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14.06.2005
Putativgehorsam
Über „selbstständig“ und „selbstgebacken“
(Diesen Text, den ich vor Jahren mal in der Zeitung veröffentlichen wollte, habe ich noch einmal überarbeitet und stelle ihn zur Diskussion.)
Viele reformierte Texte erkennt man auch daran, daß sie das Wort selbstständig verwenden, wo sie vor der Reform selbständig geschrieben haben. Ein kurioser Fall, der bei näherem Hinsehen tiefen Einblick in die deutsche Mentalität erlaubt.
Man braucht kein Sprachwissenschaftler zu sein, um zu erkennen, daß es sich hier gar nicht um ein Rechtschreibproblem handelt. Die beiden Formen sind ja tatsächlich verschieden gebildete Wörter und nicht verschiedene Schreibweisen desselben Wortes, mögen sie auch dasselbe bedeuten. In selbständig liegt der Stamm selb- vor, den wir auch in derselbe, selber usw. vor uns haben. Es ist der ursprüngliche Stamm eines Pronomens, aus dem später die Partikel selbst entwickelt wurde. Sie liegt allen neueren Zusammensetzungen zugrunde. Es gibt daher ein älteres selbständig (zu Selbstand) und ein jüngeres, aber auch schon 500 Jahre altes selbstständig. Nun stritten sich im 19. Jahrhundert die Gelehrten, welche der beiden Formen die „richtige“ sei. Im Grimmschen Wörterbuch, Band 16 (1905)
kann man den Streitpunkt noch erkennen:
SELBSTSTÄNDIG
selbständig ... seit dem 15. jh.
daneben auch mit selbs als erstem theil: selbsstendig
auch in neuerer zeit ist die schreibung selbständig wieder üblich geworden; schon CAMPE redet ihr das wort, WEIGAND und ANDRESEN treten für sie ein, und die preuszische schulorthographie hat sie offiziell angenommen. doch läszt sich dagegen folgendes einwenden:
1) in allen andern heute wirklich lebendigen zusammensetzungen wird als erster theil deutlich selbst empfunden [hier folgt ein Verweis auf selbst]
2) selbst in den andern compositen, deren zweiter theil mit st beginnt (selbststand, -streit u.s.w.) gestatten die sprachlichen thatsachen nicht die vereinfachung des st.
3) dasz auch bei diesem worte das unbefangene sprachgefühl heute entschieden selbst- als erstes glied empfindet, beweisen besonders fälle wie: mit der einfachheit wächst der reichthum, die selbst- und vollständigkeit des gliedes mit der des ganzen (NOVALIS)
4) auch, dasz nur einfachs st gesprochen würde, ist nicht ganz richtig; man spricht zwar nicht die gruppe zweimal getrennt nach einander, sondern die beiden st flieszen, wie immer, wo sie ohne pause zusammenstoszen, in einen langen doppellaut zusammen, wobei sowohl s wie t gedehnt, und die silbengrenze zwischen beide bez. noch in das s verlegt wird. - ich halte daher die schreibung selb-ständig etymologisch wie phonetisch für unberechtigt.
Die Wörterbuchredaktionen haben sich bekanntlich anders entschieden. Das Ergebnis war, daß praktisch alle nicht-historischen Wörterbücher des 20. Jahrhunderts die Form selbstständig überhaupt nicht mehr anführten und daß in den Schulen gelehrt wurde, sie sei „falsch“. Darüber hinaus verbreiteten Schule und Lexikographie das Fehlurteil, das sich schon im Deutschen Wörterbuch ankündigt, es handele sich um unterschiedliche „Schreibungen“ desselben Wortes, und davon sei die eine richtig und die andere falsch. Diese schiefe Darstellung bestimmte die Wörterbücher bis zur Rechtschreibreform:
»selbständig: Das Adjektiv selbständig ist mit dem Stamm des Pronomens selbst, also mit selb- gebildet. Die heute allein gültige Schreibweise des Wortes ist daher die mit einem -st- (Silbentrennung: selb-ständig).« (Duden Bd. 9, 1985)
Es fehlt natürlich die andere Hälfte der Wahrheit, die etwa so aussehen müßte:
selbstständig: Das Adjektiv selbstständig ist mit dem Stamm des Pronomens selbst, also mit selbst- gebildet. Die heute allein gültige Schreibweise des Wortes ist daher die
mit zwei -st- (Silbentrennung: selbst-ständig).
Es sind eben zwei Wörter, und jedes wird auf seine Weise geschrieben. Kurioserweise fügten sich die meisten Deutschen aber dem verblendeten Urteilsspruch, den sie auch in Sprachratgebern immer wieder nachlesen konnten. Es galt nachgerade als Zeichen von Unbildung, wenn jemand, wie es jahrhundertelang Brauch gewesen war, selbstständig sagte oder gar schrieb.
