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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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07.01.2010
 

Was ist ein Wort? Was ist EIN Wort?
Nochmals zu einem alten Thema

Meistens werden Wörter zusammengeschrieben, Wortgruppen getrennt. Daher die Versuchung, den Wortbegriff unter "Spatien" zu behandeln.

Aber die These stimmt eben nicht ganz. Für die Verbzusätze habe ich wieder und wieder im Anschluß an Drach (und Hermann Paul) argumentiert, daß Zusammenschreibung zwar ein nützliches graphisches Hilfsmittel ist, aber kein Indiz für echte Zusammensetzung und damit Worthaftigkeit. Nach herkömmlicher Lehre ist in weggegangen, wegzugehen ein Kompositum sonderbarerweise "morphologisch getrennt", durch das eingeschobene ge. Nach meiner Ansicht gibt es keine trennbare Verben, und die genannten Fälle sind völlig normal = eigentlich weg gegangen, weg zu gehen. Übrigens könnte man die Infinitivpartikel zu ebenso wie das ge als Präfix betrachten und mit dem Infinitiv zusammenschreiben, wie es bei Grimmelshausen vorkommt. Aber dann bestünde die Gefahr der Verwechslung mit dem Verbzusatz, deshalb läßt man es besser.
Es gibt also keine klare Eins-zu-eins-Entsprechung zwischen Wortbegriff und Schreibweise.

Nun ein paar weitere Fälle: sowieso schreiben wir konventionell zusammen, und wenn man erstbetont, ist das auch berechtigt: Univerbierung. ein und derselbe könnte zusammengeschrieben werden, weil es meist EIN Wort ist, Beweis ist die Flexion nur am Ende: Es handelte sich um ein und dieselben Personen (SZ 28.2.09). Ebenso Grund und Boden: des Grund und Bodens. Vgl. auch: der Grundsatz des Treu und Glaubens (Stifterverband: Wirtschaft und Wissenschaft 2/2003:39). mit ein wenig Glück (statt einem wenig) zeigt auch schon die Univerbierung (fränkisch aweng).

Durch Gliederungsverschiebung entstehen auch neue Wörter, z. B. das Prozent – eigentlich ziemlich sonderbar. Oder man denke daran, wie allein, engl. alone entstanden ist! Aus was ist das für ein Mensch? (eigentlich: was ist das anstelle eines Menschen?) ist mit Gliederungsverschiebung entstanden was für ein Mensch ist das?, und das könnte man zusammenschreiben: was für ein.



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Kommentare zu »Was ist ein Wort? Was ist EIN Wort?«
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 07.01.2010 um 22.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15522

Wörter enthalten keine "syntaktischen Sollbruchstellen" für "syntaktische Einschübe", Wortgruppen sehr wohl. Aber vielleicht genügt das noch nicht für die Definition "Wort".
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.01.2010 um 10.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15524

Diese Sicht ist mir neu und überraschend. Aber daß sich die Wortanzahl bei Konjugation nicht verändert und daß Wörter nur an einer Stelle dekliniert werden, hat auch etwas Überzeugendes.
Trotzdem bleiben mir ein paar Fragen.

Die Rechtschreibgegner wollten ja mal z.B. Furcht erregend durchsetzen und hatten vergessen, daß man solche Wörter auch steigern kann. Wir halten ihnen vor, daß äußerst Furcht erregend oder noch Furcht erregender ungrammatisch sind. Könnten sie mit solch einer Wortdefinition nicht sagen, was wollt ihr denn, äußerst steht wie bisher vor EINEM Wort, es wird eben nur getrennt geschrieben?

Wir sagen, durch die Reform wurden Wörter vernichtet. Könnten sie dann nicht entgegnen, diese Wörter werden jetzt einfach nur mit Leerzeichen geschrieben, sie existieren nach wie vor?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.01.2010 um 10.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15525

Lieber Herr Riemer, das haben die Reformer ja tatsächlich gesagt. Weil die Diskussion mit so unscharfen Begriffen nicht geführt werden kann, haben wir damals diese Linie nicht sehr eingehend weiterverfolgt. Ich selbst insbesondere habe aufgrund meiner oben skizzierten Ansichten zum Verhältnis von GZS und Wortbegriff auch nicht ganz im Sinne meiner Mitstreiter argumentiert. Aber das ist alles so lange her, ich kann es unmöglich noch einmal aufrollen.
(Unter rechtschreibreform.com steht die erste Hälfte, später haben wir hier unter FDS-Freunden weiterdiskutiert. Unter dem Beispielwort "aufsehenerregend" findet man wohl das meiste, auch meine Hinweise auf Belege für eben doch vorkommendes prädikatives Partizip I. Alles zusammenhängend dann in meinem "Kritischen Kommentar". Die Reformer sind gerade auf den letzten Punkt nie eingegangen, im Rechtschreibrat gibt es auch niemanden, der das Problem überhaupt versteht. Eisenberg ist, bei allen sonstigen Verdiensten, gerade bei der GZS am schwächsten. Daher ja die sehr unbefriedigende Lösung von 2006.)
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 08.01.2010 um 14.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15526

Muß man als Schreiber wissen, was EIN Wort ist?
Mir ist eine hieb- und stichfeste Definition bisher eigentlich noch nie abgegangen.
Mich interessiert lediglich, die Bedeutungsbegriffe in jener Form aneinanderzureihen, daß die gewollte Sinnaussage möglichst treffend und unmißverständlich übertragen wird.
Die getrennte oder eben zusammengezogene Schreibweise leistet vielfach gute Dienste, um Bedeutungsunterschiede zu markieren. Die Frage, ob zusammengeschriebene Bedeutungsbegriffe gleichzeitig auch Wörter sind, oder ob es auch getrennt geschriebene Konstrukte gibt, die man Wörter nennen könnte, hat für mich bestenfalls akademischen Charakter.
Mal sehen, welche Erkenntnisse in diesem Strang noch herausgearbeitet werden.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 08.01.2010 um 14.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15527

@Muß man als Schreiber wissen, was EIN Wort ist?

Wenn man die Regel "Wörter schreibt man zusammen" anwenden will, schon.

Man kann sich zweifellos mit der Erklärung begnügen, alles, was durch Spatien oder Sonderzeichen abgetrennt wird, als Wort anzusehen, aber damit kann man nicht erklären, wo die Spatien hingehören, und dreht sich im Kreis.

Muß man als Sprecher wissen, was ein Wort ist?
Was nützt die Unterteilung in Wörter dem Verständnis der Sprache?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.01.2010 um 16.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15528

Als Schreiber muß man nur wissen, wie es geschrieben wird, das stimmt schon, aber das ist hier nicht die Frage.
Ich möchte noch etwas nachtragen, was bei dem durch zu "unterbrochenen" Infinitiv ein altes Problem betrifft. Die rückgebildeten Verben wie notlanden haben ja meist defektive Paradigmen, d. h. zuerst werden Infinitive und das Partizip II gebildet und dann vielleicht noch finite Formen. Wie steht es nun mit notzulanden? Wenn man das zu als Präfix und nicht als Wort auffaßt, gibt es kein Problem mehr: landen – zulánden – notzulanden. Also wie gehen – zugéhen – heimzugehen.
 
