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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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09.11.2009
 

Es liegt mir auf der Zunge
Und ein hübscher kleiner Irrtum

Dieter E. Zimmer bespricht in einem schönen Aufsatz über das Übersetzen auch das „Zungenspitzenphänomen“.
„Wie nennt sich ein Instrument zum Freihandmessen von Winkeln für die Bestimmung von Ort und Zeit auf See? Wer die Definition kennt, vergegenwärtigt sich die Bedeutung; dann sucht er sein inneres Lexikon nach dem Wort dafür ab: Sixtant!“
(Deutsch und anders. Reinbek 1997:330)
In der Originalarbeit (die Zimmer hier nicht erwähnt, es ist: Brown, R., & McNeill, D. (1966). The "tip-of-the-tongue" phenomenon. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 5, 325-337) heißt es selbstverständlich richtig „Sextant“. Wahrscheinlich benutzte Zimmer damals einen Trockenrasierer von Braun, der tatsächlich „Sixtant“ hieß und vielleicht immer noch so heißt.
Übrigens ist die Metapher vom Absuchen des „mentalen Lexikons“ ziemlich gefährlich, weil sie meist gar nicht als Metapher durchschaut wird. Sogar manche Neurolinguisten glauben aber daran und suchen dann im Gehirn nach dem Sitz des Lexikons ...



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Kommentare zu »Es liegt mir auf der Zunge«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.11.2009 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15230

Oft sind es Namen, die einem auf der Zunge liegen. In solchen Fällen hilft es, nicht immer wieder von vorn anzufangen, sondern aufzuschreiben, was einem einfällt. Dabei ergibt sich fast immer eine Reihe, die am Ende zu dem gesuchten Namen führt. Das liegt daran, daß die aufgeschriebenen Wörter als Reiz wirken, der zusammen mit allem Vorhergehenden die richtige Reaktion "verstärkt", bis sie gleichsam "durchbricht". Hier sind einige Selbstversuche, am Ende steht immer der gesuchte Name, man erkennt auch oft die sukzessive Annäherung der Lautgestalt:

Ich suche den Autor von „Auf den Schultern von Riesen“.
Monte... – Arthur – Kensington – Aitchison – Merton

Name einer mir bekannten Person:
Silcher – Schlichting – Schmil... Schw... – Schittling (Gefühl, nahe dran zu sein!) – Schickling

Ein Forscher, der über Affensprachversuche geschrieben hat und dessen Name zugleich ein Appellativum ist:
Interest – Forest – Solace – Terrace

Name einer Dame, mit der ich interessante Gespräche über Aphasie geführt habe:
Sätzer – Sälzer – Salzmann – Selzam

Name einer Lehrerin unserer Töchter:
Pötzke – Pötzl – Platzek – Platz

Ein Literaturwissenschaftler, den ich persönlich kannte:
Eggebrecht – Eggerstedt – Hagestedt

Ein Physiker, nach dem die Zerdehnung bzw. Stauchung von Wellen benannt ist:
Olbers – Möbius – Ohm – Olm – Orwell – Doppler
 
 

Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 09.11.2009 um 20.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15231

Ich will hier nicht Beckmesser spielen, aber den Sextanten gebrauche ich nur für die Bestimmung der geographischen Breite (Breitengrad).
Um meinen Standort zu bestimmen, brauche ich eine zweite "Linie" , die geographische Länge, und dazu dient eine äußerst genaugehende Uhr. Sie gibt mir die Zeitdifferenz zu GMT, besser UTC an. Dann weiß ich, wo ich mich auf See befinde.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.11.2009 um 07.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15240

Ein Fall von unbewußter Prüderie (bei Zimmer).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.11.2009 um 11.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15242

Das Fehlen der Uhr war mir auch schon aufgefallen. Zimmers Buch enthält noch weitere sachliche Versehen, auf die ich aber hier nicht eingehen will.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 12.11.2009 um 01.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15253

Lieber Herr Roth,
ich will ja auch nicht beckmesserisch sein, aber zur Bestimmung des Längengrades brauche ich die Differenz zwischen der Weltzeit und der Ortszeit. Die Weltzeit zeigt mir das Chronometer an, die Ortszeit erhalte ich aus dem Stand der Sonne, und diesen kann ich mit dem Sextanten bestimmen
 
 

Kommentar von hhs, verfaßt am 16.11.2009 um 11.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15276

Der Braun Sixtant wurde so ca. 1968 mit einem kleinen Büchlein beworben: "Der meistgeklaute Rasierer Deutschlands". Die Dinger wurden seitdem nicht besser, aber als Akkumodelle kurzlebiger, und mein Bart härter.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 16.11.2009 um 20.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15278

Gissen
ist ein Ausdruck, den ich unlängst erstmals bewußt wahrnahm. Es handelt sich um eine Methode, von einem bekannten oder geschätzten Punkt wegzunavigieren, auch unter Einsatz eines Sextanten. Stammt angeblich vom englischen ‚to guess’.