Erst im Zuge der Rechtschreibreform wurde das gute alte Wort wieder ins Wörterverzeichnis aufgenommen, allerdings mit dem Mißverständnis behaftet, es handele sich um eine orthographische Variante von selbständig – eine Irrmeinung, der auch die Reformer in ihren begleitenden Schriften keineswegs widersprachen.
Dem auch sonst ziemlich ahnungslosen Bearbeiter der Bertelsmann-Rechtschreibung mochte man noch nachsehen, daß er folgende Weisheit von sich gab:
»selbständig/selbstständig: Die bisherige Regelung – Tilgung des zweiten -st- - wird aufgehoben; beide Schreibweisen sind korrekt: selbständig oder selbstständig. Der/die Schreibende soll selbst entscheiden.« (Bertelsmann: Die neue deutsche Rechtschreibung, 1996)
Aber auch im Duden Bd. 9 (1997) heißt es nun:
»selbstständig / selbständig: In neuer Rechtschreibung ist neben der bisherigen Schreibung selbständig neu auch die Schreibung selbstständig möglich. Beide Varianten sind korrekt und gleichwertig.«
Die führenden Schweizer Reformer Sitta und Gallmann schrieben:
»selbstständig: Als Vorderglied von Zusammensetzungen tritt gewöhnlich nur selbst- auf, nicht bloßes selb-: selbstsicher, selbstgenügsam, selbstverständlich. Der Einzelfall selbständig mit scheinbarem selb- ist auf eine Ausspracheerleichterung [!] zurückzuführen. Neben dieser Form soll neu auch die reguläre Form selbstständig (wieder) zugelassen werden.« (Duden: Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Mannheim 1996)
Die Nachrichtenagenturen ließen sich eine gemeinsame Hausorthographie zusammenstellen, die neben vielen anderen Irrtümern auch folgende Bestimmung enthielt:
»Gleichfalls erhalten bleibt das r bei Zierrat und das st bei selbstständig (von selbst+ständig).«
Von hier aus drang die vermeintliche Reformschreibweise in die meisten Zeitungen und Zeitschriften ein.
Die Beflissenheit, mit der Menschen, die bisher nie selbstständig gesagt und geschrieben haben, dies nun im Gefolge der Reform tun zu müssen glauben, wirkt gerade deshalb so kleingeistig, weil sie nachträglich aufdeckt, in welch unsinniger Weise sie sich zuvor dem Fehlurteil der Wörterbuchmacher und Sprachpfleger unterworfen hatten. Nun taten sie so, als könnten sie sich endlich einen langgehegten Herzenswunsch erfüllen und ungerügt von Selbstständigkeit reden.
Das Wörtchen selbst ist noch in anderer, nicht minder interessanter Weise von der Reform betroffen. Der Regelungseifer bemächtigte sich nämlich der Zusammensetzungen aus selbst und einem Partizip: Wörter wie selbstgebacken, von denen es im Deutschen sehr viele gibt, wurden zwangsweise aufgelöst: selbst gebackener Kuchen müsse es heißen, behaupteten die Reformer. Sie glauben also, daß die Fügung selbst gebacken dasselbe bedeute wie die Zusammensetzung selbstgebacken. Das ist aus grammatischen Gründen zurückzuweisen. Dieser Kuchen ist selbst gebacken bedeutet, daß just dieser Kuchen, dessen Identität hervorgehoben wird, gebacken ist. Dieser Kuchen ist selbstgebacken hingegen heißt, daß jemand diesen Kuchen, mit dem er (als Esser, als Verkäufer oder wie auch immer) zu tun hat, auch selbst gebacken hat. Ein selbst geschädigter Unfallzeuge hat auch selbst einen Schaden erlitten, ein selbstgeschädigter dagegen hat sich den Schaden selbst zugefügt. Die zweite Bedeutung kann jeweils nur durch das echte Kompositum eindeutig ausgedrückt werden. Wenn irgendwo, müßte im Falle von selbstgebacken usw. gesagt werden, daß der erste Bestandteil „für eine Wortgruppe“ steht, und zwar für eine recht umständliche, und daraus folgt nach § 36 zwingend die Zusammenschreibung.