 

Kommentar von , verfaßt am 08.01.2010 um 18.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15529


 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 09.01.2010 um 16.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15530

"unterderhand" wird im "Fleischer/Barz" unter "Konversion von Wortgruppen", "Substantivische Wortgruppen" als Beispiel für die seltenere Bewahrung des Artikels innerhalb des Konversionsprodukts aufgeführt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.01.2010 um 17.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15531

Fleischer/Barz lassen sich, wie immer, von der Orthographie diktieren, was ein Wort ist. unterderhand besteht aus drei Wörtern, der Akzent deutet auch nichts Gegenteiliges an. (Dies ist kein Plädoyer für Getrenntschreibung!)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.01.2010 um 00.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15532

Was heißt aber "besteht aus"? Ich meine, echte Zusammensetzungen (z.B. Fahrrad) bestehen ja auch aus mehreren Wörtern. Muß man hier nicht eindeutiger sagen, so wie auch der Tagebucheintrag heißt, unterderhand IST ein oder SIND drei Wörter?

Was mir noch auffällt, wenn ich das richtig verstanden habe, dann sind substantivische Zusammenschreibungen immer EIN Wort, Zusammenschreibungen in Verbform aber immer mehrere Wörter.
Das Aussehen ist ein Wort, aussehen sind aber zwei Wörter?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.01.2010 um 01.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15533

(statt "eindeutiger" meinte ich "eindeutig")
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 10.01.2010 um 02.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15534

Wie ist es denn mit den attributiven Zusammenschreibungen (der schwer kranke/schwerkranke Patient gegenüber der Patient ist schwer krank)?

Handelt es sich bei schwerkrank um eine echte Zusammensetzung oder um eine bloße Zusammenschreibung?

Ist die Zusammenschreibung mit einem Adjektiv gleich zu beurteilen wie mit einem Partizip (der hell leuchtende/helleuchtende Stern gegenüber der Stern leuchtet hell)?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.01.2010 um 06.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15535

Ja, aussehen sind zwei Wörter; es gibt kein grammatisches Argument für Zusammensetzung. Die Semantik muß man draußen lassen, sonst wären unzählige Wortgruppen (Phraseologismen, Funktionsverbgefüge usw.) ebenfalls jeweils ein Wort.
Umgekehrt muß das Aussehen als ein Wort gelten, weil das aus Sehen, des aus Sehens im Deutschen nicht konstruierbar wären. Die Substantivierung ist also eine Art Konversion aus der Wortgruppe. (Ich sage "eine Art", weil genaugenommen die Wortgruppe keine Wortart hat und daher auch kein Wortartwechsel stattfinden kann.)

Bei schwerkrank hatte der Duden sich früher in den Kopf gesetzt, daß Zusammensetzung und -schreibung samt Erstbetonung bei attributivem Gebrauch, Wortgruppe, End- oder Gleichbetonung und Getrenntschreibung bei prädikativem vorzusehen sei. Das entspricht aber nur einer gewissen Tendenz, das Attribut klassifizierend und das Prädikat beschreibend zu gebrauchen. Das jeweils andere ist aber auch möglich, daher sehe ich diese Regel nicht mehr vor. Es kommt in beiden Fällen darauf an, was man sagen will und wie man dementsprechend betont.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.01.2010 um 17.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15539

Nun hatte ich auch noch ein Beispiel gewählt (Fahrrad), an dem man besonders gut sieht, daß "die Vorderglieder echter Zusammensetzungen ... gerade keine Wörter mehr [sind]" (Th. Ickler, Kritischer Kommentar). Dann ist es also doch eindeutig zu sagen, Zusammenschreibungen "bestehen aus" soundsoviel Wörtern. Entschuldigung, aber ich habe gerade wieder was gelernt.
Allerdings spricht man ja auch immer bei zusammengesetzten Substantiven von Bestimmungswort und Grundwort, das ist dann auch irreführend.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 16.01.2010 um 03.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15551

Warum sollte die Zusammenschreibung von sowieso nur bei Anfangsbetonung berechtigt sein? In meinem Duden ist sowieso nur Endbetonung angegeben.

Den Satz Es handelte sich um ein und dieselben Personen empfinde ich als ausgemachte Stilblüte. Im DWDS-Kerncorpus gibt es für eine derartige Bildung nur fünf Fundstellen.

Einundderselbe wird gelegentlich tatsächlich zusammengeschrieben (ist mir auch passiert). Im DWDS gibt es aber nur vier Fundstellen, davon drei aus einunddemselben Buch von Ludwig Klages.

Die Wendung "der Grundsatz des Treu und Glaubens" ist höchst ungewöhnlich (keine einzige Fundstelle im DWDS). Sonst sagt man "der Grundsatz von Treu und Glauben" (16 Fundstellen).

Kann man bei mit ein wenig Glück wirklich von Univerbierung sprechen? Läge bei mit ein bißchen Glück auch Univerbierung vor?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.01.2010 um 05.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15552

Bei sowieso habe ich mich nachlässig ausgedrückt; ich meinte, daß Anfangsbetonung ein Beweis ist, im übrigen kann man natürlich auch die Wortgruppe zusammenschreiben, der Usus entscheidet.
ein und derselbe (statt einer und derselbe usw.) ist in allen Flexionsformen reichlich belegbar, s. Google. Das Entscheidende ist die fehlende Flexion des Erstgliedes. So auch bei mit ein wenig statt mit einem wenig. Für ein bißchen gilt dasselbe (das Selbe!). Wir merken schon gar nicht mehr, wie "unmöglich" die Verbindung mit ein ist.
Auch bei des Treu und Glaubens empfehle ich einen Blick in Google (was zugleich das DWDS-Korpus in ein ungünstiges Licht rücken dürfte).
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 18.01.2010 um 05.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15569

Wieso (Endbetonung) ist Anfangsbetonung ein Beweis? Oder war das ein Tippfehler und "ist kein Beweis" gemeint?

Meine beiläufige Bemerkung zu ein und dieselben bezog sich nur auf diese Pluralform. Diese Verbindung von dem Einen und dem Vielen ist nach meinem Geschmack ein krasser Widerspruch, eben eine Stilblüte. Die Mehrzahlform ist auch nach Google viel seltener als die gebeugten Einzahlformen. Für ein und dieselben gibt es 655 Tsd. Fundstellen, allein für ein und demselben gibt es 5,64 Mio. Fundstellen. Diese Wendung ist überhaupt kurios: einerseits die fehlende Beugung des ersten Glieds, andererseits die Binnenbeugung des letzten Glieds.

Im übrigen halte ich wenig von der ausnahmslosen Dudenschen Zwangszusammenschreibung von derselbe. Dadurch gerät ein Satz wie Das ist das gleiche Auto, aber nicht dasselbe orthographisch aus dem Gleichgewicht.

Bei Treu und Glauben besteht nach meinem Eindruck eine deutliche Neigung, die Beugung ganz zu vermeiden. Für von Treu und Glauben findet Google 24,6 Mio. Belege, für des Treu und Glaubens nur 2.240. Das ist ein Verhältnis von mehr als 10.000:1, was mit dem Verhältnis von 16:0 beim DWDS durchaus vereinbar ist.

