Kommentare zu »Noch einmal zu den Verbzusätzen« |
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.10.2008 um 22.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#13301
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Nur der Vollständigkeit wegen: Auch bei Infinitiven, z.B. mit Modalverben: heim wollten sie noch nicht gehen; hinauf konnten sie aber nicht steigen.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.10.2008 um 23.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#13307
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Das Problem ist, sie "können ... trennbare Zusammensetzungen bilden". Früher wurde das in erster Linie über die Bedeutung geklärt. Aber die sogenannte Reform hat da eine Menge Unsicherheit hineingebracht.
So schrieb z.B. die Märkische Allgemeine aus Potsdam in der gestrigen Ausgabe (18./19.10.2008):
"Gestern Morgen sind in Drewitz eine Straßenbahn und ein Opel zusammen gestoßen."
Für mich klingt das genauso falsch wie "sie sind zusammen gearbeitet" oder "sie sind zusammen gegessen". Einfach aus der Bedeutung folgt doch, daß man nur sagen kann, entweder "sie haben zusammen gestoßen" oder "sie sind zusammengestoßen", wobei hier natürlich nur das letztere einen Sinn ergibt.
Wer die Bedeutung kennt und demzufolge weiß, daß das eine Perfekt mit "haben", das andere mit "sein" gebildet wird, wozu braucht der hier überhaupt noch irgendeine Regel?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.10.2012 um 04.26 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#21771
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Delors wollte immer weitergehen als die Politik-Elite, mit der er es zu tun hatte. (Spiegel 26.9.11)
Wie in einer wirklichen Zusammensetzung büßt der Verbzusatz seine Selbständigkeit ein und steht daher nicht mehr für die Vergleichskonstruktion weiter als die Politik-Elite zur Verfügung. An weitergehen kann kein Vergleich angeschlossen werden. Daher sollte hier getrennt geschrieben werden.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.07.2013 um 15.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23798
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Wilhelm Schmidt hatte das Richtige auch schon gesehen, blieb aber aus praktischen Gründen bei der schulgrammatischen Konvention:
„Diese Darstellung folgt der herkömmlichen Auffassung, die auch für den Schulunterricht noch maßgebend ist. Eigentlich hat aber Erich Drach recht, der in seinen „Grundgedanken der Deutschen Satzlehre“ nachgewiesen hat, daß bei den sog. trennbaren Verben nur eine Rechtschreibgewohnheit vorliegt. Es handelt sich gar nicht um wirkliche Zusammensetzungen, sondern um Gefüge aus Verben und Adverbien, die zusammengeschrieben werden, wenn sie syntaktisch in Nachbarstellung treten.“ (Wilhelm Schmidt: Deutsche Sprachkunde. Berlin 1978:99)
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.07.2013 um 16.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23800
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Betrifft das denn wirklich alle sog. trennbaren Verben, d.h. sind alle abtrennbaren Verbzusätze so ganz selbständig?
Kann man da, wo sich eine völlig neue Bedeutung ergibt, z.B. hören - aufhören, er hört auf, noch von ein und demselben Wort hören sprechen?
Man kann auch nicht sagen:
*Auf konnte er nicht mehr hören, sondern es geht m. E. nur:
Aufhören konnte er nicht mehr.
Spricht das nicht doch zumindest in diesen Fällen für "1" (trennbares) Wort aufhören mit neuer Bedeutung anstatt einer bloßen Zusammenschreibung zweier selbständiger Wörter?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.07.2013 um 17.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23801
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Damit berühren Sie die alte Grundfrage: Welche Arten von Verbzusätzen gibt es, und worauf beruht es, daß einige vorfeldfähig sind, andere nicht? Zunächst einmal genügt die Trennbarkeit (hört ....auf schon, um die Zusammengesetztheit zu bezweifeln. Brugmann sprach von Distanzkomposita, Paul war dagegen, wie schon zitiert. Demnächst mal mehr darüber, ich sitze noch an einer Gesamtdarstellung.
(aufhören ist idiomatisiert, aufsteigen nicht. Was soll also der Zusatz im Vorfeld, wenn er nicht kontrastierbar ist?)