Die Reformer leiten im Wörterverzeichnis die Getrenntschreibung von selbst gebacken über den Infinitiv selbst backen her und übersehen dabei, daß es keinen grammatisch einwandfreien Übergang von sie hat den Kuchen selbst gebacken zu der Kuchen ist selbst gebacken gibt, weil sich der Bezug der Identitätspartikel bei der Umsetzung ins Passiv ändert. Daher sind alle Ableitungen der neuerdings getrennt zu schreibenden Fügungen selbst gebraut, selbst verdient usw. falsch. Die „Wiesbadener Empfehlungen“ – letzte Vorstufe der heutigen Reform – wußten das noch: „Zusammengeschrieben wird aber weiterhin 'selbst' mit einem partizip, weil 'selbst' hier in einer unlösbaren verbindung steht, die syntaktisch nicht mehr gedeutet werden kann.“ (Drewitz/Reuter 1973, S. 162)
Das Kriterium ist so unsicher, daß die Wörterbücher zu unterschiedlichen Auslegungen kommen müssen. Duden schreibt selbstentzündlich zusammen, weil selbst hier für die Wortgruppe von selbst stehe. Dabei unterläuft das Versehen, das Adjektiv unter die Verbindungen mit Partizipien zu stellen, doch soll dies nicht weiter kommentiert werden, da auch die Ableitungen auf -lich ähnlich wie die teilweise konkurrierenden auf -bar an der verbalen Natur teilhaben (daher leicht löslich usw.). Wichtiger ist die Entgegensetzung zu Beispielen wie selbst geschneidert usw., zu denen auch der selbst ernannte Experte gerechnet wird. Steht das selbst hier etwa nicht für eine Wortgruppe? Man sollte doch meinen, daß ein solcher Experte ein durch sich selbst ernannter ist. Bei Bertelsmann werden selbst entzündlich und selbst ernannt getrennt geschrieben.
Eigenartigerweise haben die Wörterbücher für das Partizip I keine entsprechende Folgerung gezogen. Eine selbstklebende Folie ist eine solche, die ohne weiteres Auftragen von Klebstoff selbst klebt (nicht nur „von selbst“, wie man ebenfalls meinen könnte), eine selbsttragende Konstruktion trägt selbst usw., so daß auch hier Getrenntschreibung geboten oder mindestens zulässig sein müßte, aber damit wird offenbar nicht gerechnet.
Ich habe von der „Identitätspartikel“ selbst gesprochen. Die Wörterbücher sehen das im allgemeinen anders. Nach dem Duden Universalwörterbuch ist selbst ein „indeklinables Demonstrativpronomen“ – aber schon die dort angeführten Beispiele sprechen dagegen, denn kein einziges hat etwas mit einem Pronomen zu tun:
»steht nach dem Bezugswort od. betont nachdrücklich, dass nur die im Bezugswort genannte Person od. Sache gemeint ist u. niemand od. nichts anderes: der Wirt s. (persönlich) hat uns bedient; du s. hast es/du hast es s. gesagt (kein anderer als du hat es gesagt); obwohl das Haus s. sehr schön ist, möchte ich dort nicht wohnen; sie muss alles s. machen (es hilft ihr niemand); er kann sich wieder s. versorgen (braucht keine Hilfe mehr); das Kind kann schon s. (ugs.; allein) laufen; sie hatte es s. (mit eigenen Augen) gesehen« (Duden – Deutsches Universalwörterbuch 2001)
Das Wörtchen selbst kann, wie man sieht, niemals als Subjekt oder Objekt dienen, sondern wird stets einem solchen hinzugefügt, um die Identität zu betonen, also nicht selbst hat uns bedient, sondern der Wirt selbst hat uns bedient. – Wie kann man nur darauf kommen, es hier mit einem Pronomen zu tun zu haben?
Durch die erzwungene Getrenntschreibung kommt es zu Verwechslungen der Identitätspartikel mit der gleichlautenden Gradpartikel selbst im Sinne von 'sogar': »Geregelte Mahlzeiten und selbst gekochtes Essen kenn ich nur aus dem Fernsehen.« (Hortense Ullrich: Hexen küsst man nicht. Thienemann 1999) – Dies könnte man ohne weiteres so verstehen, daß die Sprecherin sogar gekochtes Essen nur aus dem Fernsehen kennt.
Es ist nicht zu leugnen, daß die Identitätspartikel auch vor der Reform schon manchmal getrennt geschrieben wurde, aber die Zusammensetzung ist zweifellos ein Fortschritt zu größerer Deutlichkeit und sollte keinesfalls aufgegeben werden.
