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11.01.2013
Oralprimat
Eric Havelock auf Abwegen
Mit Havelock habe ich mich seit Jahrzehnten nicht mehr beschäftigt. Aber nun lese ich Texte von ihm, die mich von weiterer Leküre Abstand nehmen lassen.
Havelock bemüht sich, den Griechen die eigentliche Erfindung der Alphabetschrift zuzuschreiben, weil sie durch die Vokalbuchstaben eigentlich erst den einzelnen Konsonanten entdeckt hätten und damit die Möglichkeit, grundsätzlich alles Hörbare eindeutig aufzuschreiben. Er gründet auf diese mediale Errungenschaft seine These von der geistigen Revolution in Griechenland. Wegen der nicht-vokalisierten Schriften überlebe im Vorderen und Mittleren Orient bis heute eine „zweideutige Oralismusform“.
„Wir reden von 'zweideutig', weil dieser Oralismus in Gesellschaften fortbesteht, die ansonsten als literal beschrieben werden müssen, weil sie Schrift und heute auch gedruckte Schrift verwenden. Wenn indes Schriftsysteme (Arabisch, Sanskrit) in ihrer Herleitung aus den vorgriechischen semitischen Schriftsystemen einen traditionellen Rest von Zweideutigkeit behalten haben, der eine fachkundige Interpretation erfordert, dann wird der Fortbestand des Oralismus in großen Teilen der Bevölkerung verständlich.“ (Als die Muse schreiben lernte. Frankfurt 1992:106)
Für die indischen Schriften (nicht „Sanskrit“) trifft das nicht zu. Sie sind durchgehend vokalisiert und ebenso eindeutig zu lesen wie die griechische und lateinische.
Ein sehr naiver Text ist dieser:
http://www.sino-platonic.org/complete/spp005_chinese_greek.pdf
Wenn man Havelock folgt, wird das mit den Chinesen nichts. Sie sind "archaisch". Hätten sie doch bloß rechtzeitig eine Alphabetschrift eingeführt! Aber selbst dagegen wehren sie sich, total verbohrt. Es reicht gerade so weit, daß sie Sprüche des Großen Vorsitzenden aufsagen können.
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Kommentare zu »Oralprimat« |
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.08.2024 um 05.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#53764
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Noch einmal und bitte auf der Zunge zergehen lassen:
„In oralen Gesellschaften spricht man nicht über Sprache. (...) Orale Gesellschaften kennen keine Geschichte, keine Schulen, keine Philosophie und keine Linguistik.“ (Wolfgang Teubert in Linguistik online 28/3, 2006) – „Umso mehr mag überraschen, dass die Ausdrücke Wort und Satz nach dem, was man bisher weiß, nur in solchen Kulturen vorkommen, die verschriftet sind (...) Orate Kulturen ‚kennen weder eine Linguistik, noch kennen sie deren ‚Gegenstände‘ in der uns selbstverständlich vertrauten Form‘ (Knobloch 2003:107).“ (Ursula Bredel: Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht. Paderborn 2007:36) – „Tatsächlich ist schon die scheinbare Selbstverständlichkeit, dass wir beim Sprechen einzelne Wörter aneinanderreihen, eine von der Schrift geprägte Vorstellung, denn die gesprochene Sprache ist nichts als ein kontinuierlicher Fluss von Lauten, erst die Schrift macht durch ihre Abstände Wörter erkennbar.“ (Wolfgang Krischke in FAZ 6.11.12) Ähnlich Roland Posner über die Identifizierbarkeit von einzelnen Phonemen (https://www.semiotik.tu-berlin.de/fileadmin/fg150/Posner-Texte/Posner-Im_Zeichen_der_Zeichen_26-3-01.pdf).
Diese Autoren stützen ihre universalgeschichtlichen Ansichten auf die schmalste empirische Grundlage: Als schriftliche Kultur kennen sie nur die eigene, unsere griechisch basierte, als mündliche überhaupt keine, sondern nur ein Phantasma von Wilden in Baströckchen und natürlich ohne Sprachwissenschaft.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.04.2024 um 11.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#53163
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"Literatur" wird in Sachlexika oft noch immer buchstabengetreu als "Schrifttum" wiedergegeben, so daß die großen Epen (Ilias) und die noch ältere Ritualdichtung (Veda) eigentlich herausfallen würden. Sie werden dann doch behandelt, aber entweder als Kuriosität oder als eigentümlich defizitär, als hätten die Verfasser am liebsten die Schrift verwendet, wenn sie sie denn gekannt hätten.
Die Programmschriften der "Rezeptionsästhetik" lassen manchmal schon im Titel ("Der implizite Leser", "Der Akt des Lesens") ihre Fixierung auf Schriftlichkeit erkennen. Der Grund liegt wohl einfach darin, daß man sich vor allem für englische Romane usw. interessierte.
Ich weiß nicht, ob die "Konstanzer Schule" noch floriert. Vielleicht hat sie unter dem "Fall Jauß" gelitten, der nach meiner Erinnerung ganz übermäßig diskutiert wurde. Es gäbe relevantere Kritikpunkte.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.09.2023 um 04.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#51794
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Nachtrag zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#25624:
Bei der indischen Gelehrtenfamilie, mit der wir befreundet waren, handelte es sich um Prof. Satya Vrat Shastri, seine Frau Usha und ihre beiden Kinder sowie den Vater Charu Deva Shastri, einen höchst eindrucksvollen Mann, der nach dem Tod seiner Frau im Haushalt des Sohnes lebte. Ich verdanke ihnen meine wertvollsten Einblicke in das traditionelle brahmanische Gelehrtenleben. Das kann ich hier nicht schildern, will aber noch erwähnen, daß ich zusammen mit meiner Frau ein Kurzepos, das Satya Vrat über seine Deutschlandreise verfaßt hatte, auf seinen Wunsch aus dem sehr kunstvollen Sanskrit ins Deutsche übersetzte. Die Druckfassung ("Schön leuchtet Deutschland", Delhi 1976) erregte bei der deutschen Botschaft und dann auch z. B. in Göttingen große Heiterkeit, weil ich (ohne Wissen des Verfassers) dem Text einen komischen Charakter verliehen hatte. Anders wäre er schwer zu ertragen gewesen. Der Reisende staunt also über "glückliche Kühe" usw., alles in Hexametern...
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.03.2023 um 21.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#50753
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Nun, das zweite Wort ist tvam, nicht tum, und das letzte der zweiten Zeile, der Name der Mutter, steht im Genitiv, das Suffix darf nicht abgetrennt werden, und am Ende fehlt ein "Doppelpunkt" (Visarga) für das s, das in der Pausaform nicht gesprochen wird.
Aber machen Sie sich nichts draus, man findet heute sogar griechische Buchstaben kaum je richtig abgeschrieben. Chinesisch sowieso nicht. Die Devanagari-Schrift ist zwar sehr konsequent (eindeutig), aber ziemlich beschwerlich zu lesen. Sieht aber schön aus, nicht wahr?
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Kommentar von A.B., verfaßt am 26.03.2023 um 20.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#50752
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Was ist denn genau falsch?
Ich habe es aus https://randomwritez.blogspot.com/2013/08/kalidasas-sanskrit-verses.html per entsprechender html-Unicode-Kodierung eingetragen ohne irgendeine Kenntnis der Sprache oder der Schrift.
Ihr Twitter-Link beinhaltet leider nur eine Graphik.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.03.2023 um 20.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#50751
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Das ist nett, vielen Dank! (Auch wenn es nicht ganz richtig ist...)
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Kommentar von Kalidasa, verfaßt am 26.03.2023 um 20.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#50750
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का तुम बाले - काञ्चनमाला
कस्या: पुत्री - कनकल ताया |
किन्ते हस्ते - तालीपत्रं
का वा रेखा - क ख ग घ ||
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.03.2023 um 08.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#50701
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Eine bekannte Anekdote um den Dichterfürsten Kalidasa geht so: Der König hatte den versammelten Dichtern die Aufgabe gestellt, ein Gedicht zu machen, in dem die Lautfolge ka kha ga gha vorkommt (das ist der Anfang des Alphabets, bei uns also abecede). Kalidasa improvisierte folgenden Dialog, einen vollendeten Shloka:
Wer bist du, mein Kind? Kanchanamala. – Wer ist deine Mutter? Kanakalata.
Was hast du in der Hand? Ein Palmblatt. – Was hast du geschrieben? ka kha ga gha.
