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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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26.10.2010
 

Trüber Tag
„Regelungsgewalt“ für drei Euro

Ich werde verramscht.

Gestern sah ich im Ramschkasten vor der hiesigen Thalia-Buchhandlung das letzte Exemplar meiner "Regelungsgewalt" für drei Euro. Ich war am Boden zerstört. Dann heiterte ich mich wieder auf: Gleich daneben Wahrigs "Ein Wort – eine Schreibung" für zwei Euro!

In solchen Kästen sieht man ja jede Menge reformierte Rechtschreibbücher. Die Reform hat einen ungeheuren Berg von Papiermüll hinterlassen.

Eigentlich wollte ich mir bei Thalia die Studienausgabe von Sebastian Brants Narrenschiff kaufen. Aber wenn man denkt, die größte Buchhandlung am Ort hätte die ganze Reclam-UB vorrätig, irrt man sich gewaltig. Thalia ist Douglas, und dieser Konzern handelt ja hauptsächlich mit überteuerten schleimhautreizenden Chemikalien. Daß man da nicht viel mit dem Narrenschiff zu tun haben möchte, ist verständlich.

Ich habe das Buch dann bei einer kleineren Buchhandlung bestellt, wo ich sowieso besser bedient werde, zum Beispiel nicht endlos in der Nähe eines Informationstresens herumstehen und auf jemanden warten muß, der aussieht wie Personal, oft aber auch nur Kundschaft ist.



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Kommentare zu »Trüber Tag«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.01.2011 um 09.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#17779

Bei Thalia wird anscheinend die Atemluft künstlich beduftet, es riecht wie bei Douglas, was ja kein Wunder ist. Ich gehe manchmal rein und gucke mir ein Buch an, kaufe dann aber bei Amazon, wo ich wenigstens nasenmäßig geschont werde.
Bei unserem riesigen Thalia (saugt alle anderen Buchandlungen allmählich aus und auf) hängt noch der ehrwürdige Name "Palm & Enke" im Schaufenster, außerdem "Weihnachten steht vor der Tür".

Die interessanteste Buchhandlung war für mich Motilal Banarsidass in Delhi (Bungalow Road, Jawahar Nagar). Den langen Weg vom Südrand von Neu-Delhi in der Motorrikscha habe ich oft auf mich genommen, um dort zu stöbern. Da gab es Bücher, durch die Insektenlarven hindurchgewandert waren, von einem Ende des Regals zum anderen. Man wurde niemals angesprochen, aber wenn man einen Angestellten brauchte, war er leichter zu finden als heute bei Thalia, wo es gerade umgekehrt ist.

In den neueren Läden fand ich die ungeheuren Stapel von Shakespeare und anderen toten weißen Europäern interessant, besonders zur Zeit der jährlichen Prüfungen. Das machte sinnfällig, wie stark die koloniale Kultur doch noch nachwirkte.

In China beeindruckte mich die Menge an Raubdrucken. Das ist allerdings schon 24 Jahre her, vielleicht ist inzwischen das Copyright anerkannter.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.06.2013 um 08.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#23343

Wohin damit? Am besten zum "trüben Tag":

... Klatschgeschichten, welch Letztere dem Studierenden dieses Buches kein geringes Vergnügen bereiten ... (FAZ 4.6.13)

Die Großschreibung ist schlecht und der Studierende des Buches falsch. Aber die FAZ bildet sich viel darauf ein, gelegentlich rauh zu schreiben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.08.2013 um 06.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#23849

Ein Hotel schreibt an meine Frau:

Sehr geehrte Frau Ichler , vielen Dank für Ihre E-Mail . Also Frau O. hat 3 Standarteinzelzimmer Resrviert  . „ Einzelzimmer für Frau B. und Für Frau O. sind vom 15.08.13 -19.08.13 . Ein Einzelzimmer Ich gehe davon aus das es Ihres ist da ist kein Gastname uns mitgeteilt das zimer ist vom 15.08.13 -18.08.13 .
Wir freuen uns auf Ihren Besuch und szehen für weitere Fragen zur Verfügung .


(Ich habe nur die Namen unkenntlich gemacht.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2013 um 09.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24095

Friedrich Paulsen ist bei uns weitgehend vergessen. Ich habe als Student seine Geschichte des gelehrten Unterrichts mit Gewinn gelesen. Seine Einleitung in die Philosophie (1892) hat über 40 Auflagen erlebt. Ich habe die 17.–19. Auflage und möchte daraus einen Satz über Darwin zitieren:

„Die frühere Auskunft, welche die Arten der Tiere und Pflanzen durch eine von außen formende Intelligenz ursprünglich hervorgebracht werden ließ, ist damit als naturhistorische Theorie endgültig beseitigt, beseitigt nicht durch Widerlegung, sondern wie jede überlebte Theorie beseitigt wird: durch das Dasein der rechtmäßigen Nachfolgerin, der besseren Theorie.“ (S. 200)

Thomas Kuhn hat aus dem Halbsatz ein ganzes Buch gemacht und ist weltberühmt geworden ("Paradigmenwechsel").
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.09.2013 um 12.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24112

Zu Friedrich Paulsen noch ein Nachtrag: Seine Erinnerungen "Aus meinem Leben" sind 2009 in einer vollständigen Ausgabe erschienen, mit Anmerkungen der Herausgeber (Nordfriisk Instituut). Das umfangreiche und lesenswerte Werk ist auf die reformierte Rechtschreibung (Duden von 2006) umgestellt. "Nur bei der Großschreibung der von Eigennamen abgeleiteten Adjektive hält sie an der älteren Praxis fest, zumal diese auch Paulsens Gepflogenheiten entspricht." "In den zahlreichen Fällen, in denen Paulsen seine Satzgefüge durch Doppelpunkt gliedert, ist, sofern diesem ein vollständiger Satz folgt, durchweg die Großschreibung am Satzanfang durchgeführt, obwohl Paulsen selbst zumeist die Kleinschreibung benutzt." (Editorische Hinweise S. 516)

Dummer Paulsen, kluge Herausgeber!

