Zum vorherigen / nächsten Tagebucheintrag
Zu den Kommentaren zu diesem Tagebucheintrag | einen Kommentar dazu schreiben
17.09.2009
Meist ungeahnt
Seltsames aus der Grammatik
In einem Werk, auf das ich noch einmal zurückkommen werde, lese ich:
„Der Terminus Genus verbi – also 'Geschlecht des Verbs' – ist auf den ersten Blick verwunderlich. Er geht vermutlich zurück auf die (frühere) gesellschaftliche Definition von männlich als aktiv und weiblich als passiv/leidensbereit bzw. 'zum Leiden geboren'. Dieser Terminus transportiert also – meist ungeahnt – gesellschaftlich heikle Gender-Vorstellungen.
Der Terminus Diathese (von griechisch diathesis = Aufstellung) bezieht sich auf die Umstellung von Satzgliedern, die normalerweise erfolgt, wenn ein Satz aus dem Aktiv ins Passiv umgeformt wird: Er frisst den Kuchen gegenüber Der Kuchen wird von ihm gefressen.“
(Wolfgang Boettcher: Grammatik verstehen. Band 1: Wort. Tübingen 2009)
Genus verbi hat nichts mit "Geschlecht" (Sexus) zu tun, und die Griechen konnten ja wohl kaum ahnen, welche Wortstellung das neuhochdeutsche Passiv mit sich bringen würde. "Diathese" war in der Musik ("Stimmung") und Medizin gebräuchlich und wurde auf die Grammatik übertragen.
Diesen Beitrag drucken.
Kommentare zu »Meist ungeahnt« |
Kommentar schreiben | neueste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben |
Kommentar von Y.N., verfaßt am 18.09.2009 um 02.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1213#14980
|
Nachdem die Volksetymologie amtlich bestätigt worden ist, ist es kaum verwunderlich, daß sie auch in der Grammatik salonfähig ist. Von Prof. Ickler ist nun eine wirklich zuverlässige Grammatik zu erwarten, sowohl für die Deutschsprachigen als auch für die Deutsch lernenden Ausländer.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2009 um 04.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1213#14986
|
Wenn die (teilweise fehlerhafte) Anwendung der Reformorthographie mit der politischen Korrektheit zusammentrifft, entstehen Texte, bei denen man sich manchmal die Augen reibt: Was ist bloß mit den Deutschen los? Im vorliegenden Werk findet man nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch Hochschullehrende, Studierende und ihre Lehrenden, Wissenschaftsperson, Sprachbenutzende usw.
|
Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2009 um 15.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1213#14991
|
Wie so mancher andere Germanist schreibt Boettcher:
„Bei Verb-Komposita hängt es von den geltenden Regeln der Zusammen- bzw. Getrenntschreibung ab, ob sie formell überhaupt Komposita sind.“ (S. 212)
Das Verhältnis von Grammatik und Rechtschreibung wird also auf den Kopf gestellt: Die Kultusminister bestimmen letzten Endes, was ein Kompositum ist und was nicht. Folglich hätte sich der Bestand der verbalen Komposita in den letzten Jahren in rascher Folge immer wieder geändert.
|
Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 10.10.2009 um 21.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1213#15087
|
Damit wird die Grammatik zur Theologie der Rechtschreibreform.
|
nach oben
Zurück zur vorherigen Seite | zur Tagebuchübersicht
|