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21.10.2013
Hören und Lesen
Was ist anstrengender?
„Zu Recht stellen Leiss/Leiss (1997) fest, dass die Dekodierungsleistung des Hörers weitaus größer ist als die des Lesers.“ (Christa Dürscheid: Einführung in die Schriftlinguistik. Wiesbaden 2002:41)
Was heißt hier „Leistung“? Ist Hören anstrengender als Lesen? Lernt man nicht viel früher Hörverstehen als Leseverstehen? Wenn man müde ist – fällt Lesen dann nicht schwerer als Hören?
Dürscheid bezieht sich auf Leiss, Elisabeth/Leiss, Johann (1997): Die regulierte §chrift: Plädoyer für die Freigabe der Rechtschreibung. Erlangen, Jena.
Die Verfasser argumentieren, daß eine zu leicht lesbare Orthographie wie die deutsche, englische oder gar chinesische (die aber falsch beschrieben wird) geistig träge macht.
In ihrer Schrift steht auch: „(Die Reformkritiker) wollen eine eindeutige Liste, in der jedes Wort invariabel, so und nicht anders aufgeführt ist.“ (127) – Wer soll das sein? Munske, Denk, Ickler? Keiner von uns hat etwas Derartiges gesagt oder gedacht.
Ich habe damals auf eine Besprechung verzichtet, und jetzt ist es ohnehin Schnee von gestern.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.10.2022 um 02.32 Uhr
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Gerade hörte ich einen Experten bei CNN zu der Frage, ob Putin eventuell Gefahr aus seinem engeren Umfeld drohe. Er sagte, diese Leute seien extrem loyal, es gebe da allerdings einige fishers. Diese fishers seien schon auffällig. Nanu, unzuverlässige Personen, seit wann nennt man die fishers? Ach so: Er sagte fissures.
Im Fall von Homonymen, die je nach Sinn verschieden geschrieben werden, zeigt sich ein entscheidender Vorteil des Lesens.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2016 um 03.08 Uhr
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Wenn die sogenannten Mittelbauern ein paarmal einen "Einführungskurs" gegeben haben, denken sie sich, man könnte doch das schöne Material (aus anderen Einführungskursen zusammengestellt) in Buchform herausbringen. Und siehe da, es verkauft sich gut, bald ist eine zweite Auflage fällig. So und nicht anders läuft es an den Universitäten.
Warum nicht über Sprachen schreiben, die man nicht näher kennt? Die anderen machen es doch genau so. Und über Schriften, die man nicht lesen kann.
Das Unglück begann mit den "Einführungskursen", die es zu meiner Studienzeit gar nicht gab – unvorstellbar für heutige "Studierende", die fast ihre ganze Zeit in Einführungskursen verbringen und sie kurz vor dem Examen noch einmal besuchen, weil es vollkommen ausreicht, den Einführungskurs zu kennen (die Einführungsbücher werden ja, wie gezeigt, ausdrücklich "für Abiturienten und Examenskandidaten" angeboten).
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Kommentar von R. M., verfaßt am 25.11.2016 um 23.40 Uhr
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Man kann das Buch bei Google durchblättern. Unfaßbar allein schon die Literaturauswahl im Kapitel zur Rechtschreibreform – Florian Kranz auf der einen Seite, Icklers Schildbürgerstreich auf der anderen, also die populären Darstellungen (im Falle von Kranz die eines Nobodys, von dem man nie wieder etwas gehört hat) anstelle der eigentlichen Fachliteratur, also z. B. des Kritischen Kommentars, der für die Autorin wohl zu hoch war. Darüber hinaus hat Frau Dürscheid keine Peilung, was eigentlich wichtig und was hingegen vernachlässigenswert ist – und genau die braucht man aber, wenn man eine brauchbare Einführung schreiben will.
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Kommentar von Serjosha Heudtlaß, verfaßt am 25.11.2016 um 19.11 Uhr
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Zur Lehrbuchmode:
Die Geisteswissenschaften versinken im Mittelmaß, sie sind im Niedergang begriffen. Im 19. Jahrhundert geboren, werden sie wohl im 21. untergehen. Zumindest ich sehe bisher keine Trendumkehr jener sie in den Orkus reißenden Kräfte, obwohl es nicht an mahnenden Stimmen mangelt und gemangelt hat. Auch hier wohl Automatismen wie bei der Durchsetzung der Rechtschreibreform am Werke. Eigentlich Idealist, kann man nur noch Zyniker werden. Für Hoffnungsschimmer wäre ich trotzdem dankbar. Ich klinge ungern so düster. Die große Mehrheit der anschwellenden Studentenmassen, zum Beispiel und insbesondere der Germanistik, brennt doch nicht mehr innerlich für ihr Fach, begreift die Universität nicht mehr als Lebensform, sondern sieht sie primär als Aufstiegsmittel und gesellschaftlichen Durchlauferhitzer, in den sie von der OECD-inspirierten Bildungspolitik (grotesk hohe Abiturientenquoten, die nur durch Niveauabsenkung zu erkaufen sind, Kompetenzorientierung, Employability, Praxisnähe, Drittmittel- statt intrinsischer Motivation) getrieben wird. Adieu, Gelehrtenrepublik – hello, Arbeitnehmerfabrik. Da sind natürlich farbige, passend zum Vorlesungszyklus konfektionierte und möglichst nur klausurrelevanten Stoff enthaltende Lehrbücher mit Häppchenwissen in verschiedenen Ausprägungen en vogue, die man schnell konsumieren kann. Jede Zeit hat vielleicht genau die Lehrwerke, welche sie verdient. (Das genannte Werk kenne ich im übrigen nicht, aber viele andere Beispiele. Und ja, es gibt natürlich noch erstklassige Einführungen, doch anders könnte ich mir den Leser- und Rezensentenzuspruch nicht erklären.)