Vielleicht wäre die Herausgabe sonst nicht durch die Regierung von Schleswig-Holstein gefördert worden? Ärgerlich bleibt es in jedem Fall.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2013 um 17.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24277

Von welcher Art die meisten Änderungen in Paulsens Autobiographie sind, kann man an folgendem Textstück sehen:

Die Großstadtmenschen sehen sich nur von weitem und kennen sich von der Oberfläche, sie wissen voneinander Namen und Titel, Stellung und Parteirichtung und derlei Äußerliches, aber die Wurzeln des Daseins des andern, die erreichen sie nicht und darum wissen sie auch von dem Innersten des persönlichen Lebens so wenig. Ich bin oft erstaunt gewesen, nach dem Tode eines Mannes, den ich jahrelang gekannt, den ich täglich gesehen hatte, aus seiner Biographie zu erfahren, wie wenig ich im Grunde von ihm gewußt hatte. Dagegen im Dorf weiß jeder vom andern, nicht bloß von gestern und vorgestern, sondern von Eltern und Großeltern her (...) (alt S. 55)

Die Großstadtmenschen sehen sich nur von Weitem und kennen sich von der Oberfläche, sie wissen voneinander Namen und Titel, Stellung und Parteirichtung und derlei Äußerliches, aber die Wurzeln des Daseins des Andern, die erreichen sie nicht und darum wissen sie auch von dem Innersten des persönlichen Lebens so wenig. Ich bin oft erstaunt gewesen, nach dem Tode eines Mannes, den ich jahrelang gekannt, den ich täglich gesehen hatte, aus seiner Biographie zu erfahren, wie wenig ich im Grunde von ihm gewusst hatte. Dagegen im Dorf weiß jeder vom Andern, nicht bloß von gestern und vorgestern, sondern von Eltern und Großeltern her. (neu S. 62)

Also hauptsächlich von Weitem und der Andere. Außerdem oft die neue Großschreibung nach Doppelpunkt, was oft schon ein deutlich spürbarer Eingriff in den vom Verfasser gestifteten Zusammenhang ist. Und dafür macht man sich die Mühe, den ganzen Text umzuarbeiten!
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 27.10.2013 um 19.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24281

Das Umarbeiten ist ein Knopfdruck. Die Software ändert den Text automatisch. Deshalb wirkt es oft auch inkonsequent. Die Software ändert eben nur, wofür sie programmiert ist; Rechtschreibregeln und der Sinn des Textes sind ihr egal.
Einer Software die Geßler-Hüte der Reform beizubringen, ist kein Problem (und auch nur einmal Arbeit für etliche Texte); schwierige Einzelfälle werden einfach weggelassen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.10.2013 um 09.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24312

Ich bin nicht sicher, ob das alles per Knopfdruck möglich ist. Aber ich will noch eine Stelle anführen, die aus anderen Gründen interessant ist

"Meine erste Schule ist mir noch ganz gegenwärtig. In einem großen Raum war die ganze Schülerschar beisammen, von kleinen Kindern bis zu halberwachsenen Burschen und Mädchen: es galt bei uns in Schleswig-Holstein die Ordnung, daß Mädchen erst mit fünfzehn, Knaben mit sechzehn Jahren konfirmiert wurden und die Schule verließen. Die Einteilung der Gesamtheit in eine Ober- und Unterklasse war durch einen breiten Gang markiert, der den Raum halbierte. In der Oberklasse saßen wohl etwa 40–50 Knaben und Mädchen, nach Bänken getrennt, in der Unterklasse mochten 60–80 sein, Knaben und Mädchen in den Bänken durcheinander. So im Winter, im Sommer schmolz die Zahl auf die Hälfte und weniger zusammen. Der Unterricht geschah in der Weise, daß der Lehrer sich bald der einen, bald der andern Klasse widmete, meist natürlich der Oberklasse; währenddessen beschäftigte sich die andere Klasse still für sich, die Oberklasse z.B. mit Rechnen oder Schreiben, die Unterklasse vor allem mit Lesenlernen. Das Lesenlernen war damals noch eine ungemein schwierige Kunst, deren Erlernung in der Schule nach der alten Methode jahrelang in Anspruch nahm und von manchem, bei unregelmäßigem Schulbesuch war es fast Regel, nie zu einiger Sicherheit gebracht wurde. Die Übung geschah in der Weise: es wurden Tabellen an Gerüsten, die an den Tischen befestigt waren, aufgestellt; je zwei oder drei Schüler hatten, mit einem »Untergehülfen« als Lehrer, der einen Stock als Zeiger in der Hand hielt, eine zusammen. Zuerst eine Tabelle mit den Buchstaben; dann kamen Syllabiertabellen, a–b: ab, b–a: ba usw.; endlich Tabellen mit Wörtern: a–p: ap, f–e–l: fel, Apfel. Hatte sich einer in ein, zwei Jahren, es konnten aber auch drei oder vier und mehr werden, durch die Tabellen durchgearbeitet, dann kam er in den Katechismus, zuerst den kleinen, hierauf den großen, um nun endlich die Frucht der Lesekunst zu genießen: das Auswendiglernen.
Ich konnte schon lesen, als ich zur Schule kam, und so fiel mir bald die Rolle des Untergehülfen zu: ich hab manche Stunde Jungen, die doppelt so alt waren, auf der Tabelle, mit dem Stab da- und dorthin zeigend, buchstabieren und syllabieren lassen, nicht immer ein dankbares oder angenehmes Geschäft: ein wenig Mißstimmung gegen den jugendlichen Besserwisser regte sich nicht selten, und sie wurde dadurch nicht geringer, daß mich der Lehrer wohl als rühmliches Vorbild hinstellte, wie es denn mit seiner pädagogischen Weisheit nicht immer zum besten bestellt war."
(Paulsen 81f.; Neuausgabe 87)

Die wichtigsten Änderungen (außer ss) sind: halberwachsenen > halb erwachsenen (!), es galt > Es galt, es wurden > Es wurden, Untergehülfen > Untergehilfen, zum besten bestellt > zum Besten bestellt.