Die „Sprachmeisterei“ (wie Eduard Engel das Treiben besserwisserischer Sprachpfleger nannte) zieht weitere Kreise. In Thomas Manns „Doktor Faustus“ geht es an einer Stelle um die Beschreibung von Adrian Leverkühns Mutter, nach dem bekannten Dürerschen Bildnis:
»der feste, wie wir sagten: eigengemachte Rock«
Hier greift der Erzähler also bewußt zu einem alten, regionalen Ausdruck, der sich auch im Grimmschen Wörterbuch findet:
»EIGENGEMACHT, sua ipsius manu factus, selbstgemacht, eigengemachtes zeug, garn.« (Bd. 3, Leipzig 1962, Sp. 92; die Brüder Grimm und ihre Nachfolger griffen zum Latein, wenn sie sich recht eindeutig ausdrücken wollten)
Es ist ein Stilmittel zur Erzeugung des altdeutschen und bodenständigen Kolorits, das diesen Teil der Erzählung kennzeichnet. Obwohl der Erzähler ausdrücklich sagt, so habe man sich damals ausgedrückt, wissen die Bearbeiterinnen eines reformierten Lesebuchs es besser: Nicht eigengemacht, sondern eigen gemacht habe man gesagt! („Sprachbuch 10“. Bayerischer Schulbuch-Verlag München 1997, S. 162) – Sie wissen also nicht nur besser als Thomas Mann, wie man erzählt, sondern auch, was es überhaupt zu erzählen gibt.
Auch die Sprachwissenschaft gerät in gefährliche Untiefen, wenn sie sich dem Diktat der Kultusminister unterwirft. Der Germanist Hans-Werner Eroms veröffentlichte 2002 eine „Syntax der deutschen Sprache“ – in reformierter Schreibweise (allerdings mit unzähligen Fehlern). Sie gerät mit dem Inhalt in Konflikt. Der Verfasser leitet selbstgebacken ausführlich her, aber dieses Wort gibt es nach der selbstgewählten Orthographie gar nicht mehr. Erst im Zuge der Revision von 2004 wurde es rehabilitiert, aber davon konnte der Autor noch nichts wissen.
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Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 14.06.2005 um 13.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#431
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Es ist merkwürdig, daß ausgerechnet die Schweizer Reformer die Wörter selbander und selbdritt unterschlagen.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 14.06.2005 um 13.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#432
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"eigen" hat wiederum zwei Bedeutungen: 1.) selbst, zugehörig; 2.) besonders, eigenartig; "eigengemacht" bedeutet eindeutig "selbstgemacht", aber "eigen gemacht" (Betonung auf "gemacht") kann zusätzlich "eigenartig gemacht" bedeuten.
Ähnlich doppeldeutig ist das Adverb "glatt": 1.) "eben" wie in glattmachen (Betonung auf "glatt"); 2.) "sogar" wie als Zweitbedeutung von "glatt machen" (Betonung auf "machen").
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Kommentar von rrbth, verfaßt am 14.06.2005 um 16.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#433
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Und was ist der Unterschied – wenn es ihn denn gibt – zwischen „selbst“ und „selber“?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2005 um 16.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#434
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"selber" gilt als eher umgangssprachlich und ist nicht als Gradpartikel verwendbar. Duden Bd. 9 sagt, daß es sich bei "selbst" und "selber" um ein "Pronomen" handele, das nur als Apposition vorkomme (komisches Pronomen!) und immer hinter seinem Bezugswort stehe, was natürlich nicht richtig ist.
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Kommentar von Stephan Fleischhauer, verfaßt am 15.06.2005 um 08.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#438
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Ich habe früher gelernt, mein, dein usw. seien "Possessivpronomen".
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 15.06.2005 um 09.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#439
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Bei der Umkehrung des Satzes "Sie hat den Kuchen selbst gebacken" (korrekter eigentlich "Sie selbst hat den Kuchen gebacken") ins Passiv müßte korrekterweise das Subjekt "sie" in "von ihr" umgekehrt werden: "Der Kuchen wurde von ihr selbst gebacken". Aus der Wortgruppe "von ihr selbst gebacken" wird das Adjektiv "selbstgebacken" abgeleitet, wobei "selbst" für die Wortgruppe "von ihr selbst" steht, also Zusammenschreibung richtig ist.
Analog ist "selbsttragend" eine Verkürzung von "sich selbst tragend".
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 15.06.2005 um 11.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#443
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"Sie glauben also, daß die Fügung selbst gebacken dasselbe bedeute wie die Zusammensetzung selbstgebacken. Das ist aus grammatischen Gründen zurückzuweisen."
Im Gegensatz zu Professor Ickler sehe ich das nicht ganz so eng. Ich meine dasselbe wie er, aber mit der Begründung: ... Das ist aus lesetechnischen Gründen zurückzuweisen.
