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07.12.2010
Propaganda
Leichtfertiger Umgang mit der Sprache
Die WELT meldet online:
USA jubeln über Festnahme von Julian Assange
Nach wochenlangem Katz- und Mausspiel hat sich Wikileaks-Gründer Julian Assange in London der Polizei gestellt. Das freut die USA.
Die USA haben die Festnahme von Wikileaks-Gründer Julian Assange begrüßt.
Wirklich "die USA"? Oder nur jene Personen, die von den Enthüllungen etwas zu befürchten haben? Ich weiß ja nicht, wie die Stimmung in Amerika ist, aber "Deutschland" freut sich nicht so einhellig über die Festnahme; das zeigen auch die Leserstimmen.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.10.2023 um 00.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#52057
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Die Tagesschau meldet:
"Bayerischer AfD-Politiker Halemba gefasst"
Üblicherweise "faßt" man Mörder, Diebe, Verkehrsunfallflüchtige, Steuerhinterzieher usw. Was möchte die Tagesschau hier insinuieren?
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.09.2023 um 16.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#51730
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Eine propagandistische Meisterleistung war ja die Unterstellung, der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder habe Putin als "lupenreinen Demokraten" bezeichnet. Es ist seitdem zum geflügelten Wort geworden und gehört zum Grundwissen des braven deutschen Staatsbürgers.
Hamburger Abendblatt, 23.11.2004: Schröder: "Putin ist lupenreiner Demokrat".
Nordbayern, 7.3.2012: [Schröder] halte an seiner Einschätzung fest, dass der designierte russische Präsident Wladimir Putin ein "lupenreiner Demokrat" sei.
Focus, 3.5.2014: 2004 nannte Altkanzler Gerhard Schröder Wladimir Putin einen "lupenreinen Demokraten".
Usw., immer in Anführungszeichen. In Wirklichkeit wurde ihm dieser Ausdruck untergeschoben, er hat ihn nie selbst verwendet. Da werden von den Medien ungeniert Satzschnipsel zusammengesetzt, die wie Schröder-Zitate aussehen, aber von anderen stammen. Es werden Sätze aus dem Zusammenhang gerissen und die ausdrückliche schrödersche Relativierung der ihm untergeschobenen Wörter wird einfach weggelassen.
Das Interview von Beckmann im Ersten mit Bundeskanzler Schröder vom November 2004 hat nach meiner Mitschrift eines Facebook-Videos an dieser Stelle folgenden Wortlaut:
Beckmann: "Ist Putin ein lupenreiner Demokrat?"
Schröder: "Ich würde - das sind immer so Begriffe. Natürl - ich glaube, ich ..."
Beckmann: "Nur mal fragen ..."
Schröder: "Nein, nein, ich glaube ihm das, und ich bin davon überzeugt, daß er das ist. Daß in Rußland nicht alles so ist, wie er sich das vorstellt und gar wie ich oder wir uns das vorstellen würden, das, glaube ich, sollte man verstehen. Dieses Land hat 75 Jahre kommunistische Herrschaft hinter sich, hat 10 Jahre eine Situation, die gekennzeichnet war durch den Zerfall der Staatlichkeit. Was Putin jetzt schafft und schaffen muß, ist, den Staat wieder in seine Funktion zu setzen, damit er Sicherheit für die Bürger garantieren kann, aber auch Sicherheit für Investoren garantieren kann. Daß dabei nicht alles so läuft, wie es idealtypisch aufzuschreiben wäre, das kann man doch unterstellen, und ich würde immer gern die Fundamentalkritiker daran erinnern, mal darüber nachzudenken, ab wann denn bei uns alles so wunderbar gelaufen ist. Also ich finde, man muß, wenn man eine Situation in einem Land bewertet, sich mit seiner Geschichte auseinandersetzen, sich auseinandersetzen mit den Bedingungen, unter denen dort Demokratie etabliert wird, und ich glaube Putin, und ich bin auch davon überzeugt, daß er dieses Land zu einer ordentlichen Demokratie machen will und machen wird, die auch dann vielleicht nicht allen Ansprüchen seiner Kritiker genügt, aber unser beider schon."
