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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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22.09.2009
 

Kann ich eigentlich Deutsch?
Manchmal bekomme ich Zweifel

Eine unserer Töchter (21) darf zum erstenmal an einer Bundestagswahl teilnehmen. Die örtliche Kandidatin der SPD schreibt den "lieben Erstwählerinnen und Erstwählern" einen Brief.
Alles mit klein geschriebener du-Anrede, obwohl meine Tochter keine Parteigenossin ist, sondern mittels beigefügtem Aufnahmeantrag erst noch werden soll. In der Schule werden die Kinder schon ab der 11. Klasse gesiezt. Aber nun:
"Die Wehrpflicht weiterentwickeln. (...) Wir streben an, zum Dienst in den Streitkräften künftig nur noch diejenigen einzuberufen, die sich zuvor bereit erklärt haben, den Dienst in der Bundeswehr zu leisten."
Nach meinem Verständnis ist das die Abschaffung der Wehrpflicht, und darüber könnte man ja reden, aber warum wird es als "Weiterentwicklung" bezeichnet?
Außerdem will die Kandidatin die Studiengebühren abschaffen, aber ist das nicht Ländersache? Überhaupt ist in dem Brief fast nur von Bildung und Ausbildung die Rede.
BAföG für "Schüler und Schülerinnen" gibt es ja schon (der Brief suggeriert, daß die Partei es erst einführen wolle), ebenso eine Reihe von Förderungsmöglichkeiten für spätere Studiengänge - die Feinheiten einer weiteren Ausgestaltung sind kaum zu greifen.
Erwähnt werden auch Ziele, die bereits in Regierungserklärungen stehen, nur mit dem Hinweis, die SPD habe sie durchgesetzt. Insgesamt ziemlich lahm, weil eben die SPD schon seit vielen Jahren regiert oder mitregiert und daher nicht viel Polemisches aufbieten kann, ohne sich selbst zu kritisieren.

Man müßte mal untersuchen, welche Veränderungen die jeweiligen Wahlkämpfe in der deutschen Sprache bewirken. Zum Beispiel hat ja die Rechtschreibreformpropaganda solchen Begriffen wie "allgemein üblich", "Akzeptanz" oder "endgültig" eine ganz neue Bedeutung gegeben.



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Kommentare zu »Kann ich eigentlich Deutsch?«
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Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 23.09.2009 um 12.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1216#15006

Seit einigen Wochen sieht man Werbeplakate, die, etwa mit einem Kreuzchen in einem Kreis, auf die bevorstehende Bundestagswahl anspielen: "Wählen Sie ..." (folgt der Veranstalter- oder Firmenname) oder "Bei uns haben Sie Wahlfreiheit" (ein Versicherungsunternehmen). Am witzigsten fand ich die Reklame eines Unterwäscheherstellers für einen Push-up-BH: "Damit es aufwärts geht!" – Allerdings hat die Erscheinung auch einen bedenklichen Zug. Sie zeigt, daß das legitimatorische Prinzip des Systems nicht mehr ernst genommen wird, und zwar nicht nur an den Rändern, sondern im Zentrum der Gesellschaft.
 
 

Kommentar von Albträumer aus dem Alpenvorland, verfaßt am 23.09.2009 um 10.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1216#15005

Wenn Plakate an Straßenschildern angebracht wurden, besitzen sie meist eine Vorder- und eine Rückseite mit Botschaften. Da geh ich also mit meiner Tochter neulich zum Bahnhof und wir lesen:

"Es muß sich was ändern"

Fein, dachte ich mir, obwohl ich dieser gelben, "zu schwarz den größten Kontrast bildenden" radikalen Managerpartei so gar nichts abgewinnen kann.

Auf dem Rückweg leuchtete uns dann die "Rückseite" des Plakats entgegen, und siehe da:

"Es muss sich was ändern"

Just fällt mir die Tage auf, daß über ganz München verteilt der Slogan mal so, oder mal so geschrieben steht, oft dicht beieinander.

 
 

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