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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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10.12.2009
 

Entwicklung
Rechtfertigungsrhetorik

Ein Kollege bekam von einem Verlagsmitarbeiter, dem er seine Bedenken gegen die Rechtschreibreform vorgetragen hatte, folgende Antwort:

"Ich finde es schade, daß Sie der Entwicklung von (deutscher) Sprache so wenig Raum einräumen."

Da haben wir es wieder, das Wortspiel mit der "Entwicklung". So läßt sich jeder Eingriff rechtfertigen.



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Kommentare zu »Entwicklung«
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 10.12.2009 um 10.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1258#15371

Das ist so, wie wenn man die Folter auf der Streckbank als Wachstum bezeichnet. Ein ganz natürlicher Vorgang, gegen den nichts einzuwenden ist.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 10.12.2009 um 13.21 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1258#15374

Aus der Annullierungs-„Debatte“ des Kieler Landtags am 15.9.1999:
Jürgen Weber [SPD]:
… Wir haben einen neuen Sachstand, auf den wir uns konzentrieren müssen. Für uns ist es unter diesen Umständen unverantwortlich – das darf ich als vorletzte Bemerkung noch anfügen –, die Schülerinnen und Schüler im Land, aber auch die Lehrerinnen und Lehrer, die die Schüler zu unterrichten haben, weiterhin auf der Grundlage eines überholten Regelwerks lernen zu lassen, das in der weiteren Entwicklung im deutschen Sprachraum keine Zukunft hat.
(Konrad Nabel [SPD]: Gut, prima! – Beifall des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Dr. Ekkehard Wienholtz, Innenminister:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden interfraktionellen Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes können Schul- und Amtssprache in inhaltlichem und zeitlichem Gleichklang weiterentwickelt werden. Ich freue mich, daß ich mit meinem Erlaßentwurf zur Amtssprache kurz vor der Sommerpause dazu mit einen Anstoß geben konnte.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 10.12.2009 um 13.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1258#15375

Das Changieren zwischen Genitivus subjectivus und Genitivus objectivus in "Entwicklung der Sprache" ist ja nicht nur ein Sprachspiel, sondern auch eine Denkfigur. Ihr Meister ist der frühe Marx, der Hegel auf den Kopf stellte, indem er dessen Dialektik zum Geschichtsvehikel umbaute. Da führt dann, zum Beispiel, die "Waffe der Kritik" ganz selbstverständlich zur "Kritik der Waffen". Im Grunde ist es der Denkstil des totalitären Agenten, der sich selbst als bloßen Vollstrecker von Notwendigkeiten wahrnimmt – wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist, sich die Notwendigkeiten auszudenken.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 10.12.2009 um 14.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1258#15377

Dr. Ekkehard Wienholtz, Innenminister:
''Mit dem vorliegenden interfraktionellen Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes können Schul- und Amtssprache in inhaltlichem und zeitlichem Gleichklang weiterentwickelt werden.''

So, als ob die Sprache von ''außen'' entwickelt werden müßte.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 10.12.2009 um 14.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1258#15378

Eigenartige Antwort, inhaltlich scheint der Verlagsmitarbeiter die Reform zu befürworten, trotzdem schreibt er "daß".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.12.2009 um 15.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1258#15379

Die Sprache als Objekt einer Entwicklung, die andere an ihr vornehmen – das ist schon die verkehrte Sicht des Bundestages, die dann im verhängnisvollen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nur zitiert zu werden brauchte:

„Der Deutsche Bundestag bittet die Bundesregierung, die behutsame [!] Entwicklung der deutschen Sprache – einschließlich des vorstehenden Überprüfungsverfahrens (Nummer 3) – zu begleiten und darüber den Deutschen Bundestag rechtzeitig – insbesondere im Hinblick auf Umsetzungsmaßnahmen in die Amtssprache – zu unterrichten." (Beschluß vom 26.3.1998)
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.12.2009 um 11.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1258#15391

Das Wort "Entwicklung" ist zweideutig, weil es von dem transitiven Verb "entwickeln" oder von dem reflexiven Verb "sich entwickeln" abgeleitet sein kann. Von reflexiven Verben sollten besser keine "-ung"-Wörter gebildet werden, weil das "sich" dabei verlorengeht.

Wer heute noch behauptet, daß die deutsche Sprache "entwickelt" werden mußte, ist zu dumm oder zu stur um zuzugeben, daß die Sprache "lebt" und daß es sich als amtliche Lüge erwiesen hat, daß die selbsttätige Sprachentwicklung ins Chaos geführt habe. Allerdings ist vorher jahrzehntelang behauptet worden, eine Rechtschreibreform sei dringend notwendig. Wer statt an Evolution an "Intelligent Design" glaubt, hält möglicherweise die Rechtschreibreformer für "Intelligent Designer". Allerdings handelten die garnicht besonders intelligent, wie die Ergebnisse beweisen.
 
 

Kommentar von Karsten Bolz, verfaßt am 11.12.2009 um 20.56 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1258#15398

Modeerscheinungen:

Vor etwa 15 Jahren redete alle Welt in der DV-Branche von KI (Künstlicher Intelligenz}. Heute redet kein Schwein mehr davon. Paßt zu "Intelligent Design". Von der Zeit überrollt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.09.2015 um 05.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1258#30137

Die Ausdrücke Konsonanz und Dissonanz, die ein Gegensatz bezeichnen, sind falsch. Es hängt nur von der wachsenden Fähigkeit des analysierenden Ohrs ab, sich auch mit den fernliegenden Obertönen vertraut zu machen und damit den Begriff des kunstfähigen Wohlklanges so zu erweitern, dass die gesamte naturgegebene Erscheinung darin Platz hat. Was heute fern liegt, kann morgen nahe liegen; es kommt nur darauf an, dass man imstande ist, sich zu nähern. Und die Entwicklung der Musik ist den Weg gegangen, dass sie immer mehr von den im Ton gelegenen Zusammenklangsmöglichkeiten in den Bereich der Kunstmittel einbezogen hat. (Arnold Schönberg)

Ich verstehe nicht viel von der Sache, aber Schönberg scheint hier die eigene Erfindung in den Entwicklungsgang der Musik einzuordnen und damit zu "rechtfertigen". Man könnte einwenden, daß sein Bild der Musikgeschichte doch wohl zu ausschließlich die abendländische Musik zugrunde legt. Aber mir kommt es darauf an, daß der Sprung in die Atonalität mit dem dann wieder eingebauten Zwölftonprinzip aus einer Theorie abgeleitet wird, während die Musiktheorie sich sonst an die intuitiv entwickelten Kompositionsformen und -techniken anschloß. Das erinnert mich an die Rechtschreibreform, deshalb erwähne ich es hier. Das eigene bewußte Tun zugleich als natürliche "Entwicklung" darzustellen hat etwas Paradoxes. Es unterstellt Unausweichlichkeit und bestreitet damit die Möglichkeit anderer Optionen im selben Augenblick, da noch darüber diskutiert wird.
Vergleiche: Gut, wir zerstören die Natur und verbrauchen in Windeseile alle Ressourcen, aber das war schon immer so, es ist die Entwicklung... - Das würde man keinem abnehmen. Wir haben es ja auch Herrn Augst nicht abgenommen, daß er einfach die Entwicklung der deutschen Sprache ist.
 
 

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