Bemerkenswert ist, daß die Identifikation des Mädchens über die Mutter erfolgt (ich habe entsprechend übersetzt; im Original kommt die Mutter nur indirekt über das Fragepronomen und den weiblichen Namen vor). Es ist offenbar sehr jung, weil es gerade erst mit dem Schreibenlernen angefangen hat.
Das Original wirkt wegen seiner Kürze und zwanglosen Umgangssprachlichkeit bezaubernd. Indische Schrift kann hier nicht abgebildet werden, Sie können das Original aber z. B. hier sehen:
https://twitter.com/jayashree2021/status/1414196480240275457
Die indische Umstellung des semitischen Alphabets war natürlich längst abgeschlossen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2023 um 04.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#50643
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Wolfgang Schadewaldt und Richard Harder (in Helmut Berve, Hg.: Das neue Bild der Antike I: Hellas. Leipzig 1942) nahmen an, daß Homer sein Werk als Rhapsode vorgetragen (also vorgesungen) und außerdem aufgeschrieben hat. Das bleibt aber unklar: Wozu sollte er es aufschreiben, wenn er es im Kopf hatte? Rhapsoden werden mit dem Stab abgebildet und geschildert, aber nicht mit Schriftrollen, aus denen sie vorlasen wie später Herodot sein Geschichtswerk. Das Aufschreiben hätte also nur den Zweck haben können, das Werk an andere zu überliefern, die es dann auswendig lernten. Das war später zweifellos der Fall, aber ursprünglich wohl nicht. Das indische Beispiel und andere Fälle von Oral poetry zeigen, daß auch lange Texte rein mündlich weitergegeben werden können.
Außerdem sagt Harder selbst, daß die Schrift den Griechen zwar bekannt und von ihnen in eine volle Alphabetschrift (mit Vokalbuchstaben) umgebildet worden war, aber lange Zeit nur für bestimmte Zwecke benutzt wurde. Daß die epische Dichtung dazugehörte, ist nicht belegt und wird für Homer nur behauptet. Beide Autoren meinen, das werde heute von niemandem mehr bezweifelt. Das hat rhetorischen Schwung, wird aber im weiteren Text nicht bestätigt.
Bei dieser Gelegenheit will ich eine unbedachte Formulierung in http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49592 korrigieren: Auch im Rigveda gibt es viele Wiederholungen, die vor langer Zeit Maurice Bloomfield gesammelt hat. Ein typisches Merkmal aller mündlichen Dichtung.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.12.2022 um 07.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#50121
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Gilbert Ryle war ein besonders klarer Kopf, und so liest er sich auch.
Skinner berichtet über einen Vortrag Ryles, der ziemlich öde gewesen sein muß. Ryle las ab, verlas sich, verhedderte sich beim Umblättern usw. – kurzum, er trug nicht seine Gedanken vor, sondern einen Text, der ebenso gut von einem anderen hätte sein können. Er verhielt sich "textuell" (in Skinners Terminologie), setzte also Geschriebenes in ein anderes Medium um.
Im direkten Sprechen verspricht man sich, beim Textverhalten verliest man sich; das ist etwas ganz anderes und stört wirklich, im Gegensatz zum normalen Versprecher, für den wir unauffällige Reparaturverfahren ausgebildet haben. Der Vorleser scheint nicht wirklich "bei der Sache" zu sein, wir können ihm nicht beim Denken zusehen und uns daher auch nicht so gut auf den Inhalt konzentrieren – weil er es selbst nicht tut.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.12.2022 um 04.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#50099
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Was der Linguist auf dem Papier konstruiert, hat nur entfernt mit Sprache zu tun. Es gibt keine Schriftsprache. Es gibt ja auch keine Notenmusik.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.09.2022 um 03.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49674
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Gräfenhan (Geschichte der klassischen Philologie im Alterthum) meint, wenn mehrere Rhapsoden, wie berichtet wird, mit verteilten Rollen Homer vorgetragen hätten, würde sich das Rätsel lösen, wie solche langen Texte auswendig beherrscht worden sein könnten. Wenig später berichtet er von Griechen, die den ganzen Homer auswendig konnten. Das ist in der Tat keine übermenschliche Leistung, vor allem wenn man frühzeitig damit anfängt. Dabei braucht man nicht einmal an die indischen Gedächtnisakrobaten zu denken. In jüngeren Jahren hätte ich leicht das Nibelungenlied oder auch die Ilias auswendig lernen können. (Heute fällt es mir schwer, ein Gedicht vom Umfang eines Sonetts so zu lernen, daß ich es nach vier Wochen noch aufsagen kann.) Der Zeitgeist hat sich gewandelt, man glaubt heute nicht mehr genug Zeit für so etwas zu haben, und auch der Nutzen leuchtet nicht mehr ein. Früher war das ganz anders; es gab wenig Ablenkung durch eine Zerstreuungsindustrie, die Überlieferung stand in hohem Ansehen. Die Leute haben ja auch jahrelang an einer Stickerei (oder einer Kathedrale...) gearbeitet.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.08.2022 um 06.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49592
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Ob „Homer“ seine Werke geschrieben hat, läßt sich nicht aus der „Qualität“ der Texte erschließen, weil der Vergleichsmaßstab fehlt: die Forscher wissen nicht, was rein mündlich möglich ist. Wir haben die extrem zuverlässige Überlieferung (und selbstverständlich auch schon der Komposition) der vedischen Hymnen aus der Gattung der Ritualtexte; wir haben die flüssige Überlieferung großer Epen; wir haben die mündliche Konzipierung und Überlieferung hochkomplexer Fachtexte wie Paninis Ashtadhyayi samt Kommentaren. Hinzu kommt die Einsicht, daß ein auswendig beherrschter Text für die Bearbeitung zugänglicher ist als ein auf Palmblättern oder Schriftrollen niedergeschriebener, ohne Register und rein technisch schwer zu handhaben.
Der häufige Familienname Trivedi oder Chaturvedi deutet darauf hin, daß ein gelehrter Vorfahr die drei bzw. (mit Einschluß des Atharvaveda) vier Veden auswendig kannte. Im Westen wird es fast als Wunder vermerkt, wenn jemand die Ilias auswendig konnte, aber das ist in Wirklichkeit gar nicht so schwer. Der Hexameter ist ungemein eingängig, und ein Drittel der Verse sind Wiederholungen. Beides kann man vom Rigveda nicht sagen, aber Brahmanenkinder sind oder waren Gedächtnisakrobaten, und ablenkende Smartphones hatten sie auch nicht.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.07.2022 um 16.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49485
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Stephan Busch schreibt in dem von mir empfohlenen Aufsatz:
„Lesen erlernten Kinder gewöhnlich, indem sie im Alter von etwa 7–11 Jahren die Elementarschule (grammateion, ludus litterarius) besuchten. Solche Einrichtungen, in denen Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet wurde, gab es in jedem kleinen Ort.“ (Busch 23f.)
Wenige Zeilen später heißt es:
„Bildung ist jedoch auch in der Antike ein Privileg. Staatliche Schulen, wie sie einige griechische Gemeinwesen einrichteten, waren die Ausnahme, und eine allgemeine Schulpflicht bestand nicht.“
Die Bevölkerung, und zwar nicht nur die Gruppe der Vollbürger, muß zu einem leider nicht feststellbaren, aber doch sehr bedeutenden Teil alphabetisiert gewesen sein. Die meisten begnügten sich mit der Elementarschule, brauchten auch nicht mehr für ihren Beruf und die Ausübung ihrer Rechte.
Es gab ja auch wenig Lesestoff und für die meisten Menschen wenig Gelegenheit, lesen zu müssen.
Die höhere Bildung (bis etwa 17 Jahre weitgehend Klassikerstudium, danach Rhetorikstudium und Philosophie) kostete viel Geld, aber waren diese Menschen „privilegiert“ in unserem Sinne? Der Begriff paßt irgendwie nicht. Die heutige, sanft klassenkämpferische Sicht wird durchkreuzt von der Tatsache, daß der Wohlhabende sich für das Schreiben (Diktieren) und Lesen (Vorlesen) Sklaven hielt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.07.2022 um 14.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49484
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Von der Antike bis ins 19. Jahrhundert hat man im Abendland nicht genau zwischen Lauten und Buchstaben unterschieden. Der Schaden hielt sich in Grenzen, weil beides sich so weitgehend entspricht.
