zurück zur Startseite Schrift & Rede, Forschungsgruppe dt. Sprache    FDS - In eigener Sache
Diskussionsforum Archiv Bücher & Aufsätze Verschiedenes Impressum      

Theodor Icklers Sprachtagebuch

Die neuesten Kommentare


Zum vorherigen / nächsten Tagebucheintrag

Zu den Kommentaren zu diesem Tagebucheintrag | einen Kommentar dazu schreiben


15.07.2008
 

Motti
Fehlerhaftes Deutsch?

Im Wahrig 5 ("Fehlerfreies und gutes Deutsch") wird behauptet, der Plural von Motto laute korrekt ausschließlich Mottos, nicht Motti.
Das scheint mir weit übertrieben, in der Süddeutschen Zeitung zum Beispiel ist Motti doppelt so häufig wie Mottos.



Diesen Beitrag drucken.

Kommentare zu »Motti«
Kommentar schreiben | älteste Kommentare zuoberst anzeigen | nach oben

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.07.2009 um 09.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#14782

An verschiedenen Orten in Deutschland findet der "Ladies Day" für Bäuerinnen statt. Dort lernen sie auch den kraftsparenden und sicheren Umgang mit Landmaschinen, zum Beispiel dem fürchterlichen Kreiselschwader, mit dem gestern ein Allgäuer Bauer tödlich verunglückte. Die Veranstaltung ist durchaus amtlich organisiert, heißt aber fast niemals reformgerecht "Ladys Day" oder "Ladys' Day".
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 03.08.2008 um 08.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12840

Völlig natürlicher s-Plural auch bei rein deutschen Wörtern (#12591, #12595): "Berlin (dpa) - Bundesumweltminister Sigmar Gabriel [...] in der «Welt am Sonntag» [...:] «Die Jungs und Mädels von der CSU verhindern Politik, weil sie die Hosen wegen der Landtagswahl gestrichen voll haben. [...]» © Die Welt[.de, Newsticker], 03.08.2008 04:57"
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 21.07.2008 um 20.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12708

Im "Brustton der Überzeugung" warten, was sich wo und wofür durchsetzt (#12614):
Auch im Amerikanischen unterscheidet man zwischen "pants" und "panties". Und was immer die englische Königin trägt, — *she wears the pants* doch sicher wohl in einigem.

Zur "alten Präteritumform 'frug', die historisch keineswegs 'falsch' ist": Natürlich haben nicht nur Storm und ich (wie gesagt, als ich noch ein kleiner Junge war) die Form "frug" benutzt. Dennoch hatten weder er noch ich noch bestimmt viele andere je schon etwas *gefragen*. In diesem (sprachgeschichtlichen) Zusammenhang ist "Verwendung einer unhistorischen Form" zu verstehen: Die Präteritumform "fragte" ist eben älter als "frug" (und nur somit die "historisch" richtige [Deutsches Wörterbuch: "das höchst unorganische praet. frug", "ohne zweifel sind fragen fragte, jagen jagte und im praes. fragst fragt, jagst jagt sprachrichtiger"]).
 
 

Kommentar von K.Bochem, verfaßt am 17.07.2008 um 23.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12629

Zum Thema "richtig anwenden" oder die "Verfertigung" der Gedanken beim Reden

Heute nachmittag hörte sich ein Phoenix-Sprecher bei der Kommentierung des Weltjugendtages unversehens in die Notwendigkeit stolpern, den Plural zu Motto "anwenden" zu müssen und spontan "Motten" sagen. Mit einer Verlegenheitsgeste schob er "Mottos" nach.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 17.07.2008 um 12.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12619

An Sätzen wie "Und Wilhelm Tell hatte der Knaben zwei" kann man wieder sehr schön sehen, worum sich viel in diesem Strang dreht.

Ohne Bildung kann man eine Sprache zwar lernen (ganz regelkonform), aber man wird sie nie richtig anwenden können (vgl. die Häufung des vermeintlichen Relativpronomens "dass"). Das ist und bleibt eines der Hauptprobleme der Rechtschreibreform. Man wollte den Wenigschreibern entgegenkommen. Aber gerade die Grundschüler sind ja nicht Wenigschreiber, weil sie etwa zu dumm dazu wären, sondern weil sie es erst noch lernen müssen. Ein funktionierendes kulturelles System in Stücke zu schlagen, um dann unter den Scherben endlich auch eine zu finden, die in eine Kinderhand paßt, führte zur Kopfgeburt Rechtschreibreform, bei der die Hebamme nicht zur Stelle war. Dummerweise werden nun auch die dergestalt hofierten Grundschüler größer und älter und wollen vielleicht mehr lernen. Nur die Scherben wachsen nicht mit.

An den Pluralformen kann man das ebenfalls gut erkennen. Die Pluralbildung verläuft im Deutschen eben nicht nach einem einzigen Schema. Es gehört Bildung dazu, die "anderen" Formen als solche aus fremden Sprachen zu erkennen. Wer (noch dazu als Wörterbuch) eine einzige Form wie "Mottos" festmauert, zerschlägt an dieser Stelle wieder die Bildung. Dasselbe gilt für Sick und beispielsweise seine "Babys".