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Kommentar von R. M., verfaßt am 25.11.2016 um 18.48 Uhr
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Frau Dürscheid ist entweder unfähig, etwas anderes als Proseminar-Prosa abzuliefern, oder aber (was wohl wahrscheinlicher ist) sie überläßt das Schreiben ihrer Bücher den Hiwis und mäht lieber zuhause den Rasen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.11.2016 um 18.33 Uhr
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Dürscheid erwähnt in der 5. Auflage (2016) die Internetseite www.rechtschreibung.com und schreibt dazu: Hinter dieser Adresse verbirgt sich die Initiative "WIR für gute Rechtschreibung" (vormals "WIR gegen die Rechtschreibreform"), die mit Theodor Ickler einen der wichtigsten Streiter in eigener Sache gewonnen hat. (180)
Ich weiß nicht, ob sich hinter der Adresse etwas "verbirgt"; jedenfalls erfahre ich erst bei dieser Gelegenheit davon und habe nichts damit zu tun. Vor vielen Jahren habe ich allerdings bei "WIR gegen die Rechtschreibreform" mitgeschrieben und für das Volksbegehren in SH gearbeitet. Und worauf bezieht sich die "eigene Sache"?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.11.2016 um 04.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1582#33932
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Gerade die schlechten "Einführungen", die ich unter "Abfall für alle" bespreche, gefallen den Amazon-Rezensenten, also wohl Studenten, am besten und erleben schnell mehrere Auflagen.
Übrigens kann man am genannten Beispiel noch einmal die Genialität des Neuheiten-Werbedienstes bibtip studieren:
Christa Dürscheid: Einführung in die Schriftlinguistik
„Andere Benutzer fanden auch interessant:
Pafel, Jürgen: Einführung in die Semantik ([2016])“
(und weitere Bücher, meist von 2016)
Zu Pafel wiederum wird empfohlen:
Hecken, Thomas: Popliteratur ([2015])
Das entspricht einem nervösen Zappen durch die Kanäle; an Universitätsbibliotheken würde man es nicht erwarten. Und wie gesagt: Es geht immer um die jeweils neuesten Bücher, genau wie im Handel.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 24.11.2016 um 18.45 Uhr
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Es gibt inzwischen eine Neubearbeitung dieses mangelhaften Buches, in dem neue Mängel hinzugekommen sind. So wird S. 184 behauptet, die Rechtschreibkommission habe mit ihrem 4. Bericht ihre Arbeit »offiziell ab[geschlossen]«. In Wirklichkeit wurde sie entlassen, nachdem sie den 4. Bericht vorgelegt hatte.
Die gescheiterte Rechtschreibreform unter der Ägide des NS-Bildungsministers Rust wird weiterhin absichtsvoll verschwiegen (vgl. S. 187).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.11.2015 um 17.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1582#30672
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Schon die Rede vom Dekodieren und von einer Dekodierungsleistung ist willkürlich und irreführend. Noch schlimmer ist es aber, das Funktionieren des Ohrs mit einer Leistung des Hörers gleichzusetzen. Das Ohr oder besser das gesamte neuronale Hörsystem "leistet" u. a. etwas, was der Physiker als Fourier-Analyse nachkonstruieren kann, aber das ist keine Leistung des Hörers. Ebenso mit dem Auge. Die Kompliziertheit der optischen Mustererkennung ist kein Maß für die "Leistung" des Sehenden.
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 22.10.2013 um 18.21 Uhr
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Mir scheint, hier sollte zwischen muttersprachlichen und fremdsprachlichen Texten unterschieden werden. Einer Unterhaltung in einer Fremdsprache zu folgen, ist wohl schwieriger, als einen fremdsprachlichen Text zu lesen. In der Muttersprache zu reden, dürfte hingegen leichter sein als das Lesen.
Grundsätzlich wird dem Gehirn wohl Unterschiedliches beim Lesen und Hören abverlangt. Somit kann auch die Anstrengung bzw. das Empfinden von Anstrengung individuell unterschiedlich sein.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 22.10.2013 um 09.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1582#24251
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Die Verfasser argumentieren, daß eine zu leicht lesbare Orthographie wie die deutsche, englische oder gar chinesische (die aber falsch beschrieben wird) geistig träge macht.
Ich habe das Buch nicht gelesen und werde es auch ganz bestimmt nicht anschaffen, aber die Rechtfertigung paßt doch irgendwie in das Argumentationsschema der Reformbefürworter. Was war nicht alles zu lesen über die Fortschrittsaspekte der Reform: Kinder müßten nun endlich den Umgang mit dem Rechtschreibwörterbuch lernen; die Reform erzwinge verbesserten Grammatikunterricht; die Etymologie (manchmal auch die Volksetymologie) käme wieder zum Zuge; die Reform erfordere lebenslanges Lernen usw.
Dazu paßt natürlich die Forderung, es den Lesenden nicht zu leicht zu machen, denn um die reformierte Orthographie korrekt anzuwenden, ist schon eine gehörige Portion Hirnschmalz notwendig. Geistige Trägheit (=Gewohnheit, Intuition) kann da nur schaden.
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