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21.05.2009
Die Bertelsmanngrammatik
Nach Jahren wiedergelesen
Genau vor acht Jahren hatte ich eine knappe Besprechung der Bertelsmanngrammatik von Lutz Götze ins Netz gestellt:
http://www.rechtschreibung.com/Forum/printthread.php?threadid=118
Inzwischen haben sich zahlreiche Randbemerkungen angesammelt, die ich zusammen mit dem alten Text ungeordnet und ohne Kursivierungen hier einrücke, weil es den einen oder anderen interessieren könnte.
Bertelsmann: Grammatik der deutschen Sprache. Sprachsystem und Sprachgebrauch. Von Lutz Götze und Ernest W. B. Hess-Lüttich. Gütersloh, München 1999
Lutz Götze, der sich zugleich als Bearbeiter der Bertelsmann-Rechtschreibung einen Namen gemacht hat, wird auch hier gelegentlich zum Opfer der Rechtschreibreform.
Es empfiehlt sich (...), beim jeweiligen Substantiv den bestimmten Artikel als Genus verdeutlichende Größe anzugeben. (S. 192) - Hier muß wie bisher zusammengeschrieben werden. Ebenso: Stärker Merkmal betont ist die Akkusativergänzung. (S. 489)
Das Kriterium der Steigerbarkeit bzw. Erweiterbarkeit dient dazu zu differenzieren. (S. 54) - Hier muß nach der Neuregelung wegen des Korrelats ein Komma stehen.
Genitivus qualitatis (oft), Genus verbi (oft), Consecutio temporum und einige andere Ausdrücke dieser Art sind neuerdings falsche Schreibungen, da die Substantive groß geschrieben werden müssen. Dasselbe gilt für einige Fremdwörter, die als Beispiele angeführt werden: Human resource, Lean production (S. 518). Mit dem Latein hapert es auch ein wenig: ad verbium (mehrmals) geht nicht, weil es im Lateinischen kein verbium gibt. Der Artikel heißt auf lateinisch nicht articolus (S. 245) und der Fuchs nicht vulpus (S. 537).
Das Wort letzterer muß jetzt ungeachtet seiner pronominalen Funktion groß geschrieben werden (S. 219). soweit wie irgend möglich (S. 510) – hier müßte getrennt (so weit) geschrieben werden.
Auf S. 51 ist unter den trennbaren Verben auch dabei sein angeführt. Wie jedoch schon die neue Getrenntschreibung zu verstehen gibt, existiert dieses „trennbare Verb“ infolge der Rechtschreibreform nicht mehr, kann folglich auch nicht unter dieser Rubrik (mit „betonten Vorsilben“) angeführt werden. Zwei Seiten weiter wird sogar der Begriff der „trennbaren Wortgruppe“ eingeführt! Wortgruppen sind definitionsgemäß immer „trennbar“ bzw. getrennt; was soll dieser Begriff denn besagen? Im Kapitel „Wortbildung“ setzt sich diese Unstimmigkeit fort: lahm legen, kennen lernen usw. werden als verbale Wortbildungen angeführt, obwohl sie nach der Rechtschreibreform nicht mehr dazugehören. nahe liegend, wild wachsend sollen Adjektivkomposita sein (S. 370). höchst besoldet, weitest verbreitet sind übrigens auch nach der Neuregelung falsch. Götze hält aber sogar der weit gehendste Antrag, die weit verbreitetste Rasse für richtig (S: 224). Die Getrenntschreibung von wieder sehen (S. 232) ist ein früher Irrtum der Dudenredaktion über den wahren Gehalt von § 34 der Neuregelung. Wie kann so genannt ein „Adjektiv“ sein, wenn es in dieser Schreibweise nicht einmal ein Wort ist? (S. 213) Da die Wörter unterderhand und unverrichteterdinge reformgerecht auseinandergerissen sind (unter der Hand, unverrichteter Dinge S. 294), kann man sie auch nicht mehr als „Modaladverbien“ auflisten. Auch alles in allem ist kein Wort und daher kein Modaladverb.
Ein viertel Appenzeller usw. (S. 240), drei viertel der Strecke (S. 144) sind auch nach der Neuregelung falsche Schreibweisen.
Dreimal führt Götze das Auto fahren vor – nach bisheriger wie reformierter Rechtschreibung unmöglich. (S. 130).
Das ist spitze (Spitze), klasse (Klasse) (S. 356); hier sieht die Neuregelung nur noch Großschreibung vor.
Daß der Genitiv von Eigennamen ohne Apostroph stehe (S. 167), ist so nicht richtig, da die Neuregelung hier durchaus den Apostroph zuläßt (Jürgen’s Arbeit); als Begründung haben die Reformer angeführt, die häufige Inschrift Uschi’s Blumenshop oder Carlo’s Taverne solle nicht länger als falsch gelten.
Portemonee ist keine zulässige Schreibweise (S. 431); gleichlautendes Wort (S. 416 u.ö.) muß nach der Reform von 1996 getrennt geschrieben werden. Falsche Großschreibungen: Es müssen also andere Gründe existieren ... Wir meinen, es sind die Genannten. (S.127) - eine Grammatik wie die Vorliegende (S. 475)
Im Gegensatz zum neubearbeiteten Duden-Wörterbuch folgt diese Grammatik aber einem lobenswerten Grundsatz:
„Die seit dem 1. 8. 1998 geltende Rechtschreibreform wurde bei den im Text verwendeten Zitaten aus Büchern, Zeitschriften, Zeitungen usw., die vor diesem Zeitpunkt erschienen sind, nicht berücksichtigt, um deren Authentizität nicht zu verändern.“ (S. 7)
Zur Rechtschreibreform ist noch bemerkenswert:
„Seit dem 1. August 1998 gilt für den gesamten deutschsprachigen Raum eine Reform der Rechtschreibung der deutschen Sprache. (...) Der zeitweise vehemente Streit um das Pro und Contra der Rechtschreibreform ist damit beendet.“ (S. 665) Das wurde 1999 gedruckt, es folgten bisher zwei Revisionen der Reform, die u.a. auch die angeführten Paradepferde (liegen lassen, übereinander legen) schon wieder alt aussehen lassen.
