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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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24.07.2006
 

Sicherheit in Schwarzrotgelb
Duden weiß, was Deutsche wünschen

Dem neuen Duden liegt ein Blättchen bei, auf dem Dudenchef Wermke sich an die Dudenbenutzerin und den Dudenbenutzer wendet.
"Aus der Sicht der Dudenredaktion ist jetzt die von ihr geforderte Sicherheit in Fragen der Orthografie wiederhergestellt."

(Warum müssen dann 3000 Empfehlungen dazu dienen, dem Benutzer Sicherheit zu geben? Der nächste Satz widerruft sogleich:)

"Aus den letzten Regeländerungen ergeben sich jedoch zahlreiche neue Fälle, in denen es den Schreibenden überlassen bleibt, zwischen zwei zulässigen Schreibungen zu wählen."

"... die Entwicklung einer eigenen 'Hausorthografie' ist ein mühsames und unsicheres Geschäft."

"Wer sich an diese Duden-Empfehlungen hält, stellt eine einheitliche Rechtschreibung sicher." (Das heißt, wer immer gleich schreibt, kann sicher sein, daß er immer gleich schreibt.)

Auf der Rückseite heißt es:

"Damit ... Sie für sich selbst eine einheitliche Auslegung der neuen Regeln sicherstellen, wurde der neue Duden vierfarbig gestaltet."

"Das Wichtigste zuerst: Mehr Sicherheit durch Duden-Empfehlungen."

"Wer sich an diesen Empfehlungen orientiert, stellt eine einheitliche Rechtschreibung sicher."

Insgesamt sechsmal wird also die "Sicherheit" beschworen.

Auch auf der Banderole wird versprochen: "Schreibsicherheit durch Duden-Empfehlungen."

Es finden sich auch immer ein paar Lehrer, die sich öffentlich darüber freuen, daß nun wenigstens die Unsicherheit vorbei ist. Dieser beschränkte Untertanengeist ist der Nährboden für das Wörterbuchgeschäft.

Das macht den Duden aber auch wehrlos. Er darf nicht zurückschlagen, indem er sich etwa zu verteidigen versucht. Das würde nämlich den geschäftsschädigenden Eindruck verstärken, daß die Rechtschreibung wieder unsicher geworden sei.



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Kommentare zu »Sicherheit in Schwarzrotgelb«
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Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 24.07.2006 um 15.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#4965

Was sollen sie auch machen in Mannheim? Sie sind, wie so viele in der Branche, zur Unredlichkeit gezwungen, wenn sie noch nennenswerte Absatzzahlen erreichen wollen. Das könnte eine belastende Erfahrung sein für diejenigen, die es besser wissen und dabei mitzuhelfen und/oder stillzuhalten haben. Andererseits ist der Mensch auch zu erstaunlichen Verdrängungsleistungen fähig. Dazu gehört auch die Routine, daß man Werbeaussagen macht, ohne deren Wahrheitsgehalt sonderlich wichtig zu nehmen. Was Duden da veranstaltet, kann also niemanden verwundern.
Viel erstaunlicher ist, daß man sich das Geschäft mit dem Traditionsduden entgehen läßt, in dem einfach nur stünde, was 100 Jahre richtig war und noch immer weithin geschrieben wird. Dem steht zwar kein Gesetz im Wege, aber etwas noch stärkeres als Recht und Wahrheit: eine Ideologie.
Gut wäre natürlich auch, wenn die FAZ nun als Ergänzung und zur Herstellung von Ausgewogenheit eine Rezension von Mackensen und Ickler folgen ließe... Für diejenigen, die beide Rezensionen gelesen haben und sich jetzt nicht zwischen Pest und Cholera entscheiden können.

 
 

Kommentar von Hans Noggel, verfaßt am 24.07.2006 um 15.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#4967

Ein sehr guter Vorschlag, den Herr Eversberg da macht: eine Rezension des Mackensen in der FAZ. Dadurch würde augenfällig, daß es neben zwei Versionen des gleichen Unfugs auch eine Alternative gibt. Wichtig ist hierbei zum einen, daß der Mackensen bekannter wird, und zum anderen, daß man sich darauf verlassen kann, daß der Band die Hilfe ist, die Duden und Wahrig nicht sind resp. sein können.
Ein Traditionsduden wird dann auf den Markt kommen, wenn die Dudenredaktion die Rechtschreibreform leid ist. Das soll wohl so schnell nicht passieren.
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 25.07.2006 um 11.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#4979

Der Dudenverlag selbst verkündet: "Das sichere Ende der Rechtschreibreform ist gelb."