Schröder sagt also einerseits ja, er sei überzeugt, daß es so ist. Als Bundeskanzler muß er diplomatisch sein.
Andererseits sagt er, nicht alles ist idealtypisch, nicht allen Ansprüchen genügend, also ganz klar nein, nicht "lupenrein".
Auch dem Focus sagte Schröder am 3.5.2014: "Was ist eigentlich ein lupenreiner Demokrat? Das gibt es ja gar nicht, lupenrein demokratisch ist niemand."
Schröder ist also ganz klar nicht auf den Journalistentrick hereingefallen, sondern hat, seinem Amt entsprechend sowohl politisch-diplomatisch als auch kritisch geantwortet. Er hat "ja" und "nein" gesagt, der fragliche Ausdruck stammte nicht von ihm. Aber was solls, die Propaganda sucht sich aus, was ihr paßt, und sie wirkt nicht schlecht.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.09.2023 um 05.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#51728
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Das habe ich so nicht beobachtet, wohl aber fiel mir auf, daß im Küchenradio (DLF) Erfolgsmeldungen von ukrainischer Seite fast immer mit dem Zusatz versehen wurden, sie seien nicht nachprüfbar.
Das Grundproblem ist natürlich, ob man in diesem Krieg Äquidistanz zu beiden kriegführenden Parteien wahren kann und soll. Das können wir hier schwerlich diskutieren.
Eine Tatsache ist allerdings, daß man bei Stöbern in den Nachrichten sehr bald auf russische Propagandamedien stößt.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.09.2023 um 01.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#51726
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Gabriele Krone-Schmalz auf den "Nachdenkseiten" zur erweiterten Neuauflage ihres Buches "Russland verstehen":
»Ist Ihnen zum Beispiel schon aufgefallen, dass es in der Regel in den Nachrichten heißt, wenn ein Staatspräsident oder ein anderer hoher politischer Funktionsträger zitiert wird: Herr X sagt, dass … Der russische Präsident Putin jedoch behauptet, dass …. Westliche Politiker verhandeln, Leute wie Putin und der türkische Präsident Erdogan feilschen, wie etwa über Syrien.
In Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen in der Ukraine werden die Verlautbarungen von ukrainischer Seite mit dem Wort offenbar eingeleitet, wohingegen den russischen Aussagen das Wort angeblich vorbehalten ist.«
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.05.2019 um 23.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#41516
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Im Fall Strache wurde das für später benötigte kompromittierende "Wissen" durch Tricks provoziert, das sehe ich auch so. Das macht die "Schäbigkeit" (siehe meinen letzten Beitrag) nur noch widerwärtiger. Strache ist trotzdem kein unschuldiges Opfer, Dummheit darf keine Ausrede für einen Politiker sein. Ich wollte das Ganze etwas verallgemeinern, egal, ob nun aufgedeckt oder hinterhältig provoziert.
Das betrifft z. B. auch den undifferenziert gesehenen "Datendiebstahl". Egal, ob es um Daten über Steuerhinterziehung oder über politische Korruptheit geht: Daten über Rechtsverstöße sollten niemals privat sein! Folglich dürfte es daran auch keinen Diebstahl geben.
Es ist doch einfach unverschämt, wenn jemand Steuern hinterzieht, und die dabei bewußt Helfenden sich nach der Entdeckung beschweren, die zum Nachweis benutzten Daten seien "gestohlen" worden. Genauso im Falle korrupter Politiker. Daten über Rechtsverstöße gehören m. E. immer automatisch der Öffentlichkeit und haben der Aufklärung zu dienen, sie können gar nicht gestohlen werden!
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Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 20.05.2019 um 20.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#41514
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Die Strache-Falle ist sorgfältig ausbaldowert und vorbereitet worden. Die Schauspieler mußten gefunden und instruiert werden, sie mußten das Vertrauen der Zielpersonen erwerben, und die technische Ausstattung mußte aufeinander abgestimmt besorgt werden. Das macht keiner, dem es um die schnelle Mark geht. Das deutet eher auf eine solide finanzierte Aktion hin, die mehrere Initiatoren und Profiteure hat.