Zu Hrn. Roth und Hrn. Achenbach wäre zu ergänzen, daß der Kalendertag bekannt sein sollte, um zu einer halbwegs genauen Position zu kommen.
 
 

Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 17.11.2009 um 23.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15286

Lieber Herr Achenbach, von der Zeitdifferenz, womit selbstverständlich diejenige zwischen UTC und meinem Standort gemeint ist, sprach ich. Anders ausgedrückt: Als (noch) mit Sextant und Uhr navigiert wurde, mußte ich exakt wissen, wann es in Greenwich 12:00 Uhr ist. Die Zeitbestimmung auf See anhand des Sonnenstandes mit Hilfe des Sextanten hat in der christlichen Seefahrt keine Rolle gespielt, sie ist viel zu ungenau. Dafür müßte ich für meinen (unbekannten) Ort den Sonnenhöchststand ermitteln. Anhand nautischer Tabellen könnte ich dann erfahren, wo ich mich befinde. Nun hat aber die Sonne zur Zeit ihres Mittagsdurchgangs eine recht flache Bahn, dann ist es so gut wie unmöglich, den Höchststand exakt zu erwischen. Meine Darstellung, auf die Sie sich beziehen, war rein schematisch: wie bekomme ich einen Schnittpunkt.

Die exakt gehende Uhr war vor der Zeit, als man die Uhrzeit per Kurzwelle über jedes Radio empfangen konnte, das Hauptproblem für die Längenbestimmung. Dabei spielt der Name des englischen Tischlers John Harrison eine herausragende Rolle:

John Harrison and the Longitude problem

King Charles II founded the Royal Observatory in 1675 to solve the problem of finding longitude at sea. [...]

In 1714, the British Government offered, by Act of Parliament, £20,000 for a solution which could provide longitude to within half-a-degree (2 minutes of time). [...]

H5 was put on trial by the King himself in 1772, and performed superbly. The Board of Longitude, however, refused to recognise the results of this trial, so John and William petitioned Parliament. They were finally awarded £8750 by Act of Parliament in June 1773. Perhaps more importantly, John Harrison was finally recognised as having solved the longitude problem.

Aus: http://www.nmm.ac.uk/harrison

In der Seglerzeitschrift Yacht las ich vor ca. 10 Jahren eine sehr schöne Darstellung über Harrison. Leider finde ich das nicht mehr.

Zu gissen (Herr Strasser):
Begriff aus der Nautik für geschätzten Standort, der anhand von Messungen verifiziert wird.
Davon zu unterscheiden ist das Koppeln. Darunter versteht man das Navigieren von einem bekannten Ort mit Hilfe von Kompaß, Zeit, Peilung zu einem neuen Ort, dem Koppelort.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 18.11.2009 um 01.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15287

Im Niederländischen wird gissen übrigens allgemein für »schätzen« (im Sinne von: näherungsweise bestimmen) verwendet.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 18.11.2009 um 04.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15288

Lieber Herr Roth,
ich verstehe leider immer noch nicht recht, wie Sie sich das genau vorstellen. Zunächst trifft es ja nicht zu, daß die "äußerst genaugehende Uhr" mir irgendeine "Zeitdifferenz" angäbe. Vielmehr gibt sie mir nur eine Zeit, nämlich UTC an. Die Ortszeit muß ich schon irgendwie anderweitig bestimmen, eben durch den Stand von Sonne oder Sternen. Das muß ja nicht der Mittagsdurchgang der Sonne sein. Wenn ich über entsprechende astronomische Tabellen verfüge, kann es sich auch um irgendeineneinen anderen Stand von Sonne oder Sternen handeln. Mir scheint daher nach wie vor, daß man auch bei der Längenbestimmung nicht ohne Sextant auskam.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 18.11.2009 um 07.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15289

Die Schwierigkeit der klassischen Positionsbestimmung mittels Sextant und Uhr liegt darin, die Meßwerte genau im Höchststand der Sonne, also zum lokalen Mittag, abzulesen. Der Sextant zeigt dann den maximalen Winkel der Sonne über dem Horizont, die Uhr zeigt die (mitgenommene) Uhrzeit von GMT. Mit diesen beiden Werten kann man (unter Zuhilfenahme von Korrekturtabellen für das aktuelle Datum und andere Einflüsse) auf der Karte zwei Linien zeichnen, deren Schnittpunkt dem aktuellen Standort entspricht.
Den Höchststand der Sonne festzustellen, ist dabei die Schwierigkeit, es werden mehrere Messungen getätigt und protokolliert, um jenen Winkel und Zeitpunkt möglichst gut zu erwischen, an dem die Sonne wieder zu sinken beginnt; teilweise muß auch interpoliert werden.
Ein schwankendes Schiff und/oder eine durch Wettereinflüsse unklar erfaßbare Horizontlinie erschweren die Messung häufig.
 
