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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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05.07.2010
 

dass als Relativpronomen
Hinweis zur Belegsuche

Nachdem ich gestern wieder mal in lauter falschen dass fast ersoffen bin, fiel mir heute ein einfache Methode ein, Belege zu finden.
Geben Sie doch bei Google mal ein neutrales Substantiv und dazu das falsche Relativpronomen ein, also etwa: ein Land, dass. Sie werden staunen, wie viele Stellen Sie auf Anhieb finden!

Ob von der Schule oder aus der Kirchengemeinde oder irgendeinem Verein – keine Mitteilung vom Umfang einer DIN-A4-Seite, auf der die Verwechslung nicht vorkäme! Vor der Reform war so etwas extrem selten.



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Kommentare zu »dass als Relativpronomen«
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Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 05.07.2010 um 11.09 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16459

2. Methode: Anfügen eines häufigen Verbs: „dass ist“ oder „dass muss, will, soll, kann …“. Auf diese Weise findet man bei Google News täglich konstant mehrere Hundert Falschschreibungen in den aktuellen Meldungen der letzten 30 Tage. Seit teilweise auch die Leserkommentare mit erfaßt werden, hat sich die Zahl der Fundstellen noch deutlich vermehrt.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 05.07.2010 um 11.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16460

P.S.: Direkte Relativpronomina findet so natürlich kaum.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 06.07.2010 um 09.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16461

Belege für das als Konjunktion findet man durch die Kombination Partizip II + das, also z. B. "mitgeteilt das" oder "festgestellt das". Allerdings sind nicht alle Treffer einschlägig. Bei dieser Art Fehler hat man den Eindruck, daß die Schreiber häufig nicht einfach das und dass/daß verwechseln, sondern es aufgegeben haben, die Unterscheidung auch nur zu versuchen.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 06.07.2010 um 11.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16462

Wenn sowas vor der Reform extrem selten war, liegt die Vermutung nahe, daß Leute, die so schreiben, meinen, es sei eine Neueinführung der Reform.
Und wenn man als Regel heranzieht, nach kurzem Vokal ss, dann kann das damit sogar begründet werden.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 11.07.2010 um 15.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16493

So einfach läßt sich ein Zusammenhang zwischen Reform und dem fraglichen Fehler nicht herleiten. Hauptursache seines Aufkommens im Internet dürfte der Umstand sein, daß es wächst und wächst, und daß sich dort immer mehr Menschen äußern, die zuvor nicht im Traum ans Schreiben dachten. Viele von diesen gefallen sich in einer fast aggressiven Schlampigkeit. Die Komikerin Gaby Köster hat mal sehr richtig gesagt: "Ihr wolltet doch immer die Diktatur des Proletariats – da simmer."
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 11.07.2010 um 18.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16494

Gewiß – obwohl andererseits nicht viel dafür spricht, unter den kommentierenden Lesern von faz.net z. B. überwiegend die Angehörigen »bildungsferner Schichten« zu vermuten. Und unter den Journalisten selbst eigentlich auch nicht.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 12.07.2010 um 06.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16495

Die schiere Masse der dass/das-Verwechslungen im Vergleich zu ehemals den daß/das-Verwechslungen macht klar, daß es sich um Fehler handelt, die der Reform unmittelbar zuzuschreiben sind. Ich habe es als Werbelektor im wesentlichen mit denselben Schreibern zu tun wie vor der Reform und bleibe bei meiner Feststellung, daß die Zunahme etwa eine Größenordnung beträgt; jedenfalls ein Vielfaches.

Der Grund ist ebenfalls leicht zu finden. das und dass sind viel ähnlicher als das und daß. Sozusagen eineiige Zwillinge im Vergleich zu normalen Geschwistern. Dies bezieht sich einerseits auf den Anblick der unscheinbaren Wörtchen, so daß das mitlesende Auge des Schreibers viel öfter als vor der Reform die Fehlschreibung übersieht. (Übrigens gilt dasselbe auch für die Augen der sonstigen Leser, so daß die Häufigkeit des Fehlers den meisten Lesern verborgen bleibt.) Es gilt andererseits und vor allem für den Schreib- bzw. Tippvorgang. D A S S zu tippen ist fast dasselbe wie D A S zu tippen. Ganz anders gestaltet ist das Fingerprogramm D A ß – am Ende kommt die rechte Hand ins Spiel, der kleine Finger muß die schwer erreichbare Taste ß gezielt ansteuern.