Es liegt nahe, zum Vergleich die Notenschrift heranzuziehen. Noch heute kann man bei Wikipedia über klassische indische Musik lesen: „Die Noten der indischen Musik werden häufig mit Verzierungen (Gamaka) versehen. Typischerweise ist jede einzelne Note, auch in schnelleren Sequenzen, verziert. Es gibt Vorschlagsnoten, langsames Vibrato, langsame Glissandi (bei Saiteninstrumenten mit Bünden wie vina oder sitar durch Veränderung des Druckes auf den Bund realisiert) und andere Varianten.“ Gemeint sind Töne.
Es gibt noch eine Parallele: Viele Popmusiker, darunter weltberühmte, konnten und können keine Noten lesen. Sie stehen in einer rein mündlichen Tradition. Ein Elvis Presley hätte mit Noten nicht viel anfangen können (wie er auch selbst sagte). Er sang, was er schon kannte, oder ließ sich „Demos“ (Acetate) von neuen Liedern vorspielen. – Das ist vergleichbar den epischen Sängern der Frühzeit.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.07.2022 um 17.56 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49482
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Zu der schwierigen Frage „Lautes und leises Lesen in der Antike“ gibt es jetzt einen ausgezeichneten Aufsatz gleichen Titels des Trierer Latininisten Stephan Busch (http://www.rhm.uni-koeln.de/145/Busch.pdf). Eine Lösung ist dadurch erschwert, daß antike Schriststeller sich kaum darüber geäußert haben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.07.2022 um 07.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49480
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Der Unterschied zwischen mündlichen und schriftlichen Kulturen wird deutlich, wenn wir zwei Fachtexte aus ähnlich früher Zeit vergleichen: Paninis Ashtadhayi und Aristoteles’ Analytika. Beide sind brutal kompaktisiert, aber auf ganz verschiedene Weise:
Panini ist mündlich konzipiert, seine künstlichen Elemente (zu den Anubandhas vgl. https://www.learnsanskrit.org/panini/anubandha/) unterliegen sogar dem Sandhi (euphonische Verbindung).
Aristoteles verwendet in seiner formalen Logik Buchstabensymbole, sind also ohne Schrift nicht denkbar. Diese Schriftbezogenheit hat aber nichts mit den Begriffen von Koch/Oesterreicher zu tun. Und Pâṇinis Mündlichkeit ist kein Ersatz, weil der Verfasser und seine Zeitgenossen die Schrift nicht zur Verfügung gehabt hätten, die nach heutiger Vorstellung die einzigartige Durchdachtheit des Werkes erleichtert hätte. Die Annahme, Pâṇini habe sein Werk „konzeptionell schriftlich“ entworfen, wäre nicht nur ein Anachronismus, sondern eine schwere Verkennung des gesamten kulturellen Rahmens.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2022 um 18.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49475
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Heute werden Bücher gedruckt, deren Verfasser am Bildschirm die Übersicht verloren haben, und wenn es keinen Lektor mehr gibt, kommt es zu Verdoppelungen ganzer Kapitel und falschen Verweisen. Soviel zur angeblichen Überlegenheit schriftlicher Texte hinsichtlich „Planung und Kohärenz“ (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#37954). Bei einem mündlich überlieferten und ständig wiederholten Text kann das nicht passieren.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.07.2022 um 05.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49468
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Man sagt wohl, daß Bildfolgen eine Geschichte erzählen können, aber das ist natürlich nur eine Metapher. In Wirklichkeit muß der Betrachter anhand der Bilder eine Geschichte erfinden. Besonders kompakt E. O. Plauens "Vater und Sohn". Denkbar ist, daß die Deutung kulturspezifisch ist.
Ich erwähne das hier, weil man sonst die Bildfolgen für eine "Schrift" halten könnte. Sie sind es so wenig wie eine Pantomime.
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Kommentar von , verfaßt am 13.07.2022 um 06.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49408
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2022 um 04.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49395
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Wie schon mehrmals erwähnt, kannten manche Völker die Schrift, verwendeten sie aber nur für "weltliche" Zwecke, nicht für Ritualtexte oder rhapsodische Epen usw. Wir wissen es von den Indern, Cäsar berichtet es von den Druiden (de bell. gall. 6, 14).
Eine gewisse Parallele finden wir bei Kinderspielen. Die Regeln für "Hüpfkästchen" (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1103#39621)
werden praktisch nur mündlich weitergegeben, außerdem nur unter kleinen Mädchen; nur selten dürfte ein Erwachsener sich einschalten oder deswegen befragt werden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.07.2022 um 06.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49392
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Nach Schulschluß ging ich heim,
betrat das Haus,
wo mein Vater saß,
Ich sprach zu meinem Vater über die Schreibübungen,
die ich gemacht hatte,
Ich las sie ihm vor –
und mein Vater war zufrieden:
Wirklich, ich fand Gnade in den Augen meines Vaters.
(Schreibübung aus Babylon)
Leider kann ich die Quelle dieses Textes nicht angeben, muß mal Ordnung in den Haufen Keilschrifttafeln bringen. Es gibt bekanntlich auch akkadische Strafarbeiten ("hundertmal abschreiben!" – ganz wie in der Neuzeit).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.07.2022 um 06.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49389
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Ich habe jetzt damit angefangen, die Bibel zu modernisieren. Gleich am Anfang heißt es jetzt:
„Und Gott schrieb: Hiermit wird angeordnet, daß Licht sei.“
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2022 um 04.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#49249
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Man kann nicht die Darstellung der Orthographie mit „Laut-Buchstaben-Zuordnungen“ beginnen und dann das „Schreiben nach Gehör“ perhorreszieren. Ein Kind, das man daran hindert, auch andere Wörter als die bereits geübten zu schreiben, ist arm dran; es wird wohl nie schreiben lernen und auch nie schreiben wollen.
Es ist, also wollte man das kindliche Zeichnen unterbinden, weil es nicht korrekt ist. „Die Kinder sollen nicht mit Kopffüßlern anfangen, sondern gleich anatomisch richtig zeichnen.“ Wer würde so reden?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.04.2022 um 05.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#48968
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Wir nehmen ohne weiteres an, daß die Kultur (Sprache, Werkzeuge) der Menschheit einen Schub gegeben haben müsse, und können uns nicht recht erklären, warum sie gleichwohl noch Hunderttausende von Jahren immer am Rande des Aussterbens dahinvegetierte. Aber es könnte sein, daß die Kultur dem Menschen zunächst schadete, indem sie ihn zum „Mängelwesen“ machte, das die Sicherheit des „instinktiven“ Verhaltens einbüßte und sich von den Unsicherheiten des gelernten sowie der Überlieferung abhängig machte.
Platon hat einen ähnlichen Gedanken zur Schriftlichkeit: Als Gedächtnisstütze gedacht, schwächt die Schrift das Gedächtnis. Wer immer nur getragen oder gefahren wird, verlernt das Laufen. Auch hier gilt: „Der Ersatz ist vor dem Verluste da und wird Ursache des Verlustes.“
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.09.2021 um 16.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#47197
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Über die keltischen Druiden berichtet Cäsar de bell. gall. 6, 14:
Druides a bello abesse consuerunt neque tributa una cum reliquis pendunt. militiae vacationem omniumque rerum habent immunitatem. (2) tantis excitati praemiis et sua sponte multi in disciplinam conveniunt et a parentibus propinquisque mittuntur. (3) magnum ibi numerum versuum ediscere dicuntur. itaque annos nonnulli vicenos in disciplina permanent. neque fas esse existimant ea litteris mandare, cum in reliquis fere rebus, publicis privatisque rationibus, Graecis utantur litteris. (4) id mihi duabus de causis instituisse videntur, quod neque in vulgus disciplinam efferri velint neque eos, qui discunt, litteris confisos minus memoriae studere, quod fere plerisque accidit, ut praesidio litterarum diligentiam in perdiscendo ac memoriam remittant.
Die Druiden nehmen gewöhnlich keinen Anteil am Krieg, zahlen keine Steuern wie die übrigen und genießen Freiheit vom Kriegsdienst und von allen anderen Lasten. (2) Durch solche Vorteile ermuntert treten viele aus freien Stücken in die Lehre, andere aber werden von ihren Eltern und Verwandten dazu veranlasst. (3) Sie müssen dann eine Menge Verse auswendig lernen, weshalb manche sogar zwanzig Jahre in dieser Schule zubringen. Sie halten es nämlich nicht für erlaubt, solche Dinge schriftlich zu verzeichnen, während sie sich in anderen Sachen und Geschäften des Staates und der einzelnen der griechischen Schrift bedienen. (4) Dies geschieht, wie ich glaube, aus zwei Gründen: einmal, weil sie verhindern wollen, dass ihre Lehre unter das Volk kommt; und dann, damit nicht ihre Jünger, wenn sie sich auf das Geschriebene verlassen können, weniger Sorgfalt auf das Gedächtnis verwenden; denn die meisten Menschen vernachlässigen im Vertrauen auf das Geschriebene das sorgfältige Auswendiglernen und das Gedächtnis.