Nun zum Inhalt. Der Abschnitt enthält ein vernichtendes Urteil über die damals übliche Methode der Alphabetisierung. Was Paulsen leider nicht erzählt: Wieso konnte der fünfjährige Friedrich schon lesen, und wie hatten es ihm die Eltern beigebracht? Wäre DIESE Methode nicht die allerbeste? Meine eigenen drei Töchter konnten auch schon lesen, als sie in die Schule kamen (obwohl der hiesige Kindergarten versuchte, es zu hintertreiben, um der Schule nicht vorzugreifen...). Sie wollten es unbedingt können, und folglich konnten sie es auch. Das wird in unzähligen Familien so sein, aber in der Grundschulpädagogik wird es kaum je erwähnt, vielleicht weil es so ein Affront ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.11.2013 um 05.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24326

Noch zur Neuausgabe von Paulsen:

Ein Doppelpunkt ist nicht dasselbe wie ein Punkt, das respektieren die Bearbeiter immerhin. Aber ein Doppelpunkt mit folgender Großschreibung ist auch nicht dasselbe wie ein Doppelpunkt mit folgender Kleinschreibung, und darüber setzen sie sich hinweg – im Namen einer Neuregelung, deren Minderwertigkeit allen Gebildeten bekannt ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.11.2013 um 07.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24357

Das 19. Jahrhundert brachte den Anfang vom Ende der traditionellen „Bildung“ als Zugehörigkeit zu einer Zitier- und Anspielungsgemeinschaft. Das kann man an Friedrich Paulsen sehen, der dazu beitrug, das Monopol des humanistischen Gymnasiums zu brechen. Die Geringschätzung der Naturwissenschaften kam drastisch in der Marginalisierung der zuständigen Lehrkräfte zum Ausdruck. (Alle Klassenlehrer an Paulsens Gymnasium waren Altphilologen, in priesterliches Schwarz gekleidet.)

Ausgestanden ist der Kampf bis heute nicht, obwohl jeder weiß, daß Naturwissenschaften, Technik und Handel die Grundlagen unseres Lebens sind. Das Feuilleton wird von der Belletristik beherrscht, Naturwissenschaft nur in bekömmlicher Dosierung zugelassen (bloß keine Formeln!). Alle Gebildeten haben etwas Infinitesimalrechnung gelernt, aber sie wird niemals erwähnt, das ist ein noch größeres Tabu als Religionskritik. Kein anderes Schulfach wird, obwohl zum unverzichtbaren Kern des Abiturkanons gestellt, derart abschätzig behandelt: gut für einige wenige Spezialisten, aber sonst vollkommen überflüssig und so schnell wie möglich wieder zu vergessen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 10.11.2013 um 22.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24359

Nicht zu vergessen das Rechtswesen, von dem im Gymnasium in aller Regel nichts vermittelt wird, obwohl ein nicht unbeträchtlicher Teil der Abiturienten später Jura studieren wird. Der Rest wird ins Leben entlassen, ohne zu wissen, was auch nur der Unterschied zwischen BGB und StGB ist.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 10.11.2013 um 23.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24360

Nein, das ist Teil des Politik-Unterrichts. Da werden auch die Rechtsprinzipien vermittelt und die Wurzeln in Rom usw.
Napoleons Code civil wird im Geschichtsunterricht behandelt und als Vorbild für das BGB vorgestellt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.11.2013 um 04.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24362

Da haben Sie aber Glück gehabt, Herr Mahlmann! Weder ich selbst noch meine Kinder haben von diesen Dingen etwas gehört.

Ich habe erst später angefangen, mich für Rechtssprache und Rechtsphilosophie zu interessieren, natürlich auch praktische Erfahrungen mit Mietverträgen und als Opfer eines Raubüberfalls gemacht...

Ich wollte übrigens auf ein etwas anderes Problem hinweisen: nicht auf Lücken im Lehrplan, sondern im Gegenteil auf sehr hoch geachtete Fächer allgemeinbildender Schulen, die gleichwohl in der sogenannten Allgemeinbildung überhaupt nicht mehr vorkommen. (Also die "zwei Kulturen", wie gehabt.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.11.2013 um 14.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24363

Aber die Geisteswissenschaften! Wir lesen:

"Die Geisteswissenschaften wirken mit bei der Gestaltung der Zukunft und sichern die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, die ein Zusammenleben orientiert an gemeinsamen Werten erst möglich machen. Sie leisten einen Beitrag zum kulturellen Gedächtnis und ermöglichen die Übersetzung zwischen Kulturen ebenso wie die Verständigung über Orientierungspunkte in den Teilbereichen der Gesellschaft. In der Wissenschaft selbst sind die Geisteswissenschaften gefordert, angesichts hochgradig differenzierter Wissensbereiche Zusammenhänge herzustellen und zur ganzheitlichen Integration von Wissen beizutragen. Sie sind damit ein unentbehrliches Element in der Entwicklung zur Wissensgesellschaft. Darüber hinaus tragen die Geisteswissenschaften wesentlich zur Internationalisierung von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft bei und sind mit ihrem spezifischen Fachwissen bei diesem Prozess unerlässlich."
(www.bmbf.de/foerderungen/13462.php)

