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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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15.03.2010
 

Lebensmittel
Adolf Muschg auf Irrwegen

Adolf Muschg ist Mitglied des FDS-Beirats. Er hat im heutigen Tagesspiegel einen so widerwärtigen Gastbeitrag veröffentlicht, daß ich mich gedrängt fühle, mich davon deutlich zu distanzieren.

Auf die Einzelheiten will ich nicht eingehen. Nur eins sei erwähnt, um der historischen Wahrheit die Ehre zu geben. Muschg sagt über Gerold Beckers Treiben an der Odenwaldschule seit den siebziger Jahren: "Damals brauchte er seine Neigungen, die jetzt am Pranger stehen, nicht zu verleugnen." Das ist einfach nicht wahr. Der sexuelle Mißbrauch von Schuljungen (mögen sie noch so "lecker" gewesen sein, wie das Spottliedchen aus dem Odenwald meint) war damals so verpönt wie heute. Und Platon samt "pädagogischem Eros" (man kann das bald nicht mehr hören) werden vollkommen mißverstanden, wenn man sie mit den abscheulichen Vorgängen in Verbindung bringt, die jetzt aufgedeckt oder in Erinnerung gerufen werden.

Muschg hat sein Lebenswerk durch diese Entgleisung in ein ebenso zweifelhaftes Licht gerückt wie Hentig das seine durch die unsägliche Unterstellung, sein Genosse Becker, angeblich der größte Pädagoge unserer Zeit, sei möglicherweise durch Schüler verführt worden.



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Kommentare zu »Lebensmittel«
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Kommentar von R. M., verfaßt am 15.03.2010 um 16.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15836

Kommt darauf an, von welchen gesellschaftlichen Kreisen die Rede ist. Viele Adepten von Kinsey oder Reich stellten die kindliche Sexualität seinerzeit als etwas hin, was es zu befreien gelte – vom eigenen Appetit war dabei weniger die Rede, aber um das gemeinhin Verpönte wollte man ja schon deshalb keinen Bogen machen, weil das ja echt spießig gewesen wäre, irgendwie.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.03.2010 um 08.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15838

Grundsätzlich stimme ich nach der Leküre von Muschgs Artikel dem Urteil zu, daß ihm hier eine Entgleisung vorzuwerfen ist. Ich bin mir nur nicht sicher, ob sich dies an dem kurzen obigen Zitat mit den "Neigungen", die Gerold Becker angeblich seinerzeit nicht zu verleugnen brauchte, festmachen läßt. Denn die "Neigungen" sind zunächst einmal die erotischen Anwandlungen des Lehrers und noch nicht das Mißbrauchsverhalten.

Muschg schreibt wenig später: Der Eros ist eine [Frage], die Menschen nicht theoretisch, sondern immer leibhaft begegnet, und restlos lässt er sich nicht zum „pädagogischen Eros“ sublimieren. Das gilt wahrlich nicht nur für Beckers Odenwaldschule, aber da er zu den Pädagogen gehört, die das Thema nicht verleugnet haben, ist er zum Boten geworden, den man heute für seine Botschaft hinrichtet, nachdem sie jahrzehntelang als befreiend gefeiert wurde.

Also noch einmal behauptet Muschg, Becker habe damals "nicht verleugnet", und seine Botschaft sei überdies "als befreiend gefeiert" worden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Muschg hier einfach kompletten Blödsinn schreibt, und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Becker die sexuellen Praktiken mit seinen Zöglingen ausgeplaudert hat und dafür "gefeiert" wurde. Muschg meint etwas anderes.

Sexueller Mißbrauch war schon damals mehr als verpönt (deswegen litten ja die Betroffenen unsäglich unter dem ihnen auferlegten Schweigen). Mehr oder weniger gesellschaftlich akzeptiert war damals nur die ideologische Rede über die Überwindung sexueller Tabus. Das Skandalöse an Muschgs Kommentar ist, daß Muschg nachträglich so tut, als sei das zeitgeistige Einverständnis mit dieser Lobpreisung eines befreiten Eros zugleich ein Einverständnis damit gewesen, daß der Schulleiter einige seiner Schüler als Lustknaben verwendet. Dafür ist Becker selbstverständlich zu keiner Zeit gefeiert worden. Es war ja abgesehen von Getuschel gar nicht bekannt. Andernfalls wäre es auch dem Lebensgefährten Hentig nicht möglich, sich jetzt völlig ahnungslos zu geben.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.03.2010 um 11.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15839

Was die Kommunarden Langhans & Co. so trieben, war auch »verpönt«, gefeiert wurden sie trotzdem. Das ist doch gar kein Widerspruch – die einen haben gebuht, die andern gejohlt, gerade so wie in Salzburg. Der gesellschaftliche Konsens darüber, was als »verpönt« zu gelten habe, war eben zerbrochen (worden).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.03.2010 um 14.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15840

Muschg schreibt, als ginge es um ethisch-moralische Fragen und nicht um Autoritätsmißbrauch gegenüber Schutzbefohlenen, Vergewaltigung und Körperverletzung.
"Verpönt" ist es, gegen den geltenden Moralkodex zu verstoßen, das zweite ist meines Wissens schon immer kriminell gewesen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.03.2010 um 15.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15841

Das Strafrecht ist auch nicht unwandelbar – es wurde seinerzeit gerade umfassend »reformiert« –, und die Übertretung der gesetzlichen Vorschriften gehörte für die revolutionäre Bewegung im Zweifel genauso dazu wie das Betreten des Rasens. In eine historische Betrachtung muß man die damalige Mentalität der Akteure einpreisen. Das ist nicht gleichbedeutend mit einer Exkulpation.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.03.2010 um 15.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15842

Sprachlich ist immerhin interessant, wie Muschg zunächst von einer "Kampagne" redet (vgl. dazu den FR-Artikel "Der Lack ist ab" von 1999), diese zunächst mit den weltgeschichtlichen Ereignissen der chinesischen Kulturrevolution und dem Dritten Reich vergleicht (monströs genug! aber er wiederholt den Vergleich mit der Kulturrevolution sogar noch einmal!), dann aber Becker als aufrechten Streiter gegen dieses fatale Erbe darstellt, in einer gedanklichen Pirouette, die einen geradezu schwindlig werden läßt.

Die Reformpädagogik der Internats- und Laborschulen hat mit den Kommunarden nicht viel zu tun, Langhans (mein Nachbar in München ...) hat auch kein Internat geleitet. Eher einschlägig ist vielleicht der Odenwald-Vorzeige-Schüler Cohn-Bendit, der ja neulich dadurch auffiel, daß er auf der Bestrafung Roman Polanskis bestand – zur Verwunderung vieler, die sich noch an Cohn-Bendits unappetitliche autobiografische Selbstbezichtigungen erinnerten.

Das Geschwätz vom "zwangsläufig Normwidrigen", von "freier Praxis der Erziehung", von Becker als "Boten" (!) usw., das ist doch ganz und gar unerträglich.

Musch fragt mit höchstem Pathos (siehe die Vergleiche): "Wie war es menschenmöglich?" Aber das bezieht er nicht etwa auf den massenhaften sexuellen Mißbrauch, sondern auf dessen überfällige Aufdeckung, die "Kampagne".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.03.2010 um 15.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15843

Sehe gerade, daß Thomas Wurster im Tagesspiegel knapp und treffend gesagt hat, was ich sagen wollte:

www.presseportal.de/pm/2790/1578437/der_tagesspiegel
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.03.2010 um 16.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15844

Warum sollte man nicht die chinesische Kulturrevolution zum Vergleich heranziehen? Die wurde doch von Beckers Weggefährten, vielleicht auch von ihm selbst, unverhohlen bewundert.

Langhans war kein Reformpädagoge, nein, aber hat er sich von jedem Groupie den Personalausweis zeigen lassen? Der Vergleich sollte nur darlegen, daß der Begriff »Verpöntsein« nicht zur Erklärung der damaligen Verhältnisse taugt.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 16.03.2010 um 16.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15845

Das Ende sexualemanzipatorischer Politik dürfte auf 1985 zu datieren sein. Damals waren die nordrhein-westfälischen Grünen mit der Forderung in den Landtagswahlkampf gezogen, die Strafbarkeit von Sex mit Kindern aufzuheben, und verloren deutlich, obwohl sie den Punkt unter dem Eindruck der öffentlichen Empörung noch vor dem Wahltag wieder von der Agenda gestrichen hatten. Der Vorgang zeigt einerseits, daß schon damals eine Grenze überschritten wurde, andererseits aber auch, wie sehr man sich über diese Grenze täuschen konnte. Zumindest im grünen Milieu war Kindersex bis dahin gesellschaftsfähig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.03.2010 um 09.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15852

Der frühere hessische Kultusminister Holzapfel ist ja auch ein alter Freund von uns, aber ihm nun, wie es die sonst verdienstvolle Frankfurter Rundschau tut, vorzuwerfen, daß er in der "Neuen Sammlung" veröffentlicht hat, zu deren Herausgebern auch etwas zweifelhafte Personen gehörten – das geht nun wirklich zu weit. Wo kommen wir hin, wenn wir die Publikationsorte aller Schriften eines Menschen auflisten und diesem strengen Maßstab unterwerfen? Ich selber habe über die Rechtschreibreform in der "Jungen Freiheit" geschrieben und vor einer Burschenschaft gesprochen, deren Ausrichtung mir nicht bewußt war – beides würde ich heute nicht mehr tun, aber ich mache mir auch keinen Vorwurf daraus, schon weil ich mich in himmelweiter Entfernung von solchen Milieus weiß.
Holzapfel hatte in Sachen Rechtschreibreform die falschen Berater und hat sich dementsprechend öffentlich vernehmen lassen, deshalb erinnern wir uns ungern an sein Wirken.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.03.2010 um 17.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15856

Noch eines anderen alten Bekannten ist zu gedenken, der nun wieder des öfteren genannt wird, des Treibhausspezialisten Reinhard Kahl. Der hatte ja vor sechs Jahren auch zum Thema Rechtschreibreform mächtig in die Tasten gegriffen, z. B. hier:
http://www.reinhardkahl.de/artikellesen59r_3.html
Ein schönes Beispiel, wie man mit bloßer Routine ohne jede Sachkenntnis den Eindruck erzeugen kann, den vollen Durchblick zu haben.
Reinhard Markner hatte es in "Ossietzky" kurz erwähnt, s. auch
http://www.rechtschreibung.com/Forum/printthread.php?threadid=513
Die Treibhausgeschichten kann man ja auf Kahls übersichtlicher Website auch noch mal lesen und sich Gedanken machen.
 