Es gibt Fälle, bei denen die Getrenntschreibung bevorzugt wird und für den Leser auch angenehm und unauffällig ist, obwohl dieselbe grammatische Konstruktion vorliegt wie bei der selbstgebackene Kuchen - nämlich wenn das Verb nach selbst noch einen Verbzusatz hat. Beliebiges Beispiel, Google (ohne Bereinigung):
selbstgebautes 14.500
selbst gebautes 974
Aber:
selbstaufgebautes 108
selbst aufgebautes 264
Die Verschiedenheit leuchtet aus Lesersicht unmittelbar ein; man muß also die harte Argumentation aufgeben, daß Getrenntschreibung "grammatisch" nicht möglich sei. Sie ist nur im Normalfall ungünstig, bzw. man sollte die Möglichkeit der Ungleichschreibung (getrennt/zusammen) zur Differenzierung normalerweise selbstverständlich nutzen, und so geschieht es ja auch. Bei der Beteiligung eines Verbzusatzes stößt die Sache jedoch an ästhetische Grenzen; die Häufigkeit der Getrenntschreibung beweist, daß sie in solchen Fällen unproblematisch ist. Der Bezug wird dann vom Leser schon richtig hergestellt.
In der Mitte stehen Präfixverben:
selbsterbautes 115
selbst erbautes 80
Die Nützlichkeit der Zusammenschreibung wird auch hier gern genutzt, aber das Präfix verleiht dem Verb (trotz der klanglichen und bildlichen Gleichrangigkeit von selbsterbautes und selbstgebautes) offensichtlich eine größere Selbständigkeit, ähnlich wie der Verbzusatz, so daß hier bereits die Getrenntschreibung mächtig an Boden gewinnt.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 15.06.2005 um 12.37 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#445
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Ich stimme Herrn Wrase zu. In "selbstgebaut" wirkt das Adverb "selbst" zumindest beim ersten Lesen wie ein Präfix analog zu "auf-", "er-" und andere; und zwei Präfixe hintereinander sind gewöhnungsbedürftig. Außerdem gibt es die substantivierten Infinitive "Selbstbauen" und "Selberbauen", aber nicht "Selbstaufbauen" oder "Selberaufbauen".
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Kommentar von rrbth, verfaßt am 15.06.2005 um 14.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#446
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Google ist, wie hier schon einmal an dem Beispiel „übrigends“ gezeigt wurde, nicht unbedingt eine verläßliche Referenz.
Besser ist da
http://wortschatz.uni-leipzig.de/
Und da finden sich keine Belege für „selbstaufgebaut“ und „selbsterbaut“. Das soll natürlich nicht heißen, daß es diese Wörter nicht gibt. Umgekehrt heißt das allerdings auch nicht, daß es Wörter „gibt“, die dort belegt sind, wie z.B. „Akkustik“.
Zwei (und mehr ;-) ) „Vor“-Silben hintereinander gibt es mit „selbst“ schon, z.B. „Selbsterfahrung“, „selbsterrichtet“, „selbstverursacht“.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 15.06.2005 um 16.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#448
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Den Vorsilben "selbst-" und "selber-" für alle handwerklichen Tätigkeiten kann man eine große Zukunft vorhersagen, zum Ärger der Handwerksbetriebe.
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Kommentar von Roger Herter, verfaßt am 15.06.2005 um 17.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#449
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Laut Herrn Koch gibt es den substantivierten Infinitiv "Selberaufbauen" nicht, also z.B. kein "Büchergestell zum Selberaufbauen". Handwerklich klappt es damit vielleicht nicht - aber was ist sprachlich daran falsch oder unmöglich?
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 15.06.2005 um 18.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#450
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Bei Häufigkeiten von vielen hundert, vielen tausend und mehr ist Google eine verläßliche Auskunftsquelle, nicht nur was die Existenz betrifft, sondern gerade, was Häufigkeitsvergleiche angeht.
selbstaufgebaut ist grammatisch nicht ein Wort (nur orthographisch ist es ein Wort), sondern es sind zwei Wörter, genauso wie im Fall der Getrenntschreibung selbst aufgebaut, egal welcher Bezug von selbst vorliegt. Es sind grammatisch gesehen genauso zwei Wörter wie schon selbst aufbauen. Im Fall der Zusammenschreibung gibt es allerdings zwei Aspekte, die für die Zählung als ein einziges Wort sprechen: unter Umständen, daß eindeutig nur ein starker Akzent auf dem ersten Teil liegt; und zweitens unter Umständen die Auffassung als zusammengehöriger, insbesonderer als spezifischer, eigener Begriff (was hier nicht besonders deutlich ausgeprägt ist). Solche Motive provozieren ja die Zusammenschreibung, nebst der Unterscheidungsmöglichkeit vom Fall eines anders bezogenen selbst.