Oder einfacher:

„Sinnstiftung war und ist nun einmal das Geschäft der Geisteswissenschaften.“ (Gregor Schöllgen: Dienstleister. Von den Aufgaben der Geisteswissenschaften in der modernen Welt. Erlanger Universitätsreden 70/2007. 3. Folge, S. 11)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.11.2013 um 05.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24369

Hier ein weiterer marktschreierischer Text aus der Ecke der sogenannten Geisteswissenschaften (von denen es ja auch ein vielberedetes "Manifest" gibt):

Interdisziplinäres Zentrum Literatur und Kultur der Gegenwart
 
Zielsetzung und Gegenstandsbereich
In den letzten Jahren sind die orientierenden Leistungen geisteswissenschaftlicher Forschung immer wieder neu hervorgehoben worden. Gerade angesichts hochkomplexer Strukturen im Bereich der Literatur und Kultur kommt ihnen eine Funktionsvielfalt zu, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Sie bieten Zugänge zum Verständnis der Gegenwart, eröffnen kritische Perspektiven auf aktuelle Entwicklungen in den Naturwissenschaften und begleiten nicht zuletzt die politischen Entwürfe der Zukunft.
Durch ihre engen Verflechtungen mit den Bereichen der Hermeneutik, der Philosophie, Theologie und der Ethik bieten Literatur- und Kulturwissenschaft ein unverzichtbares Korrektiv zu einer Weltsicht, die sich mitunter allzu stark von kommerziellen und technischen Leitbildern lenken läßt.
Bereits der Fakultätsentwicklungsplan der Philosophischen Fakultät II aus dem Jahre 2003 ließ klar erkennen, dass in Fächern wie Anglistik und Amerikanistik, Germanistik, Romanistik, Slawistik, Islamwissenschaften und Sinologie, den Theater- und Medienwissenschaften, um nur einige zu nennen, die Literatur und Kultur der Gegenwart eine herausragende Rolle spielt: Ähnliches gilt für die Theologie, die Soziologie oder die Pädagogik. Es liegt also nahe, die vielfältigen bereits bestehenden Forschungsinitiativen mit einem klaren Bewusstsein für synergetische Effekte zu bündeln und sie durch die Verbesserung der Kommunikation zwischen den Disziplinen zu optimieren.


Ein Bauchladen voller Mode- und Fahnenwörter. Man beachte u. a. das Wort angesichts, das auch im vorigen Text vorkommt und den ratlosen Verfassern dazu dient, eine vage Verbindung herzustellen. Was die verbundenen Gegenstände im einzelnen miteinander zu tun haben, soll sich der Leser selber denken.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 12.11.2013 um 07.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24370

Als marktschreierisch würde ich den Text nicht bezeichnen, höchstens als ziemlich ungelenk formuliert. Manches ist sogar grammatisch bzw. semantisch grenzwertig oder einfach falsch, z.B.:

Gerade angesichts hochkomplexer Strukturen im Bereich der Literatur und Kultur kommt ihnen eine Funktionsvielfalt zu, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

"ihnen" bezieht sich entweder auf "die orientierenden Leistungen" oder "geisteswissenschaftlicher Forschung". Ersteres wäre sinnlos, aber wenigstens grammatisch korrekt. Sollte die Forschung gemeint sein, was naheliegt, handelte es sich um einen Grammatikfehler, der auch fortgesetzt wird. Außerdem: Kann eine "Funktionsvielfalt" "zukommen"? Hier würde man doch ein Wort wie "Bedeutung" vermuten.

Schön auch:

Es liegt also nahe, die vielfältigen bereits bestehenden Forschungsinitiativen mit einem klaren Bewusstsein für synergetische Effekte zu bündeln und sie durch die Verbesserung der Kommunikation zwischen den Disziplinen zu optimieren.

Auf deutsch: Es liegt also nahe, die vielfältigen bereits bestehenden Forschungsinitiativen zu bündeln und die Kommunikation zwischen den Disziplinen zu verbessern. Wie so häufig dienen die Fremdwörter nur dazu, Redundanzen zu verschleiern und den Text aufzublähen.

Orthographisch ist man immerhin dank "dass" und "läßt" schon "interdisziplinär", und wieso hinter "Rolle spielt" ein Doppelpunkt steht, wissen die Verfasser wohl selbst nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.11.2013 um 10.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24372

Die Verfasser zählen – für meine Begriffe gigantomanisch – Wünschbares auf und behaupten oder suggerieren, sie könnten es auch leisten. Das ist ebenso bei den Bildungsstandards.

Dazu noch einmal Jürgen Kaube:

„Man kann Eltern nur empfehlen, im Internet einmal die sogenannten Rahmenpläne für den Unterricht in ihrem Bundesland anzuschauen. Das dortige Ausmaß an geschwollenen Formulierungen (‚Kompetenzbereich Aktiv Zuhören‘), an den Tatbestand des groben Unfugs erfüllenden Empfehlungen (‚Schüler nutzen Ideencluster und eine Mind-Map zur Strukturierung ihres Redebeitrags‘, Deutsch, 7. Klasse) und an phantastischen Zielsetzungen (‚Die Schüler reflektieren und bewerten wichtige Verhaltensmuster in der Pubertät‘, Biologie, 8. Klasse) stellt jedes noch so korrekturbedürftige Schulbuch an Absurdität weit in den Schatten.“ (FAZ 1.10.07)

Bei den Projekttexten handelt es sich meistens um Auszüge aus der Antragsprosa, mit der DFG-Geld lockergemacht werden soll. Ich hatte auch schon mit Gutachterei zu tun (nicht mit dem hier Angeführten, wohlgemerkt). Es ist eine furchtbare Angeberei, daher meine Einschätzung als marktschreierisch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.01.2014 um 16.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24905

„In seiner Wirkungsästhetik formulierte Iser die Theorie, dass ein literarischer Text seine Wirkung erst im Akt des Lesens entfaltet. Dadurch wertet Iser den Leser gegenüber den beiden Instanzen Autor und Text erheblich auf, da nun der vom Autor geschaffene Text seine Wirkung niemals ohne einen Leser entfalten kann.“ (Wikipedia über Wolfgang Iser)

Hätten Sie's gewußt? Solange ein Buch im Regal steht, kann es nicht wirken – auf den Leser nämlich, auf wen sonst?