Weitere Fehler und Versehen:
eine pragmatische Kategorie, die (...) gebildet werden (statt wird) S. 134.
Die Mitverfasserin der IDS-Grammatik heißt Zifonun, nicht Zifonum (so mehrmals). Eisenbergs Grundriß hieß 1994 noch nicht Grundriss, wird im übrigen in zwei verschiedenen Auflagen angeführt.
Arhtrose, Zyrrhose (S. 202 in derselben Zeile)
Pärpositionalkasus (S. 225)
S. 263 u.: Hier stehen zu viele Anführungszeichen.
S. 301: vor mit (richtig vor mir)
S. 314: coni-ungere
S. 386: den Satzarten (richtig: die Satzarten)
S. 406: er-ster (derselbe Fehler öfter)
Nun zu einigen anderen Punkten:
Die Darstellung des Pronomens es ist völlig mißlungen, da Götze das Korrelat-es mit dem Vorfeld-es vermischt (vgl. S. 278, 424, 510). Es kommt daher zu solchen Aussagen: „Wenn das Subjekt an die erste Stelle des Satzes tritt, entfällt es.“ S. 279) Das Wegfallen des Vorfeld-es hat jedoch mit dem Subjekt überhaupt nichts zu tun. Jedes andere Satzglied im Vorfeld hat dieselbe Wirkung, zum Beispiel das Akkusativobjekt: Es haben schon viele ihr Geld auf diese Weise verloren > Ihr Geld haben schon viele auf diese Weise verloren. Das Korrelat-es wäre demgegenüber durch den Terminus „Vorgreifer-es“ auch hinsichtlich seiner Stellungsbedingtheit treffend erfaßt. Auch das formale Objekt es ist teilweise unter die Korrelatfälle gemischt: die Verbkonstruktionen es absehen auf, es anlegen auf, es aufnehmen mit, es bringen zu, es halten mit werden ausdrücklich hier genannt (S. 280). Im Grunde sind die Verwendungsweisen von es spätestens seit den „Grundzügen einer deutschen Grammatik“ (1981) gut genug bekannt.
Die Kongruenzregeln sind sehr strikt normativ formuliert. Nach Götze sind folgende Sätze schlicht falsch: *Ich hoffe, daß du und deine Freundin mitkommen (richtig: mitkommt). - *Mein Freund und ich haben sich (richtig: uns) über die Einladung gefreut. (S. 503). Das folgende Beispiel ist ohnehin abwegig: *Es ist nicht zu glauben, dass wir und unser Freund das nicht bemerkt habt. Warum sollte hier das Verb in der 2. Pers. Plural gesetzt werden?
Die Kongruenz bei Appositionen ist in Wirklichkeit auch schriftsprachlich nicht so streng, wie Götze fordert, der nichtkongruierende Dativ ist recht verbreitet. Bei Der Preis für ein Barrel Öl, dem Hauptexportprodukt Nigerias wäre auch nicht der „Nominativ“, sondern der Akkusativ kongruent (S. 509). Es ist ferner übertrieben, die Kongruenz bei Das Auftreten des Sekretärs als persönlichen Beraters schlicht als falsch zu bezeichnen.
Sehr rigide auch die Verurteilung der freilich überwiegend norddeutschen „Aufsplitterung des Pronominaladverbs“: Wo hast du das her? ist nach Götze falsch. (S. 301) Die obligatorische Tmesis in Wo denkst du hin? erwähnt er leider nicht.
Daß nur deren, nicht derer als Relativpronomen korrekt sei, ist deskriptiv unangemessen (S. 273). In dem Band „Wahrig: Fehlerfreies und gutes Deutsch“ (grammatische Beratung: Lutz Götze) wird denn auch das Gegenteil gelehrt (S. 431).
Seltsam klingt folgender Satz: „Folgt (auf die Mengenangabe im Singular) ein Substantiv im Plural, so steht das Verb gleichfalls im Singular; neuerdings ist in der gesprochenen Sprache auch Plural zulässig: Eine Anzahl Schüler hat die Prüfung bestanden (gesprochene Sprache: haben)“ - An welche Instanz denkt Götze, die hier etwas für „zulässig“ erklärt haben könnte? Die Grammatik ist ja weiterhin nicht staatlich normiert.
Zu Adjektiven wie still, vollkommen usw. sagt Götze, sie könnten wegen ihrer Bedeutung keinen Superlativ bilden. Er fügt hinzu: „In der Literatursprache gibt es von diesen Adjektiven gleichwohl Steigerungsformen.“ (S. 222) Aber auch die Alltagssprache bildet munter Steigerungsformen und sagt, ohne sich um logizistische Bedenken zu kümmern, es wurde stiller oder sein Spiel wird immer vollkommener. Warum auch nicht? Wieso gibt es zum „Zahladjektiv“ (?) einfach keinen Superlativ? (Die Klasse der „Zahladjektive“ ist überhaupt rätselhaft, denn es sollen z. B. auch ganz, zweitens und zahlreich dazugehören, S. 230; einerlei usw. werden als „Gattungszahlen“ bezeichnet.) Die Steigerungsbildungen wie bärenstark, nagelneu usw. werden als „Substantive zusammen mit dem Positiv“ recht linkisch bezeichnet. (S. 223)
Nach artikelhaft gebrauchtem Personalpronomen soll substantiviertes Adjektiv im Nominativ Plural nur noch schwach dekliniert werden: wir Deutschen. (S. 214) Aber Fälle wie
Wir Deutsche sind ein Volk von Kranken. (FAZ 22.7.82)
sind keineswegs selten. Überhaupt ist dieser ganze Abschnitt falsch, denn nach mein, dein werden substantivierte Adjektiv nicht einfach stark dekliniert, sondern gemischt, vgl. Wahrig Fehlerfrei 367 (mein Geliebter, aber meinem Geliebten), Duden 9:814: „Das einem Personalpronomen folgende substantivierte Adjektiv (Partizip) wird im Allgemeinen stark gebeugt, weil dieses Pronomen selbst keine starke Endung aufweist: du Lieber, ich Unglücklicher.“
Ganz streng ist Götze bei Was geschieht in diesem unseren Lande? „Solche Gebilde sind Sprachverhunzungen. Sie sind kein Beitrag zur Sprachkultur.“ (246) Der Grund dieses Verdammungsurteils bleibt ungenannt. Götze scheint bestimmte Äußerungen mißliebiger Politiker im Ohr gehabt zu haben; aber die grammatische Struktur selbst ist allgemein verbreitet: mit diesen seinen Werken usw. (Übrigens ist Parallelflexion in diesem unserem Lande üblicher.)