Die Begründungen sind natürlich Rationalisierungen eines außenstehenden Betrachters. Die Sache mit der Gedächtnisschwächung durch Schriftlichkeit steht schon bei Platon. Im alten Indien haben wir die gleiche Scheu vor der Schrift, soweit der Veda betroffen ist. In religiösen Zeremonien werden oft über Jahrtausende Praktiken und Gerätschaften beibehalten, obwohl die Technik längst darüber hinausgelangt ist; man denke an Obsidianklingen zur Beschneidung, Widderhörner, Speisen usw. Das Auswendiglernen und Rezitieren gehört dazu, auch wenn inzwischen die Schrift und sogar der Buchdruck erfunden worden sind.
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Kommentar von , verfaßt am 19.09.2021 um 04.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#47139
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2021 um 11.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#45823
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Ich habe natürlich stark übertrieben und bin wahrscheinlich vorgeschädigt. Bei uns zu Hause wurde praktisch gar nicht gesungen, aber meine Mutter spielte ein wenig Klavier. Meine Frau dagegen hat immer mit unseren Kindern gesungen, und eine der Töchter singt mit ihr zusammen im Gospelchor.
Ich singe leider nie, obwohl ich es wahrscheinlich könnte (Bariton), aber es geniert mich einfach; das schmerzt mich fast ebenso sehr wie daß ich auch nicht richtig Klavier spielen kann.
Man sollte unbedingt mit seinen Kindern singen, und ein Instrument sollten sie auch lernen. Ich bin kein gutes Beispiel.
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Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 03.05.2021 um 11.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#45821
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"Lieder stören mich. Entweder will ich den Text verstehen oder mich an Musik erfreuen."
Entweder Text oder Musik – so empfinden viele. Und auch wieder nicht. Einer der Gründe, aus denen englischsprachige Songs so oft deutschen vorgezogen werden, ist der Vorteil, daß Durchschnittshörer sich nicht um Inhalte kümmern müssen und die Stimme als Instrument genießen können. Dann reichen ein paar verständliche Refrainsilben als Hinweis aufs Thema. So habe ich als Junge die Beatles gehört. Manche Texte sind mir erst nach Jahren klar geworden, als ich die Titel nachgesungen und mir selbst dabei zugehört habe. Andererseits hat fast jeder Lieblingslieder, die ihm gerade deshalb gefallen, weil Aussage und Musik einander bewegend ergänzen. Gesungene Dialoge sind natürlich gräßlich.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2021 um 06.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#45818
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Lieder stören mich. Entweder will ich den Text verstehen oder mich an Musik erfreuen. Das sind für mich unvereinbare Welten. Oper ist am schlimmsten.
Kleine Spekulation (nicht mal originell):
Die menschliche Kommunikation war vielleicht zunächst melismatisch. Die Entdeckung des Sprechregisters, also die Erfindung der Prosa, war gleichbedeutend mit der Einführung der Silbe. Gesang überspielt die Silben, extrem bei Koloraturen. Wikipedia:
Das Melisma (von griechisch melos „Lied, Weise, Gesang“) bezeichnet eine ornamentative Tonfolge oder Melodie, die auf einer Silbe gesungen wird. Im melismatischen Gesang kommen also mehrere Noten auf einen Vokal. Ein Beispiel ist die Vertonung des Gloria, bei der auf dem Vokal o zahlreiche verschiedene Töne intoniert werden (Gloooo-o-o-o-o-oooo-o-o-o-o-oooo-o-o-o-o-ooo-ria). Im Gegensatz dazu ist bei der Syllabik jeder Silbe nur eine Note zugeordnet.
Gesellschaftliche Voraussetzung der Sprechsprache ist der Dialog, das Argumentieren, das Logische (Forensische?), also das genaue Gegenteil des Musikalischen, Melismatischen.
In der griechischen Tragödie wechseln sich die dialogischen („forensischen“) Teile und die Chorlieder ab. Der Chor verschwindet später. Vom Mythos zum Logos. Vgl. Wikipedia über das Verschwinden der Koloratur aus der Oper, von Mozart und Rossini über C. M. von Weber zu Verdi.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2021 um 05.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#45817
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Die Sprechsprache ist gepulst. Ob das Babbeln der Säuglinge eine Exaptation der Kaubewegung ist oder etwas anderes, es ist jedenfalls spezifisch menschlich und deutet möglicherweise bereits auf die universelle Gepulstheit menschlicher Sprachen hin.
Silben erhöhen die Übertragungssicherheit ganz enorm. Silben unterliegen in allen Sprachen konventionellen Strukturbeschränkungen ,besonders an den Rändern; außerdem sind universelle Präferenzen festzustellen, die sich immer wieder durchsetzen. Unter störenden Bedingungen - also praktisch immer, denn Rauschen ist allgegenwärtig – "weiß" der Hörer, welche Phoneme, aber eben auch welche Silben er gehört hat oder hätte hören sollen.
Es ist nicht zu erkennen, warum die "geschriebene Sprache" (die es eben gar nicht gibt) gepulst sein sollte. Es gibt keine Schreibsilben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2021 um 05.31 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#45816
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Als unverbesserlicher Oralprimat meine ich:
Ein sehr geübter Leser dürfte einige Textteile ohne Beteiligung des inneren Mitsprechens (was immer es sein mag) unmittelbar verstehen. Das hebt die Abhängigkeit der Schrift von der Sprechsprache nicht auf.
Ein professioneller Musiker dürfte dem Notenbild unmittelbar – ohne vermittelnde Klangvorstellung – entnehmen, ob die notierte Musik in Ordnung ist. Beim Aufschreiben könnte er zeitweise vergessen, daß es sich überhaupt um hörbare Musik handelt. Auch das hebt den abgeleiteten Charakter der Partitur nicht auf.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.05.2021 um 06.08 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#45806
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Weil auch mündliche Rede heute als "Text" bezeichnet wird, könnte man schriftliche Texte als Sprachpartituren bezeichnen. Semiotisch sind sie Partituren, d. h. künstlich geschaffene Vorlagen für eine Vorführung (performance).
Es wäre denkbar, daß graphische Gebilde originär semantisiert und dadurch zeichenhaft würden; das geschieht aber nie. Eher schon die Gebärdensprache als Erstsprache, obwohl diese Behelfssprache auch von Menschen mit Lautsprache erfunden worden ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.11.2020 um 07.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44751
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Wenn man sich nach chinesischer Etymologie umsieht, trifft man fast immer auf die Geschichte der Schriftzeichen. Victor Mair hat ganz recht, wenn er diese Vermischung von Sprache und Schrift kritisiert:
https://languagelog.ldc.upenn.edu/nll/?p=2910
Andererseits kann man meiner Ansicht nach auch von einer Etymologie der Zeichen sprechen, denn was ist denn Etymologie anderes als "evolution and development"? Natürlich sollte man es auseinanderhalten, und da ist die Klage wohl berechtigt, daß die eigentliche Sprachgeschichte fürs Chinesische vernachlässigt worden ist. Man wird sozusagen erschlagen von der Bedeutung der Schrift.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.11.2020 um 05.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44637
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"Schreiben ist: sprechen, ohne daß einer dreinredet." (Hans Reimann, aber der Sache nach wohl älter)
Da ist was dran. Unterhaltung kann anregend sein, das berühmte Brain storming (manchmal!), aber dann kommt auch wieder das dringende Bedürfnis, seine Gedanken zu klären und in einen Zusammenhang zu bringen.