 

Kommentar von Josef Hohenembs, verfaßt am 18.03.2010 um 10.00 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15860

ad Icklers Bemerkung unter #15852 : "...Ich selber habe über die Rechtschreibreform in der "Jungen Freiheit" geschrieben und vor einer Burschenschaft gesprochen, deren Ausrichtung mir nicht bewußt war – beides würde ich heute nicht mehr tun, ... "

Ja, um Himmels willen, warum denn? Warum täten Sie das heute nicht mehr? Was spielt denn die politische Ausrichtung der Zuhörerschaft für eine Rolle, wenn es um Rechtschreibung (!!) geht? Sich mit jemandem über ein Thema auseinanderzusetzen, heißt doch nicht, sich mit ihm in allem gemein zu machen.
Das ist doch genau die Falle, in die uns alle die political correctness zu treiben hofft: nicht mehr miteinander zu sprechen, um totalitäre Meinungsbilder umzusetzen.

Eines gilt gewiß: keine Berührungsängste zeigen! Hin und wieder muß man sich das in Erinnerung rufen oder auch dankbar zurufen lassen.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 18.03.2010 um 12.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15861

Den politisch Korrekten tut man nur einen Gefallen, wenn man sich möglichst unkorrekt benimmt. Umgekehrt manövriert die politische Korrektheit den Unkorrekten in die Position des Aufklärers, der als einziger die (tatsächliche oder vermeintliche) Wahrheit auszusprechen wagt. Dieses Spiel läuft auch im Fall der Orthographie auf Polarisierung hinaus, und die Beteiligung an ihm (egal auf welcher Seite) auf eine weitere Politisierung des Themas. Es kommt aber gerade darauf an, es dem Zugriff der Politik wieder zu entwinden.
Außerdem ist die Schriftkultur bei uns doch ganz gut aufgehoben. Warum dann noch die Agendabildung der einen oder anderen Gruppierung unterstützen? Es wäre sowohl überflüssig als auch ein Fehler. So ist auch im Blick auf das Radikalisierungspotential der Reform ihren Gegnern die Aufgabe zugefallen, das Versagen des Staates auszubügeln.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.03.2010 um 15.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15862

Zu Hohenembs: So habe ich damals auch gedacht. Aber wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe. Und mir ging und geht es wirklich um die Rechtschreibung ...

Ich habe auch vor vielen anderen Verbänden, Parteigremien usw. über die RSR gesprochen, alles naiv und vergeblich und eine Vergeudung von Kraft und Lebenszeit. Die Epoche ist für mich abgeschlossen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.03.2010 um 16.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15863

Reinhard Kahl hat uns ja damals mit der folgenden Erkenntnis beglückt:
„Kaum vorstellbar, dass es vor 1901 keine staatlich erlassene rechtschreibung gab. Damals wucherten barocke ungetüme, zu denen auch noch unsere großschreibung von substantiven gehört.“
Den ersten Satz meint er offensichtlich so, daß es damals praktisch gar keine Rechtschreibung gab. Das glaubt ja auch Dieter E. Zimmer, oder er hat es jedenfalls so ähnlich gesagt.


Hier noch ein Stückchen aus der neueren Geschichte, besonders für die Jüngeren gedacht:
Katja Irle hat den Soziologen Negt zu den aktuellen Schulskandalen befragt, ganz interessantes Interview, aber mittendrin sagt sie folgendes:
"In den 50er und 60er Jahren war körperliche Gewalt an Schulen gang und gäbe." (FR 18.3.10)
Frau Irle scheint sich im Jahrhundert geirrt zu haben. Ich bin 1950 eingeschult worden und habe in 13 Jahren an ganz normalen Schulen keine körperliche Gewalt erlebt oder beobachtet. Höchstens mit einem Kreidestückchen hat ein Lehrer mal geschmissen, um sich bemerkbar zu machen. Ein anderer zertrümmerte einen Stuhl, aber nicht auf den Schülern; außerdem gehörte er zu den nicht ganz wenigen Lehrern, die im Krieg einen Knacks bekommen hatten. Heute kann man sich nur schwer vorstellen, was die Lehrergeneration von damals alles durchgemacht hatte. Mancher Sportlehrer hatte auch den Kommißton beibehalten, aber Schläge hätten sich weder Schüler noch Eltern gefallen lassen. In Kassel, wo ich das Gymnasium besucht und als Lehramtsstudent hospitiert habe, ist mir auch nichts von Prügelschulen zur Ohren gekommen. Es mag einiges vorgefallen sein, aber „gang und gäbe“ war körperliche Gewalt nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.03.2010 um 18.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15864

Vor ein paar Tagen hat Micha Brumlik in der taz einen interessanten Artikel über die sogenannte Reformpädagogik veröffentlicht. Dazu ein paar persönliche Fußnoten. Eine der Quellen ist die Wandervogelbewegung, und deren heiliger Berg, der Hohe Meißner, war in meiner Kindheit unser Hausberg, wir sind sehr oft dort gewandert, das war für meine kleinen Beine zunächst sehr anstrengend, und auf der berühmten großen Wiese nahmen wir dann endlich unser Mittagbrot ein. Vom Wandervogel wußte ich schon bald etwas, konnte aber nicht ahnen, daß ich viele Jahre später mein Referendariat am Gymnasium Steglitz absolvieren würde, dem Ausgangspunkt des Wandervogels.

Brumlik erinnert auch endlich an alternative reformpädagogische Richtungen, zunächst Maria Montessori. Meine Frau ist Mitgründerin der Montessori-Schule in Erlangen, so daß wir uns lange Zeit auch mit diesem Ansatz beschäftigt haben. Dann erwähnt er Minna Specht, also die von Leonard Nelson ausgehende Bewegung, mit der mich auch einiges verbindet. Als Student habe ich nämlich 1970 [https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophisch-Politische_Akademie] eine Preisschrift über Nelson verfaßt, die meinem materiellen Notstand nicht nur durch ein hübsches Preisgeld abhalf, sondern mir auch ein paar anerkennende Zeilen des damals noch lebenden Stephan Körner aus England eintrug.
Nelsons gesammelte Werke stehen noch in meinem Regal, er hat mir damals viel gegeben. Von seiner Walkemühle (auch nicht weit von meiner Heimat entfernt) sind wohl keine Skandale bekannt, sie wurde ja auch bald von den Nazis geschlossen. Die Philosophisch-Politische Akademie habe ich dann aus den Augen verloren, aber ich vermute, daß Nelsons Erbe wieder mehr Beachtung finden sollte; es haben sich im Laufe der Zeit hervorragende Persönlichkeiten dafür eingesetzt oder sind von ihm geprägt worden. Zu meiner Zeit war Grete Henry-Hermann Vorsitzende der Akademie, und es gab noch andere eminente Mitglieder. Aber die von Stefan George geprägte Richtung hat die Zeitläufte besser überstanden, aus welchen Gründen auch immer.
 
 

Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 18.03.2010 um 21.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15866

"In den 50er und 60er Jahren war körperliche Gewalt an Schulen gang und gäbe." (FR 18.3.10)
Frau Irle scheint sich im Jahrhundert geirrt zu haben. Ich bin 1950 eingeschult worden

Moment mal, Herr Ickler!
Frau Irle hat sich nicht geirrt.
Ich, ebenso meine Frau, wir sind nur ein paar Jahre älter als Sie. Noch in der Sexta und Quinta (Quarta?) eines großen und bekannten Mainzer Gymnasiums hat z.B. der Oberlehrer K. (das waren am Gymnasium eingesetzte Volksschullehrer/Mittelschullehrer mit entspr. höherer BesGr) geprügelt, was das Zeug herhielt. Beliebtes ´Spielchen´ war für ihn, die Wangen eines Delinquenten in gegenläufiger Richtung bis zur äußersten Schmerzgrenze zu verdrehen, indem er sie zwischen seine Finger klemmte. Seine Ohrfeigen würden heute als schwere Körperverletzung gelten. Mein Musiklehrer M., Studienrat, hat eine wahre Prügelorgie auf mir losgelassen. Kann sein, daß ich ihn gereizt hatte; er war beim Versuch, Deutsch als Zusatzfach zu machen, durchgefallen, was der Klasse (Mittelstufe) angesichts seiner Schweißausbrüche während der Lehrprobe nicht entgangen war.
Meine Frau hatte in der Volksschule ein Fräulein (!), dem sie heute postum nochmals den Tod wünscht. Ihre Spezialität: Mit Rohrstock oder Lineal den kleinen Kindern auf die Finger hauen. Ihr Religionslehrer H., katholischer Geistlicher, beliebte, den Mädchen den Rock hochzuheben und mit dem Deckel des Griffelkastens ihnen den Hintern zu versohlen.
Meinem älteren Bruder, später selbst Gymnasiallehrer, hat in der Volksschule der Lehrer B. das Ohr blutig gerissen (Ohrenziehen). Aus Angst vor einer Anzeige hat er untertänigst bei meinem Vater um Vergebung angehalten.