"In Bezug auf die Vorfeldbesetzung verhalten sich die Verbpartikeln somit genauso wie andere syntaktische Konstituenten. Dass ihre Topikalisierung schwieriger ist, hängt mit semantisch-pragmatischen Bedingungen, nicht mit der angeblichen morphologischen Struktur der Kombinationen zusammen." (Kolehmainen in der hier schon diskutierten Arbeit, S. 59)
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 31.07.2013 um 19.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23802
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Ich passe auf ~ Ich laufe schnell/gerne/oft.
Ich laufe ist ein vollständiger Satz, der durch die Adverbiale schnell/gerne/oft genauer bestimmt wird. Aber Ich passe ist als Satz nur in ganz anderen Zusammenhängen möglich (etwa beim Skat) und wird nicht etwa durch auf näher bestimmt. Vgl. auch Das Kleid paßt gut ~ Sieglinde paßt auf ~ Sieglinde paßt gut auf.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 31.07.2013 um 21.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23803
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Adverbien beschreiben eine Tätigkeit näher; Präpositionen geben dem Verb eine neue Bedeutung.
(Das ist im Slawischen genauso, nur daß dort die Präpositionen auch in den finiten Formen immer mit dem Verb verbunden bleiben.)
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 01.08.2013 um 08.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23806
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Trennschärfe ist hier nicht möglich, wie die Reformer (z.B. der inzwischen verstorbene Burkhard Schaeder oder Klaus Heller) selbst gesagt haben. Man nehme nur das Beispiel "um".
Es gibt, außer Gewohnheit und Intuition, einfach keine für jedermann verstehbaren und anwendbaren Regeln, und sie sind auch nicht notwendig.
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 01.08.2013 um 14.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23807
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Daß es kaum anwendbare Regeln für die Zusammenschreibung der trennbaren Verben gibt, haben ja schon die Teilnehmer der Orthographischen Konferenzen vor gut hundert Jahren erkannt, nur die Reformer wollten das nicht kapieren. Aber in den letzten Beiträgen ging es mehr um die grammatisch-syntaktische Einordnung dieses Phänomens. Vergleichen wir
Ich bezweifle diese Aussage ~ Ich zweifle diese Aussage an ~ Ich zweifle an dieser Aussage
Inhaltlich alles kein großer Unterschied, aber verschiedene Satzkonstruktionen. Bei den beiden ersten ist diese Aussage notwendiges Akkusativobjekt, bei der letzten ist dieser Aussage Dativ zur Präposition, die auch weggelassen werden kann. Beim zweiten Satz fungiert an offenbar nicht als Präposition, die Satzkonstruktion gleicht Satz Nr. 1.
Oder nehmen wir die alten Kalauer:
Er umfuhr den Polizisten ~ Er fuhr den Polizisten um
Der Dolmetscher übersetzt ~ Der Fährmann setzt über
Wenn wir das eine als einheitlichen Begriff ("Wort") sehen wollen, das andere aber als syntagmatische Fügung, scheint mir doch kein semantisch-pragmatischer Unterschied erkennbar, sondern eben doch nur der morphologische.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 01.08.2013 um 15.07 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23808
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Nicht nur der morphologische: Ist nicht der Betonungsunterschied wichtig?
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 01.08.2013 um 17.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23810
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Ist hier im Begriff "Morphologie" inbegriffen. morphê, also "Form", bezeichnet die ganze Gestalt des Wortes im Gegensatz zu Bedeutung oder Verwendung. Daß die Betonung einen Bedeutungsunterschied ausmacht, zeigt, daß sie ein phonemisches Element ist.
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Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 02.09.2013 um 22.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23967
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Im Fernsehen hörte ich Hans-Ulrich Jörges folgendes sagen: Die SPD wickelt gerade die Agenda 2010 rück ab.