Auf der anderen Seite lauert die Gefahr, daß jemand nur noch schreibt, z. B. der Giftzwerg vor dem Notebook, ungestört seine Invektiven gegen Gott und die Welt abfeuernd, Tag für Tag. Er hat niemanden, der ihn im Gespräch erdet.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2020 um 17.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44311
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Man kann Plosive sogar implodierend bilden, nicht direkt mit Einatmung, aber mit einem kleinen Unterdruck in der Mundhöhle. Wird meist nur emphatisch eingesetzt.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.09.2020 um 15.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44309
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Ich glaube, ich habe fälschlich jeglichen Lufthauch (jeden Luftdurchzug) bei einem Plosiv als Behauchung (Aspiration) angesehen. Richtig ist aber wohl, daß damit in der Phonetik nur solche Luftbewegungen bei geöffneten Stimmlippen gemeint sind, die einen hörbaren /h/-Laut erzeugen.
Jedenfalls verstehe ich nur so den Ausdruck unbehauchte Plosive. Auch sie benötigen ja einen Luftdurchzug, der sie erst hörbar macht, was (bei /p/, /t/, /k/) auch mit geschlossenen Stimmlippen möglich ist. Auch das wird mit einer Kerze sichtbar, der Effekt ist nur schwächer als mit richtiger Behauchung.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2020 um 13.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44307
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Unser Sprecherzieher (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1551#28261) wollte uns das Zungenspitzen-r beibringen, weil es die Rednerstimme schont und für Sänger ein Muß ist, aber ohne Erfolg. Obwohl ich die stimmhygienische Wahrheit dahinter anerkenne, muß ich sagen, daß ich mit meiner Stimme nie Probleme hatte, und das als Dauerschwätzer (Professor)!
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2020 um 13.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44306
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Den Unterschied verrät die berühmte Kerzenflamme vor dem Mund. In vielen Sprachen ist er phonologisch relevant, z. B. im Sanskrit, wo es mehrere vollständige Reihen von Plosiven gibt. Im Deutschen wird interessanterweise der Hauch wegggenommen, wenn die Atemluft schon vor dem Plosiv durch einen Zischlaut aufgebraucht ist: Stein usw.
Die Franken behalten den Hauch am liebsten ganz für sich, aber ich kannte mal eine Kommilitonin aus Wuppherthal, die üppig behauchte!
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 09.09.2020 um 11.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44305
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Im Wikipedia-Artikel über Aspiration steht, daß es Sprachen (sogar deutsche Dialekte) geben soll, in denen Plosive unbehaucht ausgesprochen werden.
Das verstehe ich nicht. Kann es denn so etwas theoretisch überhaupt geben? Schon der Name (Ex/Im)Plosiv besagt doch, daß ein zurückgehaltener Luftstrom schlagartig entweder nach außen oder nach innen freigegeben, "gesprengt" wird. Wie soll das ohne Aspiration, also ohne wenigstens kurze Behauchung überhaupt gehen? Vielleicht mehr oder weniger stark aspiriert, das mag sein, aber ohne – da würde man doch überhaupt keinen Plosiv hören. Er könnte gar nicht gesprochen werden.
Ist mit "keine Aspiration" bzw. "unbehaucht" also in Wirklichkeit doch eine schwache Aspiration gemeint?
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Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 09.09.2020 um 11.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44304
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Anscheinend gibt es im Chinesischen kein r, das dem vibrierenden deutschen Rachen- oder Zungenspitzen-r nahekommt (https://www.chi-nesisch.de/chinesisch-lernen/chinesische-aussprache-r/), und besonders das Zungenspitzen-r ist schwer zu lernen. Ich bemühe mich seit Jahren vergebens darum und erziele nur sporadische Erfolge bei griechischen Wörtern wie portokáli (Orange), mache mich aber garantiert lächerlich, wenn ich es bei Wörtern wie stratiótis (Soldat) versuche. Sogar griechische Kinder brauchen eine Weile, bis sie das Geratter beherrschen; wenn sie es dann können, spielen sie den ganzen Tag damit. Die freundlichen Asiaten, die am Meer Krimskrams feilbieten, behelfen sich mit dem klassischen l: „Mono tessela eveló!“ (Nur vier Euro!) Ich benutze ebenfalls meist einen Ersatzbuchstaben, eine Art weiches d. Aus den vier Euro werden dann tesseda evedó. Zügig gesprochen klingt das perfekt. Asiatischen Sprachschülern wäre vielleicht mit dem Hinweis gedient, daß das deutschen Rachen-r kaum jemals vibriert, sondern fast immer ein stimmhaftes ch ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2020 um 06.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44302
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Einzeln gesprochene Konsonanten werden zu einem überraschend großen Teil nicht richtig identifiziert. Der Hörer kann meistens nicht sagen, wo sie gebildet werden. Ganz anders im Kontext sinnvoller Wörter, obwohl sie gerade dort durch Koartikulation weiter verunklart sind. Gerade dies macht sie kenntlich. Man kann sagen, sie bestehen gerade in den Übergängen zu umgebenden Vokalen.
Der Afrikanist Carl Meinhof ließ seine angehenden Studenten Texte in einer ihnen noch unbekannten Sprache transkribieren, mit sehr schlechten Ergebnissen. Man weiß einfach nicht, was man hört. Ganz anders, wenn man zugleich sieht, wie der Sprecher artikuliert. Das ist dann aber keine phonetische Transkription im engeren Sinne mehr, sondern die Notation von Gebärden, die man auf zwei Kanälen wahrgenommen hat: optisch und akustisch, und damit hat man das Wesen der Sprache tatsächlich viel besser erfaßt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.09.2020 um 06.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44301
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Wie Sie selbst andeuten, ist schon die Variantionsbreite des deutschen Phonems /r/ so groß, daß man hier unterscheiden müßte. (Ich kann das gerollte r auch nicht sprechen, könnte es aber gewiß lernen wie ein Schauspieler.) Es ist wohl mehr eine phonologische Angelegenheit. Den himmelweiten Unterschied zwischen Rachen- und Zungenspitzen-r nicht als relevant zu hören ist schon ein starkes Stück. Hinzu kommt für Chinesen, daß der r geschriebene Laut in rén (Mensch) sich dazwischenschiebt. Er kommt einem mouillierten r wie im Tschechischen (Dvorak) nahe und wird selbstverständlich niemals mit /l/ verwechselt.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 01.09.2020 um 18.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44247
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Ist eigentlich einmal untersucht worden, ob Chinesen r und l tatsächlich schwer hörend unterscheiden können, oder ob sie das r nur nicht aussprechen können?
Ich kann z. B. beim besten Willen kein "rollendes" Zungenspitzen-r aussprechen, nur das hintere, hochdeutsche r läßt mein Zäpfchen am Gaumen richtig vibrieren. Trotzdem habe ich natürlich keine Mühe, die beiden r hörend voneinander und vom l zu unterscheiden.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 01.09.2020 um 14.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44246
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Die Maske dämpft den Ton nicht frequenzunabhängig, sondern als Tiefpaß, d.h. die hohen Töne mehr als die tiefen, und erschwert dadurch die Verständigung.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2020 um 11.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44243
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Das kommt meiner Auffassung entgegen, wonach wir beim Sprechen nicht "Laute produzieren", sondern der Hörer mit den Ohren beobachtet, was der Sprecher mit bestimmten Körperteilen tut. Wenn er das außerdem noch sehen kann, um so besser. Andererseits sind sämtliche Eigenschaften der Sprache vom Akustischen her zu erklären. (Bis auf die räumliche Deixis, die freilich auch zum Kern der Sprache gehört.)
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Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 01.09.2020 um 09.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44241
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„Primär akustisch“ schließt nicht aus, daß das Auge mithört. Das Maskentragen erschwert die Verständigung nicht nur wegen der Dämpfung des Tons. Vermutlich sind wir stärkere Lippenleser als uns bewußt ist. Gerade bei der Unterscheidung bestimmter Konsonanten ist die Mundstellung des Sprechers aufschlußreich. Der Grund für die Verwechslung von r und l könnte sein, daß sich Lippen- und Zungenstellung bei diesen beiden Lauten kaum unterscheiden. (Das Rachen-r müßte demnach leichter als r erkannt werden.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.09.2020 um 04.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44236
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Dazu möchte ich nur eine vorläufige Bemerkung machen:
Die Gewöhnung an ein Phonemsystem macht uns erstaunlich harthörig für Unterscheidungen, die den Angehörigen anderer Sprachgemeinschaften sonnenklar sind. Wie kann man r und l verwechseln? Wie kann man die Töne des Chinesischen überhören? Die Substitutionen im Englischen, besonders für die Spirans th, sind legendär. Usw.