Daher glaube ich nicht, daß das DWDS durch Google in "ein ungünstiges Licht" gerückt wird. Der DWDS-Korpus basiert auf Druckerzeugnissen, die zumindest zum Teil ordentlich redigiert sein dürften. Im Internet kann man selbst die abenteuerlichsten Schreibungen finden. Deshalb sind Abweichungen von der Schreibnorm im DWDS-Korpus viel aussagekräftiger als solche im Netz.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.01.2010 um 08.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15570

Zu Google nur schnell noch dies: In der Tat sind die Zahlenangaben dort ein Hokuspokus. Gestern habe ich nach einer bestimmten Wendung gesucht und bekam "ungefähr 54.000.000" Stellen, die sich aber nach einigen Sekunden und etwas Suchen plötzlich auf 360 reduzierten, ohne daß sich an meiner Eingabe etwas verändert hätte. Ich weiß nicht, wie das kommt.
Nein, auf diese Zahlen gebe ich nichts, sondern sehe mir ausgewählte Stellen in offensichtlich guten Quellen an, und wenn ich dann etliche Dutzend oder Hunderte davon finde, meine ich, man kann nicht mehr einfach von Fehler oder Stilblüten sprechen.
"sowieso" mit eindeutiger Anfangsbetonung unterscheidet sich jedenfalls für mich klar von der normalen Betonung der Wortgruppe "so wie so", wo ich die beiden "so" ungefähr gleich stark betonen würde. Insofern ist Betonung des Erstgliedes für mich ein Zeichen der Univerbierung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.01.2010 um 18.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15578

Zun unserem Thema habe ich zufällig einen kurzen und guten Essay gefunden, anonym, aber ich glaube, er ist von dem verstorbenen Larry Trask:

http://www.sussex.ac.uk/linguistics/documents/essay_-_what_is_a_word.pdf

Auch für GZS interessant!
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 20.01.2010 um 16.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15592

Ja, lieber Herr Ickler, Ihre Vermutung trifft zu: Auf der Seite http://www.sussex.ac.uk/linguistics/1-4-1-2.html wird der von Ihnen genannte Aufsatz als "Working paper" mit dem Kürzel LxWP11/04 geführt, und als Autor ist Larry Trask angegeben.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.01.2010 um 14.23 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15602

Wie ist es z.B. bei statt_dessen? Vor der Reform galt ja Getrenntschreibung, die Reform verlangt Zusammenschreibung, wobei wahrscheinlich beides jederzeit seine Berechtigung hat und hatte.
Ist nun aber statt dessen ein Wort oder sind es zwei?
Ist stattdessen ein Wort oder zwei?
Sind stattdessen und statt dessen identische Wörter bzw. Wortpaare?
Oder ist diese Frage sprachwissenschaftlich völlig irrelevant?

Auch die altindische Meisterformel, ein Wort ist, "was eine nominale oder verbale Endung hat" (siehe hier), scheint mir darauf keine Antwort zu geben, oder irre ich mich da, liebe(r) florafox?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.01.2010 um 18.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15603

Die Neuregelung bei stattdessen ist ein besonderes Problem, das ich leider in meinem Gesamtkommentar übersehen habe (aber anderswo habe ich es kommentiert). Sowohl Getrennt- als auch Zusammenschreibung sind vorgesehen. Das amtliche Wörterverzeichnis verweist zur Unterscheidung auf § 39, aber dort wird man auch nicht klüger. Die Dudenredaktion versucht seit 1996, sich einen Reim darauf zu machen, indem sie die Getrenntschreibung mit einem trivialen Relativsatz illustriert: "der Kanzler, statt dessen eine Ministerin gekommen war". Die Zusammenschreibung wird durch ein rückverweisendes Demonstrativum exemplifiziert: "der Kanzler konnte nicht kommen, stattdessen schickte er eine Ministerin." Es scheint aber sehr fraglich, ob damit das Richtige getroffen ist, zumal Relativa und Demonstrativa sonst formgleich sind. Die ausführlichere Erklärung in "Richtiges und gutes Deutsch" beschreibt noch einmal die Dudenauslegung, hat aber keine Grundlage in der amtlichen Regelung.
Verstanden hat das sowieso bisher niemand.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 22.01.2010 um 05.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15604

Lieber Herr Riemer,

ich meine, die Frage ist nicht nur sprachwissenschaftlich sondern auch sonst irrelevant. Für den Schreibenden stellt sich die Frage, ob zusammen oder getrennt geschrieben wird. Welchen Gewinn hätte er, wenn er stattdessen fragen würde, ob es sich um ein Wort handelt oder nicht? Das würde nur zu Begriffsklauberei führen.

Nach dem alten Duden mußte infolgedessen zusammen, statt dessen aber getrennt geschrieben werden. Warum? Tatsächlich ist schon vor der Reform recht häufig stattdessen und infolge dessen geschrieben worden, wie man etwa im DWDS-Corpus feststellen kann.

Wenn es die Präposition infolge gibt, dann muß es auch infolge dessen geben, und wenn es die Konjunktion infolgedessen gibt, warum nicht auch die Konjunktion stattdessen?

Ausnahmsweise finde ich hier die Neuregelung durchaus überzeugend und folgerichtig. Auch die Unterscheidung im Amtlichen Wörterverzeichnis zwischen statt dessen (Präposition + Relativpronomen) und stattdessen (Konjunktion/Adverb) erscheint mir leicht verständlich und plausibel. Sicherlich mag man sich fragen, warum das Amtliche Wörterverzeichnis nicht auch ausdrücklich die gleiche Unterscheidung bei infolgedessen/infolge dessen bringt. Vielleicht einfach deshalb, weil sich hier gar keine Änderung ergeben hat? Der Duden 2006 behandelt beide Fälle vollkommen gleich.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.01.2010 um 11.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15607

Die Getrenntschreibung statt dessen im Relativsatz ist ja völlig klar und unstrittig, ich würde auch trivial sagen, sowohl vor als auch nach der Reform gibt es da keine Unterschiede. In meinem letzten Beitrag #15602 meinte ich sowohl mit Getrennt- als auch mit Zusammenschreibung nur das Demonstrativpronomen bzw. Konjunktion/Adverb.

Ja, lieber Herr Achenbach, im Grunde habe ich ja die gleichen Bedenken wie Sie. Aber ich frage mich, wenn es irrelevant ist, was ein Wort ist, und wenn es nur auf die Orthographie ankommt, wieso befassen sich Sprachwissenschaftler überhaupt mit dem Wortbegriff?

In dem u.g. Essay von Larry Trask steht ganz im Gegenteil dazu, daß orthographische Wörter (die man leicht an den Leerzeichen erkennt) kaum von linguistischem Interesse sind, aber z.B. GWF, ich will sie mal einfach grammatische Wörter nennen, sehr wohl. Genauso verstehe ich auch Prof. Ickler. Und offensichtlich haben sich auch die altindischen Meister schon dafür interessiert, was ein Wort ist, nur kannten sie anscheinend keine endungslosen Wörter?