Ich will gar nicht auf eine bestimmte Deutung hinaus, nur als Mitteilung einer interessanten sprachlichen Konstruktion.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 02.09.2013 um 22.54 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23968
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Wie sind eigentlich die Verbzusätze beim Rheinischen Infinitiv zu gebrauchen? Kürzlich hörte ich die Ausdrucksweise "ich bin zurück am gehen". Ich würde eher sagen "ich bin am zurückgehen". Was ist nun "richtig"?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 03.09.2013 um 04.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#23969
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Zur "Rheinischen Verlaufsform" gibt es einen Wikipedia-Eintrag, übrigens mit Verweis auf einen Zwiebelfisch-Beitrag von 2005, worin Sick vom Fönen spricht, also der AEG treuer ist als den Reformern...
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.02.2014 um 06.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#25125
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Ich fasse noch einmal das Wichtigste zusammen:
Verbzusatz-Konstruktionen
Zum Verb tritt oft ein Spezifikator, der den Hauptton der Gruppe trägt und so eng mit dem Verb verbunden ist, daß kein weiteres Element dazwischentreten kann. Bei Verbzweitstellung bleibt dieser sogenannte Verbzusatz in Endstellung. Bei Kontaktstellung tritt oft Zusammenschreibung ein: wenn der Strahl aufsteigt; aufgestiegen, aufzusteigen. (Die "Infinitivpartikel" zu ist hier als Präfix zu betrachten, die Zusammenschreibung also zu erwarten.) Steht jedoch der Zusatz im Vorfeld allein vor dem Verb, wird getrennt geschrieben und so wenigstens orthographisch die Verbzweitstellung verdeutlicht: Auf steigt der Strahl.
Die Verbzusätze rekrutieren sich aus verschiedenen Wortarten: Adverbien, Präpositionen, Adjektive, Substantive, infinite Verbformen. Als Verbzusätze verlieren diese Lexeme mehr oder weniger ihre ursprünglichen Wortartmerkmale (z. B. die Artikelfähigkeit) und sind in unterschiedlichem Maße nicht mehr vorfeldfähig:
Rad bin ich schon lange nicht mehr gefahren.
Eis bin ich schon lange nicht mehr gelaufen.
Stand aber soll er mir halten. (Eduard Engel: Deutsche Stilkunst. 1911:15)
Aber:
*Vor hat er es mir nicht geworfen.
*Teil hat er dann doch nicht genommen.
Offenbar kommt es darauf an, ob der herausgehobene erste Teil noch eine faßbare Bedeutung hat oder die Fügung vollständig idiomatisiert ist:
Auf geht die Sonne im Osten.
*Auf will er erst später hören.
Vom VZ-Komplex hängen nach Zahl und Art andere Egänzungen ab als vom Verb allein (Valenzänderung): lügen – anlügen (trans.), ebenso: anbellen, anbeten, anbetteln:
Sie weint das Kissen naß.
Er predigt die Kirche leer.
Einige Verbzusätze können durch Erweiterungen von ihrem Verb getrennt werden; das gilt besonders für mit und zurück:
Kannst du mich dann mit zur Gießerei nehmen? (Wolfgang Hilbig: Unterm Neomond. Frankfurt 1982:99)
Ganz am Anfang seiner Karriere fand ihn die legendäre Josephine Baker gut genug, um ihn mit auf eine ausgedehnte Tournee zu nehmen. (SZ 28.4.86)
Schreiber hat Max Strauß oft mit auf Reisen genommen. (SZ 10.1.04)
Zugleich überlegt sie, wie Fluchtkapital zurück nach Deutschland geholt werden könnte. (FAZ 14.6.02; Überschrift: Merz will Fluchtkapital zurücklocken)
Andere Fälle:
Die meisten Länderregierungen scheinen sich ganz wohl dabei zu fühlen. (FAZ 19.7.00)
... Menschen, deren Leben, Arbeit und Tüchtigkeit er festlich darstellte, ohne teil daran zu haben. (Thomas Mann: Königliche Hoheit. Fischer-TB 1960:115)
„Kleine Schwester!“ sagte er bei sich selbst, indem er sich ab davon wandte. (Thomas Mann: Königliche Hoheit. Fischer-TB 1960:186)
Die Seldwylerinnen konnten sich nicht satt an ihm sehen. (Gottfried Keller: Dietegen, 3. Kap.)