Dasselbe gilt natürlich auch ohne Präfix: selbst_gebaut.
Wenn man sich aber nach Semantik und Betonung richtet oder einfach nach einer vorliegenden Zusammenschreibung und die Einordnung als einzelnes Wort vornimmt, versteht man überhaupt nicht mehr, warum das auch getrennt geschrieben werden kann, wie es sehr häufig der Fall ist. Genau dasselbe Phänomen wie bei frisch_gestrichen usw.
Meiner Meinung nach ein einwandfreier Fall für fakultative Zusammenschreibung.
Orthographisch ist es im Fall der Zusammenschreibung ein Wort, aber solche Gelegenheitskonstruktionen tauchen normalerweise nicht in einem Wörterbuch auf, das ist nicht anders zu erwarten. Im Duden stehen sie ja auch nicht, sonst würde ein Duden einen Zentner wiegen.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 15.06.2005 um 23.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#451
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Genau dasselbe Phänomen wie bei frisch_gestrichen usw.
Jetzt muß ich mich schon wieder ergänzend korrigieren. Ich hatte mich bei dieser Gleichsetzung auf den Fall der attributiven Verwendung konzentriert:
der selbst_ausgebaute Hobbyraum
die frisch_gestrichene Wand
Theoretisch könnte selbst bei Getrenntschreibung zweierlei Bezug haben, darunter den von Professor Ickler monierten Bezug auf den Hobbyraum, um den es hier ja offensichtlich nicht geht - gemeint ist natürlich der Bezug auf denjenigen, der selbst ausgebaut hat. Ein solcher unklarer Bezug ist bei frisch nicht möglich. Um diesen Unterschied soll es hier aber nicht gehen, sondern bis hierher bleibe ich bei meiner Behauptung, daß in beiden Fällen fakultative Zusammenschreibung anzusetzen und entsprechend die Getrenntschreibung möglich ist.
Aber was ist bei prädikativer Verwendung?
(1a) Er streicht die Wand
(1b) Er streicht die Wand frisch
(2a) Die Wand ist frisch gestrichen
(2b) Die Wand ist frischgestrichen
Zunächst fällt auf, daß (2a) nicht mit (1b) bedeutungsgleich ist. (1b) bedeutet am ehesten, daß die Wand neu gestrichen wird. Sie wurde früher schon einmal gestrichen, jetzt ein zweites Mal. (2a) bedeutet, daß sie soeben gestrichen wurde, egal ob das ein erster oder ein neuer Anstrich war. In beiden Fällen bezieht sich frisch auf streichen bzw. gestrichen. Die verschiedene zeitliche Perspektive bringt aber eine verschiedene Bedeutung hervor: frisch = neu in bezug auf einen früheren Anstrich (1b) und in bezug auf den jetzigen Anstrich (2a).
Deshalb kann auch (2a) nicht als Entsprechung oder Herleitung aus (1b) angesehen werden, sondern als modifizierte Herleitung aus (1a). Die Entsprechung zu (1a) ist Die Wand ist gestrichen, und dann wird ggf. frisch modifizierend hinzugefügt.
Bei (2b) stellt sich die Frage, ob man das überhaupt so schreibt. Wenn ja, würde der Leser wohl eine deutlich andere Betonung verwenden als bei (2a), nämlich eindeutig vorne und dann nicht mehr. Diesen Unterschied gibt es bei der attributiven Verwendung nicht (oder kaum, jedenfalls nicht eindeutig nachvollziehbar), hier liegt die Betonung bei beiden Schreibweisen vorn:
die frisch gestrichene Wand
die frischgestrichene Wand
Nun dasselbe mit selbst:
(1a) Er streicht die Wand
(1b) Er streicht die Wand selbst
(2a) Die Wand ist selbst gestrichen
(2b) Die Wand ist selbstgestrichen
Wieder kann (2a) nicht als Entsprechung von (1b) gelten. Bei (1b) bezieht sich selbst auf den Anstreicher, bei (2a) auf die Wand.
Die Betonungsunterschiede zwischen (2a) und (2b) sind dieselben wie zuvor.
Aber hier - im Fall der prädikativen Verwendung - gibt es den von Professor Ickler herausgearbeiteten Unterschied wirklich. (2a) bedeutet etwas ganz anderes als (2b): selbst bezieht sich bei (2a) auf die Wand, bei (2b) auf den Anstreicher, ebenso wie bei (1b).
Somit ist hier (2b) die Entsprechung zu (1b).