Zum Bildungsmangel (oder der Bildungsferne) zähle ich auch die schrumpfenden Grammatikkenntnisse. Gerade Sick kann ja vieles nicht erklären, weil er von Grammatik so wenig Ahnung hat. Fehler eingestehen zu können ist bekanntlich auch ein Zeichen von Bildung. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf meine "Majonäse" bei den Thorheitsblüthen. Natürlich könnte ich die nun auch sehr leicht schönreden, weil ich über keine ausreichende Sammlung von Wörterbüchern verfüge, das Wort so aber 1998 vermehrt gesehen habe und so weiter. Was soll's! Ich bin ein Mensch, ich mache Fehler. Aber heute hat man eben grundsätzlich immer von allem Ahnung und macht entsprechend keine Fehler mehr.

Zum Abschluß haben unsere ach so modernen Kreuzfahrer einfach nicht kapiert, daß Bildung (wie auch Sprachkompetenz) eine Pflanze ist, die gehegt und gepflegt werden will, da sie sonst verkümmert. Es reicht nicht aus, den Heiligen Gral nur gefunden und verschluckt zu haben. Irgendwann ist er verdaut und dann läßt die Wirkung auch schon bald nach. In Zeiten der Bildungsoffensive, Exzellenzförderung, Eliteuniversitäten und Schlüsselqualifikationen staunt das Publikum leider immer wieder Bauklötze, wenn ein Bildungspolitiker mit zwei oder drei der oben erwähnten Scherben jonglieren kann, ohne sich dabei zu verletzen. Was hat es eigentlich wirklich mit Bildung zu tun, wenn Siemens jetzt gerade Ingenieurmangel hat und möglichst alle Kinder deshalb bereits in der Grundschule zu mathematischen Genies mutieren sollen? In ein paar Jahren findet die Firmenleitung schon wieder Mittel und Wege, um neugeschaffene (Ingenieurs)Arbeitsplätze abzubauen.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 17.07.2008 um 11.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12617

Das gibt's im Deutschen auch: zwei der Biere. Gut, meistens geht's andersherum: "Laßt uns der Biere zwei bestellen!"

Und Wilhelm Tell hatte der Knaben zwei.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 17.07.2008 um 10.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12616

Die Deutschen haben es noch gut, in anderen europäischen Sprachen, z.B. den slawischen, muß nach Mengenangaben der Genitiv stehen.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 17.07.2008 um 10.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12615

Lieber Herr Höher,
da ich gestern nicht am Platze war, lese ich Ihren Beitrag erst jetzt. Zunächst möchte ich sagen, daß ich Ihre Gedanken immer sehr gerne lese und daß auch diese Meinungsverschiedenheit daran nichts geändert hat.
Das Verb "mensen" gefällt mir auch nicht; wenn ich es als Wortspielerei ansehe, kann ich es jedoch hinnehmen.

Bei "Pizzen" sehe ich es wie Glasreiniger; aus dem Fremdwort, dem man in Unwissenheit um die Originalpluralform den Krückenplural "Pizzas" gegeben hat, wird ein fester Bestandteil der Sprache (ob das dann schon ein Lehnwort ist, sei mal dahingestellt), und es bildet sich ein deutscher Plural. Ihre Zeitungsrecherche hat ja auch ergeben, daß die Form "Pizzen" jünger ist.

Ich vermute, daß es im Deutschen (zumindest früher war es so) ein Bestreben gibt, den S-Plural zu vermeiden. Das Beispiel "Keks" ist vielzitiert, aber auch der (gar nicht einmal so scherzhafte) Plural "Euronen" statt "Euros" ist oft zu hören.

Bei "Babys" und "Ponys" - ebenso wie "Handys" und "Ladys" - stört mich vor allem, daß Sick u. a. verbieten wollen, das englische Original zu verwenden. Warum soll "Babies" ein falscher Plural sein? Ich kann ja auch von "Themata" und "Visa" sprechen, obwohl "Themen" und "Visen" zur Verfügung stehen.

Und Herr Ludwig: Ich habe "frug" und "buk" als (schöne) alte Verbformen kennengelernt, die eben nicht mehr geläufig sind. Wenn ich sie aber bisweilen einstreue, versteht sie jeder (deutsche Muttersprachler).
Und im Lateinunterricht haben wir im lateinischen Text tatsächlich "Kaißar" und "Kiekero" gelesen und das dann in der deutschen Übersetzung als "Zähsar" und "Ziezero" wiedergegeben.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 17.07.2008 um 10.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12614

Da hat sich inzwischen eine ganz schöne Diskussion entwickelt, die wieder einmal zeigt, daß die Reformer (Herr Ludwig wies schon mehrfach darauf hin) es sich viel zu leicht gemacht haben.