Übrigens gibt Wikipedia die Hauptthese der "Wirkungsästhetik" oder "Rezeptionsästhetik" durchaus zutreffend wieder. Das braucht man alles nicht zu lesen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 22.01.2014 um 20.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24906

Nein, das ist eine Travestie, wie man schon an dem unsinnigen »nun« erkennen kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2014 um 04.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24907

Unsinnigkeit ist kein Beweis.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 23.01.2014 um 11.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24917

Es ist auch schwierig nachzuweisen, was Iser nie gesagt oder geschrieben hat. Natürlich war es immer schon bekannt, daß »der vom Autor geschaffene Text seine Wirkung niemals ohne einen Leser entfalten kann«. Daß Iser unsinnigerweise für sich in Anspruch genommen habe, diesen Zusammenhang überhaupt erst entdeckt oder hergestellt zu haben, müßte anhand seiner eigenen Veröffentlichungen belegt werden und nicht aufgrund dessen, was ihm irgendwo nachgesagt wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2014 um 14.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24918

Immerhin sagt Iser wieder und wieder, "daß ein Text überhaupt erst zum Leben erwacht, wenn er gelesen wird." Und: "Bedeutungen literarischer Texte werden überhaupt erst im Lesevorgang generiert." So falsch war also die Wiedergabe seiner Thesen nicht. Er schreibt zwar nicht so pathetisch wie Jauß, aber immer noch unklar genug, und die Mystifikation des "Lesevorgangs" führt nicht weiter.
"Indem das Lesen den Text durch Vorgriff und Rückkoppelung entfaltet, gewinnt es den Charakter des Geschehens; dieses vermittelt sich in dem Eindruck der Lebensnähe." Das Lesen gewinnt den Charakter des Geschehens! Was ist denn damit gewonnen? "Die Verstrickung bedeutet, daß wir uns dem Text gegenwärtig machen müssen, wodurch unsere Orientierungen für die Dauer der Lektüre zumindest zur Vergangenheit werden. (...) Das Lesen zeigt insofern die Struktur der Erfahrung, als in der Lektüre erst die suspendierte Geltung der uns beherrschenden Ansichten die Bedingung dafür abgibt, die unvertraute Welt des literarischen Textes erfahren zu können. In diesem Falle aber geschieht etwas mit uns." - "Der Sinn des Werks hat damit selbst den Charakter des Geschehens und da wir dieses als das Bewußtseinskorrelat des Textes erzeugen, erfahren wir dessen Sinn als Wirklichkeit." Usw. - Ich kann nicht mehr!
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 23.01.2014 um 15.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24919

Die erstgenannte Aussage ist eine Selbstverständlichkeit und bezeichnet bei Iser daher auch nur einen Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Was steht in der Wikipädie über Newton – daß er der erste war, der feststellte, daß Äpfel von Bäumen fallen? Wie man die Gadamerismen bei Iser beurteilen möchte, ist eine ganz andere Frage.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.01.2014 um 07.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24975

Jürgen Kaube berichtet über eine Tagung, die dem Rückblick auf die Gruppe "Poetik und Hermeneutik" gewidmet war. Mir fiel der knappe Satz auf: "Odo Marquard verstimmte durch Dauerheiterkeit.“ Das kann ich mir genau vorstellen.

In einer Würdigung hieß es vor zehn Jahren:

Vor einigen Jahren erlitt Marquard einen Schlaganfall. Seitdem befindet er sich in der Genesungsphase, die von gelegentlichen Vorträgen unterbrochen wird.
(Criticón 181/2004)

Das liest sich ziemlich komisch.

Noch eine Fußnote zu "Poetik und Hermeneutik": Ein Mitglied der ersten Stunde sagte vor etwa 25 Jahren zu mir: Die Forschungsgruppe hat den richtigen Zeitpunkt verpaßt, sich aufzulösen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.05.2014 um 06.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#25892