Somit handelt es sich zu einem großen Teil um Tippfehler; die große Ähnlichkeit des Wortbildes verhindert zudem, wie gesagt, daß man als Schreiber den Tippfehler bemerkt.

Wenn die Zunahme dieser ss-Fehler wenigstens auf dass/das beschränkt wäre. Aber auch die anderen Fehler vom Typ heiss haben erheblich zugenommen. Noch heute, über 10 Jahre nach der Reform, wimmelt es in Mails von Grüssen, und im Absender steht dann die XY-Strasse.

Es gibt schon ein paar Leute, die von der Reform profitieren. Zum Beispiel Werbelektoren. Über das Gefühl ihrer Auftraggeber, daß es nach der Reform ohne den Lektor gar nicht mehr geht, möchten sie sich nicht wirklich beklagen. Das hat mich aber nicht daran gehindert, mich gegen den Schwachsinn Rechtschreibreform zu engagieren. Rechtschreibung ist wohlverstanden kein Beschäftigungsprogramm für Spezialisten, sondern ein Kulturgut, das der Allgemeinheit nützlich sein sollte.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 12.07.2010 um 10.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16496

Tatsache ist: das Internet läßt die Menschen in nie dagewesenem Maße schriftlich kommunizieren. Man denke an die zahllosen Foren, in denen jeder alles und jedes sucht und findet: Autobastler, Oberschlesier, Masochisten, Kindermöbel, Witze, Bastler, Kopfschmerztherapie, Sternzeichen, Beschneidung, Kochrezepte, Steuertips, Computerfragen, Zierfische. Und jeder schreibt dort ganz spontan, wie ihm das Hirn gewachsen ist, wogegen insofern nichts zu sagen ist, als man einander schließlich ganz gut versteht. Der Nachteil ist, daß das unablässig strömende Pidgindeutsch auch andere Bereiche einkleistert. Beim ersten Blick auf die Überschriften der heutigen Faz.net-Leserkommentare zur WM gibts gleich einen Schlag aufs Auge: "Egal wem ich es von Beiden gönne.... " schreibt ein Herr namens Uwe Wagner.

Ein weiterer Einflußfaktor ist gewiß die Werbung, die sich im Zweifel weder von alter noch von neuer Rechtschreibung ankränkeln läßt (ich wußte gar nicht, daß es in der Werbung Lektoren gibt!). Was irgend geht, wird getrennt geschrieben, und die Masse greift die Masche brav auf. Man dekliniert auch nicht mehr gern. Das betrifft nicht etwa nur Markennamen oder Sendetitel ("ein Beitrag von die Reporter") - selbst unser Verteidigungsminister (der vermutlich gerade wieder Plato im Urtext liest) spricht unbekümmert von seinen "Soldaten als solches" oder ihrem "Einsatz als solches". Woher die allgemeine Verwirrung beim Umgang mit Tempora und Modi rührt, läßt sich nur vermuten. Hinsichtlich der Zeiten dürften die deutschen Fassungen englischsprachiger Filme mitverantwortlich sein. Seit Jahrzehnten werden - wohl zwecks möglichst synchroner Lippenbewegungen - deutsche Tempora analog zu den englischen verwendet. "Wird die Titanic pünktlich eintreffen?" "Nein, sie sank soeben". Von den Konjunktiven ist der erste wohl kaum noch zu retten. Ich meine im Duden gelesen zu haben, der Konjunktiv I gelte heute als gestelzt und sei daher verzichtbar, was zum einen das überbordende journalistische Gewürde und Gewäre erklärt und zweitens anschaulich belegt, mit welch deskriptiver Servilität die Dudenredaktion jeden Brocken einsammelt, der dem Volk aus dem Maul fällt.