Sein Wort in Gottes Ohr.
 
 

Kommentar von Thomas Roediger, verfaßt am 25.07.2006 um 16.45 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#4990

Es wird vom "Markt" und seinen Gesetzen gesprochen, lassen wir ihn also mal selbst sprechen, die Seiten (www.buchhandel.de) des deutschen Buchhandels (mit Gruß an den Börsenverein des dt. Buchhandels) heute:

[. . .] [Den dpa-Text hatten wir schon, Red.]
 
 

Kommentar von Ballistol, verfaßt am 25.07.2006 um 17.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#4991

Lieber Herr Künzer,

ganz am Ende der DDR gab es ein Honecker-Zitat, das sich bald danach auf ganz ähnlich unerwartete Weise bewahrheiten sollte: "Die Mauer wird noch in 50 oder auch 100 Jahren stehen, wenn die Voraussetzungen zu ihrer Errichtung nicht beseitigt sind". (sinngemäß zitiert) Kurz darauf wurden sie beseitigt, und Honecker mit ihnen.

Das Ende der Rechtschreibreform ist also gelb? Nach Duden 24 mag ich's wohl glauben.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 29.07.2006 um 01.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#5099

Der Tagung des Schulausschusses der KMK am 18./19. 4. 1974 in Bonn lag ein Antrag des Münchner Lexikographen Hans Joachim Störig vor, Knaurs Rechtschreibung für den Schulgebrauch zuzulassen. Der Ausschuß lehnte es ab, das Dudenprivileg aufzuheben. Aus der Begründung: »Wäre die Möglichkeit gegeben, im Zweifelsfalle beide Lexika zu Rate ziehen zu können, so hätte dies schon bei geringsten Abweichungen beider Nachschlagewerke voneinander kein höheres Maß an Klarheit, sondern vermehrte Unsicherheit zur Folge.«
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2006 um 16.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#5110

An den Rand geschrieben:


Zehetmair ist doch als Lateiner mit den Pronominaladjektiven vertraut (solus, alter, unus usw.). Da müßte er doch Sinn für die Kleinschreibung von einzelne, ersterer usw. haben.

Duden 1991: nur schieflaufen
1996 bis 2006: nur schief laufen
Ab 2006 nur: schieflaufen

In Wirklichkeit wurde diese fast nur übertragen gebrauchte Verbindung überwiegend zusammengeschrieben, aber auch in nennenswertem Maße getrennt, so daß klar sein sollte, wie man es im Wörterbuch zu dokumentieren hat (übrigens genauso wie eine große Zahl ähnlicher Wörter).

Keines der beiden Wörterbücher enthält übertragenes aufgestellt sein, das heute vor allem im Wirtschaftsteil sehr häufig ist. Das Protzen mit neuen Wörtern wirkt da etwas lächerlich. Sollten die Belegcorpora gar nichts davon enthalten?

Jang-t-se-ki-ang hat jetzt noch eine Trennstelle mehr bekommen und damit zwei zuviel. Es wird allmählich unhöflich gegenüber China, wenn man diese schöne Sprache so verunstaltet.

Im Duden gibt es das Wort Negerkuß gar nicht mehr, und zu Mohrenkopf behauptet der Duden, dieses Wort werde "oft als diskriminierend empfunden". Wann und wo bitte? Wahrig erläutert den politisch korrekten, wenn auch nicht sehr sinnvollen [i]Schokokuss[(i] schlicht als "Mohrenkopf".

 
 

Kommentar von Klaus Malorny, verfaßt am 30.07.2006 um 00.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#5114

In der Werbung gesehen: Zur weiteren Verblödung der Deutschen wird die nächste Ausgabe des Focus ein Büchlein bekommen, »Zum Start am 1. August/Die neue Rechtschreibung — kurz gefasst/FOCUS in Zusammenarbeit mit DUDEN«. Markwort als journalistische Speerspitze des Reformerkaders ist ja nichts Neues.

 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2006 um 07.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#5118

walzertanzend soll neu sein. Da aber im alten Duden R 209 eine wirkliche Regel war, konnte auch walzertanzend jederzeit gebildet werden. Erst die Neuregelung enthielt "Regeln", die nur auf jene Fälle angewendet werden konnten, auf die sie im Wörterverzeichnis ausdrücklich angewendet waren (z. B. die Ersetzbarkeit von frz. é/ée durch ee). Im amtlichen Wörterverzeichnis war 1996 Walzer tanzend angeführt und wurde 2004 durch fakultatives walzertanzend ergänzt.

