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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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10.11.2009
 

Lesen in der Schule (und an der Universität)
Schwerpunktsverschiebung – und eine Notlüge

Wir haben, glaube ich, schon einmal darüber gesprochen, daß der Fremdsprachenunterricht im heutigen Gymnasium wohl die mündlichen Fähigkeiten besser fördert als anno dazumal, aber gelesen wird ziemlich wenig.
Meine Töchter haben im gesamten Französischunterricht nie etwas anderes gelesen als das Übungsbuch. Wir konnten damals nicht so gut sprechen (?), aber wenn ich zurückdenke, was wir alles gelesen haben! Ganze englische Romane (Hemingway ist mir noch in Erinnerung: A Farewell to arms), Erzählungen von Flaubert (Un coeur simple, ziemlich langweilig), Maupassant (Boule de suif), Merimée und alles mögliche.
Das fiel mir gerade ein, als ich im Internet zufällig las:
"Für den Film 'Bel Ami', das Werk eines französischen Schriftstellers, werden die zwei gemeinsam vor der Kamera stehen." (Promi Flash 10.11.09)
Ja, irgend so ein französischer Schriftsteller wird es wohl geschrieben haben...

Das Lesen wird als große Mühsal empfunden. Kaum ein Student, der mich nicht fragt, wie viele Seiten (!) er für das Examen lesen muß ... Ich könnte wahrheitsgemäß sagen: "10.000", aber dann würde er vielleicht sein junges Leben beenden und mich dabei verfluchen. Also bleibe ich lieber bei "etwa 100".



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Kommentare zu »Lesen in der Schule (und an der Universität)«
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Kommentar von Thomas Frieling, verfaßt am 10.11.2009 um 22.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1242#15238

Für mich war es zu Schulzeiten ein Rätsel und ein Ärgernis, daß man sich im Englischunterricht mit Literatur befassen mußte, bevor man die Dinge des täglichen Lebens auf englisch meistern konnte. Zeitunglesen, Telefonieren, Einkaufen, Smalltalk – all das ist wirklich wichtig. Spezielle Interessensgebiete sollten warten.

Literatur ist lediglich ein mögliches Interessensgebiet. Mit der gleichen Begründung könnte man in der Schule Physikbücher, Gesetzestexte oder Telekommunikationsstandards studieren.
 
 

Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 11.11.2009 um 09.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1242#15241

Ich kann Thomas Frieling nur bestätigen.
Acht Jahre Französischunterricht, Mateo Falcone von P. Merimée konnten wir vorwärts und rückwärts fast auswendig. Auch die Aussprache klang ganz gut, man wurde später, nach der Schulzeit, in F schon mal gelobt, hatte man sich doch einen Satz bei Fragen vorher zurechtgelegt. Wenn dann aber der Gegenüber loslegte, kamen die Schwierigkeiten mit Macht zutage.
Geschweige denn, den Figaro lesen.
 
 

Kommentar von Pt, verfaßt am 11.11.2009 um 15.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1242#15249

Bei uns im Französischunterricht hatte man mal versucht, politische Texte, die sich auf Europa bezogen, auf Französisch zu lesen. Der Lehrer, ein Referendar, hat das aber ganz schnell wieder aufgeben müssen, vielleicht auch, weil seine Betreuerin da gegengesteuert hat. Jedenfalls hatte damals niemand was verstanden.

Hier an der Frankfurter Uni wird seit einiger Zeit eine Werbung gezeigt, wonach man lesen zweimal lernen müsse.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.11.2009 um 16.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1242#15250

Es ist eine große Mühsal, und der Fortschritt läßt sich nicht nach Seiten, nur nach Büchern messen. Aber wer eine Sprache gründlich lernen will, muß da eben durch. Ich habe mein Englisch erst dann wirklich verbessern können, als ich nicht aus Einsicht, sondern aus einem inneren Zwang heraus, und weil es diese Romane nicht auf deutsch gab, englische Bücher zu lesen begonnen habe.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.01.2012 um 11.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1242#19886

Oswald Spengler schrieb vor fast 100 Jahren:

„Die Bücherwelt mit ihrem Reichtum an Gesichtspunkten, die das Denken zur Auswahl und Kritik nötigte, ist nur noch für enge Kreise ein wirklicher Besitz. Das Volk liest die eine, ‚seine‘ Zeitung, die in Millionen Exemplaren täglich in alle Häuser dringt, die Geister vom frühen Morgen an in ihren Bann zieht, durch ihre Anlage die Bücher in Vergessenheit bringt und, wenn eins oder das andere doch einmal in den Gesichtskreis tritt, seine Wirkung durch eine vorweggenommene Kritik ausschaltet.“ (UA II:578)

Man muß heute natürlich die Zeitung durch das Fernsehen ergänzen oder fast ersetzen, dann stimmt es einigermaßen.

Zur Bedeutung des Bücherlesens kann man auch die Schriften von Jacques Barzun heranziehen, der bei uns kaum bekannt ist.
 
 

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