Wenn man sich also überhaupt mit grammatischen Wörtern befaßt, muß man dann nicht wissen, ob die Varianten von statt_dessen (dessen nicht als Relativpronomen gemeint) nun ein Wort oder zwei sind und ob sie identische Wörter/Wortgruppen sind oder nicht?
Siehe auch den Titel dieses Tagebucheintags.
Wenn der Vorwurf der Begriffsklauberei richtig wäre, beträfe er ja wohl nicht mich, sondern die ganze Rede vom grammatischen Wort?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.01.2010 um 11.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15608

Herr Achenbach hat nur die Hälfte des Problems aufgegriffen. Es fehlt der demonstrative Gebrauch, denn mit "Konjunktion/Adverb" ist ja eine Vorentscheidung getroffen, die gerade in Frage steht.
Also noch einmal ein kritisches Beispiel: "Die Kanzlerin war nicht erschienen, stattdessen kam ein Minister." Aber auch "statt deren kam ein Minister." (Die ebenfalls bei Sprachpflegern beliebte Frage nach "deren" und "derer" lasse ich mal beiseite.) Die zweite Interpretation würde analog nach sich ziehen: "statt dessen (statt des Kanzlers) kam ein Minister." Getrenntschreibung also nicht nur beim Relativum, sondern auch anaphorisch beim Demonstrativum.
Duden schlägt vor, den konjunktionalen (bzw. adverbialen) Sinn durch die Ersetzung "dafür" deutlich zu machen. Das ist offenbar nicht zwingend.

Ich will – wohlgemerkt – nicht bestreiten, daß es eine grammatisch saubere Unterscheidung gibt, aber das amtliche Regelwerk ist nicht klar genug, und dem normalen Schreiber dürfte es auf jeden Fall zu hoch scheinen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.01.2010 um 13.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15609

Auch im Altindischen gab es Wörter ohne Flexionsendungen, nämlich laut Mayrhofers Sanskrit-Grammatik die Zahladverbia einmal, zweimal, einfach, dreifach, einzeln, zu zweien usw. Die Grundzahlen wurden dagegen gebeugt. (Sie ähneln übrigens verblüffend den slawischen Zahlen.)
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 22.01.2010 um 14.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15610

Th. Ickler: "Die Kanzlerin war nicht erschienen, stattdessen kam ein Minister." Aber auch "statt deren kam ein Minister." (Die ebenfalls bei Sprachpflegern beliebte Frage nach "deren" und "derer" lasse ich mal beiseite.)

(Müßte es dann nicht besser "statt ihrer" heißen?)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 22.01.2010 um 16.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15611

Die Kanzlerin war nicht bei der Präsidentin erschienen, ...
statt ihrer ... anstelle der Präsidentin
statt deren ... anstelle der Kanzlerin
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.01.2010 um 17.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15612

Danke für die stilistischen Verbesserungen! Meine Beispiele waren nicht gerade die besten.
 
 

Kommentar von florafox, verfaßt am 22.01.2010 um 18.26 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15613

Zu Herrn Riemers Frage, ob "statt dessen" gem. Panini als ein oder zwei Worte anzusehen wäre, muss zunächst auf die im Sanskrit übliche totale Zusammenschreibung aller Worte im Satz verwiesen werden, die in gedruckten Texten später aufgeweicht wurde. Dort sind Komposita wiederum ja gerade daran erkennbar, dass sie zusammengeschrieben werden, wenn – ja wenn da nicht die "amredita" wären, die iterativen Komposita, die ja auseinander geschrieben werden. Schwierig! Da Panini ja alles in kleinste Partikel zerlegte, denke ich, dass er von zwei Worten ausgehen würde. Im übrigen definierte er ja nicht, was EIN Wort ist, sondern, was ein WORT ist, wenn er sagte "suptingantam padam."
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.01.2010 um 01.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15614

Danke. Vielleicht ist ja, was EIN Wort ist, zwar für die Theorie nicht irrelevant, dafür aber in sehr vielen Fällen (besonders bei den Unflektierbaren) ambivalent. Ähnlich wie mit den Wortarten.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 23.01.2010 um 03.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15615

Lieber Herr Riemer,
im Problemfälle-Duden von 1985 heißt es:
"Hierbei beziehen sich deren und dessen immer auf die letztgenannte Person oder Sache."
Also würde sich in Ihrem Beispiel statt deren genauso auf die Präsidentin beziehen wie statt ihrer. Um klarzustellen, daß die Kanzlerin gemeint ist, müßte man daher wohl eher statt jener sagen. Noch besser wäre es natürlich, statt der Kanzlerin zu sagen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 23.01.2010 um 03.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15616

Meine Frage gehört eigentlich nicht in diese Diskussion, was ein Wort ist; aber ich stelle sie hier trotzdem einmal: Ist "was ist das für ein Mensch?" wirklich "eigentlich: was ist das anstelle eines Menschen?" Die Präposition "für" regiert den Akkusativ; aber nach "was für" haben wir alle Fälle. (Ich nehme hier mal an, daß "während was für eines Augenblicks" irgendwie geht; aber wenn nicht, dann steht "was für" zumindest mit drei Fällen, — wobei sowieso am wichtigsten wäre, daß es auch mit dem Nominativ steht.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2010 um 12.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15617

Lieber Herr Ludwig, das "eigentlich" sollte nur kurz auf die etymologische Herkunft des zweiteiligen Pronomens hinweisen. Dessen Grammatik ist heute natürlich eine andere, und das ist ja gerade der Witz der Geschichte (Gliederungsverschiebung, Umdeutung).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2010 um 12.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15618

Eine Menge Beispiele nach dem Muster des Grund und Bodens findet man in den ganz großen Grammatiken, eine besonders eindrucksvolle Sammlung z. B. in Sütterlin, Neuhochdeutsche Grammatik S. 311ff.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 23.01.2010 um 14.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15619

Lieber Herr Achenbach,
wegen der Frage, ob statt ihrer vielleicht besser als statt deren ist, meinte mit meinem Beispiel vor allem, daß generell beides möglich ist, und daß man bei mehreren Bezügen damit eine Differenzierungsmöglichkeit hat.

Im Duden, Bd. 4, Grammatik von 1984 steht dazu:
"Mit der, die, das wird identifizierend auf etwas voraus- oder zurückgewiesen, ohne daß über die Lage in bezug auf den Sprecher/Schreiber (sei es Nähe, sei es Ferne) etwas ausgesagt wird; sie sind lagemäßig neutral. ...
Das Demonstrativpronomen ist vorzuziehen, wenn beim Possessivpronomen mehrere Bezüge möglich sind: Grete verabschiedete sich von Regine und deren Mann (ihrem Mann kann sowohl Gretes wie Regines Mann bedeuten)."

Nun steht hier leider nicht, wessen Mann dann deren Mann bedeutet, aber es ist wohl klar, daß damit, wie Sie auch schreiben, der letztgenannte gemeint ist. Ich habe also leider meine beiden Beispiele gerade falsch herum angeführt, danke Ihnen für den Hinweis.