Noch 2004 mußten das hohe Haus (Parlament) und die hohe Schule (Kunstreiten) klein geschrieben werden; 2006 muß das Hohe Hausund darf die Hohe Schule groß geschrieben werden. Die Reichweite der Änderungen ist vom Rat nicht besprochen worden. Das Hohe Haus ist ausdrücklich im neuen Regelwerk angeführt, die hohe Schule von 1996 ist ersatzlos gestrichen. Die neue Gummiregel § 64 E wird vom Wahrig so ausgelegt: "Wenn eine Verbindung aus Adjektiv und Substantiv terminologischen Charakter hat, ist in bestimmten Fällen neben der Klein- auch die Großschreibung möglich:die Hohe/hohe Schule (des Reitens)." - In bestimmten Fällen? Welche sind es? Das muß man nachschlagen, die Wörterbuchredaktionen scheinen sich hier abgesprochen zu haben, um den Eindruck der Einheitlichkeit zu erzeugen.

Einer der schwersten Mißgriffe ist folgender: Das empfohlene hoch kompliziert mit Betonung auf der letzten Silbe ist keine Schreibvariante von hochkompliziert mit Betonung auf der ersten. Es gibt nicht wenige als 21 Einträge dieser Art, darunter auch hoch achten und hoch schätzen (mit Betonung auf dem Verb), die gegenüber hochachten, hochschätzen (mit Betonung auf dem Zusatz) empfohlen werden. Diese unsinnigen Angaben zur Betonung sind erst 2006 hinzugekommen, im Duden von 2004 waren sie noch nicht zu finden. Was hat sich Herr Wermke dabei gedacht? Glaubt er vielleicht, die Dudenbenutzer würden es nicht bemerken? Es hat sich noch nie ausgezahlt, die Kunden zu unterschätzen.
 
 

Kommentar von Welt am Sonntag, verfaßt am 30.07.2006 um 08.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#5119

Wie wir künftig schreiben
Editorial

von Romanus Otte

Die Rechtschreibreform hat in den vergangenen Jahren für viel Ärger gesorgt. Der Versuch, dem Volk die Macht über die Sprache zu nehmen und auf eine Kommission zu übertragen, darf als gescheitert angesehen werden. Das Experiment hat Verwirrung gestiftet, das Land gespalten und die Einheitlichkeit der Schreibweise zerstört. Nun haben wir den Buchstabensalat.

Die Rechtschreibreform taugt als Lehrstück, warum es so schädlich ist, wenn der Staat sich in Angelegenheiten einmischt, die seine Bürger wunderbar allein regeln können. Über Generationen haben Deutsche, Schweizer und Österreicher ihre Sprache und die Schreibweise selbst entwickelt. In Streitfragen entschied ein Blick in den Duden, dessen Redaktion seit 1880 nachvollzog, wie die Menschen ihre Sprache lebten. Und mit dem Wahrig gab es sogar Konkurrenz.

Dann überzeugten einige Pädagogen, Wissenschaftler und Politiker die Kultusminister der Länder, daß man die Sprache nicht den Menschen überlassen dürfe. Folge seien Wildwuchs, Anarchie und überforderte Kinder. Wenn der Staat die Experten nur regeln ließe, werde die deutsche Sprache viel logischer und einfacher zu lernen.

Was folgte, ist bekannt. Kommissionen machten sich ans Werk. Niemand nahm ihre Arbeit wahr oder ernst. Ein Aufschrei folgte erst, als alles längst beschlossen war. Dann waren Schriftsteller, Journalisten, Lehrer, Leser, Eltern und Sprachliebhaber entsetzt. Mehrere Verlage, wie auch Axel Springer, in dem die "Welt am Sonntag" erscheint, entschieden sich, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren und die Rücknahme zumindest der schwersten Fehler der Reform zu fordern.

Seit einiger Zeit ging es nun vor allem darum, Schaden zu begrenzen und zu einer möglichst einheitlichen Rechtschreibung zu finden. In einer leicht geänderten Fassung tritt die Reform am 1. August, also am Dienstag, endgültig in Kraft. Nach zehn Jahren Streit werden die neuen Regeln verbindlich. Einige wurden entschärft, und in vielen Fällen werden mehrere Schreibweisen akzeptiert. Wer sich die Zuversicht bewahrt hat, mag es so sehen: Die Sprache ist wieder beim Volk.

Mit der nächsten Ausgabe stellt auch die "Welt am Sonntag" ihre Schreibweise um. Wir verwenden dann nur noch Schreibweisen, die im Rahmen der Reform liegen. Auch deren endgültige Fassung ist eher eine Verschlechterung gegenüber der alten Rechtschreibung. Die Vielzahl der Schreibvarianten gefährdet die Einheitlichkeit der Rechtschreibung. Wir haben uns dennoch dafür entschieden, die Reform umzusetzen, weil wir nicht in einer Weise schreiben wollen, die Kindern in der Schule künftig als Fehler angestrichen wird.