Bei Schickse, Tippse (S. 363) kann man nicht von Movierung sprechen, da es sich nicht um die weiblichen Formen von Schick und Tipp handelt.
Wie in deutschen Grammatiken üblich, wird hin als Gegenteil von her bestimmt S. 291); es soll die Richtung vom Sprecher weg bedeuten. Das ist allerdings gerade die Funktion von weg, während hin überwiegend anaphorisch gebraucht wird.
Eine Präposition umwillen (umwillen seiner Familie S. 305) kennt weder das Bertelsmann-Rechtschreibwörterbuch (ebenfalls von Götze) noch das „Große Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ von Duden.
Über den Purismus schreibt Götze, „schon im 19. Jahrhundert“ (!) habe es Widerstand gegen die Fremdwörter gegeben. Nun, da war die hohe Zeit der erfolgreichen Eindeutschungen schon fast wieder vorbei. Und wenn Götze meint, die Wirkung des Purismus sei, „wie wir heute wissen, gering“ gewesen, so kann man das durchaus anders sehen. Daß eine Handvoll Sprachschöpfer es – ohne staatliche Machtmittel – erreichte, Hunderte von Wörtern, denen man es heute gar nicht mehr ansieht, im Deutschen heimisch werden zu lassen, ist ein geradezu beispielloser Erfolg.
Zum Relativsatz: „Das/der am Beginn des Hauptsatzes kann man bei Subjektsgleichheit weglassen. Daher
Wen ich vorschlage, (den) will ich haben.“ (S. 433)
Mit Subjektsgleichheit hat das aber nichts zu tun, wahrscheinlich ist „Kasusgleichheit“ gemeint. Vgl. auch das folgende! Es wird übergangen, daß durchaus auch bei Kasusungleichheit freie Relativsätze vorkommen, vor allem bei unmarkiertem Kasus im Matrixsatz:
Wem es nicht mehr gelingt, den Stuhlgang zu kontrollieren, ist erheblich beeinträchtigt. (FAZ 21.11.01)
„Ist das Bezugswort im Hauptsatz ein Substantiv in der 3. Person ...“ (S. 433)
Was soll man sich unter einem „Substantiv in der 3. Person“ vorstellen?
Beispielsätze z. T. sonderbar:
Wessen du dich rühmst, dem hilft es nicht mehr.
In Was auch geschieht, ich bleibe hier soll sich was „auf den ganzen Satz“ beziehen (S. 434). Das ist offensichtlich falsch.
Ganz falsch auch dies ebd.:
„Der Attributsatz mit wer/was steht an der Spitze, der Hauptsatz mit dem Bezugswort folgt:
Wer wagt, (der) gewinnt.
Was wir wollen, (das) schaffen wir auch.“
In beiden Fällen ist auch Umkehrung der Teilsätze möglich (Bei uns gewinnt, wer etwas wagt usw.)
„Traditionell treten die Verben des Sagens und Denkens in den Nebensätzen mit dass auf, also behaupten“ (...) - Sie treten gerade in den Hauptsätzen auf!
S. 45:
„Dagegen werden Strukturen des lateinischen Gerundivums immer häufiger analog zu Partizip-I-Formen verwendet; sie sind normgerecht:
ein zu akzeptierender Kompromiß“
(Was heißt „Strukturen des lateinischen Gerundivums“?)
Auf S. 45 stellt Götze fest: „Das Partizip I ist nicht Teil des Prädikats.“ Aber auf S. 388 wird das Partizip I ausdrücklich als „infiniter Prädikatsteil“ behandelt. Das Beispiel Das ist für uns entscheidend enthält allerdings ein Adjektiv.
S. 48: Ich erinnere mich, ihn nach Hause gelassen zu haben.
Hier steht kein Ersatzinfinitiv, weil lassen als Vollverb gebraucht ist, und nicht deswegen, weil haben „am Ende des Satzes“ steht.
Er hat seine Absicht fallen gelassen.
Götze kommentiert: „Diese Infinitivformen (?) sollten toleriert werden.“
Formen wie ein gedienter Soldat werden laut Götze „in der gesprochenen Sprache immer häufiger gebraucht“. Wieso in der gesprochenen Sprache?
S. 52: Zu den Partikelverben und Partikelpräfixverben (also trennbaren und untrennbaren mit dem unterschiedlich betonten, aber formal gleichen ersten Bestandteil) sagt Götze, im allgemeinen habe dann das trennbare Verb die wörtliche, das untrennbare die übertragene Bedeutung. In den Engpaß durchfahren ist allerdings der Engpaß übertragen gebraucht
Götze (S. 448) erklärt den Pertinenzdativ zum Attribut, wodurch sich aber unsinnige NPs ergeben wie: dem Freund auf die Schulter, der Frau die Füße (der Frau tun die Füße weh) usw. Zugrunde liegt das falsche Verfahren, irgendwelche Paraphrasen zu analysieren und das Ergebnis auf die ursprüngliche Konstruktion zu übertragen.
Auf S. 441 wird das Pertinenzverhältnis schon einmal erwähnt, aber ohne diesen Namen und ohne Bezug auf die spätere Stelle: „Soll ein Teil-Ganzes-Verhältnis ausgedrückt werden, wird das (! der) Teil im Akkusativ, das Ganze im Dativ genannt:
Ich kämme mir die Haare. Du wäschst dir die Füße.“
Dabei geht aber verloren, daß es sich um Personen (lebende Wesen) handeln muß, nicht einfach um ein Teil-Ganzes-Verhältnis.
Ein schlimmer Fehler unterläuft Götze bei dem Satz Er reinigt ihr das Gesicht, worin er einen „Pertinenzakkusativ (Zugehörigkeitsakkusativ)“ zu erkennen glaubt. (S. 146) In Wirklichkeit könnte man bei Fällen wie Er tritt sie (statt ihr) auf den Fuß allenfalls an einen Pertinenzakkusativ denken, aber doch nicht bei dem Akkusativ der Körperteilbezeichnung. (Vgl. übrigens Wahrig Fehlerfreies und gutes Deutsch S. 524.)