Im Falle der Kanzlerin ginge also statt deren/ihrer/jener, aber interessanterweise existiert wohl kein Wort, mit dem man im Dudenbeispiel in ebenso eindeutiger Weise auf Gretes Mann bezugnehmen kann.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2010 um 16.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15620

Was florafox über die Sanskrit-Komposita sagt, ist nicht richtig. Diese werden nicht an der Zusammenschreibung erkannt, weder früher noch später. Panini kannte zwar die Schrift, nimmt aber nirgendwo darauf Bezug, die Wortbildung ist völlig unabhängig davon entwickelt, und daran hat sich auch später nichts geändert. Die Wörter werden in der Schrift jederzeit zu größeren Blöcken zusammengefaßt. Die Grenzen zwischen den Wörtern werden vor allem durch den Sandhi verdunkelt, was für Anfänger ein großes Lektürehindernis ist. Das betrifft aber die Kompositionsfuge ebenso wie die selbständigen Wörter.

Der Hinweis auf die Amredita-Komposita ist auch mißverständlich formuliert. Es geht ja nicht um Getrenntschreibung, sondern um Tmesis schon in der gesprochenen Sprache, d. h. das im Rigveda vorkommende Dazwischentreten anderer Wörter zwischen die Glieder eines solchen Amreditas.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 23.01.2010 um 22.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15621

Eine ähnliche Erscheinung wie den altindischen Sandhi gibt es im Irischen, wo der Anfangskonsonant eines Wortes verändert wird, wenn es mit dem vorhergehenden Substantiv eine Sinneinheit bildet; das wird "Lenition" genannt. Meist wird der Verschlußlaut in den nächstverwandten Dauerlaut umgewandelt; in der Orthographie wird die Lenition durch Hinzufügen eines "h" wiedergegeben; das tritt auch im Wortinneren auf.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.01.2010 um 01.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15622

Den Sandhi gibt's auch im Erzgebirgischen, z.B. in dem bekannten Lied vom Vugelbeerbaam:
"Un hot se's verschlofen, do huln mr sche rei"
(Und hat sie's verschlafen, dann holen wir sie rein)

"iech waar'sch net erlaabn"
(ich werde es nicht erleben)

sie: nach r wird se zu sche
es: nach r wird 's zu 'sch
ebenso: Wurst → Wurscht usw.
(Diese Aussprache von rs als rsch ist gerade so wie im Norwegischen und Schwedischen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2010 um 07.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15623

Sandhi gibt es wahrscheinlich überall, es ist ja nur ein Sonderfall der Koartikulation, nur wird er nicht überall geschrieben. Das ist für die deutsche Rechtschreibung interessant, denn die Stammschreibung (Morphemkonstanz) ist eine Art, den Sandhi zu ignorieren bzw. zugunsten eines höheren Leserinteresses zu neutralisieren. Die Auslautverhärtung ist ja auch eine Art Sandhi (Assimilation des Auslauts an die Sprechpause) und wurde mittelhochdeutsch geschrieben: kint. Notker ging ahd. noch etwas weiter. Aber das haben wir alles aufgegeben, weil der Leser den Sinn und nicht den Klang der Rede erfassen will. In der gesprochenen Sprache assimilieren wir munter weiter, vor allem beim Allegro-Sprechen (im Berlin statt in Berlin usw.).
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 24.01.2010 um 09.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15625

Nochmal zu stattdessen/statt dessen:

Hier bestehen zwei Fragen:

1. Handelt es sich um ein Wort oder um zwei?

2. Sind die Amtlichen Regeln "nicht klar genug" und dürfte das "dem normalen Schreiber auf jeden Fall zu hoch scheinen"?

Zu 1.

Wie schon gesagt, halte ich diese Frage für "irrelevant". In jedem Fall, ob zusammen oder getrennt geschrieben, ist klar, daß hier das rückverweisende Pronomen dessen enthalten ist. Entscheidend scheint mir, worauf sich dessen bezieht: auf ein bestimmtes Substantiv, auf eine Person oder Sache, oder allgemein auf das vorher gesagte, auf den vorher beschrieben Sachverhalt?

Im ersten Fall scheint mir, analog zu anstatt derer, die Getrenntschreibung naheliegend, sonst die Zusammenschreibung, weil dann die Wendung eher als (zusammengesetzte) Konjunktion aufgefaßt wird. Natürlich könnte man ohne weiteres in beiden Fällen getrennt schreiben, so wie nach dem alten Duden. Genausogut könnte man aber auch infolge dessen immer getrennt schreiben.

Zu 2.

Ich meine auch, daß die Amtlichen Regeln zumindest unvollständig sind. Der unbedarfte Leser könnte daraus schließen, daß stattdessen, außer im Relativsatz, immer zusammen geschrieben werden muß. Allerdings war der alte Duden noch weniger auskunftsfreudig. Der unbedarfte Leser hätte daraus schließen können, daß infolgedessen, selbst im Relativsatz, immer zusammen geschrieben werden muß.

Nun könnte man eine umfassendere Regel wie folgt formulieren:
"Bezieht sich dessen auf ein bestimmtes, vorher genanntes Substantiv, wird statt dessen/infolge dessen getrennt geschrieben, bezieht es sich aber allgemein auf vorher Gesagtes, wird stattdessen/infolgedessen zusammengeschrieben." Diese Regel würde den Fall des Relativsatzes einschließen.
Wäre das für den "normalen Schreiber" zu hoch?

Hinzu kommt, daß es dem "normalen Schreiber" ziemlich egal sein kann, ob er zusammen oder getrennt schreibt. Jedenfalls fällt mir kein Beispiel ein, wo das einen nennenswerten Bedeutungsunterschied ausmachen würde. In der gesprochenen Sprache läßt sich der Unterschied ohnehin nicht machen.

Allerdings sehe ich noch eine Feinheit, die dem "normalen Schreiber" allerdings auch egal sein kann:
In dem Beispiel der Kanzler war nicht erschienen, stattdessen kam ein Minister empfinde ich so etwas wie eine doppelte Verneinung. Schriebe man statt seiner kam ein Minister oder dafür kam ein Minister empfände ich das nicht. Sehe ich schon Gespenster?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2010 um 13.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15626

Volle Zustimmung! Ich möchte nur noch etwas zu erwägen geben: Der Genitiv ist ja so ziemlich im Aussterben begrifen, weshalb statt/infolge dessen eher anspruchsvoll und ein wenig altertümlich wirkt, im Gegensatz zu den "eingebauten" Genitiven wie in dem eben verwendeten weshalb oder in derart, und so könnte man voraussagen, daß stattdessen noch lebendig sein wird, wenn es ansonsten den Genitiv nicht mehr gibt.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 24.01.2010 um 13.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15627

Ich weiß nicht, bekommt man denn das alles so schlüssig hin? Ich finde Herrn Achenbachs Unterscheidungen plausibel und seine Regel durchaus allgemeinverständlich. Trotzdem schreibe ich nach wie vor in allen Fällen statt dessen, und zwar ganz einfach weil ich es irgendwann so gelernt habe und damit bisher nicht unzufrieden war. Als Schüler fand ich allenfalls merkwürdig, daß man zwar infolgedessen, nicht aber aufgrunddessen schreiben sollte, trotz der sich (mir) aufdrängenden Analogie.