Die Rechtschreibreform hat die Konfusion nur gesteigert. Es lag auf der Hand, daß das Aufkommen neuer Medien großen Einfluß aufs Schreiben haben würde; man hätte sich also denken können, wie wichtig der Erhalt klarer, gewachsener Regeln sein würde. Stattdessen wurde im übelsten Moment das Dümmste angerichtet.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 12.07.2010 um 13.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16497

Herr Virch, Sie machen sich falsche Vorstellungen vom Stellenwert der Rechtschreibung in der Werbebranche. Werbung wird überwiegend von großen Firmen und Konzernen in Auftrag gegeben, dafür bezahlen diese mächtigen Auftraggeber viel Geld, und dann verlangen sie natürlich auch fehlerlose Texte. Manches wird auch ohne Lektor produziert (wenn der Auftraggeber sich das Geld für diese Leistung sparen möchte). Aber überwiegend sind bei großen Werbeetats Lektoren mit eingeplant. Wenn die sich ein paar Blackouts im Jahr zu viel leisten, sind sie raus aus dem Geschäft. Jeder Fehler, der durchrutscht, gefährdet im Fall der Entdeckung die Geschäftsbeziehung.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 12.07.2010 um 19.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16500

Wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Herr Wrase. Es ging mir um Formulierungen wie diese:

"Die attraktiven Sport Edition
Sondermodelle"

(Mercedes Benz)
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 12.07.2010 um 22.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16501

Ach so. Da haben Sie recht. Aber genau so wollen das die Firmen geschrieben haben. Ebenfalls mit Recht. Denn wenn in einem Prospekt hundert Zusammensetzungen dieser Art auftreten, wie sähe das denn aus mit lauter Bindestrichen? Ich möchte als Leser keinem 170-kW-6-Zylinder-Mercedes-Benz-SL-Roadster begegnen.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 13.07.2010 um 09.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16503

Lieber Herr Wrase,

Ihr Beispiel ist extrem. Die zahlreichen Bindestriche wären in diesem Fall tatsächlich unzumutbar, sie decken aber nur die sprachliche Unzulänglichkeit der Konstruktion als solcher auf. Ich brauche als Leser jedenfalls nicht geschützt zu werden vor dem Schriftbild

Die attraktiven Sportedition-
Sondermodelle

Gut leben kann ich ohne Gebilde wie

Das gesunde Plus Augen Kapseln

und

Reine
Butter
Milch

Und warum schreibt die Deutsche Bahn DB Reisezentren, DB Agenturen usw.?

Sollen hier unschöne Schriftbilder vermieden werden? Wenn ja, warum schreiben wir dann nicht auch SPD Vorsitzender? Sieht das nicht schöner aus als die herkömmliche Schreibung mit Bindestrich?

Zugegeben, es gibt Fälle, in denen das Beharren auf den normalen Schreibregeln pedantisch wirkende Schriftbilder erzeugen würde. In der Regel aber scheint es mir weniger um Ästhetik als um die Unantastbarkeit von Firmen-, Marken- und Produktnamen zu gehen. Der Bahn ist ihr DB heilig, es darf unter keinen Umständen mit gemeinen Wörtern in Berührung kommen.

Daß darüber hinaus simpelste Komposita wie Sonnencreme auf einigen Produktpackungen in ihre Einzelteile zerlegt werden, mag mit grafischer Experimentierfreude zu tun haben. Ich glaube nicht, daß wir als Leser in diesen Fällen mit den sonst üblichen Schreibungen überfordert wären. Es gibt ja auch genug Gegenbeispiele.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 13.07.2010 um 10.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16505

Eigenwillige Schreibweisen von Firmen-, Marken- und Produktnamen haben mit Ästhetik und Lesbarkeit nur insoweit zu tun, als sie diese nicht zu sehr beeinträchtigen dürfen; das glaube ich auch. Es geht darum, den Geltungsanspruch von Marken und Produkten hervorzuheben und von konkurrierenden Ansprüchen abzusetzen. Der Geltungsanspruch geht mit einem Machtanspruch in dem Maße einher, wie die Firma seine Beachtung auch in firmenfremden Texten erwartet. Allerdings wird man einen Verleger, der noch einigermaßen bei Trost ist, kaum dazu bringen, z.B. ein Logo mit dem Schriftzug von "Coca-Cola" vorzuhalten, ebensowenig wird eine andere als die "Spiegel"-Redaktion den Namen der Zeitschrift versal schreiben. Durchsetzbar ist demgegenüber offensichtlich der Verzicht auf Bindestriche als die typographisch einfachste Lösung für eine Devotionsgeste. Hier ging der Wirtschaftsteil der FAZ vor einigen Jahren mit ungutem Beispiel voran.
 