Man muß also zwischen attributiver und prädikativer Konstruktion unterscheiden. Im ersten Fall sehe ich keinen nennenswerten Unterschied zwischen frisch und selbst, im zweiten Fall tun sich aber doch erhebliche Unterschiede auf. Hier kann man nicht mehr von fakultativer Zusammenschreibung reden.
Ich denke aber, daß es bei Beteiligung eines Verbzusatzes oder eines Präfixes schon wieder ein bißchen anders aussieht. Aber das auszuführen wäre zu kompliziert. Ich hoffe, daß ich diesmal keine weitere Ergänzung schreiben muß ...
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.06.2005 um 06.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#452
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Entwarnung: im Moment keine Revision.
Ich könnte aber noch illustrieren, was für ein aufschlußreiches Instrument Google ist. Mit Hilfe von Google komme ich - eine Zusammenfassung - zu folgenden drei Abweichungen von der Darstellung von Professor Ickler:
1. In das selbstgebackene Brot ist selbstgebacken keine echte Zusammensetzung, sondern es sind zwei Wörter mit fakultativer Zusammenschreibung: selbst_gebacken, (fast genau) derselbe Fall wie frisch_verliebt
2. Man muß unterscheiden zwischen attributivem und prädikativem Gebrauch. Hier unterscheiden sich die Häufigkeiten (= die Möglichkeiten) der Getrennt-/Zusammenschreibung grundlegend.
3. Besondere Verhältnisse liegen vor, wenn ein Verbzusatz oder ein Präfix beteiligt ist.
Meine Auffassung festigte sich, als ich immer wieder Geschäftsberichte von Versicherungsunternehmen las, in denen eine Standardformel lautet: selbst abgeschlossenes Versicherungsgeschäft. Das dürfte es nach der von mir in Frage gestellten Interpretation gar nicht geben, da es sich hier um eine echte Zusammensetzung handle: selbstabgeschlossenes, grammatisch ein einziges Wort, nicht zerlegbar.
Die Wirklichkeit ist jedoch (bei diesem Begriff) genau umgekehrt. Google:
selbst abgeschlossenes Versicherungsgeschäft 317
selbst abgeschlossenes Versicherungsgeschäft 116 (bereinigt)
selbstabgeschlossenes Versicherungsgeschäft 0
Zu meinem Zweifel, ob ... ist frischgestrichen überhaupt zusammengeschrieben vorkommt:
Achtung frisch gestrichen 536
Achtung frisch gestrichen 144 (bereinigt)
Achtung frischgestrichen 0
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2005 um 06.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#453
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"mein" usw. sind nach heutiger Auffassung Possessivartikel, das entsprechende Pronomen ist "meiner". Die Paradigmen stimmen in vielen Formen überein, aber nicht in allen. Dasselbe gilt für "ein" und "kein". Wichtig wird es für die Deutung von "Brot gab es keins" (wo eben das Pronomen vorliegt und nicht der Artikel, weshalb die generativistische Interpretation als "Quantoren-Floating" falsch war).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.06.2005 um 06.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#454
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Man könnte von einer gewissen Verselbständigung der Partikel "selbst" sprechen. Der von den Reformern behauptete Übergang aus der verbalen Fügung ist zwar nicht möglich, aber im Sinne von "in eigener Person" kann das "selbst" sich irgendwo im Satz herumtreiben. Den Bezug muß sich der Leser dann zusammenreimen.
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Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 19.06.2005 um 04.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#469
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Ich habe früher gelernt, mein, dein usw. seien "Possessivpronomen". (Fleischhauer)
Unter dieser Überschrift wurden die Formen zu "mein/dein/sein/unser/euer/ihr (Ihr)" auch oft behandelt. Und es ist tatsächlich die kürzeste Form unter allen Ableitungen davon und konnte daher als "Stammform" dienen. Aber gemeint waren damit wohl zunächst nicht die Possessivadjektive (Possessivartikel) in "mein Buch", "dein Buch" usw., sondern die Formen in "Du bist mein, ich bin dein" und "Denn er war unser", die allerdings für uns doch sehr altertümlich sind und ganz sicher kein perfektes Paradigmensystem mehr aufweisen (die 3. Person "ihr", Sg. und Pl., fehlt ganz, jedenfalls nach meinem Sprachgefühl). Aber in den angeführten Beispielen könnte man diesen "Stammformen" Pronominalcharakter zuweisen. Ich verstehe sie jedoch auch hier als prädikative Adjektive, parallel zu "Denn er war gut". (Aber dagegen stünde auch bei mir "Und du bist doch der", wo "der" eben pronominal ist. Auf jeden Fall verstehe ich etwas die Unsicherheit bei der Einordnung dieser Wörter und warum wir nicht protestierten, als wir etwas letztlich doch Unschlüssiges lernten.) Heute sind "mein/dein/sein" usw. ganz sicher Adjektive einer besonderen Klasse (Artikel), und ihrem Formensystem folgen auch der indefinite Artikel "ein" und der negierte indefinite Artikel "kein": mein/ein/kein Buch, so wird auch der meine/eu(e)re/eine genannt (hier gibt es allerdings nicht *der keine! — naja, wozu auch?), und pronominal: uns(e)rer/einer/keiner kommt.