Wir sind zudem überzeugt, daß es gelingen kann, die Einheitlichkeit der Schreibung wiederherzustellen. Wir werden daher künftig jenen Empfehlungen folgen, die der neue Duden (24. Auflage) für jene Fälle ausweist, in denen die neuen Rechtschreibregeln zu mehreren zulässigen Varianten führen. Am nächsten Sonntag werden wir sie detailliert darüber informieren, wie wir genau in Zukunft schreiben.

Artikel erschienen am 30. Juli 2006

 
 

Kommentar von jms, verfaßt am 30.07.2006 um 10.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#5123

"Wir haben uns dennoch dafür entschieden, die Reform umzusetzen, weil wir nicht in einer Weise schreiben wollen, die Kindern in der Schule künftig als Fehler angestrichen wird."

Dies ist das Hauptargument, mit dem auch andere Zeitungen ihre Umstellung begründet hatten. Es bedeutet faktisch: "Liebe Leser der Welt am Sonntag, wir finden die Reform zwar völlig mißraten und sie widerstrebt uns wie vielen von Ihnen. Aber es gibt in unserem Land und in unserem Verlag starke Kräfte, die uns dazu zwingen, künftig der Reform zu folgen. Diesen Kräften vermögen wir Redakteure uns nicht mehr zu widersetzen, sonst würde uns gekündigt. Wir wissen zwar, daß unseren Kindern an den Schulen Falsches und Schlechteres beigebracht wird, aber wir geben auf, wir werden nichts mehr dagegen unternehmen. Wir werden unsere staatsbürgerliche Pflicht tun und dazu beitragen, daß in Deutschland ein Rechtschreibfrieden einkehrt, damit vielleicht irgendwann einmal wieder einheitlich geschrieben wird, egal wie. Wir finden uns damit ab, eine schlechtere Rechtschreibung anzuwenden, als es unsere Sprache verdient hat."

Nebenbei: Das Editorial von Romanaus Otte ist ein beispielhaftes Dokument für die Erniedrigung von Journalisten. Für die Reformer ist es ein besonders schönes Hirschgeweih; jetzt werden sie verstärkt zum Halali auf die FAZ blasen, um ihre Trophäensammlung zu vervollständigen.



 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2006 um 12.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#5128

Dazu gehört noch der Artikel aus der gleichen Ausgabe der WamS:

Die Reform, die keine ist

von Sönke Krüger

Die Nachricht: Am 1. August tritt die Reform der Rechtschreibreform endgültig in Kraft. Viele umstrittene Neuschreibungen bleiben bestehen, es werden aber auch viele zusätzliche Schreibvarianten erlaubt.
Der Kommentar: Das einzig Gute an der überarbeiteten neuen Rechtschreibung ist die Tatsache, daß endlich ein Schlußstrich gezogen wird unter die quälende, seit 1996 andauernde Debatte um die korrekte Schriftsprache. Inhaltlich aber ist die Reform der Reform, die ab übermorgen gilt, ein Murks.

Über Jahre haben sich Schriftsteller, Journalisten, Politiker und Sprachwissenschaftler im Rat für deutsche Rechtschreibung munter über sitzenbleiben und sitzen bleiben, Delfine und Delphine, Ski laufen und eislaufen gestritten. Leider haben sie im Eifer der Selbstdarstellung versäumt, sich zu einigen. Und so warten die rund 100 Millionen Deutschsprachigen weiterhin vergebens auf die Einheitlichkeit der Rechtschreibung. Statt klare Regeln aufzustellen, hat der Rat den Wirrwarr zum Prinzip erhoben und kurzerhand fast alle Schreibvarianten für zulässig erklärt. Der neue Duden versucht immerhin, mit neu eingeführten Empfehlungen, die gelb markiert sind, Orientierung zu bieten. Diese Duden-Initiative wiederum stört den Ratsvorsitzenden, Bayerns früheren Kultusminister Hans Zehetmair, der zugibt, es sei gar nicht das Ziel gewesen, für einheitliches Schreiben zu sorgen. Gut zu wissen, daß Zehetmair das Vorwort für den Duden-Konkurrenten Wahrig schrieb.
In der Summe verdient das Regelwerk des Rechtschreibrats die Note "mangelhaft". An diesem faulen Kompromiß werden sich Schüler, Schreiber und Leser manchen Zahn ausbeißen. Und von "Reform" kann schon gar keine Rede sein: Das Wort bedeutet laut Duden nämlich eine "Verbesserung des Bestehenden", doch hier ist das Gegenteil der Fall.