Man braucht sicherlich keine Untersuchung darüber anzustellen, was kaum mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Ein paar Nachfragen bei "Zeitzeugen" bringen’s an den Tag.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.03.2010 um 23.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15867

Anfang der 60er bin ich im Erzgebirge in die Schule gekommen, und wir Gören wußten es damals schon ganz genau, und wer sich angesichts eines bevorstehenden neuen Streichs doch nicht so recht traute, wurde von den anderen nochmal versichert, daß Erwachsene unter absolut keinen Umständen Kinder schlagen durften, außer die eigenen. Von Ausnahmevorfällen im Schulbereich habe ich nie gehört. Es gab es einfach nicht.
Die Gruselgeschichten, die Lehrer, Eltern und vor allem Großeltern uns manchmal über die Rohrstockerfahrungen aus ihrer Schulzeit erzählten, schienen aus unsrer damaligen Sicht aus einer anderen Ära zu stammen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2010 um 08.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15868

Lieber Herr Roth, mit Einsprüchen dieser Art habe ich selbstverständlich gerechnet und bin weit davon entfernt, sie zu bezweifeln, habe am Schluß ja auch eingeräumt, daß es so etwas gab. Aber "gang und gäbe"? Das Horrorgemälde kann ich mir nicht zu eigen machen.

An der kleinstädtischen Realschule, die ich bis zur achten Klasse besuchte und wo es mir am besten gefiel, hatten wir übrigens schon in den fünfziger Jahren eine ziemlich fortschrittliche Pädagogik, z. B. keine Bankreihen mehr, sondern Sitzgruppen mit je acht Drehstühlen um zusammengerückte Tische herum. In meiner späteren Schulkarriere, auch als Referendar in Berlin, habe ich das nirgendwo mehr gesehen.
Als ich dann an ein Kasseler Gymnasium wechselte, hatte ich auch vom Lernstoff her (z. B. in Mathematik) durchweg ein Jahr Vorsprung, nur Latein mußte ich nachholen, wie andernorts schon berichtet. Man kann sich denken, daß an einer so menschenfreundlichen Schule nicht geprügelt wurde. Die ganze Atmosphäre war einfach nicht danach, und es war nicht einmal eine Reformschule mit irgendeinem besonderen Konzept.
 
 

Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 19.03.2010 um 10.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15872

Hier steuere ich noch bei, was "Wiki" zu bieten hat:

»Körperstrafen in der Kindererziehung [Bearbeiten]

... Als Strafmethode in der Kindererziehung waren Körperstrafen in (nicht immer) abgemilderter Form bis in die 1970er Jahre auch im Westen das wohl häufigste Erziehungsmittel. Diese Körperstrafen wurden in der Regel mit der flachen Hand, einem Lederriemen, Teppichklopfer oder dünnen Rohrstock auf dem Gesäß des Kindes oder Jugendlichen vollzogen. Im Schulmilieu wurden Strafen außer auf den Hosenboden oft auch auf die ausgestreckte Hand des Kindes gegeben (sogenannte „Tatzen“); in der Schule kamen dabei früher die Rute, später der Rohrstock und vor allem von Lehrerinnen auch das Lineal zum Einsatz. Andere häufig gebrauchte Körperstrafen waren die Ohrfeige, die Kopfnuss, das Ziehen an den Haaren oder Ohren oder das Knienlassen des Kindes auf einem dreikantigen Holzscheit.«

In den Kultusministerien der Länder gibt es selbstverständlich jeweils eine Hauptakte "Körperliche Züchtigung".
Am kommenden Sonntag werde ich anläßlich des Geburtstags eines 85jährigen Freundes nochmal rumhören.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 19.03.2010 um 11.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15874

Ich habe von 1943 bis 1948 eine einklassige Dorfschule mit nur einem Lehrer besucht, aber immer wieder einem anderen, weil sie nach dem Krieg mit zeitweisen Berufsverboten belegt wurden. Für die vor dem Krieg ausgebildeten Volksschullehrer war der Rohrstock selbstverständlich, für Jungens auf den Hosenboden, für Mädchen auf die Hände oder Finger. Erst nach 1948 gab es junge neu ausgebildete Lehrer, im Gegensatz zu vorher meist Frauen.
 
 

Kommentar von Bibabutzelmann, verfaßt am 20.03.2010 um 22.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15878

Hm, bei uns auf dem Land, 1975, in der 5. Klasse der Dorfvolksschule in Franken gab es täglich Ohrfeigen, Ohrenlangziehen und auch den Stock auf die Handinnenfläche. Dann kam es aber noch dicker: Nachdem mein Vater sich beschwerte, bekam mein Nachbar die Prügel, die mir galten – daraufhin drohte ich meinem Vater, sich nie wieder zu beschweren. Der Lehrer selbst galt als "Altnazi" und wurde kurz später pensioniert.

Sie werden es mir kaum glauben, aber diesem Lehrer bin ich im nachhinein in keinster Weise nachtragend, im Gegenteil, wir liebten ihn ja alle (wie wir ihn natürlich auch fürchteten)! Er war eben zugleich eine beeindruckende bodenständige Gestalt für uns, der alles was er erklärte mit einer Eindeutigkeit und Herzenswärme tat, die ich nie wieder an einem Lehrer sah und spürte. Wie er mit uns durch Auen, Felder und Wälder streifte, und all das ins Klassenzimmer hereinbrachte, das prägt mich bis heute; durch ihn lernte ich zudem Bücher in Fraktur lieben (wir lernten die Schrift auch verkehrt herum und von hinten nach vorn lesen und solche Dinge).

Ja, die anderen Lehrer in dieser Zeit, die Bärtigen mit ihrem "Du" kamen da, es kamen auch die schreienden Schulbücher voller Versuchsanordnungen und seltsame städtische Ideologien kamen mit ihnen. Wir mochten sie alle nicht, sie konnten uns nicht erreichen, die neuen Glanz-Bücher sagten uns schon gar nichts. Wir machten sie fertig (und die Bücher ließen wir links liegen). Und sie uns, wenn sie sich durchsetzen konnten. Der einzige Lehrer, der mich vor allen anderen schikanierte und aus dem Klassenzimmer rauswarf vor die Türe, war so ein überaus verständiger und "gerechter" Hippie, Ich trage ihm das heute noch nach.

Und noch etwas möchte ich da Geschrieben sehen: Ich hatte ja Nonnen in der Grundschule, kehrte beim weinseligen Pfarrer ein und aus (ich war Ministrant), ich verbrachte meine Zeit auf der Orgelbank und in den Nischen und Emporen der Kirche, eine geheimnisvolle, eine phantastische Welt. Für mich eine glückselige Kindheit, der Grundstock meines späteren Lebens, ohne diesen wäre nichts vorstellbar gewesen. – Später, im katholischen Internat, waren es auch nicht die Patres, an denen ich mich stieß, es war der gefürchtete weltliche Vertreter (oder Gegenspieler?), der Aufseher im Stucksaal, mit französischer Abstammung: das war der Geruch von Militär, der bis in jede Ritze drang, er erstickte alles und jeden. Ich für meinen Teil verkroch mich in der Kirche (als Ministrant erhielt ich viele Stunden frei).

Natürlich wußten wir von Fällen von Kindesmißbrauch, man redete über diese auch damals, es waren Gerüchte, unter vorgehaltener Hand. Die Opfer will niemand gekannt haben, dennoch wußte man es. Das einzige, was ich da selbst erlebt habe, das war schon kurios für mich: Ich wollte meine chronische Geldnot lindern, indem ich bei den Mönchen vor Ort beim Küchendienst aushelfen wollte – der Abt erwiderte auf meinen Wunsch hin, nun, er drückte und zierte sich recht, ich sei zu, ähem, "attraktiv". Ich verstand das nicht recht, das wurde mir später erst klar, ich fand das drollig und machte mir einen Spaß daraus.

Ich kann hier nur für mich sprechen, und tue das auch sehr bewußt. Ich erlebte Gewalt anders, in Jugendjahren, das war psychologischer Natur, so perfide, ich trage sie noch heute in mir. Es war keine körperliche, keine "sichtbare" Gewalt, sie war eine Katze in der Nacht, auf Samtpfoten schlich sie sich in die Träume und riß alles an sich. Man war damit allein, man konnte es niemanden mitteilen, zu unglaubwürdig wäre es gewesen.

Muschg habe ich nie gelesen, obwohl ich Schweizer Autoren durch die Bank eigentlich besonders schätze. Er ist für mich ein Vertreter der 68er, ein Stellvertreter sozusagen, für Überselbsteinschätzung sondergleichen. Er sappt bei mir durch besagten unsäglichen Beitrag voll ins Klischee. Was er da tut, das ist doch unredlich. Von welchem Selbstverständnis geht dieser Mann aus!