In der FAS vom 25.5.14 steht ein ganzseitiger Artikel von Markus Günther: „Nur noch Analphabeten.“ Untertitel: „Die Welt von morgen braucht keine Menschen mehr, die lesen und schreiben können. Das Ende der Schriftkultur hat längst begonnen.“
Günther erinnert daran, daß es schon Apparate gibt, die Gesprochenes in Schrift umwandeln, und daß am anderen Ende Schriftliches von Apparaten vorgelesen werden kann. Na und? Das Telefon macht das sogar ohne den Umweg über die Schrift.
„Man muss weder Marxist noch Volkswirt sein, um zu verstehen, dass der Kapitalismus an gebildeten Menschen kein Interesse haben kann.“
Ja, das sind die bekannten Schlotbarone usw., die nur an einer industriellen Reservearmee interessiert sind. Dazu muß man eben doch Marxist sein, wenn auch kein Volkswirt. Aber ist es denn wirklich so, wie das Konstrukt es fordert? Zum Beweis: „Noch heute liegt die Quote [der Alphabetisierten] in Bangladesch bei nur 47 Prozent – die Produktion unserer Textilien läuft dennoch dort wie am Schnürchen.“ Streben unsere Unternehmer wirklich an, hierzulande zu Billiglöhnen Billigtextilien herzustellen, eine europäisches Bangladesch?
Sonst noch Argumente? Instruktive Videos können manche dickleibige Bedienungsanleitung ersetzen oder wenigstens ergänzen, das ist auch nichts Neues. Schon immer haben manche Menschen sich lieber zeigen lassen, wie es geht, statt in einem Handbuch nachzulesen.
Die Sorgenkinder unserer Wirtschaft sind die Ungebildeten, erst recht die Analphabeten. Andererseits: den perfekt Ausgebildeten und zugleich Ungebildeten, der also nur Hightech zusammenschrauben kann und sonst nichts von der Welt weiß, halte ich für ein Phantom. Wir müssen vielleicht unseren herkömmlichen Bildungsbegriff überdenken, aber Schreiben und Lesen sind auf absehbare Zeit nicht wegzudenken, im Gegenteil.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 26.05.2014 um 13.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#25895

Ich habe schon lange den Verdacht, daß inzwischen mancher glaubt, Analphabeten sei eine fromme Art der Empfängnisverhütung.

http://www.youtube.com/watch?v=ZdtOS5GakjA
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.12.2014 um 17.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#27653

Derselbe Markus Günther schrieb im Herbst für die FAS einen Aufsatz über die Liebe als Ersatzreligion. Der fromme Katholik, der am 28.12. ebd. auch einen schlechten Artikel über die Lage der Kirchen verfaßte, setzt also voraus, daß die Religion das Gegebene ist und daß erst, wenn es damit nicht mehr klappt, nach Ersatz gesucht wird. Origineller wäre es, die Religion als Ersatz für Liebe zu deuten. Aber Günther meint ja: Die Frage nach dem Woher und Wohin, die Frage nach Gott ist im Menschen angelegt. (...) Vielleicht steht sich der Mensch von heute mit seiner aufgeklärten Schlauheit auch manchmal selbst im Weg.“ (aus dem neueren Text) Wer nicht nach Gott fragt, kommt bei dieser von Schleiermacher und anderen Frömmlern bekannten Apologetik schlecht weg, er ist entartet.
Im Liebesaufsatz schreibt er: Erlösung - das heißt: die Befreiung des Menschen aus den Fesseln der conditio humana - kann es nicht durch einen anderen Menschen geben. Nein, Erlösung heißt immer noch Befreiung von der Erbsünde, das weiß er ganz genau, will es aber nicht so konfessionell ausdrücken, um nicht für die Mehrheit der Leser unverständlich zu sein, und deshalb greift er zu der verschwiemelten Befreiung aus den Fesseln der conditio humana. Welche Conditio ist das denn? Wer erlöst uns von diesem pseudointellektuellen Geschreibsel? Übrigens endet er mit Erich Fromm und "Narzissmus", das paßt ja immer.

Auf den Liebesaufsatz haben Schüler und Schulklassen reagiert, und ihre im Netz veröffentlichten Antworten sind klüger, maßvoller und sympathischer als der Originaltext.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.03.2015 um 04.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#28420

Zum Absturz des Airbus 320: Die vielen Seiten und Sendebeiträge mit Spekulationen über die Absturzursache sind binnen einer Sekunde hinfällig geworden. Nun füllen sie sich mit Spekulationen, "warum Menschen andere in den Tod reißen". Jede Zeitung befragt ihren Regionalpsychologen. Bisher vermisse ich die "narzisstische Persönlichkeitsstörung".
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 27.03.2015 um 14.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#28428

Lieber Herr Ickler, die Hamburger Morgenpost läßt Sie nicht länger zappeln: http://www.mopo.de/panorama/psychiater-ueber-andreas-l–-der-selbstmoerder-war-ein-narzisst-,5066860,30230902.html
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.03.2015 um 15.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#28429

Soll man da lachen oder weinen? Man kann nur hoffen, niemals selbst in die Hände solcher Experten zu fallen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.03.2015 um 17.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#28431

Das Geschwätz der Seelenklempner soll in diesem Fall den Umstand verschleiern, daß die Behandlung mit Antidepressiva – wie schon oft bei sogenannten Amokläufern festgestellt – das eigentliche Problem ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2015 um 08.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#28553

„Die Tat einer narzisstisch gekränkten Person“ (Psychiaterin Prof. Isabella Heuser, ebenfalls von der Charité, über den Flugzeugabsturz)

Auch diese Psychiaterin kennt den Piloten nicht, er war kein Patient, aber das hindert sie natürlich nicht an einer Diagnose.

Man kann die Fachleute auch in Videos daherreden sehen, hohe Schauspielkunst.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.04.2015 um 09.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#28554

„Eltern-Lob macht Kinder narzisstisch
(...)
Zwischen den beiden verwandten Persönlichkeitsmerkmalen Selbstwertgefühl und Narzissmus existiert ein grundlegender Unterschied: Menschen mit einem hohen Selbstwertgefühl wissen, dass sie genauso gut sind wie andere, Narzissten halten sich meist für besser. Laien wie Experten spekulieren schon lange darüber, wie es zu dieser übersteigerten Selbstliebe kommt. Das ist keine rein akademische Frage, denn übertriebener Narzissmus ist nach Ansicht vieler Experten in westlichen Gesellschaften auf dem Vormarsch – und mit ihm auch eine höhere Neigung zu Aggression und Gewalt.“ (spektrum.de 9.3.15)

Aber die Islamisten sind doch auch narzißtisch?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.05.2015 um 05.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#28877

Die Nachrufe auf Odo Marquard klingen bei allem genretypischen Lob auch ein wenig säuerlich. Jürgen Kaubes Spott (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24975) ist abgemildert, aber nicht ganz unterdrückt: „Überhaupt Marquards Formulierungen. Manchen mögen sie fast zu zwangsläufig stets auf einen Scherz hinausgelaufen sein.“ (FAZ 13.5.15) Jeder zitiert Marquards Bestimmung der Aufgabe der Geisteswissenschaften: Inkompetenzkompensationskompetenz. Es ist nicht ganz leicht, durch die Witzigkeit hindurch zur Sache vorzudringen: Welcher Sprachwissenschaftler oder Historiker zum Beispiel würde sich diese therapeutische Aufgabe wirklich auf die Fahne schreiben wollen? Ich kenne keinen, der nicht etwas herausfinden und keineswegs Sinn stiften wollte.