Rechtschreibung ist eben nicht einfach nur die Normierung von Schriftsprache nach festzementierten Regeln, sondern stets eingebettet in einen kulturellen, soziologischen und historischen Zusammenhang. Wer freilich die Handhabung korrekter Rechtschreibung nur als Zeichen überflüssiger Bildung und damit als Instrument der Herrschaftsausübung sieht, lebt offensichtlich in einem Vakuum. Wahrscheinlich bemerken unsere Politiker auch deshalb nicht die stetig abnehmenden Wahlbeteiligungen.

In den englischsprachigen Ländern wird Bildung und Kultur in weit höherem Maße an der Sprache gemessen (und über sie definiert) als in Deutschland. The more you are established in the upper class(es), the posher will become your pronounciation.
In diesem Zusammenhang muß ich aber dennoch die Unterwäsche der britischen Königin in Schutz nehmen. Lieber Herr Ludwig, Sie leben jetzt bestimmt schon zu lange in den "former colonies". Natürlich trägt die Königin keine pants, sondern knickers. Den Brustton der Überzeugung behalte ich bei, auch wenn ich diese Behauptung nicht überprüft habe. Die Kurzform "pants" ("pantaloons" bezeichnete ursprünglich alle möglichen Arten von Hosen) ist typisch amerikanisch, in England wären das bei Männern immer "underpants" und bei Frauen "knickers". Womöglich werde ich nun nie zum Tee in den Buckingham Palace eingeladen!

Noch etwas zu Ihrer alten Präteritumform "frug", die historisch keineswegs "falsch" ist. Die Form geht weiter zurück als bis zu Storm, bei dem sie nämlich schon antiquiert ist.

Sie frug den Zug wol auf und ab,
Und frug nach allen Namen;
Doch keiner war, der Kundschaft gab,
Von allen, so da kamen. […]

Gottfried August Bürger: Lenore (1774). Exakte Nachweise auf Anfrage.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 17.07.2008 um 08.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12613

Noch ein Zusatz: In #12609 schrieb ich vom Unterschied zwischen "Verschriftung und Schriftdeutsch". Ich meinte aber, daß ich versuche, "Verschriftung und Schriftsprache" auseinanderzuhalten. Es ist der Terminus "Schriftsprache", der viel zu Mißverständnissen führt. Der bezeichnet für mich einen Sprachstil, nicht eine Art der Niederschrift von sprachlichem Text.
Und noch ein Schreibfehler in #12611: Bei "weiß aber, daß man britisch in hohen Kreisen — und meist in Kanada auch — [to'ma:touz] sagt und imitiert das, um etwas zu glänzen" ist natürlich richtig "[...] sagt, und man imitiert das, um [...]".
Übrigens bestehe ich in Diskussionen immer darauf, daß "richtig" in der Sprache bedeutet, daß man sich ohne Schwierigkeiten "danach richten" kann. Denn "richtig" ist bei der Muttersprache in einem demokratischen Land nicht die Direktive von oben, sondern das, was man als in die Kultur des Landes Eingeborener und darin Aufgewachsener ganz natürlich zu seinem Nutzen und zum Nutzen aller um sich herum mitbekommen hat. Und dazu gehören auf keinen Fall in jeder Hinsicht fragwürdige Anweisungen. Oder in deutschen Landen etwa doch?

 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 17.07.2008 um 08.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12612

Lieber Germanist,
wenn "man" ein Glas helles und ein Glas dunkles bestellen will, bestellt man dann zwei Glas Biere oder zwei Gläser Bier oder zwei Gläser Biere?
Wenn man zum Nachtisch ein Apfelmus und ein Pflaumenmus bestellen will, bestellt man dann zwei Muse?
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 17.07.2008 um 00.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12611

"When in Rome, do like the Americans." Und die Kellnerin bringt ihnen schon, was sie meinen, nicht was "man" sagt. Noch zu Herrn Höhers "Bei diesen Formen haben gerade Menschen aus englischsprachigen Ländern immer wieder so ihre Schwierigkeiten": Gerade die, die bei ihren anderen Fähigkeiten auch eine Fremdsprache "richtig" lernen wollen, gehen an dieses Unternehmen oft mit ihrem allzu klaren Denken heran. Und bei der Sprache ist das System nun mal oft komplizierter als bloß einfach und klar. — Und zum "in der Grundschule ausdrücklich [ßent] sagen"-Müssen: Was??? Soll ich aufhören zu bereuen, daß ich zufällig ausgewandert bin??? Wer bestimmt denn sowas, daß für deutsche Kinder nur [sent] richtig ist? Verlangen dieselben Lehrenden denn auch die Aussprache Kaesar und Kikero? Was wissen die denn noch? Sowas gehört doch in die Zeitung!