Ist es nicht auch eine perfide Gewalt gewesen, Schülern zehn Jahre (wieviele Millionen sind das?) eine Rechtschreibung zu lehren, die heute nicht mal mehr in einem Rechtschreibwörterbuch noch vorkommt?! Man redet ja nicht darüber, auch so ein Tabu. Schwamm drüber.
 
 

Kommentar von K.Bochem, verfaßt am 21.03.2010 um 01.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15879

Aus meiner Schulzeit in NRW kann ich berichten, daß man bei einigen wenigen Lehrern mit Gebrüll und auch Ohrfeigen rechnen mußte, wenn man zu sehr auf Aufklärung (den Unterrichtsstoff betreffend) bestand und den kaum vorbereiteten Lehrer damit nervte. Letztmalig war das in meiner Klasse 1954 zu erleben, danach war jede "körperliche Züchtigung" verboten, was der Direktor persönlich in allen Klassen verkündete. Man hielt sich dran, wenn es auch Lehrer gab, die sich über das Verbot lustig machten. Umgekehrt nutzten wir die Gelegenheit nicht, die (schlecht vorbereiteten) Schläger jetzt erst recht mit Fragen zu bombadieren; wir beachteten sie einfach nicht mehr.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.03.2010 um 10.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15880

Doch doch, lieber Bibabutzelmann, das glauben wir sofort und sehr gern, daß Fürchten und Lieben zusammengehen. Danke für den anschaulichen Bericht!
 
 

Kommentar von PL, verfaßt am 21.03.2010 um 10.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15881

Wir waren Bauern- und Arbeiterkinder. Die fünfte und sechste Primarschulklasse besuchte ich in der erzkatholischen Innerschweiz. Wir wurden beinahe täglich geschlagen, vom Lehrer, vom Pfarrer, vom Vikar und von den Eltern. Kopfnüsse, Ohrfeigen, Tatzen mit dem Lineal und Zupfen an den Härchen über den Ohren waren die häufigsten Züchtigungen. Die Schlaginstrumente durften wir manchmal wählen: Teppichklopfer, Weiden- oder Birkenrute („Fitze“) oder Ledergürtel. Auch das minutenlange Büchertragen mit ausgestreckten Armen, das Stehen in der „Schandecke“ oder das Sitzen im Papierkorb waren Mittel zu unserer Erniedrigung. Da ich schwer von Begriff war, packte mich der Lehrer im Nacken benutze mein Gesicht zum Abwischen der Wandtafel.

Ein armer Bauernbub mußte morgens in der Früh zwei Ställe ausmisten, bevor er zur Schule gehen konnte. Nicht selten schlief er auf der Schulbank ein. Der Lehrer weckte ihn auf, indem er ihm wie ein Wahnsinniger ins Ohr schrie oder ihn zu Boden stieß. Der Bub mußte auch abends schwer arbeiten, so daß er seine Hausaufgaben oftmals versäumte. – Eines Tages wurden wir Kinder wieder heimgeschickt. Denn etwas Furchtbares war geschehen: der Bub hatte sich erhängt. Das war in 1960er-Jahren.
 
 

Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 21.03.2010 um 21.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15883

Zu # 15872
Hier ist das Ergebnis der angekündigten kleinen Umfrage:
3 Tische, je 8 Personen, Fragen separat pro Tisch,
T 1: 8/ davon 5 körperl. Strafe,
T 2: 8/ davon 7,
T 3: 8/ davon 7,
macht zus. 19 Bestrafte, alle aus der Altersgruppe 70 und mehr sowie ein 62jähriger.
Altersstruktur: 3 "Junge" 50-60, Rest 70 und mehr sowie der 62jährige.
An zwei Tischen fiel spontan die Äußerung: das war gang und gäbe.

Eine andere Äußerung war, lieber zuhause nichts sagen, sonst konnte es passieren, daß die Eltern noch eins draufsetzten. In keinem Fall wurde in Zusammenhang mit erlittener Bestrafung Kritik am Unterricht geübt. Und für mich nicht überraschend die Äußerung: manchmal war’s auch nötig.

Hier sind noch einige Notizen im Blick auf die allgemeine Rechtslage um 1975, entnommen aus Palandt, Kommentar zum BGB, 34.Auflage C.H.Beck München 1975.
§1631 BGB, Inhalt des Personensorgerechts.
(1) Die Sorge für die Person des Kindes umfaßt das Recht und die Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
(2)...

Ausfluß des Sorgerechts sind elterliche Erziehungsmittel (frühere Fassung: Zuchtmittel) ... körperliche Züchtigung, jedoch nur im Rahmen des durch den Erziehungszweck gebotenen Maßes (Rücksicht auf Gesundheit und seel. Verfassung d. K., sonst strafb Mißbr; §1666 BGB, §223 StGB-Körperverl). Kein allg. Züchtigungsrecht Dritter, keine autom. Übertragung auf Lehrherrn (ausdr. Verbot in GewO u. HdwO) oder Lehrer, dem aber als äußerstes Mittel, wenn es z. Aufrechterhaltung d. Disziplin notw. u. auch angemessen ist, ein eigenes Züchtigungsrecht gewohnheitsrechtlich zusteht (nicht in bay. Berufsschulen) [Anmerkung hierzu: angesichts der kräftigen bayerischen Bauernbuam wohl eher zum Schutz des Lehrers! R.R.]

Durch Ländervorschriften sind nach und nach Verbote dieses heute als weitgehend angesehenen Züchtigungsrechts erlassen worden.
§1631 (2) lautet seit 2000:
Kinder haben das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.03.2010 um 08.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15884

Bei allem Respekt: "gang und gäbe" scheint mir nun doch definitionsbedürftig. Die Vorkommnisse selbst bezweifle ich natürlich nicht.
 
 

Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 23.03.2010 um 21.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15900

Gott sei Dank ist mit dem Verbot der körperlichen Züchtigung auch der Zwang (und die Strafe Rohrstock auf die Finger) für Linkshänder zu Ende gegangen, mit der rechten Hand schreiben zu müssen. Als ich vor Jahrzehnten zum erstenmal in den USA war, fielen mir bald die Links-Schreibenden auf. Das kannte ich bis dahin überhaupt nicht. Früher hieß es, wenn Onkel und Tante zu Besuch kamen: du mußt die schöne Hand geben!
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 01.04.2010 um 21.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#15910

Mein Beitrag #15867 macht vielleicht den Eindruck, als wollte ich etwas Positives über das kommunistische Bildungssystem schreiben. Das wäre aber wirklich das Letzte, an dem mir etwas lag. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die mit dem Slogan "Alles an der DDR war auch nicht schlecht" herumlaufen, ganz im Gegenteil. Das Gute, das ich natürlich auch erlebt habe, hatte mit dem politischen System der DDR rein gar nichts zu tun. Ich wollte hier nur wahrheitsgemäß darüber schreiben, wie sich speziell das Problem der körperlichen Gewalt mir in meiner Schulzeit darstellte. Ich habe jedoch nur die ganz normalen Schulen kennengelernt, die in der Öffentlichkeit standen, die jeder kannte. Was an Sonderschulen und in deren Internaten, in Jugendwerkhöfen (Straf- und Umerziehungsanstalten), in Heimen für Waisenkinder und in den sogenannten Heimen für schwererziehbare Kinder stattfand, darüber kann ich gar nichts sagen, habe nur nach den letzten aktuellen Meldungen die schlimmsten Befürchtungen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2010 um 06.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#16068

Die bayerische Form der Ohrfeige, die nun so breit diskutiert wird, stellt die Zeitungen vor ein orthographisches Problem. Manche Norddeutschen schreiben Watschen, wie es auch Duden und das ÖWB für richtig halten (neben Watsche, nur dies steht im amtlichen Wörterverzeichnis). Die meisten Zeitungen schreiben aber Watsch'n. Meiner Ansicht nach wäre Watschn am besten.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.04.2010 um 10.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#16069

Am gesprochenen "e" in der Schlußsilbe von Wörtern erkennt man den Norddeutschen. Besonders typisch ist es für die Aachener Gegend, bekanntestes Beispiel: die vorige Bundesgesundheitsministerin. Im Bairischen wird es möglichst weggelassen.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 17.04.2010 um 11.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#16070

Und den Süddeutschen erkennt man daran, daß Norddeutschland für ihn mit dem Rheinland beginnt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.04.2010 um 14.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#16072

Für Dialekte gibt es ja keine eindeutigen Schreibregeln. Man hat entweder die Möglichkeit, sich beim Schreiben sehr dicht an die Aussprache zu halten (geem, lieng), wodurch aber die Verständlichkeit beim Lesen stark leidet, oder man bleibt näher am gewohnten hochdeutschen Bild (gebn, liegn), dann muß man jedoch wissen, daß z.B. bn wie m und gn wie ng ausgesprochen werden.