Eine Besonderheit sind die Halbkomposita wie anerkennen (ich anerkenne), anempfehlen, anberaumen, anerbieten, doppelklicken, überbewerten, mißverstehen, die in finiter Form wie Präfixverben („untrennbare Verben“) gebraucht, aber wie die Verbzusatzkonstruktionen auf dem ersten Bestandteil betont und gegebenenfalls durch die Infinitivpartikel zu unterbrochen werden (die u. a. aus diesem Grunde auch als Präfix gelten kann), in Fällen wie hohnlachen, notlanden auch durch das Präfix ge-.
Anmerkungen:
Unter dem Eindruck der Zusammenschreibung rechnen viele Grammatiker die Verbzusatzkonstruktionen zu den Zusammensetzungen. Diese Begründung wird manchmal offen ausgesprochen:
„Bei Verb-Komposita hängt es von den geltenden Regeln der Zusammen- bzw. Getrenntschreibung ab, ob sie formell überhaupt Komposita sind.“ (Wolfgang Boettcher: Grammatik verstehen. Band 1: Wort. Tübingen 2009:212)
„Die Wortbildungslehre wiederum hatte auf die Neuregelung der amtlichen deutschen Rechtschreibung seit 1996 zu reagieren.“ (Irmhild Barz u. a.: Wortbildung – praktisch und integrativ. 4., überarb. Aufl. Frankfurt u. a. 2007:73)
Auch diese Verfasserinnen lassen sich von der amtlichen Rechtschreibung vorgeben, was jeweils ein Wort ist. Daher auch die Übungsaufgabe:
„Kompositum oder syntaktische Fügung? Begründen Sie Ihre Entscheidung mit der entsprechenden Rechtschreibregel.“ (ebd. 75)
„Durch die Rechtschreibreform (Stand Februar 2005) hat sich die Zahl der Verbalkomposita erheblich verringert.“ (Michael Lohde: Wortbildung des modernen Deutschen. Tübingen 2006:222)
„Der Anteil verbaler Komposita mit substantivischem Erstglied ist gering. (Anm.:) Als Folge der Rechtschreibreform ist deren ohnehin begrenzte Zahl noch weiter zurückgegangen, denn einige geläufige Komposita werden jetzt getrennt geschrieben: Rad fahren, Kopf stehen, Halt machen.“ (ebd. 227)
(s. Grammatica ancilla!)
Die „Trennbarkeit“ spricht gegen eine Auffassung als Zusammensetzung:
„Im Nhd. ist es üblich, Adverbia, wo sie nach den allgemeinen syntaktischen Regeln dem Verbum vorangehen, mit diesem zusammenzuschreiben, vgl. aufheben, vordringen, zurückweichen, wegwerfen etc. Dass noch keine eigentliche Komposition eingetreten ist, beweist die Umstellung er treibt an, er steht auf etc. Aber andererseits beweist die Zusammenschreibung, dass man anfängt das Ganze als eine Einheit zu empfinden.“ (Hermann Paul: Prinzipien der Sprachgeschichte:340)
Wilhelm Schmidt bespricht die „trennbaren Verben“, fügt aber hinzu:
„Diese Darstellung folgt der herkömmlichen Auffassung, die auch für den Schulunterricht noch maßgebend ist. Eigentlich hat aber Erich Drach recht, der in seinen ‚Grundgedanken der Deutschen Satzlehre‘ nachgewiesen hat, daß bei den sog. trennbaren Verben nur eine Rechtschreibgewohnheit vorliegt. Es handelt sich gar nicht um wirkliche Zusammensetzungen, sondern um Gefüge aus Verben und Adverbien, die zusammengeschrieben werden, wenn sie syntaktisch in Nachbarstellung treten.“ (Wilhelm Schmidt: Deutsche Sprachkunde. Berlin 1978:99)
Brugmann sprach dagegen von „Distanzkomposita“.
Unter starkem Kontrastakzent sind sehr ungewöhnliche Stellungen möglich, die aber in der Grammatik nicht berücksichtigt zu werden brauchen:
Ich weiß, daß die Sonne AUF im Osten und UNTER im Westen geht. (Aus der grammatischen Literatur)
Die Rechtschreibreform von 1996 versuchte ohne den Begriff des Verbzusatzes auszukommen, erst die Revision von 2004 führte ihn ein.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.03.2014 um 12.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#25385
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Hält der BKA-Chef dem Edathy-Ausschuss Informationen vor?