Noch zur "hypercorrectness": Sie zeigt sich eigentlich nicht in Rechthaberei, sondern in der Absicht, nie etwas falsch zu sagen und damit als etwas besonders zu Beachtendes dazustehen. So sind z. B. starke Verben nun mal etwas schwieriger zu handhaben als schwache; also schleicht sich ein unhistorisches "dove" ein, weil "dived" zu einfach klingt (und das Perfektpartizip fast gar nicht im Sprachgebrauch ist). Oder man ißt amerikanisch allgemein [to'meitouz] (tomatoes), weiß aber, daß man britisch in hohen Kreisen — und meist in Kanada auch — [to'ma:touz] sagt und imitiert das, um etwas zu glänzen und vor allem den eigenen Kindern einen Vorteil im Leben zu verschaffen. Na, und das ist ja ganz nett. Aber wenn man dann amerikanisch allgemein [pæ:nts] (pants) sagt, doch einige etepetete meinen, daß es britisch [pa:nts] heiße und man mit solchem Wissen etwas Besonderes an sich herausstellen und den Kindern Vorbild sein will, dann ist das eben falsch und [pa:nts] "hyperkorrekt", denn auch die britische Königin trägt eben nur [pæ:nts]. Beim Hyperkorrekten kommt also eine gewisse gesellschaftliche Haltung dazu, während die bloße Verwendung einer unhistorischen Form (Storms und mein [früheres] "frug" und das "dove" der amerikanischen Schwimmtrainer jetzt) eben nichts anderes ist als eine bloße, aber jedem verständliche Verwendung einer unhistorischen Form.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 16.07.2008 um 23.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12610

Zwei Biere bestellt man, wenn man ein Helles und ein Weißbier oder ein Helles und ein Dunkles bestellt. (Großschreibung, weil es Sortennamen sind, jedenfalls in Bayern.) Entsprechend bestellt man Saft oder Säfte: Zwei Apfelsaft, aber zwei (verschiedene) Obstsäfte.

Meine Enkeltochter muß in der Grundschule ausdrücklich [ßent] sagen. Dort gilt Cent wohl als rein englisches Wort.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 16.07.2008 um 22.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12609

#12607:
"(man könnte auch sagen Rechthaberei)": Sie haben völlig recht, lieber Herr Höher, aber mit richtigem Deutsch ist halt für so manche keine Wissenschaftlichkeit nachzuweisen. Aber dieSoziologie der "hypercorrectness" (engl.!) geht doch über bloße Rechthaberei hinaus.
"(auch wenn ich Bier selten schriftlich bestelle)": Man, you made my day! Ein großartiger Zusatz! Klasse!
Und der bringt mich auf das Thema des Stils, wobei der richtige ja von vielerlei abhängt. Ich versuche, Verschriftung und Schriftdeutsch auseinander zu halten (was auch hier in der Diskussion nicht immer alle tun, aber bei den Reformern schon gar keiner, was dann aber der Grund ist, weshalb man viel aneinander vorbeiredet). Verschriftung ist schriftliche Aufzeichnung dessen, was man an Sprache aufzeichnen will; Schriftdeutsch ist ein gewisser Stil des geschriebenen Deutsch, der durchaus auch Einfluß auf den Stil der gesprochenen Sprache haben kann. Und zum klarstmöglichen gesprochenen Ausdruck sogar sehr berechtigten, denn beim geschriebenen Deutsch fehlen ja die aussagekräftigen Handbewegungen und Augenverdrehungen, und da kann man sich beim guten geschriebenen Deutsch so manche Scheibe fürs gute, d.h. fürs gleich so klar wie möglich gesprochene Deutsch abschneiden. Aber wie die Menschen sprechen, besonders wenn sie sich nicht beobachtet fühlen, das beobachte ich gern.
"Bei diesen Formen haben gerade Menschen aus englischsprachigen Ländern immer wieder so ihre Schwierigkeiten": Gott sei Dank bekommen sie auch ihre zwei Bier, wenn sie zwei Biere verlangen; denn wir Deutschen sind ja nicht so. (Manche aber doch! Cf. Ihr "Rechthaberei"! Aber auch ich weise auf derartige Unterschiede nur in diesem Forum hier hin und bei Konferenzen, wo ich kein Bier neben mir am Rednerpult habe. Das jedoch bringt mich auf eine Idee fürs nächste Mal... Der Unterschied zwischen "zwei Bier" und "zwei Bieren" muß doch mal anschaulich erklärt werden!)
#12608
Das kostet Sie nur ein paar Pfennige, — welches oft allerdings ganz schön ins Geld gehen kann.
"(warum bloß müssen die Schulkinder [Sent] sprechen?)": Wird denen das wirklich vorgeschrieben/eingebleut/eingebläut? Oder verstehe ich "müssen" hier falsch?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 16.07.2008 um 21.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12608

Die Mark als Währungseinheit hatte keinen Plural, Pfennige bedeutete einzelne Münzen, als Betrag wurde 20 Pfennig genannt, mit Euros und Cents (warum blos müssen die Schulkinder [Sent] sprechen?) werden die Geldstücke gemeint. "Glas" wird als Mengeneinheit verstanden, im Gegensatz zu einzelnen Gäsern (z.B. im Laden), Kilo, Pfund und Liter sowieso. Nur bei 2 Tassen Kaffee wird der Plural benutzt. Früher kaufte man 2 Sack Kartoffeln oder Kohle, die wurden in Säcken geliefert. In Bayern bestellt man 2 Ster Brennholz. Aber eine Anzahl Kronen braucht den Plural.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 16.07.2008 um 20.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12607

Lieber Herr Ludwig,

in sehr vielem schreiben Sie mir aus der Seele. Das Problem bei uns im Lande der Dichter und Denker ist natürlich die von Ihnen auch schon angesprochene Hyperkorrektheit (man könnte auch sagen Rechthaberei).