Heute denke ich, daß die Schreibpraxis nicht zuletzt von vielen »weichen« Faktoren beeinflußt wird, die sich nur schwer in Regeln fassen lassen. infolgedessen, aber aufgrund dessen. Warum? Weil das erste viel geläufiger ist als das zweite, so daß es den Schreibern schlicht an Gelegenheit fehlt, ein Bedürfnis nach Zusammenschreibung zu entwickeln? Weil das Aufeinanderstoßen von zwei d als unschön empfunden wird? (Warum dann aber währenddessen?) Weil der Sprung von auf Grund dessen zu aufgrunddessen (anders als der von infolge dessen zu infolgedessen) zu groß wäre, so daß erst noch ein Zwischenschritt eingelegt wird? »Morphologisch komplexer« (dieser Faktor stemmt sich ja in anderen Fällen gegen die Zusammenschreibung) als infolge scheint mir aufgrund jedenfalls nicht zu sein.

Kurzum, ich meine, man sollte in diesen Fällen den Schreibgebrauch beobachten, so genau wie jeweils erforderlich beschreiben und ansonsten – wie überall, wo etwas nicht ferngesteuert im Flusse ist – Toleranz walten lassen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 24.01.2010 um 22.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15630

zu #15625, Punkt 1., Wortanzahl:
Würden Sie denn auch sagen, lieber Herr Achenbach, daß die Getrenntschreibungen
in meinem, in seinem, in dessen (Haus)
"naheliegend" sind? Ich meine, sie sind nicht nur naheliegend, sondern so sehr selbstverständlich und auch nicht reformdeformiert, daß ich über den Fall statt dessen/deren (Präposition + Possessiv- oder Relativpronomen, 2 Wörter) am liebsten gar nicht mehr sprechen möchte.

Das eigentlich Interessante ist doch nur der Fall, daß stattdessen oder statt dessen sich, wie Sie schreiben, "allgemein auf das vorher gesagte, auf den vorher beschrieben Sachverhalt" beziehen.

Wenn hier die Wortanzahl irrelevant ist, d.h. niemand interessiert sich dafür, dann verstehe ich nun nicht mehr, wieso man andererseits darauf bestehen soll, daß z.B. aussehen 2 Wörter sind. Wen interessiert das dann? Den Schreiber jedenfalls auch nicht.

Seit ich durch dieses Forum ein klein wenig mehr über Wörter weiß, scheue ich mich ehrlich gesagt, den Begriff Wort überhaupt noch zu benutzen, und rede meist lieber umständlich von Zusammen- und Getrenntschreibungen, weil mir das klarer erscheint.

Ich würde ja dazu tendieren, 1 Konjunktion, 1 Pronomen, 1 Adverb, 1 Präposition auch immer jeweils als 1 Wort zu bezeichnen. Dann könnte man sowohl statt dessen als auch stattdessen als 1 Wort betrachten. Man könnte aber beides aus anderer Sicht auch als (ggf. zusammengerückte) Wortgruppe, also je 2 Wörter unterschiedlicher Wortart ansehen. Das ist das, was ich mit ambivalent meinte, es ist etwas anderes als irrelevant.

Es kann doch nicht irrelevant sein, ob 1 Konjunktion 1 Wort ist oder 2?
Ich meinte, Konjunktion steht für eine Wortart, nicht für eine Wortgruppenart?
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 25.01.2010 um 01.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15633

Lieber Herr Metz,

ich stimme Ihnen in allem zu. Ich bin auch ganz für Toleranz.

Um einem denkbaren Mißverständnis vorzubeugen, möchte ich betonen, daß ich in meinem Beitrag keineswegs eine neue Regel postulieren wollte. Ich habe ja selbst gesagt, daß man stattdessen und infolgedessen auch durchgehend getrennt schreiben könnte. Dann muß man allerdings akzeptieren, daß dessen sich nicht nur auf ein bestimmtes Wort, sondern auch auf einen ganzen Satz, ja einen ganzen Sinnzusammenhang beziehen kann. Ich habe auch dagegen nicht das geringste, allenfalls könnte man sich fragen, ob dessen dann streng genommen noch ein Pro-Nomen ist.

Ich hatte auch gesagt, daß es ziemlich egal ist, ob man zusammen oder getrennt schreibt, da in den allermeisten Fällen, wenn überhaupt, ein Mißverständnis nicht zu befürchten ist.

Mir ging es nur um zwei Dinge:
– die auch nach Meinung von Prof. Ickler unvollständigen Ausführungen der Amtlichen Regeln möglichst sinnentsprechend zu ergänzen
– zu verstehen, warum es seit langem bei manchen Schreibern (zu denen ich gehöre) eine Neigung gibt, stattdessen entgegen der alten Dudenregelung in bestimmten Fällen zusammenzuschreiben.

So sehr ich für Toleranz bin, so wenig weiß ich, wo man im Einzelfall die Grenzen der Toleranz ziehen soll. Das ist das uralte Dilemma.
Ebenso wenig (!) weiß ich, wie weit man im Einzelfall gehen muß, um den Sprachgebrauch "so genau wie jeweils erforderlich" zu beschreiben. Hätte der alte Duden etwa auf das Vorkommen der Schreibungen stattdessen oder zuhause hinweisen müssen? Hätte er sie vielleicht sogar "tolerieren" sollen?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.01.2010 um 09.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#15635

Im Grunde ist jede Regel "zu hoch", denn wir schreiben nicht nach Regeln, sondern nach Intuition (Erfahrung). Ich habe unter Regeln immer die kurzgefaßte Darstellung der Praxis verstanden.

Außerdem war meine Meinung immer, daß wir die Unterscheidung Wort/Wortgruppe nicht mit der von zusammen/getrennt gleichsetzen dürfen. Das war mein Haupteinwand gegen die amtliche GZS vor allem bei den Verbzusatzkonstruktionen, aber auch sonst.

Zur Illustration meines letzten Eintrags:

mein Haus – dein Haus – sein Haus – und dem sein Haus!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.10.2011 um 17.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#19342

Ein hübscher Fall von Zusammenrückung ist dieser: Das schmeckt nach alles anderem als nach Schokolade u. ä. statt nach allem anderen als. Zugrunde liegt offenbar Das ist alles andere als klar usw. Dann hat sich die Flexion verschoben. Erstaunlich viele Belege bei Google (über 4000 allein in dieser Verbindung mit nach).
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 10.01.2013 um 08.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#22308

In Wikipedia finde ich folgende Formulierung (hier gekürzt):

Stalking als Verhaltensweise, um z. B. Partner (zurück) zu gewinnen

Hier funktioniert nur die Getrenntschreibung. Die Konstruktion eingeklammerter (d. h. weglaßbarer) Verbzusatz + zu + Infinitiv kommt zwar selten vor, ist aber durchaus ein Argument für die Ansicht, daß es sich bei zurückgewinnen um zwei Wörter handelt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.01.2013 um 04.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#22373

Kanzlerin hält Bundestagsmandat für unnötig, die SPD schon. (SZ 17.1.13, Untertitel)

Im ersten Teil ist das Adjektiv negiert, aber nicht der Satz (die Prädikation), darum ist der Anschluß mit doch, schon o. ä. nicht möglich.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 17.01.2013 um 08.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#22374

Zu #22308:

Allerdings könnte man mit diesem Argument auch die Schreibung aus geben und Dutzende ähnlicher Getrenntschreibungen rechtfertigen: Er hatte keine Lust, noch mehr Geld (aus) zu geben usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.01.2013 um 10.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#22375

Ich verstehe Herrn Wrase nicht so, als wolle er die Getrenntschreibung von Verbzusätzen rechtfertigen, sondern in dem Sinne, daß die Verbzusätze trotz Zusammenschreibung im Grunde Wörter und keine Kompositionsteile sind. Das ist natürlich auch meine Ansicht. GZS ist also keinesfalls in der Weise mit Zusammen- und Getrenntschreibung kurzzuschließen, wie das fast jeder und insbesondere jeder Reformer tut.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 17.01.2013 um 12.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#22376

Der WP-Anonymus ist sicherlich der Meinung, die Schreibung zurück zu gewinnen (ohne die neckische Klammer) sei die einzig statthafte.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 17.01.2013 um 14.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#22377

Die Schrift hat eine starke Wirkung auf die Leser. Wir haben uns daran gewöhnt, zurückgewinnen und viele ähnliche Fügungen zusammenzuschreiben, und das ist vorteilhaft – aber nur deshalb ist man auf den ersten Blick so überzeugt, daß es sich um ein einziges Wort handeln muß. Dabei gibt es eine Reihe von Argumenten, die das Gegenteil plausibel machen (also daß es sich um zwei Wörter handelt): die Vertauschung der Reihenfolge je nach Konstruktion und die oft große Entfernung der beiden Teile, Übersetzungen in andere Sprachen, Zweifelsfälle (bei denen man sich schlecht entscheiden kann, ob man zusammen- oder getrennt schreiben soll), bestimmte Verbzusätze oder Verben, bei denen man zur Getrenntschreibung neigt (vornüber kippen, zusammen sein), Erweiterungen des Zusatzes (ganz sicher gehen) und noch andere.

Der Anblick von (zurück) zu gewinnen irritiert vermutlich nur wenige schrift- und regelbewußte Leute, und keinen von uns hätte zurück gewinnen irritiert, wenn wir 200 Jahre früher gelebt hätten. Was seit seit Goethes Zeit geändert hat, ist nicht die Grammatik, sondern unsere Lese- und Schreibgewohnheit. Die Leseprobe (zurück) zu gewinnen kann als kleine Erinnerung an die Zeit dienen, als es ganz selbstverständlich war, in zurück gewinnen zwei Wörter zu sehen – auch bei Kontaktstellung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.08.2013 um 18.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#23912

„Wir haben einige Leute angesprochen und haben gerade in der Region Mainz bereits den ein oder anderen Interessenten gefunden“, sagte ein Bahnmanager der Morgenpost. (Berliner Morgenpost 17.8.13)

Solche Wortgruppen, die nur am Ende flektiert werden, könnten auch zusammengeschrieben werden: des einoderanderen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.05.2014 um 06.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#25755

Sehr häufig sind Univerbierungen dieser Art:

...wozu neben der milliardenschweren Steuerbelastung auch ein etwas schwächer als erwarteter Ausblick beigetragen haben könnte. (FAZ 2.5.14)

Ebenso höher als erwartete Altlasten usw.

Der erste Teil übernimmt die Komparation, der zweite die Flexion. Die Getrenntschreibung täuscht darüber hinweg.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.10.2014 um 04.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#27100

Die Abkürzung usw. ist zwar nicht einzigartig, verstößt aber auf den ersten Blick gegen die Interpunktionsregeln.
Unauffällig kommen uns Abkürzungen wie frz., skr. vor. Sie folgen stillschweigend dem Grundsatz, den Anlaut der Silben herauszugreifen. So auch idg., agr., ma., die schon in den Bereich der Zusammensetzungen übergehen: Jg. usw. Bei lfd. (lfd. Nummer) ist das d ebenfalls Silbenanlaut, in der unflektierten Form Auslaut, dessen Hinzufügung bei einigen Wörtern der Abkürzung zusätzlich die erwünschte Wiedererkennbarkeit verleiht, gewissermaßen physiognomische Prägnanz.
Bei usw., um darauf zurückzukommen, liegt gewissermaßen stillschweigende Univerbierung vor mit anschließender Silbenakronymie; insofern ist es doch wieder regelhaft geschrieben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.05.2015 um 05.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#28845

Meinung ist die wie immer auch eingeschränkte Setzung eines subjektiven, in seinem Wahrheitsgehalt beschränkten Bewußtseins als gültig. (Adorno)
Nur die Sprache, sagte er sich, hat dich bisher diese wie immer auch elende Einsamkeit überhaupt ertragen lassen. ( Botho Strauß)
in der wie immer auch einseitigen Studie von Farias (FAZ 29.9.92)

Diese Wendungen können nicht syntaktisch aufgelöst werden, ohne daß sich ein ungewollter Sinn ergibt. Man rückt wie elende auch immer in die attributive Stellung, was aber eigentlich nicht geht. Lakoff hat ähnliche Erscheinungen als "syntaktisches Amalgam" bezeichnet.

Adorno habe ich zitiert, weil dieser erheblich zur Verbreitung der Konstruktion beigetragen hat.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 09.05.2015 um 08.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#28847

Das war bei Wiesengrund wohl der Versuch, die however-Apposition nachzuahmen: 'a positing, however limited'.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 09.05.2015 um 18.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#28852

Nun ist das however im Englischen nachgestellt, wie auch normalerweise die Entsprechung im Deutschen. Das Besondere bei Adorno ist doch die ungewöhnliche Voranstellung.

Die Voranstellung an sich empfinde ich allerdings nicht als besonders auffällig. Den Ausdruck die wie auch immer eingeschränkte Setzung empfände ich kaum als anstößig. Das geradezu Absurde an Adornos Ausdrucksweise ist jedoch die Ersetzung von wie auch immer durch wie immer auch. Dadurch erhalten die zitierten Sätze eine völlig andere Bedeutung als vermutlich beabsichtigt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.10.2015 um 16.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#30306

Ulrich Engel:

Dabei steht am Anfang das lexikalische Element. Als solches haben wir alles definiert, was in geschriebenen Texten zwischen blanks stehen kann.

Kann sich die Grammatik derart von den Gewohnheiten und Normierungen der Schrift abhängig machen?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.10.2015 um 20.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#30308

Die Rechtschreibreformer: Wenn die Rechtschreibregeln den Grammatikregeln widersprechen, umso schlimmer für die Grammatik!
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 22.10.2015 um 22.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#30309

Ja, so kann man Hegel auch auslegen.
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 23.10.2015 um 17.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#30317

Die Methode funktioniert besonders gut bei alten lateinischen oder auch griechischen Texten, wo man gar keine Satzzeichen oder Wortzwischenräume verwendete. Auch bei der Devanagarischrift oder der arabischen Schrift setzt man nicht unbedingt da ab, wo wir gemeinhin eine Wortgrenze sehen. (al dschasîra etwa wird mehr wie a ldschas îr a geschrieben.)