Die Moral ist zweitrangig. Moralische Politik hat noch immer viel mehr Schaden angerichtet als nichtmoralische; nationale wie internationale Sozialisten sahen sich immer als Speerspitze der Moral. Jede Diktatur beginnt mit dem Traum von einer besseren Welt.
Die Umstellprobe erhellt: Wie würden Sie die Sache bewerten, wenn Hofreiter oder dergleichen im Urlaub besoffen gemacht worden wäre?
In den Siebzigern galt es als Ehrensache, daß die Journalisten Brandts Eskapaden verschwiegen haben. Hat die Presse damals die Demokratie gefährdet?
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Kommentar von R. M., verfaßt am 20.05.2019 um 20.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#41513
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Zwischen dem Einsatz geheimdienstlicher Agents provocateurs und Datendiebstahl bestehen offensichtliche Unterschiede. Hier hat niemand »ausgepackt«, hier wurde »Kompromat« fabriziert.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.05.2019 um 17.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#41512
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Nehmen wir an, ich weiß etwas über jemanden, aber dieses Wissen ist nicht viel wert, also sage ich nichts. Ich warte lieber, bis dieser Jemand sehr bekannt geworden ist und meine Gegner auf ihn hereingefallen sind. Jetzt kann ich erstens wegen der Bekanntheit bei der Presse viel Geld damit verdienen und zweitens meinem Gegner in einem günstigen Moment gut eins auswischen.
Ich finde einerseits, klar, Fehler müssen aufgedeckt werden, andererseits SPIEGELt sich in dieser speziellen Art und Weise eine beachtliche Schäbigkeit wider.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.05.2019 um 17.23 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#41511
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Der Fall Strache wirft wieder einmal die Frage auf, wie heimlich (und oft rechtswidrig) gewonnene Daten moralisch zu bewerten sind. (Seit der Antike am Beispiel des Tyrannenmordes erörtertes Problem. Man möchte wünschen, Hitler wäre frühzeitig abgemurkst worden.)
Strache spricht von einer Schmutzkampagne, bestreitet den Schmutz aber nicht, hätte es also nur lieber, wenn er nicht aufgedeckt worden wäre.
Natürlich schreibt Björn Höcke:
An der restlosen Aufklärung über die Herkunft des Videos und den Zusammenhängen seiner Entstehung besteht ein großes öffentliches Interesse. Denn solche Strukturen, die hier am Werk waren, gefährden unsere Demokratie.
facebook.com/Bjoern.Hoecke.AfD/photos/a.1424703574437591/2340924412815498/?type=3&theater … #FPOE #Strache #strachevideo
(Ähnlich Hans-Georg Maaßen) – Aber das ist gerade die Frage, wer die Demokratie gefährdet. Große Skandale sind durch Whistleblower und Datendiebstahl aufgedeckt worden. Das ist die einzige Waffe gegen die undurchdringliche Manipulation von Konzernen und Regierungen mit ihren unendlich überlegenen Macht- und Geldmitteln.
Inzwischen bedient sich auch die Staatsanwaltschaft illegal erbeuteter Daten; und für Whistleblower gibt es auch verträgliche Regelungen.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.03.2017 um 06.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#34673
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„Ist es wahrscheinlich, dass sich irgendjemand bei der CIA dafür interessiert, was Lieschen Müller abends mit ihrem Mann im Wohnzimmer bespricht?“ (FAZ 10.3.17)
Auf diese rhetorische Frage, die von Lieschen Müller statt von Nikolas Busse sein könnte, gibt es nur eine Antwort. Also können wir unbesorgt sein. Die politische Redaktion der FAZ haßt die Verräter Assange und Snowden. (Übrigens könnten Lieschen Müller und ihr Mann eines Tages feststellen, daß ihnen die Einreise in die USA verwehrt ist. Das passierte zum Beispiel einem Wissenschaftler, der Jahre zuvor an einem Kongreß in Iran teilgenommen hatte und nun zu einem Vortrag in Amerika eingeladen war. Des Datensammelns ist kein Ende, und es hat gerade erst angefangen.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.05.2016 um 06.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#32556
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Pentagon meldet Tod von IS-Kommandeur Abu Wahib (...)