Mit dem ausgefallenen e in Watschn, Wiesn usw. ist das ähnlich. In der Mundartschreibung geht es letztlich doch mehr um Aussprache. Nur daran gemessen, müßte das e in hochdeutschen Endungen auch oft entfallen, aber da spielen eben noch andere Dinge eine Rolle. Wenn man im Hochdeutschen Mundarten zitiert, halte ich an der Stelle den Apostroph auch für überflüssig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.05.2010 um 17.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#16279

„Der Täter an der Odenwaldschule ist ein Charismatiker, der die Reformpädagogik als eine positive Ideologie für Missbrauch versteht - und ihn mehr oder weniger offen praktiziert. Nur heißt dieser Missbrauch anders, er heißt Knabenliebe und ist im Lehrer-Urschleim Platons als "pädagogischer Eros" definiert.“ (taz 26.5.2010)

Das geht nun wirklich zu weit. Aber wen wundert's, hat doch Martin Mosebach, dem die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung "intellektuelle Brillanz" bescheinigt, in den letzten Monaten mehrmals unwidersprochen behaupten können, Sex mit Kindern sei in der Antike normal gewesen, bis das Christentum dem ein Ende setzte. Da er wohl kaum an die von Sueton überlieferten Exzesse einiger Kaiser gedacht haben wird, bleibt nur die schon damals so genannte "Päderastie" übrig, eine Einrichtung vor allem der athenischen Oberschicht. Sie wirkt auf uns befremdlich genug, wie übrigens die Sexualbräuche fremder Völker fast immer, aber sie hatte nichts mit Kinderschändung zu tun, und die Männer waren auch nicht homosexuell. Näheres z. B. bei Carola Reinsberg: Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland. München 1989.

Homosexuelle Männer, gerade Pädagogen und Kunstwissenschaftler, haben sich natürlich immer zur Antike hingezogen gefühlt, schon wegen der nackten Männer in Marmor und Bronze (Winckelmann). Aber wenn man Platon liest, kommt man nicht leicht auf "Urschleim".

Mosebach sollte übrigens zur Kenntnis nehmen, daß das sexuelle Schutzalter im Vatikan niedriger liegt als sonst in Europa (12 Jahre). Juristen haben schon lange eine Änderung angemahnt, bisher vergeblich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.12.2010 um 11.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#17566

Nachschlag:

Inzwischen ist herausgekommen, daß der einschlägig bekannte Kunstlehrer und Fotograf Hajo Weber Kinderpornografisches hinterlassen hat, was ja wohl keine Überraschung ist. Der passende Kommentar von Werner d'Inka hier.

Enja Riegel vergießt nachträglich ein paar Krokodilstränen.

Unser Freund Reinhard Kahl ("Treibhäuser der Zukunft") gehörte zu den Verherrlichern der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden:

Enja Riegel und die Helene-Lange-Schule – Eine Schule, die gelingt
Film und Vortrag von Reinhard Kahl
Am Freitag, den 20. Januar 2006, um 20.00 Uhr
Eintritt: € 8,– / erm. € 5,–
Die Helene Lange Schule in Wiesbaden, gilt als die beste, in jedem Fall als die eigenwilligste Schule in Deutschland. Bei Pisa erreichte sie Spitzenwerte weit über den finnischen. Diese Schule opfert ein Drittel des üblichen Fachunterrichts großen Projekten. Zum Beispiel fünf Wochen lang nichts als Theater im 9. Jahrgang. Da fragen viele Besucher, „und trotzdem so gute Leistungen?" „Nein", antwortet Enja Riegel, die langjährige Schulleiterin, „nicht trotzdem, deshalb so gute Leistungen."


Usw.

Josef Kraus zum guten Abschneiden bei PISA:

Die Helene-Lange-Schule (HLS) als integrierte Gesamtschule der Jahrgangsstufen 5 bis 10 (ehemals war sie ein Gymnasium) war im Rahmen von PISA regulär im Jahr 2000 getestet worden. In Teilen der Presse wurde Mitte/Ende November 2002 berichtet, dass die HLS eben als integrierte Gesamtschule im PISA-Subtest Lesen einen Wert von 579 erreicht habe, quasi Spitze national und international sei und Finnland wie auch Bayern übertreffe.

Hierzu ist festzuhalten:
Die HLS war an der PISA-Untersuchung - wie andere getestete Schulen auch - mit nur rund 23 Schülern beteiligt. Das ist keine repräsentative Stichprobe, um eine Schule mit einem ganzen Land vergleichen zu können. Es ist zudem nicht offengelegt worden, wie sich die getesteten HLS-Schüler nach Bildungsempfehlung (Gymnasium, Realschule, Hauptschule) zusammensetzen.
Der berichtete Wert liegt - gemessen an einer Gymnasiastenpopulation - keineswegs an der Spitze. Im Vergleich mit süddeutschen Gymnasialergebnissen rangiert der HLS-Wert im hinteren Drittel. Zahlreiche deutsche Gymnasien haben einen Wert von mehr als 600 erreicht, ohne dass sie es für nötig gehalten hätten, sich öffentlich zu inszenieren.
Die HLS hat sich nicht an die mit dem MPIB getroffene Vereinbarung gehalten, die eigenen Ergebnisse nur für den internen Gebrauch zu nutzen. Das MPIB spricht deshalb in einer Presseerklärung vom 26. November 2002 auch von einer „unzulässigen“ und „irreführenden“ Darstellung der beiden Schulen in Wiesbaden und Bielefeld [gemeint ist die Laborschule Hentigs].
Die HLS-Schülerschaft insgesamt setzt sich zu 55 Prozent aus Gymnasial-empfohlenen, zu 30 Prozent aus Realschulempfohlenen und zu 15 Prozent aus Hauptschulempfohlenen zusammen. Ob die HLS-Stichprobe an diesen Anteilen ausgerichtet wurde, wurde nicht offengelegt. (Zum Vergleich: Die deutsche PISA-Gesamtstichprobe hat einen Gymnasiastenanteil von 27,5 Prozent.)
Die HLS hat nach wie vor das in die Vorgängerregierung zurückreichende Vorrecht, die Schulanfänger vier Wochen vor den Nachbarschulen aufzunehmen. Aus der Elternschaft wird berichtet, dass dies vor allem zu einer Selektion der Hauptschulempfohlenen führt. Zudem ist die HLS nach wie vor nicht an die Klassenbildungsrichtlinien gebunden; das heißt, sie unterschreitet sie in erheblichem Maße.
Die HLS hat auch in puncto Lehrerversorgung Vorrechte: Sie hat - gemessen an Schulen mit vergleichbaren Schülerzahlen - sieben Lehrer mehr als andere Schulen.
Vor Ort wird seit längerem die überhebliche Selbstdarstellung der HLS-Schulleiterin Enja Riegel kritisiert. Diese war schon einmal als Staatssekretärin bei Kultusminister Holzapfel (SPD) im Gespräch.


Also Lug und Trug, wo man hinschaut.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.02.2011 um 12.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#18038

Das Begleitbuch zu Reinhard Kahls Filmprojekt "Treibhäuser der Zukunft" (man kann es auch herunterladen) wimmelt von Druckfehlern und Versehen aller Art. Die Pädagogikprofessorin Elsbeth Stern (hier in trautem Verein mit Manfred Spitzer, den sie anderswo mit Recht kritisiert) soll gesagt haben: Diesen Fragen-entwickelnden Unterricht nennt man übrigens auch 'Osterhasenpädagogik', wollen sie wissen warum?

Entweder hat Kahl gar nicht mehr gelesen, was er da drucken ließ, oder er weiß wirklich nicht, was "fragend-entwickelnder Unterricht" ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.09.2011 um 18.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#19232

Kürzlich erinnerte jemand daran, daß Hartmut von Hentig, der "Nestor der deutschen Pädagogik", gar keine erziehungswissenschaftliche Forschung betrieben und keine einzige wissenschaftliche Schrift auf diesem Gebiet veröffentlicht hat. Stimmt eigentlich. Charismatiker brauchen das auch nicht. Seine "14 Punkte zur Beendigung des Rechtschreib-Kriegs" sind aber aus demselben Geist geschrieben. Hentig gibt ohne weiteres zu, daß er kein Fachmann ist, äußert sich aber trotzdem, offenbar ganz durchdrungen von dem Bewußtsein, daß ihm das zusteht. In seiner Autobiographie kann man nachlesen, wie er durch Förderer zu seinem Lehrstuhl gekommen ist.
Ähnlich war es mit Gerold Becker, der auch so etwas Kometenhaftes hatte. Der Eintrag bei Wiki kennt nicht einmal seinen Geburtsort, was doch bei einer so bekannten Person recht merkwürdig ist.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 06.10.2011 um 10.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#19295

Zur Frage, was eigentlich von der ganzen Reformpädagogik bleibt – auch wenn man nicht nur auf den Mißbrauchsfällen herumreiten will –, ist der Beitrag von Jürgen Kaube in der heutigen FAZ lesenswert: Warum die Schulbank nicht mehr drückt.

Wie wissenschaftlich fatal die Einflüsse der Reformpädagogik übrigens auch in anderen Bereichen sind, zeigt die Goethe-Philologie. Bekanntlich entstand die Leopoldina-Ausgabe (LA) von Goethes "Schriften zur Naturwissenschaft" genau deshalb, weil Goethes Texte wieder von Steiners "Überbau" in der zweiten Abteilung der Weimarer Ausgabe befreit werden sollten. Nebenbei bemerkt soll in diesem Jahr die LA abgeschlossen vorliegen. Es wird indes noch viel länger dauern, bis der Einfluß Steiners auf Goethe nachläßt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.10.2012 um 20.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#21720

Der Wiki-Eintrag zu Hartmut von Hentig, offenbar von Freundeshand verfaßt, ist einer der längsten Personenartikel überhaupt und erzählt in epischer Breite die Autobiographie nach. (Mit Ernst Klett, dessen Sohn Michael und den Neffen Kletts, Philipp Wolff und Bernhard Bueb, unternahm er noch zu Birklehof-Zeiten in den Sommerferien vom Kanton Uri aus eine Alpenüberquerung von Hütte zu Hütte. Im Maggia-Tal angekommen, hatte der unterwegs botanisierende Klett „sich bewiesen“, dass er „mit fünfzig noch zu leisten vermochte, was Hannibal mit dreißig geleistet hatte“, und übernahm während des nachfolgenden Aufenthalts in Norditalien die Rolle des großzügigen Gastgebers und Programmgestalters. Man fuhr auch ins Onsernone-Tal zu Besuch bei Alfred Andersch und seiner Frau, deren schönes Haus von Hentig auch eine Schriftsteller-Existenz lukrativ machte.) — Usw., in diesem Stil.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.11.2012 um 05.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#21964

Auf Anregung eines homosexuellen Stadtverordneten ist es in San Francisco nun jedem über 5 verboten, "his or her genitals, perineum or anal region" öffentlich zu entblößen. Was mich wundert, ist das so niedrig angesetzte Lebensalter. Der Po eines Sechsjährigen gilt demnach als anstößig, also doch wohl sexuell erregend. Was sagt uns das?