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.02.2016 um 04.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#31786

ein Tuch, das nach alles anderem als nach Aprilfrische duftete (Stefanie Zweig: Katze fürs Leben. Heyne-TB München 1999:142)

Zu erwarten wäre: nach allem anderen; die Gruppe wird jedoch wie ein Wort behandelt und am Ende gebeugt. Also ein weiterer Fall von "Univerbierung". (Mit Google kann man leicht zahllose Belege finden.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.06.2016 um 15.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#32743

derselbe und derjenige sind auf den ersten Blick Pseudokomposita oder rein orthographische Komposita. Bei näherer Betrachtung gilt das aber nur für derselbe, das die normale Betonung einer Verbindung zweier Wörter hat. Auch kann der bestimmte Artikel in der üblichen Weise mit einer Präposition verschmolzen werden: am selben.
Bei derjenige deutet die Anfangsbetonung auf echte Univerbierung hin, und am jenigen ist nicht möglich. Es muß also wirklich Binnenflexion (desjenigen usw.) angesetzt werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.10.2016 um 12.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#33422

Zum Sandhi fiel mir noch der Ton-Sandhi ein, als ich heute morgen las, wie die FAZ den üblichen chinesischen Gruß transkribiert: nǐ hǎo.
Das ist an sich richtig, aber der Ton-Sandhi ist nicht berücksichtigt. Wenn zwei dritte Töne aufeinander folgen, wird der erste zum zweiten Ton: ní hǎo. Soweit ich weiß, wird das in Pinyin nicht geschrieben, es stellt sich beim Lesen automatisch ein. (Vor mir liegt gerade "Liang Xiang Hao", die chinesische Fassung von "Goody Two-Shoes".)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.05.2017 um 04.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#35066

Beim Schreiben kontrollieren wir natürlich die Grammatik stärker, aber es gibt doch eine Menge Belege für Univerbierung (nach dem Muster des Grund und Bodens):

Hier finden Sie eine Liste mit öffentlich bestellt und beeidigten Dolmetschern und Übersetzern in Bayern. (http://by.bdue.de/fuer-auftraggeber/publikationen/)

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.09.2017 um 04.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#36315

Die Reformer haben manche (graphischen) Univerbierungen aufgelöst: unter der Hand.
Andere nicht: von vornherein. Man kann nicht wissen, wo sie zugeschlagen haben und wo nicht. Diese Unsicherheit verfolgt den gewissenhaften Schreiber auf Schritt und Tritt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.09.2017 um 17.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#36333

so daß ist durch Gliederungsverschiebung aus so ... daß entstanden, zugleich nichtrestriktiv geworden. Der Hauptakzent liegt heute auf dem daß; damit ist die Verbindung aber nicht mehr konstruierbar, sondern nur als Univerbierung begreifbar. Die Zusammenschreibung wäre fällig und wurde intuitiv auch vor der Reform schon oft angewandt. In meinem Wörterbuch sind, dem empirischen Anspruch gemäß, beide Schreibweisen verzeichnet.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.10.2018 um 05.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#39936

dementsprechend:

Die Anfangsbetonung spricht für Zusammenschreibung.

„Dieses Wort oder diese Verbindung ist rechtschreiblich schwierig (Liste der rechtschreiblich schwierigen Wörter).“ (Duden online)

Im amtlichen Wvz. nicht enthalten. (Das läßt sich beinahe voraussagen, obwohl Duden dem Wort die Frequenzstufe drei zuweist.) Man kann also nicht sicher sein, daß die Dudenangabe amtlich anerkannt ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.08.2019 um 11.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#41906

Norbert Röttgen vertritt eine deutlich Putin kritische Politik. (https://de.wikipedia.org/wiki/Norbert_Röttgen)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.10.2019 um 22.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#42203

Die Ahnen der Dinosaurier
...
So bringt das Erdzeitalter Paläozoikum Tonnen schwere Fische hervor, ...

(MM, 5.10.19, WE-Beilage, S. 6)

Die reformierte Schreibung ist wirklich Kinder leicht und Stroh dumm.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.08.2020 um 21.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#44072

Aufgeschnappt in einem Düsseldorfer Biergarten nach anfänglich erfolgreicher Wespenvertreibung:

"Dat is komisch, sobald de an ze essen fängst, sin de Viehcher wieder do."
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.08.2020 um 11.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#44073

Ein alter Herr erzählt, daß er als Kind keinen Fisch mochte, aber – nach damaliger Pädagogik – so lange am Tisch sitzen bleiben mußte, bis er alles aufgegessen hatte. Da kamen ihm wie im Märchen die kleinen Tiere zu Hilfe, und er beobachtete fasziniert, wie die Wespen Stückchen für Stückchen vom Fisch davontrugen. Das hat er ihnen nie vergessen.

Übrigens bestand er dann bei seinen eigenen Kindern ebenfalls darauf, daß sie alles aufessen, und wenn sie den ganzen Nachmittag vor ihrem Teller sitzen mußten. Heute verfährt man eher so, daß die Kinder sich nur so viel nehmen sollen, wie sie glauben bewältigen zu können. Schlagen darf man sie ja auch nicht mehr, und das ist sogar amtlich, obwohl es auch nicht grausamer ist als die schwarze Eßpädagogik. Seelische Grausamkeit ist allerdings schwerer meßbar als "in die Fresse" (Nahles).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.02.2022 um 20.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#48552

Einer holte sich den Rekord im Wasser, einer hofft, eine noch nie da gewesene Leistung in der Höhe zu vollbringen.
(Freie Presse, 14.2.22, S. 8)

Da? Man fragt sich beim Lesen unwillkürlich, wo denn?

Wenn man es aber so betont, wie es gemeint ist, dágewesen, nicht da gewésen, ist nur Zusammenschreibung möglich.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.10.2023 um 15.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#51984

Der Guß der neuen Glocke für den Fichtelberg in Innsbruck ist gelungen:

Mit dieser guten Nachricht im Gepäck sind die beiden Schwarzenberger nun ins Erzgebirge zurück gekehrt.
(Freie Presse, 18.10.23, S. 12)

Wohin kehren sie denn?
In dieser Form und Bedeutung kann man das meiner Ansicht nach nur mit dem Verbzusatz zusammen schreiben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.10.2023 um 16.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#51985

Leider ist es nicht so einfach, weil der Verbzusatz selbst dann durch gewisse Erweiterungen vom Verb getrennt werden kann, wie hier gezeigt:
http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#25125.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.10.2023 um 19.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#51988

Ja, aber hier läßt mich das trotz Nachbarstellung getrennt geschriebene zurück kehren eher an Kehricht denken als an die gemeinte Rückkehr.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.10.2023 um 04.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1265#51991

Das ist verständlich, es tritt aber auch bei normaler Hauptsatzstellung unvermeidlicherweise ein: "Er kehrte...." (mit dem Besen?) "...zurück."

Es führt wohl doch kein vernünftiger Weg an meiner (am Material entwickelten) Lösung vorbei: dem "Rundbogen" für fakultative Zusammenschreibung außer bei jenen wenigen Verbzusätzen, wo die Sperrung praktisch nicht vorkommt: "Kannst du mich mit zur Gießerei nehmen?" Aber nicht: "Kannst du mich ab vom Kino holen?"
 
 

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