Bei dem Getöteten handelt es sich demnach um Abu Wahib. Dessen Wagen sei bei einem Luftangriff angegriffen worden, es hätten noch drei weitere Dschihadisten in dem Fahrzeug gesessen, sagte Cook. "Es ist in diesen Tagen gefährlich, ein IS-Anführer in Syrien oder im Irak zu sein." (Spiegel 10.5.16)
Die Terroristen müssen sich jetzt warm anziehen. Allerdings kennen wir die Meldung schon lange. Sie erscheint seit Jahren alle vier Wochen, mit wechselnden Namen der ermordeten Taliban-, Al-Qaida- und IS-Führer. Unsere Zeitungen machen alles mit.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2015 um 05.58 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#29149
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Das Geschäftsmodell des Edward Snowden (...) (FAZ 15.6.15, Kommentar)
Die politische Redaktion der FAZ kann Snowden nicht ausstehen und polemisiert seit Beginn der Affäre gegen ihn. Wenn Snowden ein "Geschäftsmodell" hat, das die FAZ nun aufdeckt, dann muß man ihn einen sehr schlechten Geschäftsmann nennen. Eigentlich hat die Zeitung ja nichts gegen Geschäfte und müßte für jeden Verständnis haben, der ebenfalls Geschäfte machen will.
Amerikanische Luftwaffe bombardiert Al-Qaida-Führer (FAZ online 15.6.15)
Kann man einen Menschen "bombardieren"? Man denkt unwillkürlich, daß da wohl noch etwas mehr kaputtgegangen ist. Stimmt ja auch.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.09.2014 um 13.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#26869
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tagesschau.de 27.09.14
"Lady Liberty" – Albtraum für den IS
Mariam al Mansouri ist jung, schön und klug. Sie trägt Kopftuch und fliegt einen Kampfjet für die Vereinigten Emirate. Das hat schon so manch einem die Sprache verschlagen. Für die IS-Miliz dürfte es ein Albtraum sein, dass ausgerechnet eine Muslima sie bekämpft.
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Die Reporterin denkt sich das nur aus, irgendwelche Erkenntnisse hat sie nicht. In anderen Texten wird behauptet, Muslime könnten nicht in den Himmel kommen, wenn sie von einer Frau getötet werden. Damit steht der Endsieg über den Islamischen Staat praktisch fest. (Auch wenn die Briten inzwischen annehmen, es könne noch Jahre dauern. Der Vietnamkrieg war schließlich auch kein Sonntagsspaziergang.) Von dieser Albtraum-Lady ist nun täglich die Rede, wohl auch deshalb, weil man über die Einzelheiten der „US-arabischen“ Luftangriffe nichts Genaueres weiß.
Seit einigen Tagen hat man den Eindruck, daß die Desinformation durch unsere eingebetteten Journalisten bereits den kriegsüblichen Höhepunkt erreicht hat. Der SPIEGEL mischt seine Beurteilung – es ist zufällig die regierungsamtliche – gleich in die Berichterstattung:
Tagelang saßen sieben Ausbilder der Bundeswehr in Bulgarien fest, der Irak ließ sie wegen eines Formfehlers nicht einreisen. Die gute Nachricht: Nun können sie weiterfliegen. Die schlechte: Erste Waffenlieferungen verzögern sich. (24.9.14)
Im Rundfunk fehlt noch eine Erkennungsmelodie für Siegesmeldungen. Liszt ist ein bißchen veraltet.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.04.2014 um 09.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25616
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Wie denn das? Zunächst einmal sind die Wörter Aufdecker, Enthüller im Deutschen nicht lexikalisiert, stehen daher auch nicht im Wörterbuch - man kann sie allerdings jederzeit bilden, weil es die Verben gibt. Aber schon deshalb kann von einer negativen Belegung keine Rede sein. Außerdem muß man das ganze Wortfeld der Verben des Enthüllens betrachten; darin gibt es neutrale, negative und positive Kandidaten. Was sollte daraus für die Beurteilung der heutigen Deutschen folgen? Das müßte man schon im einzelnen zeigen und auch die methodischen Voraussetzungen solcher Schlüsse offenlegen.