Sprache ist doch primär akustisch, nicht wahr? Da ist es dann doch erstaunlich, daß das Ohr in manchen Fällen durch das Auge übertölpelt werden kann.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 01.09.2020 um 00.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44235
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Na ja, das mit der List ist im Prinzip das gleiche wie der Bauchrednereffekt, es zeigt nur, daß visuelle Wahrnehmungen sehr dominant gegenüber akustischen sind. Da irrt man sich eben eher bei den akustischen. Ich denke, das hat mit der Klassifizierung der Phoneme wenig zu tun.
Und wenn es erst eines Sonagraphen oder besonders geübten Hörers bedarf, um die feinen lautlichen Abtönungen zu erkennen, die nahe benachbarte Laute aufeinander bewirken, dann kann man das wohl, wie ich schon schrieb, auch getrost als unwesentlich für die phonetische Klassifizierung ansehen. Diese kaum hörbaren Unterschiede sind für Phoneme auch nicht distinktiv.
Wesentlich ist m. E., daß der eigentliche, gut hörbare Plosivlaut erst nach dem Verschluß mit der Öffnung des Luftstroms beginnt, und daß er auch isoliert (ohne Vokalanschluß) sowie mit oder ohne weiteren Konsonanten stehen kann und hörbar ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.08.2020 um 18.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44233
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Als Konstrukte existieren sie, das bestreite ich ja nicht.
Ich erinnere daran, daß aufgrund der Koartikulation auch ein nur schließender, nicht wieder gesprengter "Verschlußaut" den vorhergehenden Vokal oder Konsonanten in einer Weise "färbt", die den geübten Hörer erkennen läßt, an welcher Stelle der Verschluß gebildet wird. Im Sonagramm ist das zu erkennen.
Das Ohr kann überlistet werden, wenn man gleichzeitig etwas anderes im Video sieht; das bestimmt dann den Eindruck (nachgewiesen u. a. von Tillmann in München). Ein k wird also als p gehört, wenn man gleichzeitig den Lippenverschluß sieht.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.08.2020 um 17.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44231
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Meiner Ansicht nach sind , , , (? für den glottalen Verschluß, statt a kann man auch andere jeweils gleiche Vokale einsetzen) vor dem bis zum Verschluß gar nicht unterscheidbar. Allenfalls beim läßt sich vielleicht ein Ton bei absichtsvoll betontem Zusammenklappen der Lippen mit aufgeblasenen Backen ausmachen, aber der ist m. E. bei normalem Sprechen ganz unwesentlich. Wenn also das oder ein anderer Plosiv nicht gesprengt wird, dann bedeutet das doch im Grunde, daß der Laut auch gar nicht gesprochen wird, oder? Deshalb würde ich Plosive als selbständig existierende Phoneme schon für gerechtfertigt halten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.08.2020 um 12.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44228
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Mit den Plosiven haben Sie sicher recht. Allerdings gibt es Verschlüsse ohne folgende Öffnung. Zum Beispiel im Kinderlied: "Mit den Händen klapp klapp klapp" usw. – Das p wird hier meistens nicht gesprengt.
(Fiel mir auf, weil die Enkelin nicht genug davon bekommen kann.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.08.2020 um 09.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44227
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Er ist nicht distinktiv, darum brauchen wir keinen Buchstaben dafür. (Ich weiß schon: verreisen vs. vereisen, aber das ergibt sich automatisch.)
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Kommentar von Manfred Riemer , verfaßt am 30.08.2020 um 21.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44225
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Theoretisch könnte es auch einen Buchstaben für den glottalen Plosiv geben. Vielleicht gibt es ihn nur deshalb nicht, weil er zum einen der unscheinbarste neben p, t, k (und den entsprechenden „stimmhaften“ Plosiven) und zum andern der einzige neben diesen ist, weshalb für ihn keine weitere Unterscheidung nötig ist?
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.08.2020 um 12.05 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44224
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Ich finde, sie haben auch weniger mit einem Verschluß, sondern mehr mit einer Öffnung zu tun, weshalb die Bezeichnung als Explosivlaut vielleicht passender ist. Dabei ist vor allem der Hauch zu hören (egal, ob mit nachfolgendem Vokal oder ohne Vokal, z. B. am Wortende oder mit weiteren Konsonanten). Vor allem der Hauch macht die Art des Explosivs hörbar.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.08.2020 um 06.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#44223
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Das Alphabet, auch das phonetische, suggeriert die Existenz von Verschlußlauten, obwohl das ja schon rein begrifflich ein Widerspruch ist. Wo nichts ist, kann man auch nichts klassifizieren. Man hat natürlich längst erkannt, daß es sich um relationale Begriffe handelt. Es geht um die Grenzen (das An- und Auslauten) von Sonanten oder Vokalen. Aber die Nichtse stehen ganz unschuldig in der Buchstabenreihe. Um sie aussprechen zu können, fügen wir einen Vokal hinzu, q.e.d.
Das Konstruierte der "Phoneme" wird deutlich. Das Phonem t in Tor, rot ist eigentlich nur eine besondere Art, ein o zu beginnen oder zu beenden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2019 um 03.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#42406
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Wolfgang Schindler (http://wolfgang-schindler.userweb.mwn.de/index.html) bringt einleitend als Beispiel römischer scriptio continua einen Text von der Trajanssäule und muß anmerkungsweise selbst zugeben:
„Die Inschrift enthält zwar keine Spatien, aber MITTELPUNKTE, die meist worttrennend eingesetzt werden. Das ist schon eine Stufe weiter als die ursprüngliche scriptio continua ohne solche Gliederungszeichen.“
Es ist also gerade das Gegenteil der scriptio continua, denn ob Punkte oder Spatien als Worttrenner stehen, ist ja grundsätzlich gleichgültig. (Auch die senkrechten Striche auf dem Diskos von Phaistos sind vielleicht Worttrenner.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2019 um 03.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#42404
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Die Worttrennung am Zeilenende (WaZ) dient dazu, den vorhandenen Platz bei einem geschriebenen Text optimal zu nutzen. Getrennt werden können nur mehrsilbige Wörter. (Die Schreibsilbe muss zwei Vokalgraphem-Nuklei enthalten und zugleich zweisilbig ausgesprochen werden, also , aber und vs. bzw. ([pa:.ʒə]!) vs. !) (http://wolfgang-schindler.userweb.mwn.de/index.html)
Also ist die Schreibsilbe nicht autonom definiert! Nicht nur wird auf die „Aussprache“ rekurriert, sondern auch die „Vokalgrapheme“ sind entweder extensional, durch bloße Aufzählung und Rückgriff auf die tatsächlich beobachteten Worttrennungen definiert oder wiederum phonetisch.
In einer völlig unbekannten Schrift könnte man zwar wiederkehrende Muster beobachten, aber es gäbe keinen Grund, sie für "Silben" zu halten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.09.2019 um 05.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#42083
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Die weitgehende, wenn auch zum Entzücken der „Analytiker“ nicht vollkommene Bruchlosigkeit und Durchkomponiertheit der homerischen Epen beruht weitgehend auf der schriftlichen Vereinheitlichung der überlieferten Versionen, die ursprünglich so wandelbar gewesen sein dürften wie noch die südslavischen mündlichen Vers-Erzählungen. Darüber sehr anschaulich Hermann Fränkel: „Dichtung und Philosophie im frühen Griechentum“. Fränkel, der auch Indologie studiert hatte (sein Buch ist dem Andenken seines Lehrers Hermann Oldenberg gewidmet), vergleicht Homer mit dem wuchernden Mahabharata und den nur äußerlich durch die Rahmenerzählung zusammengehaltenen Geschichten aus „1001 Nacht“, mit leicht abschätzigem Unterton für diese. (Die Griechen liefern eben noch immer den Maßstab des Gelingens; so ist ja auch die indische bildende Kunst im Winckelmann-geschulten Blick ziemlich abartig.)
Wie Fränkel aus Murkos Forschungen zitiert, gaben die südslavischen Rhapsoden ihren Text jedesmal in stark veränderter Fassung wieder. Die phonographische Aufzeichnung wich oft sehr bedeutend von dem ab, was zuvor schriftlich festgehalten worden war usw. Man muß annehmen, daß es bei den "homerischen" Mythen ebenso war. Das Athener Staatsexemplar wäre demnach EINE der vielen Versionen gewesen.
Mit der indischen Epik verhält es sich ebenso, ganz im Gegensatz zur absolut konstanten Weitergabe der Veden, die eben eine ganz andere Funktion hatten und haben.