(focus online 15.3.14, Überschrift, im Text dann vorenthalten)
Richtig wäre Enthält der BKA-Chef dem Edathy-Ausschuß Informationen vor?
Aber die Zweideutigkeit von enthält stört. Hier empfiehlt sich die Variante mit dem Präfixverb: Vorenthält der BKA-Chef...
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.07.2014 um 14.35 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#26419
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Im Diskussionsforum, aus dem ich mich heraushalte, wird gerade diskutiert:
... und stellte schmunzelnd fest, daß das dünne Blech an zu glühen fing.
Wie es der Zufall will:
.../daß die Milch bald an zu kochen fängt/:
Zum Phänomen der sog. Binnenspaltung in deutschen Dialekten
Zeit: 18.06.2014 18:15 h - 18.06.2014 19:45 h
Ort: Bibliothek des Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas, Hermann-Jacobsohn-Weg 3, Marburg
Referent/Beteiligte:
Johanna Schwalm / Oliver Schallert (Marburg/Mainz)
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(„Binnenspaltung“ ist natürlich eine problematische Bezeichnung. VZ-Konstruktionen sind keine Zusammensetzungen und müssen nicht binnengespalten werden. Unser altes Thema.)
Übrigens kann man sich unzählige Belege leicht mit Google zusammensuchen: "an zu*fängt" ("fing" usw.).
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.01.2015 um 16.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#27672
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Eine sonderbare Verbzusatzkonstruktion ist einmotten. Fleischer/Barz bezeichnen sie kurzerhand als demotiviert, aber das kommt mir übertrieben vor. Ich kenne aber auch kein weiteres Gebilde mit dieser Semantik, denn das Muster einseifen usw. würde ja auf "mit Motten versehen, einreiben" o. ä. führen; einsargen auf "in Motten einlegen".
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Kommentar von Gunther Chmela, verfaßt am 01.01.2015 um 18.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#27673
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Ist einwintern nicht ähnlich zu beurteilen?
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 02.01.2015 um 13.01 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#27682
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Auf dem Land werden oder wurden Kartoffeln eingekellert. Im bewirtschafteten Wald wird das Holz eingeschlagen, sog. Holzeinschlag. (Holz kann für Bäume oder Wald stehen.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.01.2015 um 17.55 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#27688
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Von Substantiven kann man auch ohne Präfixe und Verbzusätze Verben ableiten (oft Konversion genannt, aber nicht von mir). Wir haben schon mal die privativen Verben köpfen, schuppen, häuten usw. besprochen, die weitgehend auf die Küche beschränkt sind. Jeder weiß, was sömmern (im Zusammenhang mit Vieh) bedeutet, aber im Internet sehe ich, daß auch Fischteiche sowohl gesömmert als auch gewintert werden können. (Übrigens auch sachlich ganz interessant.)
Oft werden verdeutlichende Zusätze oder Präfixe vorangestellt. So könnte man sich ein schlichtes motten durchaus vorstellen. Es würde von der Wortbildung her nur besagen, daß mit der Kleidung etwas Charakteristisches oder Relevantes im Bezug auf Motten getan wird. Da man die Kleidung jedoch zusammen mit einem Mottenmittel in Schränke, Beutel usw. einschließt, bietet sich ein- an.
(Ich habe schon oft denken müssen, daß man den klassischen Mottenkugelgeruch kaum noch in die Nase kriegt, seit es geruchlose Berührungsgifte gibt. Zugleich sind ja auch die Pelzmäntel weitgehend verschwunden, mit deren "Einlagerung" bis zum nächsten Winter ein ziemliches Gedöns angestellt wurde - der kostbare Persianer, der jahrzehntelang der Stolz der nicht mehr ganz armen deutschen Frau war. Wir Kinder haben dann mit Gruseln erfahren, der Pelz stamme von ungeborenen Lämmern. Heute trägt man diese häßlichen Dinger nicht mehr.)
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Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 02.01.2015 um 22.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#27689
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Apropos Mottenkugelgeruch.