Wovon sollte das „inchoative“ anfangen denn den Anfang bezeichnen? Usw. - der beinahe schon normale Unsinn über Aktionsarten. Wenn reinigen faktitiv ist, dann ist spülen es doch auch, aber Götze geht insgeheim nach der Wortbildung vor.
Es geht nicht an, „Zukunft“, „Drohung“, „Versprechen“ als Bedeutungen des Futurs nebeneinanderzustellen (S. 99). „Das wirst du noch büßen!“ soll Drohung sein, es ist aber zunächst eine Ankündigung, „Ich werde dich nie verlassen!“ kann Versprechen, aber auch Drohung usw. sein, ist aber zunächst ebenfalls Zukunftsaussage. Diese ganze Übersicht ist sinnlos.
„Allgemeingültiges“ - „allgemein gültige Sachverhalten“ (beides S. 99)
„Das Präteritum wird stets gebraucht, um eine Handlung (ein Geschehen) mitzuteilen, die zum Sprechzeitpunkt vergangen oder abgeschlossen ist.“ (S. 100)
Was heißt „stets“? Zuvor war angeführt worden, daß auch das Präsens für vergangene Ereignisse stehen kann. Vgl. außerdem: Die Erde bewegte sich schon immer um die Sonne. - Nicht vergangen oder abgeschlossen.
Das haben wir immer so gemacht. (S. 101) Dieser Satz soll zeigen, daß das Perfekt in „allgemein gültigen Aussagen“ verwendet wird. Aber der Satz ist nicht allgemeingültig, sondern ein Berichtssatz über eine Vergangenheit, in der etwas allgemein galt. Sonst wäre Das ist allgemeingültig ebenfalls allgemeingültig, weil er von Allgemeingültigkeit handelt.
Götze empfiehlt: „Das Perfekt benutze man als Erzählzeit in der gesprochenen Sprache.“ (S. 104) Das ist sehr bedenklich, denn in gepflegter Sprache und in weiten Teilen des deutschen Sprachgebietes wird durchaus im Präteritum erzählt.
Unter dem Titel des Konjunktivs wird auch die Umsetzung der direkten Rede in die indirekte in der herkömmlichen Weise breit dargestellt.
In Edel sei der Mensch sieht Götze einen Imperativ, aber einige Zeilen später bestimmt er Man nehme ein Pfund Zucker als Konjunktiv I. (S. 134f.)
Viele Behauptungen über angeblich unmögliche Passivformen sind hinfällig. (S. 110f.)
„Das Verb wissen, so ist häufig zu lesen, trete nur in Ergänzungssätzen auf.“ (S. 408) Wo sollte dergleichen zu lesen sein? Wenn schon, dann im Obersatz von Ergänzungssätzen, aber auch das dürfte frei erfunden sein, denn jeder weiß, daß wissen auch nominale Akkusativobjekte regiert: viel wissen, das Neueste wissen usw.
„Substantive mit der Endung -oge als Berufsbezeichnung“ sind eine sonderbare Kategorie. Sie verdankt ihre Existenz dem Zufall, daß -loge und -agoge gleich ausgehen; diese beiden Bestandteile hätten genannt werden müssen, vgl. S. 201 richtig: -loge.
Friede, Funke, Glaube werden als „gehoben“ bezeichnet; Frieden, Funken, Glauben sollen das Übliche sein. (S. 150) In der Zeitung kommt der Glauben kaum vor. Es heißt auch fast immer der Funke.
Die Unzulässigkeit des Passivs von reflexiven Verben wird ausgerechnet an sich kämmen demonstriert: (*Sie wird von sich gekämmt), das lediglich eine reflexive Konstruktion ist. (S. 110)
Als Beispiel eines „Instruments“ dient der Nominativ in: Das Wasser löscht das Feuer. (S. 146) – Als ob immer jemand das Wasser zum Löschen benutzen müßte.
„Wegfall des -e zur Bedeutungsdifferenzierung:
der Scheck (Bankanweisung) der/die Schecke (Pferd)
der Jud (beleidigend) der Jude (Angehöriger des mosaischen Glaubens)“ (S. 152)
Bei Scheck kann von Wegfall des e nicht die Rede sein, es ist eine zufällige Homonymie der beiden Wörter. (Jud ist in Dudenwörterbüchern nicht enthalten und muß als veraltet gelten.)
Daß die Dollars stets dekliniert werden, ist irreführend, nach Zahlangaben steht bekanntlich meist die endungslose Form Dollar. (S. 180)
Zur Valenz der Substantive: Bei den Nomina actionis von transitiven Verben wird stereotyp angegeben, daß sie mit Genitiv und durch ... (Agensangabe) konstruiert werden. Das ist trivial und sollte nicht zur Valenz gerechnet werden.
S. 174: Sie kam zurück mit einer Schale warmem Tee. - Dies müsse nach der standardsprachlichen Norm korrekt sein, „da der gleiche Kasus (präpositionaler Dativ) für das gesamte Gefüge gilt. In der täglichen Sprache dominiert jedoch eindeutig“ Sie kam zurück mit einer Schale warmen Tees, „also der teilhabende Genitiv (Genitivus partitivus).“ Es dürfte sich gerade umgekehrt verhalten! (Außerdem ungeschickte Übersetzung: der Genitivus partitivus ist der Genitiv des geteilten Ganzen.)
S. 181: Mehrere angeführte Pluraliatantum sind auch im Singular gebräuchlich: Immobilie (280 Belege in SZ 1999), Personalie (66 Belege), Pretiose, Quisquilie, Therme, Utensil (zu Utensilien).
Umgekehrt kommt das angebliche Singularetantum Bevölkerung (S. 208) auch im Plural vor.
S. 167: Wann sagt man im Deutschen schon die Filii? Praktiken sind der Plural von Praktik, nicht von Praktikum, wie Götze angibt. Lexiken als Plural von Lexikon dürfte äußerst selten sein.
Neben Appendices steht auch Appendixe im Wörterbuch und im amtlichen Wörterverzeichnis (zu S. 166).