Mit dem Übergang zur Schrift ist hier wie dort das Ende der Kreativität des Rhapsoden gekommen, der fortan nur noch vorträgt und nicht mehr erfindet (wie sich Demodokos und andere rühmten).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2019 um 09.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#41790
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Ethnische Religionen (auch traditionelle Religionen) werden alle mündlich oder durch Rituale überlieferten Glaubenssysteme genannt, die keine schriftlich fixierten Lehren kennen und deren Anhänger jeweils nur einer ethnischen Gruppe angehören. (https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnische_Religionen)
Obwohl der umfangreiche Eintrag dann weiter differenziert und auch den abweichenden englischen Sprachgebrauch angibt, fehlt sogar im Abschnitt „Schriftlosigkeit“ eine angemessene Darstellung der brahmanischen Religion, die im Veda ein mächtiges Korpus von mündlich überlieferten, gleichwohl penibel fixierten heiligen Texten (aber eben nicht „heiligen Schriften“) besitzt und dazu eine ausgedehnte Theologie. Insofern eine „Buchreligion“, nur eben im wesentlichen schriftlos.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2018 um 04.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#39629
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Da ich anderswo gerade von der New York Review of Books gesprochen habe (Affäre Buruma), will ich eine Diskussion über Mündlichkeit und Schriftlichkeit Homers erwähnen: http://www.nybooks.com/articles/1992/06/25/homers-literacy/
Darin spielt auch wieder das Argument der "Komplexität" eine Rolle. Homers Dichtung sei so komplex, das könne nur im Medium der Schrift erreicht worden sein.
Ich habe verschiedentlich das rein mündlich konzipierte und tradierte Werk Paninis erwähnt, einen der komplexesten Texte, die je ein Menschenhirn erdacht hat. Unter Komplexität muß man dabei den Beziehungsreichtum, die Verzahnung aller Teile verstehen. Paul Thieme hat Vermutungen darüber angestellt, warum die altindischen Grammatiker diese geradezu absurd komplizierte Darstellungsform gewählt haben; ich brauche darauf nicht einzugehen.
Bedenkenswert ist aber, daß der Begriff der "Komplexität" seinerseits kulturabhängig sein dürfte. Wie ein Text aufzubauen ist, kann von jeweils bestehenden Kommunikationsformen abhängen. Der reihende und schachtelnde Stil orientalischer Erzählungen entspricht den Gemeinschafts- und Umgangsformen der dort lebenden Menschen. Abendländische Texte sind stark vom Gerichtswesen beeinflußt usw. Ist also Homer komplexer als das wesentlich umfangreichere Mahabharata? Das läßt sich ohne kulturbedingten Tunnelblick kaum sagen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.05.2018 um 05.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#38680
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Die Welt ist voller Piktogramme, wozu auch die Entsprachlichung des Anklicksystems beigetragen hat. Zugleich werden technische Geräte immer unanschaulicher – in dem Sinne, daß ihre Form ihre Funktion nicht mehr verrät. Man bleibt daher oft bei "Archaismen". Zum Speichern klickt man eine stilisierte Diskette an, obwohl es kein Diskettenlaufwerk mehr gibt usw. "Papierkörbe" gibt es im PC auch sprachlich noch.
Auf Verkehrsschildern war lange eine Dampflok als Zeichen für Eisenbahn abgebildet.
Die symbolische Darstellung eines Schlüssellochs hat immer noch die alte Form, etwa wie der Umriß eines Mensch-ärgere-dich-nicht-Männchens, obwohl es solche Schlösser und Schlüssel kaum noch gibt.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.04.2018 um 04.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#38539
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Zum Vergleich könnte man einen Begriff wie "Urlaub" oder "Ferien" heranziehen (die synonymische Differenzierung lasse ich hier beiseite, so interessant sie ist).
Kein Beobachter (der berühmte Besucher vom Mars) kann feststellen, daß es Ferien gibt und was das eigentlich ist. Er kann erst recht nicht feststellen, daß man zwar einen Tag Urlaub nehmen, aber nicht einen Tag Ferien machen kann usw. Soll das heißen, daß es Ferien objektiv nicht gibt? Wohlwollend gesagt: daß "Ferien" nur eine konventionelle, kulturelle Interpretatiton ist?
Nein. Ferien sind eine objektive Tatsache, die sich naturalistisch (in nicht-mentalistischen Begriffen) darstellen läßt, sobald man die gesellschaftliche Umgebung, die "geschichtliche" Dimension und die Sprache in die Beobachtung einbezieht. Auch die "Interpunktion" der Arbeitszeit durch Urlaub ist ebenso eine Tatsache wie das touristische Reisen usw.
Das ist wie in der Zeichentheorie, wo man bequemerweise "Phänomene der dritten Art" ansetzt, statt sich die Mühe der Naturalisierung zu machen. Oder eben Dennetts "intentional stance", wodurch man bequemerweise auch dem Thermostaten und dem Fliehkraftregler "beliefs" zuschreibt. (Auf Dennetts neueste Taschenspielerei mit dem Begriff "reason" gehe ich später mal ein.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2018 um 04.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#38520
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Vielleicht kann man sich die Sache so erklären: Nach dieser unter Linguisten verbreiteten Ansicht legen wir die Einteilung in separate Laute über den Redestrom, wie man ein Bild rastert. Das Bild selbst besteht nicht aus Punkten, es wird von uns willkürlich-konventionell in Punkte zerlegt.
Aber wie gesagt, ich halte das für ganz falsch, obwohl es sicher eine Rückwirkung der Buchstabenschrift auf die Lautwahrnehmung gibt. Überzeugt hat mich die nähere Beschäftigung mit der altindischen Sprachwissenschaft.
Ganz vorläufig gesagt: Die Wörter (Silben, Morpheme, wie auch immer) werden zwar nicht aus Phonemen zusammengesetzt, wohl aber in konventioneller Weise stilisiert, so daß der Hörer sie leicht wiedererkennt. Die Koartikulation, die für Posner eine entscheidende Rolle spielt, macht es äußerst schwierig, mit Apparaten eine Analyse vorzunehmen, wie wir sie (im Dienste der Verschriftung, aber nicht nur!) ohne Mühe vornehmen. Schwierig heißt aber nicht unmöglich.
Man könnte sich eine Sprache denken, in der Dorf und Torf, reisen und reißen nur Aussprachevarianten desselben Wortes sind. Das heißt, daß das Kind nicht gelernt hat, den Unterschied als bedeutungsunterscheidend zu beachten; darum nimmt es ihn normalerweise nicht wahr.
Eine unserer Töchter hat anfangs nicht zwischen Tasse und Tasche unterschieden. Ich weiß noch, wie meine Frau so tat, als verwechsele sie dauernd Taschen mit Tassen, zur großen Erheiterung des kleinen Mädchens, das auf diese Weise den Unterschied der Zischlaute zu beachten lernte.
Diese intuitive Minimalpaar-Methode legt fest, wie viele Stellen in einem Lautgebilde es zu unterscheiden gibt. Das Sonagramm zeigt unendlich viele, das ist nur eine Frage der Genauigkeit.
Natürlich ist die Minimalpaar-Unterscheidung immer auf den Wortschatz bezogen, die maschinelle Analyse an sich nicht, aber sie kann es lernen. Heute ist die automatische Spracherkennung so weit, daß sie die ganze Familie der wahrgenommenen Aussprachevarianten (Silben...) zu einer einzigen zusammenfaßt, die hinreichend von jeder anderen verschieden ist. Der Wortschatz (paradigmatisch) und der Kontext (syntagmatisch) werden mitverwertet. Das sind zwar keine "physikalischen" Größen, aber doch auch physische und keine bloßen Einbildungen.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.04.2018 um 00.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#38519
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Ich kann dem nicht folgen. Ein nicht wahrnehmbarer Laut ist kein Laut. Was ist eine psychische Realität?
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.04.2018 um 23.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#38518
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Das gilt nur für Hochdeutsch-Sprecher, aber nicht für die "Baula" aus "Frangen". "Frängisch" muß erst im Kopf in Hochdeutsch übersetzt werden. Auch die im Bairischen zahlreichen stummen "e" müssen im Kopf ergänzt werden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2018 um 20.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#38517
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Roland Posner meint, daß wir nur unter dem Einfluß der Schrift die im Redestrom physikalisch nicht vorhandenen und daher nicht wahrnehmbaren Laute identifizieren können.