Anmerkung:

Die Texte der WamS laufen auf zwei Feststellungen hinaus:
1. Die Regelung ist mangelhaft, und wir machen mit.
2. Der Duden ist schlechter als der Wahrig, und wir folgen dem Duden.

Was soll an einem "Schlußstrich" Gutes sein, wenn damit ein anerkannt schlechter Zustand auf Dauer gestellt wird? Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, auch wenn es Friedhofsruhe ist - oder wie?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2006 um 12.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#5129

Auch im Duden-Newsletter (Rundbrief) trägt Wermke die Trophäe "Springer-Verlag" vor sich her:
"Übrigens: Europas größter Zeitungs- und Zeitschriftenverlag,
Axel Springer, wird seine Publikationen bis zum 1. August 2006
auf eine reformkonforme Rechtschreibung umstellen. Alle Zeitungen,
Zeitschriften und Onlinemedien des Verlages werden zukünftig
den neuen Schreibempfehlungen des Dudens folgen. Lesen Sie dazu
die Pressemeldung unter:
http://www.axelspringer.de/inhalte/pressese/inhalte/presse/unternehmen/675.html"

Das war Dudens größter Sieg: Döpfner hereingelegt zu haben. Helfer waren zur Stelle, und nun kann der Konzernchef nicht mehr zurück, ohne das Gesicht zu verlieren, genau wie die Kultusminister. Eine unglaubliche Geschichte. Hätte doch der Duden diese Schläue auch bei der Anfertigung des Wörterbuchs angewendet, dann könnte man sich sogar mit der Wiederherstellung des Dudenprivilegs abfinden.


 
 

Kommentar von jms, verfaßt am 30.07.2006 um 13.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#5130

Das einzig Gute an der überarbeiteten neuen Rechtschreibung ist die Tatsache, daß endlich ein Schlußstrich gezogen wird unter die quälende, seit 1996 andauernde Debatte um die korrekte Schriftsprache.

Natürlich ist man die quälende Debatte leid. Aber noch quälender ist die schlechtere Rechtschreibung, die dadurch zementiert wird, daß nun auch der Springer-Verlag sich wieder auf sie einläßt. Man kann zwar einen Schlußstrich unter die Debatte ziehen, nicht aber unter die Tatsache, daß es eine bessere Rechtschreibung gibt als das, was Duden und Wahrig jetzt als endgültig ausgeben, obwohl es in sich widersprüchlich ist. Es gibt eben keine richtige Rechtschreibung in der falschen. Jeder normale Leser sieht, daß "Schlußstrich" sich besser liest als "Schlussstrich". Auf Dauer wird es sich rächen, daß man den Deutschen eine Orthographie in schlechterer Qualität oktroyiert hat. Die mangelnde Qualität der Form verursacht nämlich immer auch eine mangelnde Qualität des Inhaltes. Hinzu kommt die persönliche Deform. Sich einer Reform zu ergeben, die keine ist, macht aus Zeitungsschreibern unweigerlich Zyniker und/oder Psychosomatiker.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2006 um 17.16 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=566#5132

Wermke behauptet ja, die Dudenempfehlungen orientierten sich in erster Linie am Schreibbrauch. Er läßt wohlweislich offen, an welchem. Aber sehen wir uns die Einzelheiten an. Duden empfiehlt und gebraucht auch selbst: lang erwartet, lang gestreckt, lang gezogen usw. Obwohl durch die Reform von 1996 viele dieser Getrenntschreibungen in die Texte geraten sind, überwiegt noch immer die Zusammenschreibung. In meinen Zeitungsjahrgängen (Süddeutsche Zeitung vor allem) vor 1999 gibt es bei langgestreckt,langgezogen praktisch ausschließlich Zusammenschreibung. Ein Grund dafür ist, daß das Adverb fast immer lange und nicht lang heißt. Das Duden-Universalwörterbuch enthält keine adverbialen Gebrauchsbeispiele für lang. Das alles hat seine guten Gründe, aber der neue Duden setzt sich darüber hinweg und versucht die Getrenntschreibungen von 1996 durchzudrücken. Springer-Verlag, SPIEGEL, FOCUS und all die anderen wollen nun mithelfen, diese Gewaltsamkeiten zum allgemeinen Usus werden zu lassen. Auch darum wird aus dem Rechtschreibfrieden nichts werden.
 
 

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