 

Kommentar von Calva, verfaßt am 14.07.2010 um 04.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16507

Sucht man mit Google nach "dass bedeutet das", gibt es massig Ergebnisse (gefühlt mehrheitlich aus Foren, Blogs und Kommentarseiten). Man könnte wirklich auf den Gedanken kommen, daß es viele aufgegeben haben, über die richtige Schreibung auch nur einen Moment nachzudenken.
Zum Vergleich: "daß bedeutet das" -dass liefert deutlich weniger Funde.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 14.07.2010 um 09.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16508

Rechtschreibung muß und kann nicht überall stur nach Schema F durchgezogen werden. Man ist ja schließlich frei zu schreiben, wie man will. Das gilt zum Beispiel für die Gestaltung von Produktnamen oder Produktverpackungen. Auf einer Verpackungsüberschrift mit nichts weiter als der Produktbezeichnung kann man schon mal NUSS SCHOKO KRINGEL auf drei Zeilen verteilen. Ohne Bindestriche gefällt es dem Anbieter besser, na und?

Auch dem ganz normalen Mitmenschen leuchtet es eben nicht ein, warum er unbedingt 250-GB-Festplatte schreiben soll, wenn es 250 GB Festplatte genauso tut. Die Schreibung ohne Bindestriche ist, wie ich finde, tatsächlich angenehmer anzusehen – spätestens dann, wenn im Kontext hundert weitere solcher Zusammensetzungen auftauchen.

Wenn ein Autohersteller eine Produktlinie Sport Edition nennen und dies vielleicht noch mit Großbuchstaben schreiben möchte, wird er doch nicht plötzlich Sportedition daraus machen, nur um besser ein Wort wie Sondermodelle mit Bindestrich dranhängen zu können. Außerdem könnte es sich um Englisch mit der entsprechenden Aussprache handeln, dann kommt die Zusammenschreibung sowieso nicht in Frage.

Das muß man so hinnehmen, es ist nicht zu verhindern, und die Motive sind nachvollziehbar. Das bedeutet auch, daß bei vielen Lesern das Gefühl dafür verlorengeht, daß eine 250 GB Festplatte eigentlich eine 250-GB-Festplatte ist, also ein zusammengesetztes Wort und nicht drei Wörter. Die Bindestrichschreibung ist auf dem Rückzug, und es ist nicht leicht zu beurteilen, wo Bindestriche eigentlich noch nötig sind und wo nicht mehr.

Die Ästhetik ist nicht der einzige Gesichtspunkt, aber sie spielt auch eine Rolle. Die Leute mögen einfach keine Bindestriche, jedenfalls keine gehäuften. In der heute üblichen Aufmachung sieht mein "extremes" Beispiel ganz harmlos aus:

170 kW 6-Zylinder Mercedes-Benz SL Roadster

So mögen es die Leute lesen, so schreibt man es. Man könnte auch sagen: Das Problem rührt nicht daher, daß man Bindestriche grundsätzlich ablehnt, sondern daher, daß es Mode geworden ist, komplexe Zusammensetzungen (mit Ketten von Bestimmungswörtern) zu bilden, bei denen die Bindestrichschreibung nur noch lächerlich aussähe.
 
