeeinrichtung) überhaupt Uhr nennen? Ich meine, nein. Eine Uhr ist nicht irgendein Taktgeber, sondern ein Meßgerät. Wesentlicher Bestandteil jedes Meßgerätes ist die Anzeige des Meßergebnisses.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.04.2019 um 21.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#41222
|
Das wollte ich sagen, und Sie haben das Gedankenexperiment noch weiter verdeutlicht. Es sind keine empirischen Probleme, sondern begriffliche.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.04.2019 um 08.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#41229
|
Genau genommen messen Uhren nicht die Zeit, sondern wir benutzen sie, um mit dem künstlich erzeugten periodischen Vorgang die Zeit zu messen. Ebenso nutzen wir den Umlauf des Mondes usw.
Solche Unterscheidungen wirken pedantisch, aber manchmal sind sie notwendig. Wie bringt das Gehirn das Bewußtsein hervor? Gar nicht, sondern wir interpretieren manche vom Gehirn gesteuerten Verhaltensweisen mit Hilfe solcher mentalistischen Begriffe.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2022 um 05.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#48734
|
Zu meiner schicken Uhr (Geschenk meiner Frau) möchte ich noch nachtragen, daß sie nach vier Jahren den Geist aufgegeben hat. Sie war nicht allzu teuer, aber auch nicht ganz billig (Festina). Ich wäre am liebsten zu den Gratisuhren zurückgekehrt, die ich zeitlebens getragen hatte, aber wenige Tage zuvor hatte ich alle einschlägigen Werbegeschenke entsorgt. Der Weise trägt sein Unglück ohne Jammern. Ich habe mir dann für 13 Euro eine Casio-Uhr gekauft, die sehr gut ablesbar ist und auch wieder einen banalen Sekundenzeiger hat. Daß sie ein bißchen wie eine verkleinerte Bahnhofsuhr aussieht, ist mir gerade recht. Rien n’est beau que le vrai...
|
Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 19.03.2022 um 09.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#48737
|
https://virchblog.wordpress.com/2015/04/28/uhren-uhren/
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.04.2022 um 17.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#48871
|
Zur Ergänzung des Haupteintrags will ich noch hinzufügen, daß Schmerz zwar ein sehr beliebtes Beispiel der Philosophen (besonders seit Wittgenstein) ist, aber auch seine Tücken hat. Bekanntlich richtet sich die Schmerztherapie oft ganz oder unterstützend auf die psychologische Seite, was immer das sein mag. Es kommt also auch darauf an, welche "Einstellung" (wieder: was immer das sein mag) man zum Schmerz hat. Irgendwo habe ich mal zum Erfolg einer Behandlung gelesen: Der Schmerz wird zwar noch empfunden, tut aber nicht mehr weh. Das klingt paradox. Man kann aber anscheinend eine distanzierte Haltung zum Schmerz einnehmen, oder ein Medikament oder Akupunktur bewirkt so etwas. Das Gegenteil des Spartaners nennt man "wehleidig". (Mir ist es lieber, gar keine Schmerzen zu haben, ich bin ein ziemliche Memme und keinesfalls ein Superspartaner.) Ein weites Feld, ich wollte es gerade deshalb erwähnen, weil die schlauen Philosophen es nie erwähnen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2023 um 07.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#51257
|
Nochmals zu „Gedankenexperiment“:
(Vgl. Liste hier https://de.wikipedia.org/wiki/Gedankenexperiment)
Man kann im Gedankenexperiment noch so sehr darauf achten, daß die Folgen der Bilder Bilder der Folgen sind (nach Heinrich Hertz, mit der üblichen Verkürzung des Zitats), aber ob es sich wirklich so verhält, kann nur das wirkliche Experiment entscheiden, bei dem man sich der Widerständigkeit der Materie aussetzt. Das Gedankenexperiment ist dann nur die Planung des wirklichen Experiments.
In Gedanken etwas zusammenzubringen, was man getrennt schon weiß, kann zu neuen Einsichten führen. Das wäre aber kein Experiment.
Searles „chinesisches Zimmer“ (bzw. Chinesisch-Zimmer) ist auch kein Experiment, sondern nur eine (fragwürdige) Begriffsexplikation. Manches ist von der Art konstruierter Rechtsfälle, wie sie seit der Antike (Ulpian usw.) in der Juristenausbildung üblich sind. Nicht jedes „Man stelle sich vor...“ ist ein Gedankenexperiment. Meist fehlt gerade das Experimentelle, die Offenheit für ein möglicherweise überraschendes Ergebnis.
