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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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03.11.2008
 

cuium pecus
Seltsame Parallele

Bekanntlich gibt es im Deutschen eine Neigung, das an sich unflektierbare (weil eigentlich schon flektierte) dessen, deren in vermeintlicher Kongruenz zu beugen: dessem, derem.

Also:
"Unter freiem Himmel wird alles schwer", stellte kürzlich Münchens renommierter Kulturkritiker Joachim Kaiser fest, dessem Sachverstand zweifelsohne Respekt gezollt werden muß. (SZ 23.10.85:21)
Neue Tänze gab es, neue Musik, Saxophone wimmerten, und sie ganz besonders erregten Unwillen bei älteren Leuten, ganz abgesehen von derem Zorn, derem Nichtverstehen gegenüber der neuen Zeit. (SZ 12.8.81:9)

Die Sprachratgeber verurteilen es als falsch.
"Die Form derem ist falsch, es gibt keinen Dativ zu deren." "Die Form dessem ist falsch, es gibt keinen Dativ zu dessen." (Duden. Richtiges und gutes Deutsch. Mannheim 1985:180;182)

Aber das Bedürfnis nach Kongruenz führt unweigerlich zur Entstehung eines neuen "Possessivartikels" aus dem Genitiv des Pronomens. (Ich habe zahlreiche Belege für die beiden Formen seinerzeit noch per Hand gesammelt, heute braucht man bloß die Suchmaschine anzuwerfen.)

Nun gibt es eine berühmte Stelle bei Vergil, die jeder Lateiner auswendig kann und die dasselbe Phänomen zeigt: cuium pecus?. Der Satiriker fragt höhnisch anne latine?. Aber so geht es eben in der Sprache, die Philologen wissen es längst.



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Kommentare zu »cuium pecus«
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Kommentar von A.B., verfaßt am 02.11.2019 um 17.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#42358

Daß "Herr" von Schülern auffällig häufig nicht (oder nicht mehr) flektiert wird, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. – Woher sollten sie es auch besser wissen? Es gehört sich ja nicht mehr, sie zu verbessern.
Es mag dabei eine Rolle spielen, daß die Anrede "Herr" bei Lehrern quasi die ja nicht zu verwendende Rolle des Vornamens übernimmt und so als Namensbestandteil wahrgenommen wird.
Außerdem wird "Frau" auch nicht flektiert...
 
 

Kommentar von Aerarius, verfaßt am 02.11.2019 um 17.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#42357

Andererseits stelle ich – was Ihnen gewiss nicht neu ist – vor allem bei meinen Schülern (aber auch im Alltag und in den Medien) fest, dass "Herr" zunehmend überhaupt nicht mehr flektiert wird.
 
 

Kommentar von Aerarius, verfaßt am 02.11.2019 um 17.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#42356

Es handelte sich um einen Hörbeleg. Es kam in einem – in diesem Monat geführten und auf YouTube leicht zu findenden – Lanz-Interview mit Gauland im Dativ mehrfach eindeutig vor (und ich habe es auch sonst schon gelegentlich gehört).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.10.2019 um 04.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#42336

Die Tasten liegen nebeneinander, das muß man in solchen Fällen bedenken. Handschriftlich (Briefe!) wäre es signifikant.

(Eben hatte ich "Föllen" getippt.)
 
 

Kommentar von Aerarius, verfaßt am 30.10.2019 um 00.36 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#42335

Eben in einem Youtube-Clip aufgeschnappt (keine Seltenheit): "mit Herrm Höcke".
Viele Grüße von einem ehemaligen Studi
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 25.08.2015 um 13.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#29776

In der gesprochenen Sprache wird "dessen" und "deren" meist umschrieben, im Bairischen z.B.:
"der Tisch, dessen Beine wackeln" wird zu "da Disch, dem d' Fias waggln" und "die Kinder, deren Eltern zur Arbeit gehen" wird zu "de Kinda, dene eahnare Aiddan in d' Arwad genga" (Quelle: Ludwig Merkle, Bairische Grammatik)
 
 

Kommentar von Aerarius, verfaßt am 24.08.2015 um 18.59 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#29771

Ich bin unsicher - ich bin zwar Latinist, nicht aber Indogermanist -, ob "cuius, a, um" wirklich von "cuius" als dem Genitiv von "qui, quae, quod" abgeleitet ist oder nicht vielleicht schlichtweg vom Nominativ "qui".

qui > cuius ("quius"), vgl.:
tu > tuus

Vielleicht spielt beides ineinander.
Wissen Sie dazu Näheres, Herr Ickler? Danke im Voraus.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.01.2011 um 10.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#17877

Sag ich doch!
 
 

Kommentar von Aerarius, verfaßt am 16.10.2010 um 17.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#16925

Aerarius Theodoro Icklero reliquisque s.p.d.

vorsicht! "cuius, cuia, cuium" ist ein nicht ungängiges Lateinisches Adjektiv: Es findet sich schon bei Plautus, es findet sich auch bei Cicero.

valete!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.05.2009 um 12.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#14509

Ein Verb des Sagens (und Denkens) soll auf lateinisch verbum dicendum heißen, wie ich gerade in einer sehr gelehrten Arbeit eines bekannten deutschen Linguisten lese. Nach Anwerfen der Suchmaschine finde ich diesen Fall von "Kongruenz" noch mehrmals.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.11.2008 um 05.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#13400

Im Deutschen sind die Possessivartikel mein, dein, sein doch auch durch solche Weiterbildung entstanden.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 06.11.2008 um 23.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1070#13399

Im Serbischen und Kroatischen gibt es diese wie Adjektive gebeugten demonstrativen Possessivpronomen. Möglicherweise ist die entsprechende neue Erscheinung im Deutschen jugoslawischer Einfluß durch die zahlreichen Einwanderer von dort, die ihre Sprache wörtlich ins Deutsche übersetzen.
 
 

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