Ich erinnere an berüchtigte Beispiele aus der Vergangenheit. Aus der Tatsache etwa, daß es (vielleicht) nur im Deutschen ein Wort wie Schadenfreude gibt, hat man geschlossen, was für mißgünstige Burschen die Deutschen sein müssen. Aber man kann ebensogut das Gegenteil folgern: Gerade weil Schadenfreude den Deutschen so ungewöhnlich vorkommt, haben sie ein eigenes Wort dafür geprägt.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.04.2014 um 18.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25612
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Aus der Tatsache, daß im Deutschen die Wörter Aufdecker und Enthüller negativ vorbelegt sind, kann man erkennen, wie biedermeierisiert, obrigkeitshörig und untertanengeistig die Deutschen wieder geworden sind. Gab es nach 1945 nicht so etwas wie eine geistige Befreiung? Dachte ich jedenfalls.
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Kommentar von Pt, verfaßt am 15.04.2014 um 16.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25611
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Anders als Herr Achenbach halte ich das Wort ''Whistleblower'' für dringend notwendig, da es eine positive Konnotation enthält, nämlich die eines Schiedsrichters, der sich ja bei seiner Tätigkeit einer Pfeife bedient, um Schlimmeres zu verhüten. Ein Whistleblower informiert nicht nur wertneutral, sondern nimmt erhebliche persönliche Risiken auf sich, um die Öffentlichkeit vor einer möglichen negativen Entwicklung zu warnen. Es geht hier nicht darum, die eigene Dienststelle zu warnen, denn die könnte ja ebenfalls bereits in die Sachen involviert sein, vor denen gewarnt werden soll. Whistleblower mit ''Landesverrätern'' in einen Topf zu werfen ist extrem beleidigend und trifft nicht den Kern der Sache.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 15.04.2014 um 15.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25610
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Ich halte das Wort Whistleblower in der Tat für überflüssig im Deutschen. Das Wort Informant reicht völlig aus. Dieses Wort hat zudem den Vorteil einer gewissen Wertneutralität. Für den einen ist ein Informant ein Landesverräter, für den anderen verdient er Asyl oder den Ehrendoktor.
Man kann nun mal nicht für jede Bedeutungsvariante ein eigenes Wort haben. Man auch nicht zu jedem Wort aus dem Englischen oder irgendeiner anderen Sprache eine „überzeugende deutschen Entsprechung“ haben.
Vielleicht ist es interessant zu sehen, wie andere Sprachen mit diesem Begriff umgehen. Dazu habe ich die dem Whistleblower entsprechenden Wikipedia-Stichwörter in mehreren europäischen Sprachen nachgeschaut:
Katalanisch: Revelador d'informació
Spanisch: Alertador
Französisch: Lanceur d'alerte
Italienisch: Gola profonda (informatore)
Niederländisch: Klokkenluider
Norwegisch: Varsler [dt. Warner], im Text auch fløyteblåser
Portugiesisch: Denunciante
Rumänisch: Avertizor de integritate
Russisch: Informator
Polnisch: Whistleblower
Dänisch: Whistleblower
Schwedisch: Whistleblower
Deutsch: Whistleblower
Der niederländische Glockenläuter erscheint mir eine geglückte Lehnübersetzung zu sein. Wer sich unbedingt bildhaft ausdrücken will, könnte es doch unbesehen ins Deutsche übernehmen.