S. 212: Daß das e vor der Endung in entlehnten Adjektiven „immer weggelassen“ werde, stimmt sicher nicht; gerade das angeführte propre (Hausfrau) ist kaum belegt, in der Süddeutschen Zeitung z. B. heißt es immer propere.
S. 227: Adjektivvalenz wird ausdrücklich nur beim prädikativen Adjektiv angegeben. D. h. man kann sie stets auf den gesamten Prädikatskomplex beziehen: jdm. egal sein usw.
S. 226f.: Um zu zeigen, daß manche Adjektive nicht prädikativ gebraucht werden können, führt Götze folgende Umformungen an:
der Londoner Tower - *der Tower ist londonerisch
die Berliner Mauer - *die Mauer ist berlinerisch
das Wrschauer Getto -*das Getto ist warschauerisch
Aber hier ist zusätzlich eine Ableitung gebildet, was die Beispiele entwertet.
Nur prädikativ verwendet wird z. B. gram, aber das angebliche Gegenbeispiel *Sie gram ist ... (S. 224) ist unverständlich.
S. 219: Die Beispiele für ersterer, letzterer sind unüblich:
Er hat diese vier Punkte behandelt. Ersteren fand ich besonders interessant.
Alle vier Kandidatinnen haben bestanden. Aber letztere war die beste.
Man würde eher sagen den ersten, die letzte. Außerdem müßte, wie gesagt, nach der Neuregelung groß geschrieben werden.
S. 238: Wieso ist der Erste „Superlativ von einte“, und was bedeutet das überhaupt?
S. 247: „Neben den Artikelwörtern, die im Satz erscheinen, gibt es noch solche, die nicht im Satz auftauchen: beim Substantiv steht also kein Artikelwort. Wir sprechen in diesem Fall vom Nullartikel.“ Das ist widersprüchlich formuliert: Wenn es den Nullartikel gibt, dann steht er vor dem Substantiv und „taucht auf“. Interessant wäre eine Liste der Artikelwörter, die nicht auftauchen ...
Daß eins statt eines „teilweise auch in der geschriebenen Sprache – außerhalb der schönen Literatur“ gebraucht wird, ist eine unrealistische Einschränkung. (S. 233)
„Dekliniert wird ein in attributiver Stellung, wenn eine größere Zahl (hundert, tausend) vorangeht. Das nachfolgende Substantiv steht meist im Singular: Sie liest die Geschichten aus Tausendundeine Nacht.“ (S. 233) Der Werktitel ist nicht geeignet, diese Regel zu belegen.
In dessen und deren sieht Götze „Possessivpronomen“ (S. 250, S. 259), aber ihre Besonderheit erklärt sich gerade daraus, daß es keine sind, sondern Genitive des Demonstrativums.
S. 262: „Die Personalpronomen sind Wörter, die stellvertretend für Substantive stehen (...)“ - Die Personalpronomina der ersten und zweiten Person stehen offensichtlich nicht stellvertretend für Substantive (oder Substantivgruppen, wie es gemeint sein dürfte).
„Mit Personalpronomen bezieht sich der Sprecher/Schreiber auf Personen oder Sachen der Realität. Damit sind Personalpronomen Teil der Verweismittel (Deiktika) der deutschen Sprache.“
Auch mit Eigennamen bezieht man sich auf Personen oder Sachen der Realität. Diese wären also auch Deiktika – das läßt sich vertreten, ist aber in dieser Grammatik nicht vorgesehen.
S. 318: Die eigentlichen Verwendungsbedingungen von aber und sondern sind nicht erkannt, Die Fußballergebnisse 3:0 und 2:1 sind keine „Antonyme“. (Ein so weiter Begriff von „Antonym“ erscheint auch noch einmal S. 324.)
S. 318: „Die Konjunktion das heißt dient zur genaueren Erläuterung, zur Konkretisierung des Sachverhalts. Entsprechend der Neuregelung der Rechtschreibung ist es dem Schreibenden überlassen, ob er in diesen Infinitivsätzen ein Komma setzt.“
Es ist aber gar nicht von „Infinitivsätzen“ die Rede, auch nicht in den Beispielen. Es ist auch seltsam, das heißt als Konjunktion zu betrachten.
S. 311: „Bei Jahreszahlen steht im (im Jahre 1999). Das aus dem Englischen stammende in (*in 1999) ist nicht normgerecht.“
Aber hier steht im gar nicht vor der Jahreszahl, sondern vor dem Substantiv Jahr. Vor Jahreszahlen steht üblicherweise gar nichts.
S. 308: bis wird in der üblichen Weise als Präposition dargestellt, die den Akkusativ regiert (bis nächsten Mittwoch), obwohl der Akkusativ der adverbiale und gar nicht von der Präposition regiert ist. Die Präpositionen in den Wendungen am größten, auf die Sekunde genau können kaum als „modal“ angesehen werden. In nach Haus liegt syntaktisch irregulärer Gebrauch der Präposition vor, da sonst der Artikel stehen müßte (S. 310).
An mehreren Stellen weist Götze bestimmte Konstruktionen der gesprochenen oder der geschriebenen Sprache (und besonders der „Literatursprache“) zu, ohne daß dafür eine ausreichende Grundlage vorhanden wäre; z. B. soll niemand in der gesprochenen Sprache nicht dekliniert werden, was zweifellos stark übertrieben ist. (S. 334)
S. 333: Daß Funktionsverbgefüge nur mit nicht verneint werden, trifft nicht zu, denn man findet immer wieder Belege wie keine Stellung nehmen.
Die beiden Vergleichstexte S. 326 unterscheiden sich nicht nur durch das Vorhandensein und Fehlen der Modalpartikeln, sondern durch viele andere Merkmale, so daß die Beweiskraft hinsichtlich der Wirkung der Modalpartikeln geschwächt wird.
Götze rechnet alle möglichen Adverbien zu den Modalpartikeln. (S. 329f.)
S. 323: „Bei irrealen Vergleichssätzen muss der Nebensatz immer hinter dem Hauptsatz stehen!“
Das scheint aber nur für einige Wendungen wie die angeführte zuzutreffen: Sie tut so, als ob sie das nicht gewusst hätte. Sonst kann man durchaus sagen: Als ob sie das nicht gewusst hätte, begann sie mit der Arbeit.