Die allgemeine Verunsicherung hat nach den diversen Stufen der Rechtschreibreform eindeutig zugenommen, aber auch schon Anfang der 90er Jahre oder gar in den 80er Jahren gab es bei uns einen Hang dazu, mündliche Äußerungen den Schriftformen anzupassen, um auf diese Weise womöglich die eigene Bildung herauszukehren. Als Produkt einer gewissen Sozialisation bin ich davon gewiß auch nicht frei. Mündlich würde ich aber bestimmt ebenfalls "zwei Bier" oder eher noch "zwei Glas Bier" bestellen, schriftlich kämen bei mir aber bestimmt "zwei Gläser Bier" zu Papier (auch wenn ich Bier selten schriftlich bestelle).

Gerade Ihr Hinweis auf das zu bestellende Bier hat mich an die Beibehaltung der Singularformen von Maß- oder Währungseinheiten im Deutschen erinnert. Wir sprechen und schreiben bekanntlich "zwei Kilo Kartoffeln", "fünf Pfund Zucker" oder "sechs Euro siebzig". Bei diesen Formen haben gerade Menschen aus englischsprachigen Ländern immer wieder so ihre Schwierigkeiten. Nur ist das Bier oder die Pizza allein natürlich noch keine Einheit, deshalb müßten wir (nicht als heilsbringende Vorschrift zu verstehen) hier schriftlich noch etwas ergänzen: –> zwei Biere, –> zwei Pizzas.
Interessanterweise sind es fast immer Nahrungsmittel, bei denen wir mündlich gerne den Plural durch den Singular ausdrücken. Ich käme nie auf den Gedanken, bei Ikea drei Regal zu kaufen.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 16.07.2008 um 17.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12606

Wieso ist "zwei Espresso" bestellen eine wenig schöne Unsitte (#12602)? Schließlich bestellen wir auch "zwei Bier", es sei denn, wir sind die Gastwirte. Ansonsten überlasse ich es bei Novitäten dem Sprachgebrauch, denn mein einziges Motto in dieser Sache ist (und ein zweites Motto habe ich hier Gott sei Dank noch nicht): Ja nicht dem Dudenfehler verfallen, der, wie früher manchmal und jetzt sowieso viel zu früh, aber geschäftstüchtig alles immer besser wissen will. Als Haikuschreiber schreibe ich Haiku, auch wenn nach dem Vorbild von "Auto/Guru" Haikus "richtig" wäre, — was einige auch sagen (aber die sind meist Anfänger [aber auch wiederum nicht alle]). Ob nun "Pizzen" allein so astrein deutsch wäre (à la Villen), bezweifle ich; schließlich sind uns Geischas/Geishas schon länger im Deutschen bekannt, und wir reden zuhöchst interessiert schon lange über sie. Die vom russischen Lebensstil beeinflußten Deutschen sprachen und sprechen sicher noch von "Datschen" und müssen vielleicht anderen Sprachteilnehmern erklären, wovon sie reden; aber sie selbst wissen, wovon sie reden, und niemand bezweifelt das. Bei *Geischen würden wir alle aber selbst einen Japaner fragend angucken. — Zu "Kumpels": Ich benutze diese Form nicht und möchte daher fragen, ob da nicht vielleicht eine kleine Bedeutungsverschiebung vorliegt, wie bei "Jung(en)s", welches ich meist (aber auch nicht nur!) als Anredeform gehört habe: "Jungs!" ("Mädels" ich natürlich nicht; und "schwere Jungen" sind vielleicht etwas anderes als "schwere Jung[en]s"). —

Bei Wörterbüchern bin auch ich "für eine möglichst umfassende Angabe der [jedenfalls meist gebräuchlichen] Pluralformen." Denn so wilde kommen in der Sprache des Volkes Formen gar nicht daher. So habe ich in meiner kleinen amerikanischen Schwimmwelt (meine Töchter sind in ihren Schulsystemen Wettschwimmer, engl. "swimmers"!, und beide sehr gute, auf ihre Art bis zu "national" [ich weiß also, wovon ich rede]) noch nie einen Coach gehört, daß seine oder ihre Schützlinge gut *dived, sie alle "dove", historisch also falsch, aber praktisch völlig klar, auch wenn noch nie wer bei ihnen ge-"diven" hat/ist. Genauso wie ich eben nur "swim", wenn ich da meine Lagen eine Weile dahinziehe und eben nur deshalb doch nie gleich ein "swimmer" bin. Aus welchen Gründen Novitäten in die sprachliche Kommunikation gebracht werden, ist also für den größeren Gebrauch nicht so wichtig. Bei "dove" haben wir sogar schon eine Bezeichnung dafür: "hyperkorrekt" (weil diese Form ja nicht das einzige Beispiel seiner Art ist, — nicht "Unart", wenn schon sehr viele meiner Mitsprachteilnehmer auf diese Art [vor allem ohne jedes Bedenken!] — sprechen); bei deutsch "frug" (bei Storm [und mir, als ich noch ein kleiner Junge war]!) war/ist es — was? Dialektform? Legeres Deutsch? Mangelhaftes Deutsch?? Falsches Deutsch???.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 15.07.2008 um 21.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12605

Lieber Herr Mahlmann,

ich bemerke erst jetzt, daß in #12593 ein Tippfehler steht, der offenbar zu unseren Verständigungsproblemen führte. Nicht den Plural von Mensa (–> Mensen) meinte ich, sondern das alberne Verb mensen. Ich wollte eigentlich "in der Mensa Pizzen mensen gehen". Das ist nun durch die falsche Großschreibung schiefgegangen.