Wenn es Odo Marquard aber ernst damit war, die „Leichtigkeit als Form“ anzusehen, die Menschen brauchen, um sich selber auszuhalten“, darf man getrost noch einmal seine Anekdote von dem chinesischen Henkerwettstreit erzählen, in der nach einer ersten, perfekt anmutenden Enthauptung der zweite Finalist antritt. „Es herrschte Spannung, Mit scharfer Klinge führte er seinen Streich. Jedoch der Kopf des zu Enthauptenden fiel nicht, und der also scheinbar noch nicht enthauptete Delinquent blickte den Henker erstaunt und fragend an. Drauf dieser zu ihm: Nicken Sie mal.“ Marquard interessierte, „was dieser Kopf denkt, bevor er nickt; denn das müsste doch Ähnlichkeit haben mit Gedanken der Philosophie über sich selbst“. (Tagesspiegel 12.5.15)

Witziger ist das deutsche Original, Friedrich Haugs „Richtszene“.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.10.2015 um 06.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#30343

Früher habe ich es als lästig empfunden, daß etwa bei Thalia die Verkäuferinnen schwerer zu finden waren als die Bücher, genauer: daß man schon zehnmal an ihnen vorbeigelaufen war, weil sie in den Regalen stöbernd wie Kundinnen aussahen. Außerdem waren sie oft noch ahnungsloser, so daß ich ihnen oft schon zeigen mußte, wo die Bücher stehen und wo sie hingehören. Inzwischen gefällt es mir so, ähnelt es doch immer mehr dem annehmlichen Einkaufen im Internet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2016 um 12.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#31668

Ich weiß im Augenblick nicht, ob ich zu Paulsen/Kuhn (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24095) auch dies irgendwo zitiert habe:

Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vorneherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist. (Max Planck 1949)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 16.02.2016 um 12.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#31675

Max Planck ist schon 1947 gestorben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.02.2016 um 14.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#31676

Das stimmt, ich hätte meine bibliographische Angabe besser als solche kennzeichnen sollen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.07.2016 um 09.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#32809

Der Mensch ist ein Tier – jenes nämlich, das Sprache hat. So lautet Aristoteles’ berüchtigte Definition, die bis heute wirkmächtig geblieben ist, obwohl sie zunächst recht seltsam klingt: (eine) Sprache haben – als ob die kommunikativen Fertigkeiten in Fragen von Besitzverhältnissen aufgingen! (Hartmut von Sass in ders., Hg.: Stille Tropen. Freiburg 2013:9)

haben bezeichnet, auch im Griechischen, nicht nur Besitz, sondern jede Art von Zugehörigkeit, daher ist schon die Voraussetzung der folgenden Geistreichelei falsch. Darum hat auch, soweit ich weiß, bisher niemand die Definition des Aristoteles als „berüchtigt“ bezeichnet. „Sprache“ (logos) wird zugleich als „Vernunft“ o. ä. verstanden, daher lat. dann animal rationale. An der Annahme der Vernünftigkeit kann man dann wieder Kritik üben, aber das macht die schlichte Feststellung des Aristoteles nicht „berüchtigt“.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.08.2016 um 05.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#33197

Zur bevorstehenden unvermeidlichen Heiligsprechung der "Mutter Teresa" schreibt der schon erwähnte Markus Günther einen besonders ungründlichen Artikel in der FAS. Das Buch des verstorbenen Christopher Hitchens ("Hell's Angel") "wirft womöglich mehr Fragen über ihn auf als über sie." Wieso denn? Hitchens sagt doch immer klar und deutlich, was er meint und warum. Aber Günther ergeht sich auf einer ganzen Seite in der bekannten Art, mit der auch die Homöopathie oder Graphologie oder Rechtschreibreform behandelt zu werden pflegt: Man verschweigt die Kritik keineswegs, läßt aber dann doch alles in der Schwebe – immer hübsch objektiv und "wissenschaftlich".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.12.2016 um 05.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#34033

Kürzlich hat die Gesellschaft für deutsche Sprache unter dem Motto "Ziemlich alles muss raus" Tausende von Büchern zum Kauf angeboten, darunter auch welche von mir (http://gfds.de/wp-content/uploads/2016/11/D_GfdS-Bibliothek-24.11.pdf), offenbar nicht ahnend, welchen unermeßlichen Wert sie bei so kleiner Auflage eines Tages haben könnten.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 07.12.2016 um 10.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#34038

Es sollte wohl eher »So ziemlich alles muß raus« heißen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2017 um 15.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#34547

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24363

Das Feuilleton berichtet, Churchill sei keinem „blinden Wissenschaftsglauben“ verfallen, sondern habe im Blick behalten, „dass naturwissenschaftliches Wissen immer auch der einordnenden Ergänzung durch die Geisteswissenschaften bedarf.“ (FAZ 17.2.17)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.02.2017 um 06.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#34591