 

Kommentar von Robert Roth, verfaßt am 19.11.2009 um 01.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15294

Lieber Herr Achenbach,
es ist im Prinzip (der Teufel steckt wie immer im Detail) einfacher als Sie denken.
Die Erde dreht sich in 24 Stunden um 360°.
UTC 12:00 h ist der Zeitpunkt, an dem die Sonne in Greenwich (Null-Meridian) am höchsten steht. In einer Stunde dreht sich die Erde folglich 360:24=15, also um 15°. Bewegt man sich vom Null-Meridian westwärts, sagen wir westwärts von Land´s End ungefähr auf 50°N, und „schießt“ um 15:30 UTC auf dem Sextanten den örtlichen Sonnenhöchststand (Sonne genau im Süden), so ist man 3:30 h (Zeitdifferenz) westlicher als 0°, also auf (3,5*15=52,5)°W .
Die Position lautet (Breite durch Sextant) 50°N 52,5°W.

Die fehlerbehaftete Messung der örtlichen Uhrzeit mittels Sextant hat zu den geschilderten Anstrengungen wie die Auslobung von 20.000 Pfund durch King Charles II geführt. Seit dieser Zeit hat man die Uhrzeit von Greenwich "mitgenommen", so wußte man immer, wann es am Null-Meridian 12 geschlagen hat.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 20.11.2009 um 06.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#15296

Lieber Herr Roth,

ich stimme Ihnen zu, daß es "im Prinzip" ganz einfach ist. Ich bin mir allerdings nicht bewußt, das Gegenteil behauptet zu haben.

Ich stimme Ihnen aber nicht zu, wenn Sie sagen: "Die fehlerbehaftete Messung der örtlichen Uhrzeit mittels Sextant hat zu den geschilderten Anstrengungen wie die Auslobung von 20.000 Pfund durch King Charles II geführt."

Die "Mitnahme" der Uhrzeit von Greenwich ersetzt in keiner Weise die Bestimmung der Ortszeit, mag sie auch noch so ungenau sein. Die Kenntnis der UTC ist mit einer Ausnahme (Hinzunahme der Mondposition) für jede Bestimmung der geographischen Länge unerläßlich.

Es gibt Navigationsverfahren, die ohne ausdrückliche vorherige Bestimmung der Ortszeit auskommen (die sich dann natürlich aus der Position ergibt), umso mehr aber die UTC und den Sextanten brauchen.

Ausgangspunkt der Debatte war doch Ihre Behauptung, zur Bestimmung der geographischen Länge brauche man keinen Sextanten. Ich bin nach wie vor gegenteiliger Meinung.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 30.12.2011 um 13.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#19790

Mein Ältester wollte einmal den Begriff Metapher von mir erklärt haben und kam danach rasch auf den "Vorhang der Pupille" aus Rilkes "Panther", der kurz zuvor im Deutschunterricht behandelt worden war. Als der Junge dort sein neues Wissen vorbrachte, schüttelte die Lehrerin den Kopf: "Nein. Das ist keine Metapher."

"Aber mein Vater hat gesagt … !"

Verärgert ließ die Dame das Stichwort Metapher im Arbeitsbuch nachschlagen, wo die Kinder als prägnantes Beispiel ausgerechnet den "Vorhang der Pupille" fanden. Darauf die Lehrerin: "Es ist trotzdem falsch. Nicht alles, was in den Büchern steht, stimmt." Womit sie denn auch wieder recht hatte.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 30.12.2011 um 14.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#19791

Metaphora heißt in Griechenland Möbeltransport und steht so auf den Transportautos.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.12.2011 um 17.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#19792

Der Vorhang der Pupille fällt unter die vermeintlichen "Genitivmetaphern". Das ist ein bekannter Irrtum der üblichen Metapherntheorie. Der Ausdruck könnte sich, rein für sich genommen, auf einen wirklichen Vorhang beziehen. Erst wenn man weiß, daß er sich im konkreten Fall auf das Lid bezieht, wird er zur Metapher, und dann spielt der Genitiv keine Rolle mehr. Übliche Beispiele sind auch Busen der Natur, Flügel der Abendluft, das süße Gift der Kameradschaft (Sebastian Haffner), der Zahn der Zeit – warum soll es das nicht buchstäblich geben können, auch wenn es noch so seltsam klingt? Im Duden-Universalwörterbuch wird das Gold ihrer Haare als Beispiel einer Metapher angeführt. Ohne Kontext läßt sich nicht feststellen, ob überhaupt eine Metapher vorliegt. Es könnte eine goldener Haarschmuck gemeint sein und manches andere.