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 15.04.2014 um 15.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25609
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Und auch "Informant". Negativ besetzt ist natürlich "Verräter", obwohl "verraten" halbwegs neutral ist, im Gegensatz eben zu "Verrat". (Wenn jemand den Lesern/Hörern den Mörder des Krimis verrät, ist das kein Verrat, wenn ein Komplize einen echten Mörder verrät, schon. Beachte auch die Verstärkung "Geheimnisverrat".)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.04.2014 um 12.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25608
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Wikipedia hat einen erstaunlich umfangreichen Eintrag zu "Whistleblower". Dort steht: "Der Begriff Whistleblower ist positiv besetzt, das negativ konnotierte Pendant ist Nestbeschmutzer." Und: "Der angloamerikanische Rechtsbegriff findet bislang keine exakte Entsprechung im Deutschen."
Ergänzend der noch längere Eintrag "Globale Überwachungs- und Spionageaffäre".
(Wikipedia erwähnt übrigens den "Anglizisten" (!) Anatol Stefanowitsch.)
Zu einer Synonymendifferenzierung wären noch "Denunziant" und "petzen" heranzuziehen.
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 15.04.2014 um 10.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25607
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Ein „Whistleblower“ ist ein „anonymer, vom Recht autorisierter“ Verpfeifer.
In vielen Firmen gibt es neu errichtete Anlaufstellen, wo Mitarbeiter bei zugesicherter Anonymität Hinweise auf vermutetes rechtswidriges Verhalten von Kollegen melden sollen, also etwa Bestechung von Kunden, um zu Aufträgen zu kommen. Zu diesem „whistleblowing“ wird dienstlich aufgefordert. Stellt sich heraus, daß jemand Mitwisser war und nichts gemeldet hat, muß er mit Konsequenzen rechnen.
Deutsch nennt man sowas eine anonyme Anzeige. So verstanden ist Snowden kein Whistleblower im eigentlichen Sinn, weil echte Whistleblower werden von ihren Organisationen geschützt.
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 14.04.2014 um 23.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25606
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Unter einem Enthüller verstehe ich jemanden, der etwas enthüllt. Nicht mehr und nicht weniger. Das kann auch ein Außenstehender sein, zum Beispiel ein Journalist (Enthüllungsjournalismus). Das Charakteristische am Whistleblower ist aber doch, daß er Interna an die Öffentlichkeit bringt. Jedenfalls ist das nach meinem Verständnis der entscheidende Aspekt. Wenn der wegfällt, ist das Wort im Deutschen allerdings überflüssig. (Wobei ich auch dann wahrscheinlich nicht »Enthüller« sagen würde, weil mir das zu sehr nach einer blutleeren Ad-hoc-Bildung klingt.)
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.04.2014 um 22.51 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25605
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Auf deutsch kann man jemanden eine Pfeife nennen, das Wort whistle (wie auch pipe) für einen Menschen gibt es aber nicht. Daher, so nehme ich an, hat whistleblower von vornherein nichts besonders Negatives, es wird dann höchstens aus seinem Tun geschlossen, je nachdem, welche Haltung man zum Offengelegten einnimmt.
Das Wort kommt vielleicht am nächsten jemandem, der etwas ausposaunt oder der ins Horn bläst, obwohl das Sprichwort eigentlich ins gleiche Horn blasen heißt. Oder einem Turmbläser, das waren mal Leute, die ihre Umgebung vor Gefahren gewarnt haben.
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 14.04.2014 um 17.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25604
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whistleblower = Enthüller
(So auch schon gelegentlich in einer Nachrichtensendung)
Etwas peinlich wirkt es auch, wenn jetzt ständig irgendetwas geleakt wird, anstatt daß es durchsickert oder jemandem gesteckt wird.
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Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 14.04.2014 um 09.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25600
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Dateien kann man natürlich sehr gut downloaden. Sieht nur blöd aus, wenn sie dann downgeloadet sind.
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Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 13.04.2014 um 20.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25596
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Im Niederländischen wird jemand, der interne Mißstände aufdeckt, klokkenluider (= Glockenläuter, Glöckner) genannt. Übrigens nicht nur in der Umgangssprache, sondern auch ganz offiziell. So gibt es etwa eine klokkenluidersregeling für Bedienstete der staatlichen Verwaltung.