("Mario und der Zauberer" fällt mir ein.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.01.2013 um 10.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#22251

Im Diskussionsforum wird zufällig die Burg Ludwigstein erwähnt. Das gibt mir noch einen Anknüpfungspunkt für persönliche Erinnerungen. Der Ludwigstein, wie wir kurz sagten, war ein beliebtes Ziel für Wandertage; mir schien es von Witzenhausen aus ein ziemliches Stück Weges, aber eigentlich ist es nicht weit, sehen Sie sich die Sache auf Google Earth an. Auf der anderen Seite der Werra lag die Ruine Hanstein, und es wurden stets allerlei romantische Geschichten erzählt. Die Nazi-Vergangenheit des Ludwigsteins wurde nicht erwähnt. Vom Wandervogel wußte ich die ganze Zeit, aber mir war entfallen, daß das nicht nur mit dem Hohen Meißner zusammenhing.
Der Hanstein war unerreichbar, weil die Zonengrenze dazwischenlag. Erst vor drei Jahren konnte ich den Ludwigstein vom Hanstein aus betrachten.
Wie weit das alles zurückliegt! Als Kind beobachtete ich Ballons, die amerikanische Propaganda-Flugblätter in die DDR trugen. Manchmal wehte der Wind die Blätter zurück, sie waren meist rot und in deutscher und russischer Sprache bedruckt. Die Grenze hat meine ganze Kindheit geprägt. Wir sammelten Versteinerungen an den Berghängen und schraken zusammen, wenn hinter dem anfangs noch unscheinbaren Stacheldraht sich etwas regte: getarnte NVA-Grenzsoldaten, die uns aus drei Metern Entfernung mit Feldstechern beobachteten. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Die wirklich schlimmen Grenzanlagen kamen erst später.

Wer die Gegend noch nicht kennt, sollte mal dort Urlaub machen. Die Landschaft hat nach dem Ende der Schrecknisse etwas ungemein Stilles und eine einzigartige Schönheit. Nordhessen ist ja auch Brüder-Grimm-Märchenland. In Ubbelohdes unübertroffenen Bildern dazu wird man manches wiedererkennen, was er zwischen Werra und Lahn gesehen hat.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.05.2013 um 04.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#23163

„Direktor am Max-Planck-Institut für Netzwerkverknüpfung“ (Joachim Nettelbeck in der FAZ 8.5.13 zum 100. Geburtstag von Hellmut Becker am 17.5.)

Nettelbeck erwähnt weder sein besonderes Verhältnis zur Familie Becker noch die fragwürdigen Seiten seines Mentors. Ohne das Becker-"Netzwerk" wären auch der Odenwaldschul-Skandal und manches andere in der Bundesrepublik nicht möglich gewesen. Publizistische Speerspitze war die ZEIT, die sich bis heute nur lahm zu ihrer Verantwortung bekennt.

Raulff bringt Genaueres zu dieser Clique in "Kreis ohne Meister":

„Hellmut Becker, aufgewachsen in 'geistiger Bruderschaft' mit Harro Siegel, perpetuierte später dasselbe Muster in seiner eigenen Familie, indem er etwa den jungen Joachim Nettelbeck für einige Jahre in seine Familie aufnahm – und auch nach ihm noch manches andere zugelaufene oder eingesammelte Beckerkind.“ (491)

„Es konnte geschehen, dass Becker mitten in einer nächtlichen Gesprächsrunde unvermittelt darüber zu dozieren begann, welche schöpferischen Kräfte es freisetzte, wenn man eine homoerotische Leidenschaft in sich entdeckte und ihr stattgebe.“ (489)

Aus einer Besprechung: „Im grandiosen Kapitel über die Wiederkehr der pädagogischen Provinz in der bundesrepublikanischen Bildungsreform wird der charismatische Becker zum zentralen Protagonisten – ein 'Menschenfischer', der einen Kreis vielversprechender 'Beckerjungen' wie den jungen Alexander Kluge oder Joachim Nettelbeck, später Sekretär des von seinem Mentor initiierten Wissenschaftskollegs, an sich zieht.“

Freundin Dönhoff hat den Nachruf in der ZEIT (24.12.93) verfaßt.

Bevor die Bertelsmann-Stiftung das deutsche Bildungswesen übernahm, wurde es von Becker, Hentig und anderen pädagogischen Außenseitern beherrscht, über die wir dank Raulff (und Odenwald) nun etwas mehr Überblick haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2013 um 06.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#24055

Die Schwulen und Päderasten kamen ihm damals gerade recht. Es waren seine Mitstreiter. (FAZ über Trittin, 19.9.13)

In der Sache mag das stimmen, aber die Koordination ist trotzdem niederträchtig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.10.2013 um 09.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#24220

Die ZEIT geht ein klein wenig kritisch und ein klein wenig selbstkritisch auf die Pädophilie-Propaganda der späten sechziger Jahre ein, auch auf Kentler, dem sie damals eine Plattform geboten hat.

Der Klassiker "Zeig mal!" wird heute unterm Ladentisch gehandelt, zum Beispiel kann man ihn bei ZVAB bestellen:

Erstausgabe mit dem damals indizierten ersten Cover. Sehr gut erhalten, schönes Exemplar. Eine Neuauflage ist ob der Brisanz des Themas heute kaum vorstellbar.
880 €

In dieser aus dem Verkehr gezogenen Erstausgabe ausnehmend selten. In unseren heutigen peudeoaufgeklärten (!) Zeiten dürfte eine ähnliche Buchhandelsausgabe kaum mehr möglich sein.
720 €


Usw.

Die Behauptung oder Unterstellung, man sei damals weniger verklemmt gewesen und die Ansichten dieser "emanzipatorischen Sexualaufklärung" hätten allgemein geherrscht, ist aber ganz verkehrt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.04.2014 um 05.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#25627

Wieder und wieder spricht Hartmut von Hentig in seinen bildungspolitischen Essays von der Erziehung zur "Polis" (gern auch klein geschrieben) und übersetzt gelegentlich als "Gemeinwesen". Die Gräkomanie ist ziemlich albern, vor allem aber übergeht sie geflissentlich, daß wir keineswegs in einer Polis leben. Die gehört nun einmal zur griechischen Antike und ist nicht wiederherstellbar, auch wenn mancher sich das wünschen würde.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.05.2014 um 19.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#25794

Nachtrag zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#22251

Die FAZ bringt heute im Reiseteil einen Bericht über den Werra-Radwanderweg. Den bin ich vor 4 Wochen mit meiner Frau ein Stück entlanggefahren, irgendwann wollen wir mal das Ganze machen. Die Zeitung zitiert auch die Inschrift des Wesersteins in Hannoversch Münden:

Wo Werra sich und Fulda küssen
Sie ihre Namen büssen müssen,
Und hier entsteht durch diesen Kuss
Deutsch bis zum Meer der Weser Fluss.

Hann. Münden, d. 31. Juli 1899


Na ja. Für mich hätte es dessen nicht bedurft, denn wir lernten den Spruch vor über 60 Jahren in "Heimatkunde" auswendig, und obwohl ich kaum je wieder daran gedacht habe, kann ich ihn immer noch am Schnürchen. Heute weiß ich natürlich, daß niemand seinen Namen büssen muss, denn Weser und Werra sind offensichtlich dasselbe, und die Fulda ist halt ein Nebenfluß.