S. 321: Die Konjunktion da soll verwendet werden, wenn der Sprecher annimmt, daß die Ursache des Sachverhalts allgemein bekannt ist.
S. 312: „Unsicherheiten in der Schreibung bei teilweise lexikalisierten Formen wie anstelle von/an Stelle von, aufgrund von/auf Grund von sind unnötig; beide Formensind normgerecht.“
Aber die Unsicherheit kommt gerade daher, daß man nie weiß, bei welchen Zusammenrückungen die Schreibweise freigestellt ist und bei welchen nicht: zu Liebe? usw.
S. 361f.: Bote ist in der Gegenwartssprache nicht ableitbar, das -el im Lehnwort Titel nicht als Suffix erkennbar, das -sel in Schlamassel erst recht nicht, der Eigennamen Beckmesser nicht als Ableitung.
Die Paraphrasen komplexer Wörter sind willkürlich, ihre semantische Analyse gibt folglich nichts her: „Aktivische und passivische Bedeutung können nebeneinander stehen: Pflegekind (Kind, das gepflegt wird) – Pflegeeltern (Eltern, die pflegen)“ usw. (Wie steht es mit Pflegeversicherung?)
Mittagsmagazin paraphrasiert Götze so: „das mittägliche Magazin; Adjektivattribut“. (S. 359) Das Kompositum enthält kein Adjektiv und hat mit einem solchen nichts zu tun. Die übrigen Paraphrasen sind ebenso willkürlich: „Frauenkleider = Kleider, die den Frauen gehören; possessiver Genitiv zum Subjekt“. - Wieso „Subjekt“? Nicht einmal das Fugenelement ist erkannt. Ein einzelnes Frauenkleid würde in seinen Augen wohl auch mehreren Frauen gehören. Wieso ist der Zug in Zugunglück ein „Instrument/Mittel“?
„Verständlich sind und werden benutzt: ...“ (?) (S. 357)
Stenorette ist ein eingetragenes Warenzeichen von Grundig und kann nicht ohne weiteres der deutschen Wortbildung zugeschlagen werden. (S. 363)
Der Affixbegriff wird sehr großzügig verwendet: Mist- in Mistwetter ist Präfix usw. (S. 364) Nach Analogie von Mist- (warum gerade dies?) sollen Halbpräfixbildungen mit Affen-, Bomben, Marathon- usw. gebildet worden sein (S. 365).
In -ant sieht Götze ohne weiteres ein pejoratives Suffix und behauptet: „Korrekter Sprachgebruach statt des Schimpfwortes Asylant ist deshalb: Asylbewerber bzw. Asylberechtigter.“ (S. 364)
Wieso sind Gewähr leisten, Haus halten „Zusammensetzungen“? (S. 366)
Die „semantische Gliederung“ der abgeleiteten Verben S. 367 erinnert an die S. 89f. angeführten Aktionsarten, es wird aber weder dort noch hier ein Verweis hergestellt. Die Zuordnung im einzelnen ist wieder sehr unklar: Wieso sind verjagen, verstoßen „privativ“? Wieso ist respektivieren „ornativ“? Wieso ist zerstören „faktitiv“? Das sind keine wirklichen semantischen Analysen.
chromblitzend interpretiert Götze als vergleichend wie grasgrün (S. 371); das dürfte nicht richtig sein, denn man spricht von tatsächlich mit Chrom verzierten Geräten oder Fahrzeugen als „chromblitzend“.
In Müller fährt Auto soll Auto ein „trennbares Präfix (Vorsilbe)“ sein.
Mehrmals wird gelehrt, daß der Satz durch ein finites Verb definiert sei, aber auch Feuer! soll ein Satz sein (S. 387). Mit der verbzentrierten Satzdefinition steht übrigens die Aussage im Widerspruch, daß das Verb nur aus „Zweckmäßigkeitsgründen“ an die obere Stelle gerückt werde. (S. 375)
Die „progrediente“ Intonation von Ausrufesätzen wie Du bist aber groß geworden! scheint mir zweifelhaft. (S. 380)
Der Satz Die Studenten aus China kommen um 10 Uhr an soll doppeldeutig sein. Ich kann das nicht erkennen, vielleicht ist die darauffolgende Umformung gemeint: Um 10 Uhr kommen die Studenten aus China an. (S. 377)
Was sind „belebte und unbelebte Sachverhalte“? (S. 392)
Bei die Frage erst, die Frage überhaupt, das Problem nämlich sieht Götze in den Adverbien „Attribute“ - wie in die Straße links. (S. 396)
S. 392: Wie in einigen Arbeiten zur Unterscheidung von Ergänzungen und Angaben wird auch hier ein Satz wie Der Mord geschah offenbar für unvollständig gehalten, daher soll aus Eifersucht eine Ergänzung sein. Der leicht befremdliche Eindruck hat jedoch andere Gründe (Definitheit, Tempus) und verschwindet, wenn man etwa sagt Ein Mord ist geschehen. In Er kann wegen Krankheit nicht teilnehmen sieht Götze dagegen Angabe.
So kommt es dazu, daß Sie fährt nach Berlin und Das Flugzeug kommt aus London unterschiedlich analysiert werden (Ergänzung im ersten, Angabe im zweiten Satz), ebenso Er wohnt in München – Er hat auf dem Berg übernachtet. Das ist unplausibel.
Die Beispielreihe S. 441f. ist wirr. Zunächst einmal ist auch bei Akkusativen des Maßes manchmal Anaphorisierung möglich: Wiegt es einen Zentner? - Den wiegt es. Der Satz Der Dollar stieg um 3 Pfennige enthält gar keinen Akkusativ des Maßes. Warum sollte 30 Kilometer werden von mir gegangen nicht ebenso akzeptabel sein wie Es werden 30 Kilometer gegangen? Dem Satz Sie arbeitet den ganzen Tag entspricht zwar Den ganzen Tag wird von ihr gearbeitet, das Götze zu Unrecht mit einem Sternchen versieht (während er Es wird den ganzen Tag gearbeitet nicht beanstandet), aber das ist es ja gar nicht, was in dieser Liste gezeigt werden soll, nämlich die Nichtpassivierbarkeit.