Aber wir haben es ja nun auch hinter uns gebracht, ohne uns in die Haare zu geraten. Trotzdem bitte ich Sie dafür um Verzeihung.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 15.07.2008 um 21.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12604

Am Plural Pizzen sehen wir den Vorgang des Übergangs vom Fremdwort zu Lehnwort. Ob eine folgende Generation es vielleicht sogar Pitza und Pitzen schreiben möchte, läßt sich nicht unbedingt vorhersehen. Vor 100 Jahren hätte man Soße so geschrieben bestimmt nicht gegessen.

Solche Vorgänge sind nicht wirklich geeignet, die Problematik der "RSR" zu diskutieren.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 15.07.2008 um 20.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12603

Auch wenn das nun nicht unbedingt sehr aussagekräftig ist, habe ich mal im ZEIT-Corpus des DWDS nach "Pizzen" recherchiert. Bis 1984 finde ich ausschließlich den Plural "Pizzas", erst ab 1984 tauchen gelegentlich mal "Pizzen" auf, die erst seit Mitte der 90er Jahre zunehmen.

Darüber wird sich vermutlich erst dann mehr sagen lassen, wenn auch ein Corpus der jüngeren sogenannten Pop-Literatur zur Verfügung steht.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 15.07.2008 um 19.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12602

Lieber Herr Mahlmann,

bitte ziehen Sie sich den Schuh mit der Allgemeinbildung nun bloß nicht persönlich an!

"Mensen" ist für mich durchaus der korrekte Plural aber bei Pizza zögere ich. Ich habe beide Wörter auch nur ausgewählt, weil sich der Plural "Pizzen" so festgesetzt hat. Korrekt wäre natürlich "Pizze", nur ist hier v. a. mündlich der Vokalwechsel nicht so eindeutig feststellbar. Automatisch sage und schreibe ich "Pizzas" und bleibe auch nach längerem Nachdenken in der Öffentlichkeit dieses Forums dabei. Dieselbe Pluralendung hänge ich auch an den Espresso (jaja, korrekt ist "Espressi") oder den Grappa, um mal im Land, wo die Zitronen blüh'n zu bleiben.

Nun können Sie natürlich entgegnen, es sei doch kein Unterschied zwischen "Mottos" und "Espressos". Der Unterschied ist für mich der, daß Motti durchaus auch im Plural vorkommen können, ich aber nach dem Essen eigentlich nur einen Espresso trinke. Bestelle ich für mehrere Personen, dann neige ich zu der wenig schönen Unsitte "zwei Espresso" zu bestellen, obwohl ich in bella Italia durchaus "due espressi, per favore" bestellen kann. Nennen Sie es gerne Haarspalterei.

Bei vielen italienischen Wörtern, die den Plural auf -i bilden, ist der Singular wiederum relativ überflüssig. Wer ißt schon nur eine Nudel? Egal ob als Röhre oder Faden. Bei den Wandschmierereien wiederum (ohne Wertung, ob es nun Kunst wie bei Keith Haring sei oder nicht) kann ich zwar nicht immer Anfang und Ende klar erkennen, unterscheide aber dennoch zwischen dem silbernen "Graffito" hier links und dem grünen dort oben sowie den diversen "Graffiti" auf der ganzen Wand.

So, damit aber genug der Beispiele aus dem schönen Land in Stiefelform. Schließlich muß die Pluralbildung ja nicht unbedingt der in der Ursprungssprache folgen (siehe auch "Ponys" und "Babys").
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 15.07.2008 um 19.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12601

In Italien fällt einem eine maccherone vom maccheroni-Teller, in Spanien bekommt man eine Portion macarrones. Spanisch wird von mehr Leuten gesprochen.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 15.07.2008 um 15.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12600

Lieber Herr Höher,
mir will nicht einleuchten, weshalb "Pizzen" und "Mensen" Ausdruck einer "Wurschtigkeit" sein sollen, die sich auf mangelnder Allgemeinbildung gründet.
Welchen Plural bevorzugen denn Sie?

Ich favorisiere nach wie vor "Pizzen" und "Mensen". Die Pluralbildung auf -en halte ich für ebenso natürlich wie die auf -e und -er. Der S-Plural hingegen hat für mich eher den Ruch der Deppenhaftigkeit.