Wer mal durchgefahren ist, wird sich gewundert haben, daß die Bahn-Ansage tatsächlich Hannmünden lautet; ich glaube, als Kinder haben wir gar nicht gewußt, daß es eine Abkürzung ist. Mir fällt dazu keine Parallele ein (Schwäb?)
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 12.05.2014 um 13.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#25806

Laut [http://de.wikipedia.org/wiki/Hann._M%C3%BCnden] "heißt" die Stadt tatsächlich so bzw. hat sich so genannt. Vermutlich ist "hannoversch" irgendwie böse, vorbelastet oder sonstwie unerwünscht.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 13.05.2014 um 15.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#25810

Der Bezug des Namens "Hann. Münden" zu Hannover ist seit der Aufhebung der preußischen "Provinz Hannover" 1946, welche der Rechtsnachfolger des "Königreichs Hannover" war, das 1866 von Preußen anektiert worden war, nicht mehr gegeben. Der Name "Münden" alleine könnte aber zu Verwechslungen führen.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 13.05.2014 um 16.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#25811

Ein Landstrich verschwindet nicht, nur weil sich Verwaltungseinheiten ändern. Sollen sich Halle (Westfalen) und Oldenburg i. O. (in Oldenburg) umbenennen in "Halle in NRW" und "Oldenburg im Regierungsbezirk Weser-Ems"? Halt! Den gibt's ja auch nicht mehr!
Selbst Preußisch Oldendorf, das nie im engen Sinne in Preußen lag, will nicht anders heißen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.05.2014 um 16.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#25812

Eigennamen brauchen ja nicht unbedingt einen Bezug zur ursprünglichen Benennungsmotivation. Sonst hätte man nicht weiterhin Düsseldorf usw. sagen dürfen.
Aber mir ging es mehr um die eigenartige Bildeweise mit der Abkürzung, also ob die Einwohner selber den Ortsnamen nur noch aus Fahrplänen und Zugschildern abgelesen hätten.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 14.05.2014 um 11.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#25817

Im südlichen Niedersachsen an den Grenzen zu Hessen stand das Königreich Hannover für Fortschritts- und Verfassungsfeindlichkeit (siehe "Göttinger Sieben") und Vergnügungsfeindlichkeit (siehe historischer Studententreff Mariaspring in der hessischen Enklave der Plessedörfer), und daher ist dieser Name dort unbeliebt.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 14.05.2014 um 14.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#25818

Ein entfernt verwandter Fall, den man in Lautsprecheransagen hören kann, ist "Basel Bad Bf", also der Badische Bahnhof in Basel (deutsches Hoheitsgebiet!).

 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 14.05.2014 um 17.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#25820

Der Ortsname "St. Augustin" wird von Autofahrern gelegentlich auch mal als "Staugustin" gelesen, aber das ist natürlich eine gezielte und bewußte Fehllesung.
Ein etwas anders gelagerter Fall ist Glienicke an der Nordbahn (d.h. der Bahnstrecke Berlin – Stettin), gemeinhin auf Bahnhofsschildern abgekürzt als "Glienicke (Nordb)" oder noch knapper "(Nb)". Das wurde von Leuten, die damit nichts anfangen können, auch schon als "Nordberlin" interpretiert, obwohl der Ort deutlich jenseits der Berliner Landesgrenze liegt.
Wo ich mal dabei bin: Auf dem Bahnhof "Berlin Ostgüterbf", also dem Güterbahnhof der Ostbahn (Richtung Küstrin usw.) ereignete sich kurz nach der Wende (etwa Frühjahr 1990) ein Rangierunfall. Im Bericht des Tagesspiegels, der mit der Bezeichnung auch nichts anfangen konnte, hieß es dann prompt: "... auf dem Güterbahnhof im Ostteil unserer Stadt ..." (Die Ostberliner Presse berichtete natürlich unter korrekter Namensnennung.)

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2014 um 14.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#26806

Noch eine Erinnerung an mein Referendariat:

Mein Sohn kann heute leider wegen unüberwindlicher Unlust nicht zur Schule kommen.

Nichterfundenes Entschuldigungsschreiben – und so gut nachfühlbar!

Als die älteren Schüler ihre Entschuldigungen selbst schreiben konnten, erfanden sie, wie meine Frau mir berichtet, schreckliche Krankheiten, z. B. den "scharlachroten Tropentripper".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.10.2015 um 09.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#30225

zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#24220

Neulich wurde in der FAS Kentler als Wortführer der Pädophilen entlarvt. Bißchen spät, es liegt ja alles seit vielen Jahren klar zutage. Man sollte sich mal mit der ZEIT und anderen Organen befassen, auch dem "Kreis ohne Meister", der sich dort ausbreiten durfte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.05.2016 um 13.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#32640

In wenigen Tagen erscheint eine 1400 Seiten starke Rechtfertigungsschrift Hartmut von Hentigs. Beim Verlag (Was mit Kindern – Wamiki) kann man Auszüge lesen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 21.05.2016 um 14.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#32641

Unbescheiden wie eh und je! Ein Mann, der nur in einem Mausoleum ewige Ruhe wird finden können.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.05.2016 um 15.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#32642

Bernhard Pörksen hat es schon besprochen:

http://www.zeit.de/2016/18/reformpaedagogik-missbrauch-hartmut-von-hentig
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.05.2016 um 16.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#32643

Ich dachte, ich hätte hier meine Anmerkungen zu Hentigs Lebenserinnerungen schon eingerückt, aber anscheinend habe ich es vergessen.

(Nur zum Komplex Gerold Becker:)

Im zweiten Band erzählt v. Hentig fast wörtlich dieselbe Geschichte wie in der Gerold-Becker-Fs.:
Hartmut von Hentig Antoinette Becker: Geschichten mit Kindern. Zum sechzigsten Geburtstag von Gerold Becker. Friedrich Verlag, Velber. 1996.

Er beschreibt seinen mehrwöchigen Segelausflug mit Gerold Becker und Hentigs zehnjährigem Neffen Nikolaus (der später als junger Mann tödlich verunglückte, laut ZEIT Selbstmord beging – Hentig spricht nur von Gasvergiftung durch einen defekten selbstinstallierten Durchlauferhitzer) in die Ägäis: „Calling for attention“.
Die beiden Pädagogen ringen offenbar um die Zuneigung des Kindes, an einem Abend eskaliert es: „Die Mahlzeit blieb ungegessen, ich nahm meinen Schlafsack, zog hundert Meter weiter, rollte mich ein und heulte.“ Hentig ist damals immerhin 43 Jahre alt. Im SPIEGEL-Interview deutet Hentig die Geschichte so: „Ein Kind kämpft verzweifelt um Anerkennung, will einen Erwachsenen ‚ganz für sich‘ haben, wobei ihm jedes Mittel recht ist: vom Zündeln bis zu wilder Aggression.“ Wie üblich projiziert Hentig alles auf das Kind. Er erkennt nicht, daß das Problem in ihm selbst und seinem Freund liegt (so wie zuvor schon in den Eltern des Knaben).
(Eine ehemalige Odenwaldschülerin berichtet: „ich habe HvH weinen gesehen, weil gerold ihn betrogen hatte. ich wusste von meinem familienoberhaupt, dass HvH gerolds freund/liebhaber war. ich habe das immer als wahr angenommen.“)
Hentig behauptet, voll „Neid“ auf Becker geblickt zu haben. „Eifersucht“ ist treffender als „Neid“ – es geht ja nicht um die pädagogischen Fähigkeiten, als wenn Hentig gern ein ebenso guter Lehrer gewesen wäre wie Becker.
Nach der Aufdeckung des Mißbrauchs an der Odenwaldschule äußerte Hentig, daß Becker vielleicht von einigen Schülern verführt worden sei. Es ist dasselbe Muster: Das Kind verführt den Erwachsenen. Andreas Huckele hat in seiner Dankrede zur Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises 2012 noch einmal auf die Ungeheuerlichkeit dieses Vorwurfes hingewiesen.

Man versteht nicht so recht, was an Nikolaus so außergewöhnlich schwierig gewesen sein soll, weshalb die Eltern nicht mit ihm fertig wurden und ihn diesen beiden homosexuellen Männern anvertrauten. (Hentig vergißt nicht zu erwähnen, daß aus Nikolaus ein „schöner“ Mann geworden ist.)

(Außer dem Titel sind noch weitere englische Brocken eingestreut, der Zweck bleibt dunkel.)

SPIEGEL: Haben Sie nie einen Verdacht geschöpft? In Ihrer Biografie berichten Sie von einer Reise nach Griechenland, die Sie beide gemeinsam mit einem zehnjährigen Kind unternommen haben, und schreiben von "Eifersucht" und besonderer Nähe zwischen Ihrem Lebensgefährten und dem Kind.
Hentig: Nein. Wer meine Wahrnehmung von, mein Interesse an, meine Bewunderung für Gerold Beckers Pädagogik verstehen will, sollte meinen Bericht über diese gemeinsame Reise mit dem Neffen Nikolaus lesen. Während Gerold Becker in dieser Lage das "Richtige" tat, tat ich das "Notwendige". Ihm gelang (fast) alles, mir nur weniges. In dem Bericht von 1996 – da wurde er erstmals unter dem Titel "Calling for attention" publiziert – frage ich mich in der Tat, indem ich mich in die Lage von damals (1968) zurückversetze: "Bin ich eifersüchtig auf das Einvernehmen der beiden?" Jedenfalls geht es um die Beschreibung einer "klassischen" pädagogischen Situation: Ein Kind kämpft verzweifelt um Anerkennung, will einen Erwachsenen "ganz für sich" haben, wobei ihm jedes Mittel recht ist: vom Zündeln bis zu wilder Aggression.

-
Auch der zwölfjährige Mark Ellingboe aus Amerika begleitete die beiden Männer auf einem Segelurlaub in der Ägäis. Er war später Model für Calvin Klein und erkrankte an Aids, woran er auch gestorben ist. Sein Bruder Scott wurde, als er zwölf war, ebenfalls zum Urlaub mit Hentig herübergeschickt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.05.2016 um 06.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#32644

Eine Ergänzung, die eigentlich auch unter "Synonymie" stehen könnte. Besonders anstößig fanden Kritiker (wie Albrecht Schöne) eine Äußerung Hentigs von 2015:

„Sexuelle Handlungen an, mit und vor Kindern sind falsch, auch wenn sie mit deren Einwilligung geschehen. Wer sie vollzieht, begeht ein schweres Unrecht, für das es keine Entschuldigung gibt. Sie werden 'abscheulich', wenn Täuschung, Gewalt und Erniedrigung im Spiel sind.“

Auch ohne die Anführungszeichen, die eine eigene Betrachtung verdienen, muß man das wohl so verstehen: Geschlechtsverkehr mit Kindern ist eindeutig verboten und daher falsch und unentschuldbar, aber nicht moralisch verwerflich, solange er einvernehmlich geschieht.