Götze läßt nur Ergänzungen als Satzglieder gelten, die beiden Begriffe sind also gleichbedeutend, daher auch nur Ergänzungssätze als Gliedsätze. „Angabesätze sind per definitionem keine Gliedsätze.“ (S. 405) Im Kapitel über Satzgliedstellung scheinen aber die Angaben doch wieder Satzglieder zu sein. Götze geht so weit, die Angaben aus der Satzanalyse auszuschließen (S. 376).
Ebenso fallen Dependenz und Valenz bei ihm zusammen: was nicht valenzgebunden ist, ist auch nicht vom Verb abhängig.
Die Ausführungen über wissen, kennen usw. (S. 408f.) sind besonders wirr, stellenweise sogar grammatikalisch durcheinandergeraten und unverständlich (S. 409 u.). Da Götze den Begriff der faktiven Verben nicht kennt oder ihn vermeidet, ist die Darstellung der Ergänzungssätze umständlich und dennoch falsch.
Wieder und wieder setzt sich Götze von ungenannten „anderen“ oder „traditionellen“ Grammatiken ab, denen er die unsinnigsten Ansichten unterstellt, um seine eigene Darstellung als Fortschritt herauszustellen.
Götze sind keinen Bedeutungsunterschied zwischen
„a) Er ist zum Flughafen gefahren, denn er will die Maschine um zwei Uhr erreichen.
b) Er ist zum Flughafen gefahren, weil er die Maschine um zwei Uhr erreichen will.
c) Er ist zum Flughafen gefahren. Er will die Maschine um zwei Uhr erreichen.“ (S. 400)
Man könnte noch hinzufügen:
d) Er ist zum Flughafen gefahren, da er die Maschine um zwei Uhr erreichen will.
e) Er ist zum Flughafen gefahren. Er will ja die Maschine um zwei Uhr erreichen.
In a) werden zwei Sachverhalte behauptet, und es wird ein kausaler Zusammenhang zwischen ihnen hergestellt. In b) wird ein solcher Zusammenhang behauptet und die Tatsächlichkeit der Sachverhalte vorausgesetzt. Bei Verneinung wird (zumindest in einer Lesart) der Zusammenhang bestritten („nicht deshalb“). In c) muß der Hörer selbst einen Zusammenhang herstellen. In d) wird ein Evidenzmarker hinzugefügt, so daß der Hörer deutlicher aufgefordert wird, einen Zusammenhang herzustellen. Dasselbe geschieht mit der Modalpartikel in e).
„Meier will wissen, ob du kommst.“ Hier ist die Paraphrase unbrauchbar: „Meier will Gewissheit über dein Kommen haben.“ - denn jetzt ist haben das Verb, nicht mehr wissen. Ein ähnlicher Konstruktionswechsel entwertet das Beispiel: „Er half mir, dass ich das Auto starten konnte. - Er half mir, das Auto zu starten.“ (S. 412)
„Das Haus – wir haben es gestern gekauft – ist ein Juwel.“ Hier soll der Schaltsatz ungeordnet sein, weil das Ganze sich in eine Hypotaxe umformen läßt: „Das Haus, das wir gestern gekauft haben, ist ein Juwel.“ (S. 404) Das ist jedoch Zufall und für die Beschriebung der Parenthese irrelevant.
Unter den „Besonderheiten“ der Ergänzungssätze wird manches angeführt, was nicht zur Grammatik gehört. Es ist eine rein sachlich- semantische Angelegenheit, daß man die Vergangenheit nicht planen kann. Nur aus diesem Grunde sind Sätze wie „Sie planen, eine Weltreise gemacht zu haben.“ nicht interpretierbar (S. 414). Ebenso: „Er zögerte, ihr eine Frage gestellt zu haben“ usw.
In Diese Stadt mögen wir sehr scheint Götze diese Stadt für das Subjekt zu halten. (S. 440)
Daß Attributsätze zur Anrede Sie das Personalpronomen wiederholen müssen (Sie, die Sie uns ...), ist stark übertrieben. (S. 434)
Weisgerbers These vom inhumanen Akkusativ glaubt Götze widerlegen zu können durch Fälle wie jemanden mit einem Preis auszeichnen usw. - wo ja zweifellos etwas Schönes bezeichnet ist. Aber so naiv war Weisgerber nicht, wie ja auch das seinerzeit vieldiskutierte betreuen zeigt. Die Preisverleihung, so angenehm sie sein mag, wird eben durch auszeichnen als Manipulation eines Gegenstandes dargestellt, im Gegensatz zur personalen Sicht bei verleihen + Dativ. (Auszeichnen kann man auch Gegenstände.) Das mag falsch sein, aber es ist nicht so leicht zu widerlegen.
Götze hält am Begriff „Subjekt“ fest, obwohl er ihn mit Nominativergänzung gleichsetzt und daher im Rahmen der Valenztheorie darauf verzichten sollte.
Götze erkennt nicht, daß das Konzept der Satzbaupläne, die ausführlich dargestellt werden, mit der Valenztheorie unverträglich ist. Es sind nicht die additiv aufgefaßten Ergänzungen des Verbs, sondern die gesamten Konstruktionsmuster, die den Satzbau bestimmen. Götze sieht aber gerade in den Satzbauplänen eine Anwendung der Valenztheorie:
„Es ist nun ein Vorzug einer Valenzgrammatik mit dem finiten Verb im Zentrum des Satzes, dass man auf der Grundlage der beschriebenen Ergänzungsklassen zu einer Gliederung der Satzstrukturen kommen kann.“ (S. 436)
So kommte es zu der in deutschen Grammatiken üblichen Verdoppelung, wobei Satzbaupläne in unklarer Beziehung zur Valenz der Verben stehen. Eigentlich würden die Satzbaupläne allein schon genügen, der Rest gehört ins (Verb-)Wörterbuch. Aus Amerika kommt inzwischen die „Konstruktionsgrammatik“, die den längst bekannten Einwand gegen die Valenzgrammatik auswalzt.
Die Verben mit „Einordnungsergänzung“ werden für „nicht passivfähig erklärt“ (S. 466) aber die meisten Beispiele sind ohne weiteres passivierbar (Man beförderte ihn zum General, Man taufte ihn Michael usw.)