Der »Enthüller« bedient sich also sowohl im Englischen (Pfeife) als auch im Niederländischen (Glocke) eines lauten Instruments, um die Außenwelt zu alarmieren. Das regt die Phantasie an. Bei Trommler schwänge wohl zu sehr die Konnotation »Werbung« mit. Vielleicht Trompeter?
Solange es an einer überzeugenden deutschen Entsprechung fehlt, wird man mit Whistleblower vorliebnehmen müssen. Das Wort hat immerhin einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: es ist eindeutig.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 13.04.2014 um 13.22 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25591
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Um Sachen herunterzuladen nimmt man meist einen Gabelstapler.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.04.2014 um 05.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#25588
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Man hat vorgeschlagen, Whistleblower durch Verpfeifer wiederzugeben. Ich weiß nicht, welche Konnotationen das englische Wort hat, das deutsche ist jedenfalls abwertend. Das Vorhaben, Snowden mit einem Ehrendoktor zu bedenken, dürfte sich kaum mit dem Verpfeifen begründen lassen. Er hat etwas aufgedeckt, enthüllt.
In den Wiener Sprachblättern, wo ich das Beispiel finde, wird auch der "Anglizismus" Download durch Herunterladen ersetzt. Sprachwissenschaftlich gesehen ist jedoch Herunterladen ein Anglizismus, während Download einfach englisch ist. Ich habe übrigens nichts gegen die Übersetzung, praktisch muß man aber ohnehin beide Ausdrücke kennen, sonst kommt man mit dem Internet nicht zurecht.
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 02.07.2013 um 07.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#23521
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Noch "klassischer" ist, wie jeder Jurist weiß, die Präsupposition in der Frage: "Haben Sie inzwischen aufgehört, Ihre Frau zu schlagen?", wenn nur ein "Ja" oder ein "Nein" als Antwort erlaubt ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.07.2013 um 05.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#23520
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Präsident Putin bot ihm nun Bleiberecht an, unter der Bedingung: Er darf den USA nicht weiter schaden. (www.dw.de 2.6.13)
So hat sich Putin bestimmt nicht ausgedrückt. Die klassische Präsupposition ("Wann hören Sie auf, Ihre Frau zu schlagen?") ist parteiische Zutat der Medien.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.07.2013 um 16.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#23518
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Der SPIEGEL-Titel lautet:
Allein gegen Amerika - Edward Snowden: Held und Verräter
Wieso gegen Amerika?
Bei der Rechtschreibreform haben wir doch auch nicht "gegen Deutschland" gekämpft. (Ich bitte um Verzeihung wegen des maßlosen Vergleichs.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.06.2013 um 17.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#23482
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Wenn man Fotos von den Spionagezentren in den USA und in England sieht, kann einem angst und bange werden, ebenso angesichts der mutmaßlichen Zahl der Geheimdienstler.
In der FAZ (25.6.13) beschreibt Matthias Rüb, mit welchem Trick die USA, wenn sie es geschickter angestellt hätten, die Auslieferung Snowdens hätten erreichen können: Sie hätten ihn zunächst nur wegen „Diebstahls“ (von Regierungseigentum) zur Fahnung ausschreiben können; dann hätte Interpol tätig werden können. In die USA „überstellt“, hätte er dann wegen Geheimnisverrats angeklagt werden können. Aber der Diebstahl ist doch mit dem Verrat ziemlich identisch, der Trick also leicht durchschaubar und im Grunde unwürdig. Warum sollten China oder Rußland jemanden ausliefern, der die Spionagetätigkeit der USA und Englands aufgedeckt hat? Die Empörung darüber, daß sie es nicht tun, wirkt künstlich. Daß Snowden in Länder geflüchtet ist, in denen die Menschenrechte nicht gewahrt sind, kann man ihm auch nicht verdenken. Die anderen, z. B. Deutschland, würden ihn wahrscheinlich umstandslos in die befreundeten USA überstellen. Übrigens kann er froh sein, wenn ihm nicht irgendwo auf der Welt eine Drohne auf den Kopf fällt.