In seinem neuen Buch verteidigt sich Hentig so:

Muss ich nicht ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mir Gerold Beckers Taten als etwas vorstelle, was ich zwar verurteile, aber nicht verabscheue?

Falls Hentig zu Lebzeiten seines Freundes, bei dem er auch im Odenwald oft übernachtete, nichts gewußt haben sollte, so muß er inzwischen doch alles wissen, zumal er ja die Enthüllungsliteratur ausführlich kommentiert.

Die "Blindheit", die Pörksen bei Hentig erkennt, verdirbt ihm die Selbstrechtfertigung. In seinen Lebenserinnerungen liest man, daß er mit Rudolf zur Lippes Söhnchen in die Oper ging – das waren berichtenswerte Ereignisse für ihn. Mädchen kommen nicht vor.

Landschulheime waren seit ihrer Gründung ein Wunschtraum für Pädophile, nur noch übertroffen durch mehrere Wochen mit einem hübschen Knaben auf einem Segelboot im Mittelmeer.

Pädagogische Provinzen aller Art sollte man einmal unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Wie sublimiert auch immer: Stets geht es darum, sich mit den Kindern anderer Leute irgendwo abzuschließen von der übrigen Gesellschaft.

(Hentigs Formulierung hat bei mir noch eine ganz leichte Irritation hinterlassen, und wenn ich ihr nachgehe, liegt es an der Formulierung wenn ich mir Gerold Beckers Taten als etwas vorstelle, was ich zwar verurteile, aber nicht verabscheue. Warum sagt er nicht einfach: wenn ich Gerold Beckers Taten zwar verurteile, aber nicht verabscheue?)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.08.2016 um 17.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#33082

Schock in der Türkei: Verfassungsgericht erlaubt Sex mit Kindern

Bisher war Sex mit Kindern unter 15 Jahren in der Türkei strafbar. Doch das Verfassungsgericht kippte das Gesetz. Kinderrechts-Organisationen laufen Sturm.

(merkur.de 12.8.16)

Vgl. http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#16279

Im Vatikan wurde das Schutzalter (12) erst 2013 angehoben, in Malta nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.08.2016 um 19.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#33095

Zur aktuellen Diskussion um die Ehemündigkeit ebenfalls eine Erinnerung aus dem katholischen Kirchenrecht:

„Nach can. 1083 CIC liegt das Mindestalter für Frauen bei 14 und für Männer bei 16 Jahren.“

Vgl. übrigens noch http://pressespiegel-tuerkei.blogspot.de/2016/08/turkei-erlaubt-sex-mit-kindern-oder-der.html
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.11.2017 um 04.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#37019

"Keiner hat sich so eifrig darum bemüht, die Pädagogik in den Rang einer Wissenschaft zu erheben, wie Hartmut von Hentig." (Konrad Adam)

Wirklich? Aber Hentig hat doch ausschließlich essayistisch geschrieben. Er hatte ja das Fach auch nicht studiert. (Abgesehen von der Frage, ob es überhaupt eine Wissenschaft ist oder werden kann.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.08.2018 um 04.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#39344

Zu Adolf Loos (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1407#33441)

Adolf Loos, einer der größten Baumeister der Moderne, wurde als pädophiler Straftäter in Wien verurteilt. Das wurde lange verschwiegen. Nun aber beginnt endlich die Debatte darüber, was eigentlich geschah. (ZEIT 13.8.15)

Aber was gibt es da noch zu debattieren? Das Verbrechen, der fragwürdige Prozeß, die milde Verurteilung und das weitere Schicksal der drei Mädchen sind aufgeklärt, und wir nehmen nur die Bestätigung mit, daß damals über sexuelle Beziehungen zu Kindern nicht so streng geurteilt wurde wie heute, entsprechende Schwärmerei („Kindfrau“) unbeanstandet veröffentlicht wurde, auch der Besitz von „kinderpornographischen“ Fotos nicht strafbar war usw., alles längst bekannt. Wir sind moralischer, aber nicht besser geworden. – Es hat denn auch keine weitere „Debatte“ gegeben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.01.2019 um 10.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#40610

Über den Reformdurchsetzer Kultusminister Hartmut Holzapfel wird mitgeteilt: Er war 1998 "vollumfänglich" über die Zustände an der Odenwaldschule informiert worden, unternahm aber nichts. (Jens Brachmann: Reformpädagogik zwischen Re-Education, Bildungsexpansion und Missbrauchsskandal: Die Geschichte der Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime 1947-2012. Bad Heilbrunn 2015:399)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.01.2019 um 03.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#40672

Frank Rexroth (Fröhliche Scholastik. München 2018) spricht ausführlich über die „Intimität“ der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler an Dom- und Klosterschulen schon des frühen Mittelalters, eine geradezu symbiotische Enge ohne Entrinnen. Er zitiert aus heißen Liebesbriefen, erwähnt auch, daß Lehrer wie Schüler die heftigen Züchtigungen mit der sprichwörtlichen Rute offenbar genossen. Auch aus den vielen strengen Vorschriften, die Küsse und andere intime Kontakte unterbinden sollten, geht hervor, welche Rolle sie offenbar spielten (was übrigens beweist, daß die moralischen Maßstäbe von den heutigen nicht sehr verschieden waren). Da wäre wohl etwas konkreter zu reden gewesen als mit dem zart umschreibenden Begriff der „Intimität“, der auch theoretisch eine wissenschaftssoziologische Bedeutung zugeschrieben wird.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.06.2020 um 08.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#43705

In seiner Autobiographie erzählt Richard Dawkins:

The Chief Rabbi was good enough to send me a gracious apology a few days later (wegen eines unbegründeten Antisemitismus-Vorwurfs), and I take his remark in the studio to have been a temporary aberration: an anomalous mistake by a decent gentleman. I was not, to put it mildly, so impressed by the most senior Roman Catholic spokesman with whom I have debated, Cardinal George Pell, Archbishop of Sydney. We were pitted against each other in a television studio of the Australian Broadcasting Corporation. I had been warned in advance that he was a bully and a ‘bruiser’ – not a happy reputation, you would think, for a senior figure in a church purporting to be founded on more generous principles. Pell played for cheap laughs from the gallery in a way that clerical gentlemen of the stature of Archbishop Williams, Chief Rabbi Sacks and Father George Coyne would never do. He was fortunate that a substantial fraction of the studio audience had obviously been hand-picked as partisans in his favour, because he had an almost endearing gift for putting his foot in his mouth, as when he spoiled his otherwise praiseworthy acceptance of evolution by adding the gratuitous error that humans were descended ‘from Neanderthals’. Or when he told an anecdote about a time when he had been ‘preparing some English boys . . .’ and allowed an embarrassing pause to ensue before he completed the sentence ‘. . . for first communion’, a pause long enough to allow a minority of the audience to laugh suggestively.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.10.2020 um 03.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#44605

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#39344

Fünf Jahre später rollt die ZEIT nochmals die Debatte um den Kinderschänder Adolf Loos auf, aber es führt zu nichts außer ein paar Leserbriefen. Dagegen wird die Bedeutung von Loos für Architektur und Design wieder stärker beachtet, z. B. in Ausstellungen.

Aber eigentlich wollte ich noch einmal auf das Ornament selbst zurückkommen. Die deutsche Wikipedia, nicht die englische, behauptet in einem etwas schwiemeligen Eintrag:

Ein Ornament (von lat. ornare „schmücken, zieren, ordnen, rüsten“) ist ein sich meist wiederholendes, oft abstraktes oder abstrahiertes Muster mit für sich genommen symbolischer Funktion.

Die symbolische Funktion gehört nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht zum Ornament. (Auch die weitere Darstellung ist teilweise falsch.)

Es ist nicht leicht, mutmaßliche Schrift (Schriftzeichenkandidaten nach meiner Terminologie) von bloßen Ornamenten zu unterscheiden, wie bereits an der Donauschrift gezeigt. Das wird übrigens sehr schön von Thomas Mann veranschaulicht:

Was nun jene Zeichenschrift betrifft, über die er sich gar niemals beruhigen konnte, so fand sie sich auf der Schale einer neu-kaledonischen Muschel von mäßiger Größe und war auf weißlichem Grunde in leicht rötlichbrauner Farbe ausgeführt. Die Charaktere, wie mit dem Pinsel gezogen, gingen gegen den Rand hin in reine Strich-Ornamentik über, hatten aber auf dem größeren Teil der gewölbten Fläche in ihrer sorgfältigen Kompliziertheit das entschiedenste Ansehen von Verständigungsmalen.

(über Adrian Leverkühns Vater Jonathan)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.01.2023 um 05.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1289#50323

Zum uralten Problem übergriffiger Priester (wirklich kein Grund, aus allen Wolken zu fallen!) gibt es eine Anekdote:

One day when Alfred Hitchcock was still a churchgoing Catholic, he was driving through a Swiss city when he suddenly pointed out of the car window and said, "That is the most frightening sight I have ever seen."
His companion was surprised to see nothing more alarming than a priest in conversation with a little boy, his hand on the child’s shoulder.
"Run, little boy," cried Hitchcock, leaning out of the car. "Run for your life!"
 
 

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