Die Satzgliedstellung wird nach dem Muster von „Feldern“ und „Klammern“ dargestellt. Dabei spricht Götze jedoch von „Inversion“ („ungerade Satzgliedstellung“) wenn nicht das Subjekt im Vorfeld steht – als sei das Deutsche doch eine SVO-Sprache – womit der Witz der Klammerterminologie verlorengeht. Auch das Vorfeld-es steht nicht „in Vertretung des Subjekts“ (S. 481) im Vorfeld.
„Die Grundregel lautet dann: rechts determiniert links.“ (S. 479, S. 498) – Genau das Gegenteil wäre richtig.
Mit der „Inversion“ soll stets eine besondere Betonung auf dem Vorfeld verbunden sein:
Im Lotto hat Müller eine Million gewonnen. Götze spricht mit Drach von „Ausdrucksstellung“. (S. 482) Das trifft nicht zu, da im Vorfeld sehr oft situierende Angaben stehen, die keineswegs besonders betont sind. In Gestern hat er sie ganz kurz auf dem Bahnhof zur Übergabe des Geldes getroffen (S. 486) ist das Vorfeld-Advebial bestimmt nicht besonders betont, Götze jedoch sieht „Ausdrucksstellung“ gegeben.
Nachträge und Extrapositionen werden nicht unterschieden (S. 483), und gänzlich verwirrend ist die Anmerkung dazu auf S. 484: „Nicht ausgeklammert werden Funktionsverbgefüge“: „Er stellte die Frage zur Diskussion - *Er stellte zur Diskussion die Frage.“ Im zweiten Satz wäre ja nicht das Funktionsverbgefüge ausgeklammert, sondern dessen Ergänzung. Bei den „Einordnungsergänzungen“ ist das Beispiel ebenfalls irreführend: „*Er benimmt wie ein Schauspieler sich. Hier hätte Götze nur eine zweiteilige Verbformen wählen müssen, um zu sehen, daß Ausklammerung sehr wohl möglich ist: Er hat sich benommen wie ein Schaupieler.
Götze glaubt sich wieder einmal von ungenannten „älteren Grammatiken“ absetzen zu müssen, wenn er behauptet, im Mittelfeld gebe es keine „Normalabfolge“ (S. 484), aber auf den nächsten Seiten tut er nichts anderes, als eine solche Normalabfolge zu konstruieren, sogar in Form eines graphischen Modells (S. 486 u. 488).
Die Darstellung der Reihenfolge bei Pronominalisierung ist auch nicht richtig. So folgt zwar in Ich habe es ihm gegeben der Dativ auf den Akkusativ, aber das liegt am klitischen es, denn schon bei Ich habe ihm das gegeben ist es wieder umgekehrt. (S. 487)
Über die Jugendsprache urteilt Götze sehr streng:
„Ähnlich wie in der Sprache der Politik sind hier freilich auch die meisten Worthülsen zu registrieren: sprachliche Leerformeln anstelle inhaltlicher Klarheit, Sprachverfall anstelle des Bemühens, mit klarer und eindeutiger Sprache aufklärerisch zu wirken.“ (S. 521)
Warum sollten Jugendliche das Bemühen teilen, „aufklärerisch zu wirken“?
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Kommentare zu »Die Bertelsmanngrammatik« |
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.05.2014 um 12.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1160#25770
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Das ist sicher richtig, für bewußt konstruierte Paradoxien und Sprachscherze gibt es keine Regeln, aber die Koordination von person- und numerusverschiedenen Subjekten sollte ja aus sprachsystematischer Sicht ziemlich normal sein. Das sind dann die Fälle, wo unsere Liebsten im Schreiben innehalten und uns fragen: Sag mal, wie heißt es denn hier richtig? - Und dann fangen wir an nachzudenken, und damit sind wir schon im Schlamassel, denn nachzudenken ist hier gerade verkehrt.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 05.05.2014 um 11.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1160#25769
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Ich will es nicht direkt als falsch bezeichnen, aber ich finde, es ist zumindest schlechter Stil, man kann einfach nicht alles sagen. Es gibt bestimmte Grundregeln, denen man keine anderen Regel aufsetzen kann. Nach meinem persönlichen Sprachgefühl ist das letzte Beispiel nicht möglich, man kann es nur umschreiben, z. B. in diesem Fall ginge sehr gut:
Deine Freunde oder du, ihr hättet es ihm sagen müssen.
Alles andere sind m. E. unsinnige Versuche. Es erinnert mich wieder daran, wie mein Großvater mich mal austricksen wollte, ich sollte schreiben: Der Maler malt ein Bild, der Müller mahlt Mehl, beide [ma:len] auf ihre Art. Wie könnte für so etwas eine Schreibregel lauten? Und selbst wenn beide Homophone genau gleich geschrieben würden, wäre ein solcher Gebrauch irgendwie schief. Wer unbedingt so etwas Paradoxes sagen oder schreiben will, der soll es eben machen, wie er will, es würde auch durch Beachtung von "Regeln" nicht besser. Manches kann man m. E. einfach nur vernünftig umformulieren.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.05.2014 um 06.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1160#25767
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Zur Numerus- und Personkongruenz (Korrespondenz) haben wir wegen der Seltenheit des Vorkommens wohl keine sicheren Intuitionen ausgebildet. Die Regeln werden, wie erwähnt, oft zu streng formuliert.
Deine Freunde oder du hättest es ihm sagen müssen.
Das soll nach canoonet und anderen das Richtige sein, aber gibt es viele Belege? Ganz unzureichend die Darstellung von IDS:http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/sysgram.ansicht?v_typ=d&v_id=1625 - wo man die kniffligen Fälle gar nicht erst erwähnt und lieber Vermeidungsformen vorschlägt.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 03.01.2012 um 23.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1160#19811
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Mark Twain ("Die schreckliche deutsche Sprache"): "Zuerst einmal würde ich den Dativ fortlassen. Er bringt die Plurale durcheinander, und außerdem weiß man nie, wann man sich im Dativ befindet, wenn man es nicht zufällig entdeckt - ... Der Dativ ist nur eine närrische Verzierung - es ist besser, ihn aufzugeben."
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