Es gibt sie noch hier in Griechenland, die Mottenkugeln mit ihrem typischen, penetranten Naphthalin-Geruch.
Manchmal riecht man sie bei einer Menschenansammlung aus der Kleidung, so wie früher in Deutschland beim Gottesdienst am Sonntagmorgen, wenn zur Feier des Tages das gute Stück aus dem Kleiderschrank geholt wurde.
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Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 03.01.2015 um 17.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#27693
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Ach du meine Güte! Offenbar bin ich nicht "jeder"; jedenfalls war mir das Wort "sömmern" bisher völlig unbekannt.
Ist bei meiner "Sozialisierung", wie das heutzutage so schön heißt, vielleicht etwas schiefgegangen? Oder habe ich mich nicht richtig integriert?
Erschüttert und ratlos gehe ich ins Neue (sic!) Jahr.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.01.2016 um 07.14 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#31232
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"Wie es sich darstellt, sind die Tiere schon tot dort angetrieben worden", betont er. "Sie haben sich wohl verschwommen. Sobald sie in die Nordsee abbiegen, haben sie keine Chance." (Zeit 10.1.16 über Wale auf Wangerooge)
Dankbar tragen wir sich verschwimmen in unsere Sammlung ein, als Bezeichnung für eine weitere "Verleistung" (Friedrich Kainz). Das Verb kommt selten vor, weil Reisende sich kaum dieser Fortbewegungsart bedienen.
(Kurz darauf wurde auch auf Juist ein Walkadaver angespült. In der Zeitung stand außerdem, daß viele Juist-Urlauber wegen Eisregen und Wassermangel nicht von der Insel herunterkamen, eine ganze Nacht auf der Fähre ausharren mußten usw. Eine Dame aus Altena war wirklich sehr zornig: "Diese Insel wird mich nie wiedersehen." Arme Insel! Eigentlich sollte man wissen, daß es um Neujahr an der Nordseeküste nicht so gemütlich ist.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.04.2016 um 13.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#32436
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Schon Becker beobachtete, daß Verben primär nicht durch Objekte, sondern durch Richtungsangaben spezifiziert werden:
„Es ist nämlich ein allgemeines Gesetz in der Sprache, daß die Verben sich nicht sowol nach den Begriffen des Objektes, als nach den besondern Richtungen der Thätigkeit in besondere Unterarten entwickeln, und daß daher, wie das Substantiv mit Begriffswörtern, so das Verb mit Formwörtern zusammengesetzt wird.“
(Karl Ferdinand Becker: Ausführliche deutsche Grammatik als Kommentar der Schulgrammatik. 2. neub. Aufl. Prag 1870:179)
Er verweist auch auf die seltenen griechischen Verbkomposita vom Typ astronomeo, die er mit Recht vom Substantiv astronomos usw. ableitet. Dagegen die Unmenge von Verben mit Richtungspräfix, ebenso im Sanskrit. Das Chinesische wimmelt von entsprechenden Zusätzen wie lai. In allen diesen Sprachen sind die Richtungszusätze gering an Zahl, werden aber ungemein häufig gebraucht.
Ständig wird auf die schematische Gliederung des Raumes in oben und unten, vorn und hinten Bezug genommen.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 28.04.2016 um 17.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#32440
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Im Deutschen, der Sprache der Doppelbedeutungen, haben viele Richtungspräfixe eine zusätzliche "übertragene" Bedeutung bekommen, die nichts mehr mit Räumlichkeit zu tun hat.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.07.2016 um 15.59 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#32868
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Er steht nahe den Eltern – er steht den Eltern nahe
Ich stehe bei dir – ich stehe dir bei
Er wohnte bei ihr – er wohnte ihr bei
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.11.2016 um 06.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#33878
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Der Ukas lachte uns Hohn. (FAZ 18.11.16)
Das ist tatsächlich jetzt die einzige zugelassene Schreibweise. Zu der verwirrenden Behandlung von Hohn lachen/sprechen und hohnlachen, -sprechen vgl. meinen "Kritischen Kommentar".
A: Soll ich Ihnen Hohn sprechen?
B: Bitte!