Dasselbe gilt für die sogenannten Kompositionsmetaphern: Welttheater, Lebenssaft, Liebesjagd, Tierreich, Verstandeslicht, Luftschiff, Liebeslandschaft, Ehegespann, Sündenschuld, Textgewebe, Existenzspiel, Wortbaustein, Sprachpflanze, Himmelreich, Lebensreise, Charaktermetall, Geistesacker, Staatsschiff, Liebeskrieg (alle nach Weinrich). Keiner dieser Ausdrücke ist an sich eine Metapher.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 02.01.2012 um 10.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#19799

Klar, eine Metapher, die mangels Kontext nichts versinnbildlichen kann, ist keine Metapher. Ein Reiter ohne Pferd ist kein Reiter; der Mann könnte ohne weiteres im Reitdreß skilaufen. Und doch würde sich jeder kleidungsbeschlagene Betrachter über den Reiter auf Skiern wundern, und das ist ja nicht unerheblich. Isoliert betrachtete Lesefrüchte mögen für einen Winzer Trauben sein, ein leidenschaftlicher Leser denkt dabei nicht an Wein. Um am Ende gar dem „Zahn der Zeit“ jedes metaphorische Indiz abzusprechen, muß man den Begriff Kontext schon sehr eng fassen, oder?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2012 um 13.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#19800

Ich meine, es kommt nicht auf engen oder weiten Kontext an, sondern auf den unüberbrückbaren (nicht graduellen) Unterschied zwischen der Bildung eines Ausdrucks und seiner Anwendung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.04.2015 um 04.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#28689

Kurt Goldstein beschreibt einen Fall von amnestischer Aphasie; fast alle Bezeichnungen konkreter Dinge fallen dem Patienten nicht ein, wohl aber alle Münzbezeichnungen, auch von der Wappenseite her.

Der semiotische Unterschied besteht darin, daß die Münzen nicht nach Klassen kategorisiert (getaktet im Sinne Skinners) werden müssen, sondern etikettiert sind. Man liest gewissermaßen ihren Namen ab, wobei allerdings meist ein Transkribieren (im Sinne Skinners) erforderlich ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.04.2016 um 19.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#32418

Fehler und Krankheiten zeigen immer wieder, wie komplex die kleinsten sprachlichen Leistungen sind. Ein älterer Schlaganfallpatient mit einer Hemianopsie erkennt die Buchstaben visuell, kann sie aber nicht nennen. Er hilft sich, indem er sie mit dem Finger in die andere Hand schreibt, fast unauffällig mit einer ganz kleinen Bewegung. In diesem Moment kann er sie aussprechen. Es ist so, als reiche der visuelle Impuls nicht aus, als müsse gerade noch der eigenmotorische Reiz hinzukommen, um die Endleistung zu "triggern".
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.10.2018 um 10.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#39796

Dazu paßt folgendes: Ich gehe allein im Wald spazieren, denke an dies und das, und plötzlich fällt mir der Name meines Freundes Stefan Stirnemann nicht ein. Ich kann es selbst kaum glauben, aber es ist eine sekundenlange Blockade, wie sie wohl jeder kennt. Ich sehe Vor- und Nachnamen irgendwie gedruckt vor mir, aber nicht so vollständig, daß ich es lesen könnte, sondern gewissermaßen nur eine Vorgestalt, einen halbfertig ausgebildeten Impuls. Der Vorname erscheint in seiner "Physiognomie" und zugleich mit dem Wissen, daß es ein ganz verbreiteter Name ist, nichts Ausgefallenes; ich versuche es sogar mit "Peter", weiß aber zugleich, daß das nicht stimmt. Dann fällt mir für den Bruchteil einer Sekunde "Hürlimann" an, und fast im selben Augenblick habe ich auch den richtigen Namen gegenwärtig. (Tut mir leid, Stefan, daß mir das ausgerechnet mit Dir passiert ist! Vor einiger Zeit entschuldigte sich ein anderer Freund, daß ihm beim zufälligen Wiedersehen mein Name nicht gleich eingefallen war.)
Introspektive Berichte darf man nicht überschätzen, aber sie geben doch Hinweise auf die allmähliche Herausbildung eines Verhaltens.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.08.2020 um 05.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1241#44182

Zum TOT-Phänomen ist einiges unter "Sprache und Erinnerung" geraten, worauf ich des Zusammenhangs wegen hier hinweisen möchte, also http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1626#44156 usw.
 
 

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