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.04.2024 um 13.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#53166
|
zum Haupteintrag hier und zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1042#53145
bzw. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1512#53140:
Schmerz ist auch eines der zentralen Themen Wittgensteins (zufällig ist heute sein 73. Todestag). Immerhin in rund einem fünftel seiner "Philosophischen Untersuchungen" (§§ 244 bis 409) befaßt er sich ausdrücklich damit. Die ersten Sätze lauten dort:
"Wie beziehen sich Wörter auf Empfindungen?"
"Wie kann ich denn mit der Sprache noch zwischen die Schmerzäußerung und den Schmerz treten wollen?" usw.
Das ist typisch für seine Sicht, es geht ihm immer wieder um Wörter, Sprache, "Sprachspiele" (eine Art Gedankenexperimente zur Sprache). Am weitesten geht er noch mit der Feststellung, daß Schmerzen etwas Privates sind, und in dem Zusammenhang kommt er sogar auf ein drittes Beispiel neben den in diesem Tagebucheintrag genannten zwei, den Spartanern und den Heuchlern (Simulanten), nämlich auf Menschen, die gerade weder Schmerz empfinden noch heucheln, von denen jedoch andere glauben könnten, daß sie in Wirklichkeit ständig Schmerzen haben, die sie aber verbergen (§ 391).
Letztlich bestätigen alle diese Beispiele nur, daß Schmerzen tatsächlich absolut privat sind. Sie sagen aber gar nichts darüber aus, und darüber finde ich auch sonst nichts bei Wittgenstein, was Schmerzen denn nun phänomenologisch eigentlich sind. Sind sie eine reale Erscheinung? Was ist ihr wirkliches Wesen, ihre Natur? Haben nur Lebewesen Schmerzen? Woraus besteht ein Schmerz, warum ist er spürbar, warum weichen die Dinge(!), sofern sie können (was wohl nur für Lebewesen zutrifft), dem Schmerz aus?
Wieso eigentlich spricht Wittgenstein meistens beispielhaft von Schmerzen anstatt allgemein von Gefühlen, Wahrnehmungen, Empfindungen? Ich denke, der Schmerz ist eben der Prototyp, die ursprünglichste aller Empfindungen. Auf mehr oder weniger starken Schmerzen (bis herab zu sogar als angenehm empfundenen Berührungen) beruhen alle Sinneswahrnehmungen und Gefühle.
Wer meint, Schmerzen könne man nicht dauerhaft schauspielerisch unterdrücken, und wenn doch, dann verspüre derjenige wohl in Wahrheit gar keine Schmerzen, der kann sich ja dafür ein anderes, leichter akzeptierbares Beispiel aus der Gefühlswelt aussuchen. Den Schmerz führt Wittgenstein wohl deshalb am liebsten an, so wenigstens meine Vermutung, weil uns ein eigenes Schmerzerlebnis am eindrücklichsten von allen Gefühlen ggf. aus einer Traumwelt löst und uns die Realität und unser eigenes Dasein BEWUSST macht.
WAS also IST Schmerz? Sie, lieber Prof. Ickler, haben Schmerz, ehrlich gesagt zu meiner Überraschung, "sehr real" genannt (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1512#53136). Ich bin natürlich der gleichen Meinung, siehe oben, aber inwiefern ist Schmerz auch für Sie tatsächlich etwas anderes als ein reiner Gedanke, ein Konstrukt? Was ist für Sie das Reale daran? Schmerzen sind ja keine Substanz, keine Energie, keine Materie, die man irgendwie einfangen, speichern und an einen andern Ort transportieren könnte, richtig? Schmerz läßt sich objektiv nicht nachweisen. Wir spüren nur den eigenen. "Existiert" Schmerz?
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.04.2024 um 14.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#53168
|
Ich kann ihre Fragen nicht beantworten; niemand kann das. Das deutet darauf hin, daß mit den Fragen selbst etwas nicht stimmt. Wie Sie richtig sagen, war es für Wittgenstein ein semiotisches Problem: Wie kann man über radikal Privates in derselben öffentlichen Sprache reden, die wir von anderen gelernt haben? Anders gesagt: Du weißt nicht und kannst grundsätzlich nicht wissen, "wie es sich für mich anfühlt" usw. – und doch habe ich von dir (liebe Mama) gelernt, darüber zu sprechen. Das ist paradox. Und Wittgenstein folgerte (wie ich), daß mit der Frage etwas nicht stimmen kann.
Übrigens gibt es noch die wundersame Welt der Masochisten, und dazu kann ich auf einen extrem billigen Film von 1960 hinweisen: The Little Shop of Horrors, worin Jack Nicholson in einer Nebenrolle als Masochist beim Zahnarzt alle an die Wand spielt. (Die DVD lag mal gratis irgendwo bei, daher kenne ich sie.)