Kann jemand sagen, wann und wodurch sich der AStA-Plural "ASten" etabliert hat?
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 15.07.2008 um 14.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12599

Lieber Herr Mahlmann,

was ich gegen "Pizzen" und "Mensen" habe, ist eigentlich nur wieder diese "Wurschtigkeit" (Dank an Herrn Eversberg), mit der bei rapide schwindender Allgemeinbildung alles beliebig gemischt und am Ende wieder als Bildung ausgegeben wird.

Der Tagebucheintrag von Herrn Ickler bezieht sich ja wohl auch auf die Bildungsferne eines bestimmten Wörterbuches. Für mich sind das alles Folgen der Rechtschreibreform, die von Anfang an der Bildung den Kampf angesagt hat ("Hochwohlgeborene").

Sie erwähnen zu Recht die Unfähigkeit, überhaupt noch einen Plural erkennen zu können. Wer hätte in den 80er Jahren (des 20. Jahrhunderts!) Spaghettis oder Makkaronis gesagt oder geschrieben? Mit Unbehagen lese ich in diesem Zusammenhang den Eintrag in der 4. Auflage des Icklerschen Wörterbuches: "Spa|ghet|ti (Pl., a. als Singular gebraucht: eine ~)" Statt "eine Spaghetti" würde ich stets "eine Spaghettistange" sagen (seltener schreiben).

Vor einigen Jahren wollte mir tatsächlich mal jemand (abgeschlossenes Studium der Germanistik und Kunstgeschichte und vorauseilend gleichgeschaltet) dozierend erklären, Mensa (–> Mensen) heiße ja schließlich auch der Speisesaal in einem Kloster. Womöglich habe ich noch nicht so häufig die Kunstschätze in Klöstern untersucht, aber bislang dachte ich immer, die Mönche (und Nonnen) äßen dort im Refektorium. Gesagt habe ich damals nichts, denn Debattieren hat wenig Aussicht auf Erfolg, wenn die Kreuzfahrer den Heiligen Gral der allumfassenden Weisheit erst einmal gefunden und verschluckt haben.
 
 

Kommentar von Lw, verfaßt am 15.07.2008 um 13.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12597

Im Kerncorpus des DWDS fand ich:
1906 Brockhaus: Motti
1928 Victor Klemperer: Motti
1931 Reimann: Motti" klingt überkandidelt, und
(Leider wird der Satz nicht vollständig angezeigt.)
und einige weitere Belege für Motti.

Im Pekrun, Das Deutsche Wort, 1953, und im Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1973, fand ich jedoch nur den Plural Mottos.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 15.07.2008 um 13.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12596

Nun, Herr Höher, was haben Sie gehen "Pizzen" und "Mensen"? Gerade hier finde ich, daß ein sozusagen natürlicher deutscher Plural gebildet wird. Sicher kann man auch das italienische Original "Pizze" verwenden; als deutscher Plural erscheint mir "Pizzen" aber deutlich harmonischer als das unbeholfene "Pizzas".
Im Hinblick auf die längst eingebürgerten "Themen" und "Schemen" hat das sogar etwas von Folgerichtigkeit.

Wobei ich Ihnen recht gebe, ist die Schwäche vieler Leute, einen Plural zu erkennen (z. B. "Visas", "Lexikas").

Ich wohne auch in Niedersachsen, und deshalb kenne ich aus dem Niederdeutschen eine Vorliebe für den S-Plural. Landschaftliche Prägung wird sicher eine Rolle spielen, aber daß dadurch alteingesessene hochdeutsche Wörter verändert werden, erscheint mir fraglich.

Die Reform hat jedenfalls einen Plural kaputtgemacht: Känguruhe.
 
 

Kommentar von b.eversberg, verfaßt am 15.07.2008 um 13.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12595

S. Pinker hat in "Words and rules", wenn ich recht erinnere, mal festgestellt, daß im Deutschen bei Unsicherheit vorzugsweise ein -s zur Pluralbildung angehängt wird, auch bereits von kleinen Kindern, und das obwohl die s-Endung ansonsten eher selten ist. Allein mit dem Einfluß des Englischen ist das wohl nicht zu erklären, obwohl der die Tendenz verstärken dürfte.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 15.07.2008 um 12.58 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12593

Mir scheint die zunehmend "andere" Pluralbildung verschiedene Ursachen zu haben.

1. Einmal sind da die Wörter, die aus fremden Sprachen stammen, und bei denen vermehrt Unsicherheit herrscht, wie denn ihr Plural wohl gebildet wird (z. B. Motto, Torso, Atlas, Korpus/Corpus, Kanon, Terminus, Antibiotikum). Da habe ich neben den erwähnten "Mottos" auch schon "Atlasse", "Korpusse", "Kanoni" und "Termen" (gibt es ja auch) gefunden. Und die meisten Leute halten "Antibiotika" eh für die austauschbare Singular- und Pluralform. "Mein Arzt hat mir ein Antibiotika verschrieben."
Seit einiger Zeit kämpfen wir ja auch schon mit Pizzen und Mensen (neben dem schönen Studentenverb "mensen gehen"). Zumindest die Pizzen haben Einzug ins gelbe Buch aus Mannheim gehalten!