A: Hohn.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.02.2018 um 16.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#37790
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Gabriel ist ein sehr erfahrener Politiker. Aber es gibt mehrere Gründe, die aus SPD-Sicht dagegensprechen, an ihm als Außenminister festzuhalten. (Focus 12.2.18)
Ich würde getrennt schreiben, weil dagegen das Korrelat des folgenden Infinitivsatzes ist.
Duden:
dagégensprechen
dágegen sprechen
aber nur:
dagégen haben
Ganz unrealistisch.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.10.2019 um 06.53 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#42280
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#33878
Sofort wird der nervösen und bisweilen enervierenden Sprachsensibilität des ausgezeichneten Schriftstellers Hohn gespottet. (Thomas Melle in FAS 20.10.19 über Handke)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.03.2020 um 04.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#43165
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Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#25125
Der Leiter des Instituts war gerade von seiner Kongressanhörung zurück ins Weiße Haus gekehrt. (FAZ 13.3.20)
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Kommentar von Ivan Panchenko, verfaßt am 15.11.2024 um 11.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#54213
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Zu «Hier wird bemerkenswerterweise der Verbzusatz auch nicht mit einem Bindestrich geschrieben, wie er sonst für Wortreste vorgesehen ist»: Mit dem Bindestrich werden ja Wiederholungen eingespart, das wäre in Heim sind sie gegangen sowieso fehl am Platz. Bemerkenswert ist aber das hier:
Das wird nicht getrennt geschrieben, sondern zusammen.
Obwohl es vollständig zusammengeschrieben heißt, wird wohl kaum jemand auf die Idee kommen, hier zusammen- mit Bindestrich zu schreiben. (Aber: nicht zusammen-, sondern getrennt geschrieben.) Die Reihenfolge deutet auf eine gewisse Selbständigkeit des Verbzusatzes hin, wir würden schließlich nicht sagen: nicht zweiwertig, sondern drei-.
Da wir uns aber (trotz grammatikalischer Erwägungen) darauf geeinigt haben, zusammenschreiben zusammenzuschreiben, kann die Frage gestellt werden, ob konsequenterweise doch ein Ergänzungsstrich verwendet werden sollte. Ich glaube nicht und würde einen Vergleich zu Konstruktionen wie Das ist eines von vielen Gebäuden ziehen, wo eines nicht einfach zu eines Gebäude ergänzt werden kann; es heißt ein Gebäude.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.11.2024 um 13.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#54218
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Ich bin nicht sicher, ob ich da völlig im Gegensatz zur herkömmlichen Schreibweise stehe, aber egal, ich schreibe
zusammen/groß/klein/fett/kursiv schreiben
sowieso lieber getrennt. Die Zusammenschreibung irritiert mich, denn es sind ja keine Resultativzusätze, und sie ergeben auch keine neue Bedeutung.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2024 um 15.11 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#54220
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"Da wir uns aber (trotz grammatikalischer Erwägungen) darauf geeinigt haben, zusammenschreiben zusammenzuschreiben..."
Klitzekleine Anmerkung dazu: Ich habe mich nicht "darauf geeinigt"! In meinem Wörterbuch ist die Zusammenschreibung nur fakultativ. Darum entsteht hier kein Problem. S. a. § 13 (1). Kein Wortrest – kein Auslassungsstrich!
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Kommentar von A.B., verfaßt am 15.11.2024 um 16.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#54221
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Zusammenschreiben mag gegenüber zusammen schreiben keine neue Bedeutung haben, ist jedoch auch ohne Kontextbetrachtung eindeutig.
Hans und Grete wollen das Referat zusammen schreiben, aber in keinem Fall zusammenschreiben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.11.2024 um 16.38 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1064#54222
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Ja, aber das haben wir schon vor 30 Jahren diskutiert, einschließlich der erotischen Konsequenzen (zusammen kommen...). Aber es ist kein zwingender Grund für Zusammenschreibung mit Verbzusätzen. Der Preis wären Hunderte von Zweifelsfällen, die sofort wegfallen, wenn man die Zusammenschreibung fakultativ sein läßt, wie es ja auch dem wirklichen Schreibbrauch seit je entsprach.
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