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 29.04.2024 um 20.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#53169
|
Ich denke, auch radikal Privates ist Etwas. Wir wissen zwar nicht, WIE es sich für jeden anfühlt, aber wir wissen doch, DASS es sich irgendwie anfühlt, jedenfalls anders als Nichts.
Und wir wissen sogar einiges in qualitativer Hinsicht: Schmerzen fühlen sich unangenehm an, Lebewesen weichen ihnen aus oder äußern Unbehagen. Manch andere Gefühle sind hingegen angenehm und anziehend. Ich denke, man kann dies durchaus aus Verhaltensbeobachtungen schließen (krankhaftes u. a. Ausnahmeverhalten sowie Verstellung kann man hier ausnehmen). Außerdem beobachten Neurologen regelmäßige physische Begleiterscheinungen von Schmerzen und anderen Gefühlen.
Das ist also doch einiges, was man trotz und außer der Privatheit wissen kann. Und wie man sieht, sooo radikal ist die Privatheit dann doch gar nicht. Zumindest wissen wir genug, um der Frage "Was ist Schmerz?" einen Sinn zu geben, d.h. das Problem auch sprachlich zu fassen.
Daß mit diesen Fragen etwas nicht stimmte, wäre für mich unbefriedigend und ein unzulässiges Ausweichen. Ich sehe keinen Widerspruch darin, auch das Private so weit wie möglich psychologisch zu untersuchen und sprachlich darzustellen.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.04.2024 um 05.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#53170
|
Meiner Ansicht nach haben Sie das berühmte "Privatsprachenproblem" nicht in seiner ganzen Schärfe erfaßt, sondern durch schlichtes Bestehen auf unserer Alltagsüberzeugung verharmlost. Aber das ist natürlich hier in wenigen Worten nicht zu widerlegen, meine Einträge kreisen ja seit Jahren um nichts anderes.
Was Sie dagegen über Beobachtungsdaten sagen, die der Rede über "Privates" zugrunde liegen und ihr Gehalt geben, so sprechen Sie hier genau wie Skinner. Er stellt immer wieder die Tatsachen zusammen, für die wir dann die konventionellen "psychologischen" Ausdrücke gefunden haben (spät genug!).
Ich selbst habe öfter ein Beispiel herausgegriffen: Wir fordern das Kind auf, etwas "für sich zu behalten". Dies und manches andere fassen wir dann metaphorisch (transgressiv, wie ich lieber sage) als einen "Innenraum", der aber nicht das Körperinnere ist, sondern der eigentlich ortlose "Geist".
Ich verweise noch einmal auf einen kurzen Text vom alten Skinner: „The Origins of Cognitive Thought“ (https://userpages.umbc.edu/~catania/ABACNJ/bfs%20origins%20cog%201989.pdf)
sowie auf ein Video, kurz vor seinem Tod aufgenommen:
https://www.youtube.com/watch?v=NpDmRc8-pyU
|
Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.04.2024 um 23.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1630#53173
|
meine Gedanken zum "Privatsprachenproblem":
Sprache kann die Welt beschreiben. Wir können mit ihrer Hilfe vielleicht (wenn wir es herausgefunden haben) sagen, "was die Welt im innersten zusammenhält", aber die Sprache selbst ist jedenfalls nicht dieser innerste Halt. Sie kann es uns auch nicht aus sich heraus beibringen. Sie ist zwar das Instrument unserer Vernunft, aber sie ist nicht der Beobachtungsgegenstand in dieser grundlegenden Frage.
Das Wort ist nicht der Anfang der Welt und des Lebens, auch wenn es die Bibel so sieht, sondern umgekehrt: Sprache ist ein Produkt der Welt, Sprache ist sekundär!
Wenn wir etwas über die Dinge der Welt wissen wollen, müssen wir also im ersten Schritt die Dinge selbst untersuchen, nicht die Sprache, nicht die Wörter, die diese Dinge bezeichnen. Erst danach, wenn wir die Natur der Dinge erkannt haben, können wir feststellen, ob unsere Sprache sie korrekt benennt und wiedergibt, ob Wörter und Ausdrücke richtig verwendet werden oder wo sich evtl. in der Alltagssprache Ungenauigkeiten oder Irrtümer eingeschlichen haben.
Wittgensteins "Sprachspiele" und Skinners "Verbal Behavior" können also, so interessant und wertvoll sie auch sonst sein mögen, die Welt nicht erklären.
Welche Sprache auch immer, das Sprachenproblem ist nicht das Existenzproblem. Den ersten notwendigen Schritt dazu können nur die Naturwissenschaften gehen, nicht die Sprachwissenschaft.
|
nach oben
Zurück zur vorherigen Seite | zur Tagebuchübersicht
|