2. Dann kommen noch die Wörter hinzu, die womöglich auch in Fachsprachen vorhanden sind. In der Kaufmannssprache findet sich beispielsweise auch die Form Lager –> Läger. Eventuell hat "Block –> Blocks" da auch noch irgendwo ein fachliches Gegenstück. Dem müßte man mal nachgehen.

3. Hinzu kommen regionale Formen, die schwer zu überschauen sind. Ich leben nun schon seit einiger Zeit in Niedersachsen und habe mich nach wie vor nicht an die falsche Verwendung der Präpositionen gewöhnt ("nach Karstadt gehen" und sogar "nach Tante XY fahren"). Wobei es "nach" mit (lokaler) Zielangabe freilich auch im Rheinland gibt (hochsprachlich verschriftet: "Wir gehen nach dem Markt"). Aber zurück zum Plural: Ich höre hier (vielleicht ist auch gar keine regionale Form, ich bin da kein Fachmann!) immer wieder bei Bäcker: "Zwei Stücken Erdbeerkuchen!" Also diese regionalen Formen müßten entsprechend fachmännisch und gründlich untersucht werden.

4. Und schließlich muß noch die Jugendsprache einbezogen werden. Da es heute in Deutschland kaum noch Bergbau gibt, weiß vielleicht auch keiner mehr, daß "Kumpel" eigentlich Bergleute waren/sind. Wann dann dieses Wort auch auf den Kreis von befreundeten Kindern und Jugendlichen übertragen wurde, weiß ich nicht. Der Paul hilft mir hier leider auch nicht weiter.

Alle vier Gruppen werden fröhlich vermischt und hinzu kommt seit der Reform diese uns wohlbekannte Verunsicherung. Wahrig und Duden sind davon bekanntlich ebenfalls nicht frei. Am schwierigsten wird es dabei die erste (hochwohlgeborene) Gruppe haben, da sie bildungssprachlich ist.

Deshalb, lieber Herr Ickler, plädiere ich bei einer Neuauflage Ihres Wörterbuches für eine möglichst umfassende Angabe der Pluralformen.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 15.07.2008 um 10.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1028#12591

Ist das vielleicht der lexikalische Ritterschlag für den S-Plural? Früher war er im Deutschen die Krücke, wenn der Plural partout nicht anders gebildet werden konnte. Heute greift er mehr und mehr um sich – sicherlich auch dadurch beeinflußt, daß er im Englischen sehr üblich ist.

Früher hieß es "Blöcke", heute "Blocks".
Früher hieß es "Kumpel", heute "Kumpels".
Früher hieß es "Mädel", heute "Mädels".
Früher hieß es "Szenarien", heute "Szenarios".
Früher hieß es "Labore", heute "Labors".

Der mecklenburg-vorpommersche Innenminister (ich komme jetzt nicht auf den Namen) hat mal davon gesprochen, vor der Küste "Windparke" zu errichten, irgendein Fernseharzt sprach mal davon, daß es heutzutage hervorragende "Allergieteste" gebe. So etwas hat wohl keine Chance auf weite Verbreitung.
 
 

nach oben


Ihr Kommentar: Sie können diesen Beitrag kommentieren. Füllen Sie dazu die mit * versehenen Felder aus und klicken Sie auf „Kommentar eintragen“.

Sie können in Ihrem Kommentar fett und/oder kursiv schreiben: [b]Kommentar[/b] ergibt Kommentar, [i]Kommentar[/i] ergibt Kommentar. Mit der Eingabetaste („Enter“) erzwingen Sie einen Zeilenumbruch. Ein doppelter Bindestrich (- -) wird in einen Gedankenstrich (–), ein doppeltes Komma (,,) bzw. ein doppelter Akut (´´) werden in typographische Anführungszeichen („ bzw. “) umgewandelt, ferner werden >> bzw. << durch die entsprechenden französischen Anführungszeichen » bzw. « ersetzt.

Bitte beziehen Sie sich nach Möglichkeit auf die Ausgangsmeldung.
Für sonstige Diskussionen steht Ihnen unser Diskussionsforum zur Verfügung.
* Ihr Name:
E-Mail:
(Wenn Sie eine E-Mail-Adresse angeben, wird diese angezeigt, damit andere mit Ihnen Kontakt aufnehmen können.)
* Kommentar:
* Spamschutz:   Hier bitte die Zahl einhundertvierundfünfzig (in Ziffern) eintragen.
 


Zurück zur vorherigen Seite | zur Tagebuchübersicht


© 2004–2018: Forschungsgruppe Deutsche Sprache e.V.

Vorstand: Reinhard Markner, Walter Lachenmann, Jan-Martin Wagner
Mitglieder des Beirats: Herbert E. Brekle, Dieter Borchmeyer, Friedrich Forssman, Theodor Ickler, Michael Klett, Werner von Koppenfels, Hans Krieger, Burkhart Kroeber, Reiner Kunze, Horst H. Munske, Adolf Muschg, Sten Nadolny, Bernd Rüthers, Albert von Schirnding, Christian Stetter.

Webhosting: ALL-INKL.COM