Die Geisteswissenschaften zeigen den Naturwissenschaften, wo es langgeht, bedürfen aber auch selbst der Orientierung. Laut Daniel Deckers sollte die Theologie „aus ihren Traditionen heraus Geistes- und Naturwissenschaften mit Orientierung- und Handlungswissen bereichern.“ (FAZ 25.2.17) Die Theologie ist und bleibt die Königin der Wissenschaften.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.02.2017 um 11.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#34592

Man trifft immer wieder Geisteswissenschaftler, die orientierungslos sind; das liegt dann aber unweigerlich an der Stellensituation.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.03.2017 um 06.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#34639

Gleich zweimal nacheinander an derselben Stelle polemisiert Daniel Deckers in der FAZ gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Freigabe von suizidgeeigneten Medikamenten. Gestern hatte er die "Werteordnung des Grundgesetzes" auf den Kopf gestellt gesehen, aber es haben sich so viele Leser gemeldet, die ihm eine Verwechslung mit der Moral seiner katholischen Kirche vorrechneten, daß er es gleich heute noch einmal etwas säkularer versuchen muß. Nun unterstellt er, das Gericht habe die "rasanten Fortschritte der Palliativmedizin" vielleicht wissentlich ignoriert. Wahrscheinlich melden sich bald Palliativmediziner und waschen ihm den Kopf. Das alles hat wenig Niveau. Die Ressorts sind sehr ungleich besetzt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.09.2017 um 06.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#36204

Die FAZ berichtet ausführlich über ein graphologisches Gutachten, das ein Helmut Ploog zum handgeschriebenen Wahlkampf-Brief von Martin Schulz angefertigt hat. Die angewandte Küchenpsychologie ist an sich schon indiskutabel, erst recht aber ein Gutachten, dessen Verfasser weiß, wer den Text geschrieben hat. Für Eigenschaften eines Schreibers, die man anderweitig kennt oder zu kennen glaubt, lassen sich in der Handschrift immer „Belege“ finden.
Die Medien sollten Pseudowissenschaften nicht unkommentiert zu Wort kommen lassen. In diesem Fall erledigt es sich allerdings von selbst, wie auch die Leser erkennen: „Er wäre ein belastbarer Kanzler, solide und berechenbar.“ Usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.11.2017 um 04.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#37037

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24357

die Gebildeten unter den polnischen Rechten

Eine unauffällige Wendung, die auch spontan gebildet worden sein könnte; sie ist es aber selbstverständlich nicht, sondern spielt auf Schleiermachers Text an, auch wenn die meisten nur den Titel kennen dürften.

Bei manchen Titeln glaubt man schon zu wissen, was der Text enthält, und liest ihn gar nicht erst. Bei Schleiermacher trifft die Vermutung zu. Andererseits glauben viele, z. B. Konrad Adam, zu wissen, was Skinners "Jenseits von Freiheit und Würde" enthält, irren sich aber und lassen sich etwas entgehen, anders als im ersten Fall.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.01.2018 um 07.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#37597

Die Hälfte der Schlagzeilen und Nachrichten sind Unsinn von der Art jenes abgedeckten Scheunendachs in Texas. Heute morgen sollen wir uns über eine amerikanische Mutter empören, die ihrer fünfjährigen Tochter 5 $ Miete abknöpft. Auch abstimmen kann man darüber. (Wie man sich denken kann, zahlt die Mutter 7 $ Taschengeld und überweist davon 5 auf ein Sparkonto für die Kleine. In vielen Familien werden mehr oder weniger lustige Taschengeldmodelle ausprobiert; davon könnten wohl viele etwas erzählen.)

Wir werden Tag für Tag implizit für unzurechnungsfähig erklärt. Warum wird uns nicht die Wahlberechtigung entzogen?

Zum Dieselverbot: Laut Bundesumweltamt entspricht die Menge Feinstaub aus der Silvesterknallerei 17% des Jahresausstoßes des gesamten Straßenverkehrs.

Hätten Sie’s gewußt?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.05.2018 um 04.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#38832

UTB bewirbt das Buch „Germanistische Sprachwissenschaft“ von Peter Ernst mit dem Hinweis, es sei auch für die Examensvorbereitung von Studenten geeignet. Zugleich wird es aber, auch in dem Auszug aus einer Besprechung, als für Schüler geeignet bezeichnet („eine wirkliche Hilfe für Schüler in der gymnasialen Oberstufe“ ... „sollte in keiner Schulbibliothek fehlen“). D. h., ein Germanist kann sein Studium mit denselben Kenntnissen abschließen, mit denen er es zehn Semester zuvor begonnen hat. In welchem anderen Fach ist das möglich?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2019 um 05.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#40916

Nachtrag zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#27653

Zum 1. Februar 2019 wird Günther Kommunikationsdirektor des Erzbistums Köln und Leiter der Hauptabteilung Medien und Kommunikation im Generalvikariat Köln. Er wird damit verantwortlich für die externe und interne Kommunikation des Erzbistums.

(Günther – "Ich bin gern katholisch" – war auch ein glühender Verteidiger von Bischof Tebartz-van Elst.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.02.2020 um 04.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#42869

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#37597

Kansas City Chiefs gewinnen den Super Bowl – bittere Niederlage für 49ers (Hauptnachricht bei t-online am 3.2.20)

America first.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.12.2020 um 10.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#44919

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1353#24905 ff.

Wenn wir große Werke studieren, studieren wir die Wirkung, die von den überlieferten Aufzeichnungen des Verhaltens anderer Menschen auf uns ausgeht. Was wir beobachten, ist unser Verhalten in bezug auf solche Aufzeichnungen; wir untersuchen unsere Gedanken, nicht ihre. (Skinner 1957)
 
 

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