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Kommentar von Fritz Koch, verfaßt am 19.06.2005 um 08.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#470
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"sein" und "ihr" sind genau genommen reflexive (rückbezügliche) Possessivpronomen, weil sie den Zusatz "eigen..." mit enthalten, der nur bei Verwechslungsgefahr ausdrücklich angegeben werden muß. Als Gegenstück dazu gibt es die demonstrativen (hinweisenden) Possessivpronomen "dessen" und "deren" (umgangssprachlich "dem sein" und "der ihr")
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Kommentar von Hans-Jürgen Martin, verfaßt am 11.02.2006 um 20.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#2558
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Aus "Putativgehorsam":
»steht nach dem Bezugswort od. betont nachdrücklich, dass nur die im Bezugswort genannte Person od. Sache gemeint ist u. niemand od. nichts anderes: der Wirt s. (persönlich) hat uns bedient; [...] er kann sich wieder s. versorgen (braucht keine Hilfe mehr); das Kind kann schon s. (ugs.; allein) laufen; sie hatte es s. (mit eigenen Augen) gesehen« (Duden – Deutsches Universalwörterbuch 2001)
Das Wörtchen selbst kann, wie man sieht, niemals als Subjekt oder Objekt dienen, sondern wird stets einem solchen hinzugefügt, um die Identität zu betonen, also nicht selbst hat uns bedient, sondern der Wirt selbst hat uns bedient. – Wie kann man nur darauf kommen, es hier mit einem Pronomen zu tun zu haben?
Im ersten Moment habe ich das sofort akzeptiert: "Pronomen" bedeutet ja 'Fürwort', steht also für ein Wort, ein Substantiv oder einen Eigennamen. Dann aber kamen mir Zweifel:
Heißt denn "für" ein Wort zugleich auch zwingend "statt" eines Wortes? Ist die Probe "*Selbst hat uns bedient." wirklich korrekt?
Ich denke z. B. an folgende französische Sätze:
- Qui? Moi!
- L'état, c'est moi!
- Moi, je ne le sais pas!
Das "moi" wird als Pronomen verstanden, steht aber dennoch als betonendes Wort neben "je", quasi als Apposition. Kann man also nicht auch das "selbst" als Pronomen auffassen, das zwar nicht statt eines Nomens, aber durchaus für ein solches stehen kann?
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 21.02.2014 um 07.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#25206
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Hier wurden bisher nur 'Verbindungen' von "selbst" mit Partizipien behandelt. Auf SPIEGEL Online bin ich auf folgenden Satz gestoßen. "kann sein, dass er sich als Leidensaugust selbstvermarktet".
Eine Google-Suche nach "selbstvermarkten" unter Ausschluß von "selbst vermarkten", "Selbstvermarkten" und "Selbstvermarktung" liefert zahllose Belege für die Existenz des Verbs "selbstvermarkten". Laut amtlichem Regelwerk, amtlichem Wörterverzeichnis und Duden gilt aber bei "selbst" + Verb immer Getrenntschreibung, und zwar unter Berufung auf § 34 E1. Die Wirklichkeit steht also nicht nur im Gegensatz zur Erlaßlage, sondern zeigt auch die Untauglichkeit des Erlasses auf, der in § 33 Rückbildungen nicht erwähnt. Das Verb "selbstvermarkten" ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Rückbildung aus "Selbstvermarktung", aber offiziell darf man das nicht wissen, weshalb amtlicherseits das Verb "selbstvermarkten" nicht existiert.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.11.2016 um 09.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#33944
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Die Dudenredaktion nahm jahrzehntelang irrtümlich an, sie dürfe nicht selbstständig schreiben, nimmt nun irrtümlich an, diese Form sei durch die Rechtschreibreform neu zugelassen, und verwendet und empfiehlt sie (gelb!), weil sie scheinbar neu ist und man damit seinen Reformwillen ausstellen kann. Ein beklagenswerter Anblick.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2021 um 07.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=138#45394
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Die Deutschen haben sich einreden lassen, jedesmal sei falsch und nur jedes Mal richtig. Damit ist der Nationalcharakter hinreichend gekennzeichnet.
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