Das Ganze erinnert ein bißchen an Assange, den man wegen sexueller Belästigung fangen wollte, obwohl es eigentlich um etwas ganz anderes und ebenso Gigantisches ging wie bei Snowden.
Einige Staaten mögen Gesetze haben, wonach es nicht nötig ist, die Ausgeforschten über das Ausmaß ihrer Ausforschung zu unterrichten. Ich finde aber, daß wir es wissen sollten. Snowden hat niemanden in Gefahr gebracht, und daß durch das weltweite Abhören bisher schon der eine oder andere Terroranschlag verhindert worden sei, ist bisher nur eine Behauptung.
Ein lesenswerter Artikel von Dan Ellsberg über Snowden ist schon vor zwei Wochen erschienen: www.guardian.co.uk
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2011 um 07.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#17669
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In der Silvesterausgabe legt Stefan Kornelius noch einmal nach:
In Schweden war Assange wegen zweier Sexualdelikte ins Visier der Ermittler geraten. Während der Internet-Aktivist von politischen Motiven für die Ermittlungen spricht, zeigen die schwedischen Ermittlungsakten, dass Assange zwei Frauen nach schwedischem Recht sexuell belästigt oder gar vergewaltigt haben soll.
Die Spatzen pfeifen von den Dächern, was Assange getan haben soll, dazu bedarf es keiner Ermittlungsakten, die im übrigen auch gar nichts "zeigen". Im ersten Satz werden die Delikte als Tatsachen behandelt. Daß es sich um den Vorwurf sexueller Belästigung handelt, war ja von Anfang an klar, und muß nicht aus Akten erschlossen werden. Der ganze Absatz ist verkorkst, er "zeigt" bloß die Abneigung des Verfassers gegen Assange. Fast fühlt man sich an Karl Kraus erinnert, der ja aus dem sprachlichen Scheitern auf moralisches Versagen schloß.
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Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 24.12.2010 um 17.40 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#17633
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Vielleicht steckt da ganz einfach nur der Futterneid des Investigativjournalismus dahinter. Wer läßt sich schon gern die besten Brocken wegnehmen?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.12.2010 um 16.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#17632
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Im gleichen Ton spricht Alex Rühle, ebenfalls in der SZ, von "Transparenzterror" durch Wikileaks.
Neulich beim Zahnarzt fiel mir eine Ausgabe der ZEIT von Anfang Dezember in die Hände. Der Haß auf Assange, den auch diese Zeitung pflegt, hat mich doch erstaunt. Vielleicht sind bessere Kenner der ZEIT erstaunt über meine Erstaunen ... Was sind das für Journalisten, die den "Transparenzterror" zum Teufel wünschen? Oder fürchten sie, daß sie selbst nicht mehr viel Interessantes zu sagen haben werden?
Übrigens ist die skandalöse Aufforderung der bayerischen Regierung an die Universitäten, die Studienbeiträge bis Jahresende doch bitte auszugeben, durch "Bayernleaks" bekannt geworden.
Es hat bisher kaum eine Enthüllung gegeben, für die man nicht dankbar sein müßte, und geschadet hat bisher keine, außer den wenigen "Schuldigen" natürlich.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.12.2010 um 09.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1377#17540
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In der SZ vom 8.12.10 wirft Stefan Kornelius dem Wikileaks-Gründer Assange vor, er schaffe „totalitäre Transparenz“. Das ist ein ziemlich neuartiger Gebrauch von "totalitär". Übrigens reden so die Republikaner in den USA. Assange sei ein "Hightech-Terrorist" (Senator McConnell). Dabei ist nicht einmal auszumachen, gegen welche Gesetze Assange verstoßen haben könnte, weswegen man sich nun bemüht, neue zu erfinden und rückwirkend anzuwenden. Mit solchem Eifer ist bisher nicht einmal Bin Laden gejagt worden.
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