Durch Rückprojektion der griechisch-lateinischen Schriftstruktur in die Lautstruktur der Wörter hat sich in dreitausendjähriger Schreibpraxis die Auffassung festgesetzt, gesprochene Wörter seien wie ihre geschriebenen Gegenstücke Ketten gleichartiger Elemente; die Einübung des Buchstabierens in den Grundschulen hat dazu geführt, dass der durchschnittliche alphabetisierte Europäer in den Wörtern auch unterhalb der Silbenebene tatsächlich Lautfolgen „hört“. Aus einer physikalisch nicht vorhandenen und daher in der Akustik nicht aufzeichenbaren Konstruktion, der ursprünglich auch in der Wahrnehmung von Sprechern der indoeuropäischen Sprachen nichts entsprach, ist durch den Einfluss eines sprachnahen Kodes eine psychische Realität geworden.(https://www.semiotik.tu-berlin.de/fileadmin/fg150/Posner-Texte/Posner-Im_Zeichen_der_Zeichen_26-3-01.pdf)
Dem steht die Tatsache entgegen, daß im alten Indien unabhängig von der Schrift eine hochentwickelte Phonetik und eine Systematisierung der Phoneme entstand.
Offenbar kann man die Wörter rein mündlich in so viele Segmente zerlegen, daß jedes von jedem anderen unterschieden ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.02.2018 um 06.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#37954
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Konzeptionelle Schriftlichkeit ... gibt es nicht nur im Medium der Schrift. Auch großräumig konzipierte mündliche Diskurse verlangen ein hohes Maß an Planung und Kohärenz. (Wolfgang Raible: Junktion. Heidelberg 1992:197)
Es gibt keinen Grund, hier die Schrift ins Spiel zu bringen, denn Planung und Kohärenz sind nicht an Schriftlichkeit gebunden. Das würde man sofort sehen, wenn man nicht durch die schiefe Begrifflichkeit von Koch/Oesterreicher geblendet wäre.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.07.2017 um 12.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#35648
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Amerikanische Pädagogen sind besorgt, weil kaum noch gelesen wird. Man guckt auf den Bildschirm, begnügt sich mit der Überschrift oder dem ersten Absatz, macht sich aber nicht die Mühe, weiterzuscrollen.
Nun, das ist ein Leseverhalten, das an journalistischen Texten geschult ist. Der Journalist lernt ja, einen Text so aufzubauen, daß die Hauptsache am Anfang kommt, weil die Redaktion den Text jederzeit von hinten her kürzen können muß und es auch tatsächlich tut.
Fachtexte sind ganz anders gebaut, gerade gegenteilig.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.10.2016 um 10.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#33578
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Auch in der 9. Auflage der Dudengrammatik zieht Gallmann seine "Sichtbarkeitsregel" (zur Genitivmarkierung) durch, als ginge es um eine schriftliche Konvention.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.04.2016 um 17.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#32154
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Wie schriftbefangen Grammatiker sein können, zeigt sich auch hier:
http://www.personal.uni-jena.de/~x1gape/Wort/Wort_NP_Genitiv.pdf
Gallmanns "Sichtbarkeitsregel" kann ja nur ein Hörbarkeitsregel sein, weil es nicht um die graphische Markierung geht. Andere machen es genau so.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.03.2016 um 04.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#31931
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Wir teilen die Menschheitsgeschichte in zwei ungleiche Epochen: „Vorgeschichte“ nennen wir den „Zeitabschnitt in der Menschheitsgeschichte, der vor dem Beginn der schriftlichen Überlieferung liegt“ (Duden-Universalwörterbuch).
Das zeigt die Macht der Schriftlichkeit. Bezeichnenderweise sprechen wir auch von "Grammatik", mit etymologischem Bezug auf das Schreiben. Im 19. Jahrhundert hatten die Sprachwissenschaftler keine Bedenken, von "Buchstaben" zu sprechen, wenn sie Laute meinten.
In der mündlichen indischen Kultur nannte man die Grammatik "Unterweisung über Wörter/Sprache" (shabdânushâsana) bzw. einfach "Analyse" (vyâkarana). Also keinerlei Bezug auf Schrift; und das gilt durchgehend, es gab und gibt da keinerlei Verwechslung.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.09.2014 um 16.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#26772
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„The Rig Veda was preserved orally, but it was frozen, every syllable preserved for centuries, through aprocess of rigorous memorization. There are no variant readings of the Rig Veda, no critical editions or textual apparatus. Just the Rig Veda. So much for the fluidity of orally transmitted texts. Correspondingly, the expected fixity of written texts dissolves when we look at the history of the reception and transmission of the Mahabharata, another enormous Sanskrit text, but one that was preserved both orally and in manuscript. In contrast with the Rig Veda, this text changed constantly; it is so extremely fluid that there is no single Mahabharata; there are hundreds of Mahabharatas, hundreds of different manuscripts and innumerable oral versions. So much for the fixity of written texts.“ (Wendy Doniger: The Hindus. London 2009:33)
Der Unterschied hängt nicht nur mit Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit zusammen, sondern auch mit dem Gegensatz zwischen priesterlichem Ritualtext und Rhapsodenvorlage.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.06.2014 um 09.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#26038
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„Kinder, denen nicht bewusst ist, dass das Wort Tal aus drei separaten Lauten besteht, geraten in Schwierigkeiten, wenn ein wohlmeinender Lehrer ihnen, die Anweisung gibt: 'Buchstabiert die einzelnen Laute des Wortes, /t/ - /a/ - /l/ aus.'“ (Maryanne Wolf: Das lesende Gehirn. Heidelberg 2010:204)
Das Wort Tal besteht nicht aus drei separaten Lauten. Es besteht aus einer kontinuierlichen Bewegung (genauer gesagt, aus dem akustischen Eindruck davon), die sich zu bestimmten Zwecken in drei Abschnitte gliedern läßt. Eine ebenfalls mögliche weitere Untergliederung ist für diese Zwecke (z. B. die Unterscheidung von anderen Wörtern oder die schriftliche Notation) nicht notwendig. Deshalb hat es zum Beispiel unter diesen Voraussetzungen keinen Sinn, die standardsprachliche Behauchung des t wiederzugeben. Für andere Zwecke sieht die Sache wieder anders aus.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2014 um 09.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#25624
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"Bei einer Zählung im Jahre 1981 gaben etwa 6.000 Menschen in Indien Sanskrit als ihre Muttersprache an." (Wikipedia)
Da müßte man wohl genauer hinsehen. Ich war in Delhi mit einer Gelehrtenfamilie bekannt, wo die beiden Kinder von sehr früh an Sanskrit lernten (beide Eltern sprachen es fließend, der im Haushalt lebende noch berühmtere Großvater erst recht). Ich halte es für möglich, daß sie später auf Befragen Sanskrit als eine ihrer Muttersprachen angegeben haben. Aber ihre eigentliche Muttersprache war trotzdem Hindi. Es gibt auch begriffliche Bedenken: Sanskrit sprechen heißt, die von Panini und seinen Nachfolgern fixierte Sprache sprechen, also etwa vergleichbar mit Lateinisch = Ciceronianisch sprechen. Eine normierte und fixierte Sprache kann aber nicht Muttersprache sein. Muttersprachen unterliegen ab ovo dem Sprachwandel.
Eine ganz merkwürdige Angabe findet man bei Karl-Heinz Göttert:
"Nicht nur, dass totgesagte Sprache wiederbelebt wurden wie etwa das zuletzt nur noch rituelle Sanskrit in Indien (das nun sogar in Filmen verwendet wird) (...)" (Abschied von Mutter Sprache. Deutsch in Zeiten der Globalisierung. Frankfurt 2013:18)
Er vergleicht das dann mit Hebräisch. Aber Sanskrit in seiner normierten Form war vermutlich nie Muttersprache und war vor allem niemals ausgestorben oder totgesagt, sondern über die Jahrtausende hin immer eine äußerst lebendige Gelehrten- und Literatursprache.
Das Lateinische hat sich bei den Gelehrten zunächst von Cicero wegentwickelt und war ziemlich einfach, bis es den Humanisten ein Greuel und dann durch Rückgriff auf Cicero wieder richtig schwer wurde, zu seinem eigenen Verderben. Dagegen ist das Gelehrtensanskrit, da nicht an einem "Cicero", sondern an der Grammatik orientiert, sowohl ziemlich einfach als auch dennoch "rein".
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Kommentar von R. M., verfaßt am 11.01.2013 um 19.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1542#22331
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Ähnliche hegelianistische Wertungen finden sich auch schon bei Ignaz Gelb.
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