 

Kommentar von Glasreiniger, verfaßt am 14.07.2010 um 10.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16509

Aber irgendein Bedürfnis nach Bindestrichen muß es doch geben, denn sonst hätten wir ja die Jährigen nicht bekommen.
 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 14.07.2010 um 11.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16510

Über die Bindestriche bei Produktnamen kann man wahrscheinlich geteilter Meinung sein, wie die hier geäußerten Argumente zeigen. Etwas seltsam ist es schon, wenn ein Produkt nicht nur auf der Vorderseite Erbsen Suppe heißt, sondern auch auf der Rückseite in fortlaufendem Text vielleicht solches zu lesen ist: "Erhitzen Sie die Knoxgi Erbsen Suppe 10 Minuten. Serviervorschlag: Knoxgi Erbsen Suppe mit Senf und Kapern verfeinern."
Andererseits erfreut sich der Bindestrich immer größerer Beliebtheit, vor allem bei Journalisten. Er erspart seit neuestem die Deklination und macht Präpositionen überflüssig. Kurzum, er steht da, wo er eigentlich nicht hingehört.
Folgendes habe ich gelesen: Gewitter am Saarbrücken-Flughafen, Deutschland-Sieg (und als Clou) Neu-Bundespräsident.
Auch bei den Griechenland-Hilfen, dem Türkei-Besuch und der Obama-Rede fände ich Hilfen für Griechenland, einen Besuch (in) der Türkei und Obamas Rede weitaus schöner.
 
 

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 14.07.2010 um 11.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16511

Wie weit die Bindestrichitis (eigene Wortschöpfung) geht, sieht man an : 45-minütig... , oder dem 30-Jahre alten Täter.
Beispiele, die einem täglich begegnen.
 
 

Kommentar von Matthias Künzer, verfaßt am 14.07.2010 um 12.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16512

"Ich habe 250 GB Festplatten bestellt."
 
 

Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 14.07.2010 um 13.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16513

Nach meinem Eindruck gab es bindestricharme oder -lose Produktnamen auch schon lange vor der Reform. Die Sichtung älterer Werbung dürfte hier Erhellendes zutage fördern. Vielleicht irre ich mich aber auch.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 14.07.2010 um 15.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16514

Zum 170 kW 6-Zylinder Mercedes-Benz SL Roadster: Ich nutze ein (leeres) hölzernes Munitionskistchen aus dem Zweiten Weltkrieg als Sockel für einen Lautsprecher. Auf der Kiste ist noch Heer. Mun. G. Gew. [?] kg zu lesen, ausbuchstabiert Heer(es-) Munition Granate(n) Gewehr [?] Kilogramm. Sprachlich schöner wäre sicherlich Heeresmunition, Gewehrgranaten, [?] Kilogramm oder Heeresmunitions-Gewehrgranaten, [?] Kilogramm gewesen, aber den Leuten, die die Kettenbezeichnung ersonnen hatten, lag offensichtlich daran, deren Glieder vom Allgemeineren zum Spezifischen hin zu sortieren, so daß allenfalls noch Heeresmunition, Granaten Gewehr, [?] Kilogramm oder Heeres-Munition Granaten Gewehr, [?] Kilogramm in Betracht gekommen wären. Durchkoppeln – Heeres-Munitions-Gewehr-Granaten ... – wäre jedoch auch vor 65 Jahren schon nicht möglich gewesen, ohne die gewünschte Reihenfolge durcheinanderzubringen.

Ähnliche Schwierigkeiten bereitet der 170 kW 6-Zylinder Mercedes-Benz SL Roadster. Durchkoppeln scheitert hier schon daran, daß der Bindestrich bereits an Mercedes-Benz vergeben ist (den 6-Zylinder kann man auch anders schreiben). Aber auch sonst liefe Durchkoppeln darauf hinaus, gleichgeordnete Elemente nach- bzw. nachgeordnete gleichzuordnen. Solche Fälle, in denen Umformulieren ausscheidet und es trotzdem auf Leserfreundlichkeit ankommt, habe ich immer nach dem Muster "170 Kilowatt Sechszylinder Mercedes-Benz SL"-Roadster zu lösen versucht, also durch das Klammern eines Teils des Ausdrucks mit Hilfe von Gänsefüßchen (empfiehlt sich häufig auch, wenn Koppeln grundsätzlich möglich ist). Allerdings hilft das Stilmittel beim Bearbeiten von Texten für eine Firma nicht weiter, weil die Gänsefüßchen immer auch eine Distanzierung andeuten – und sei es die gegenüber Kettenbezeichnungen.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 14.07.2010 um 17.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16515

Wie Herrn Künzer augefallen ist, kann das Weglassen von Bindestrichen bei mit Zahlen zusammengesetzten Wörtern im Plural zu lustigen Ergebnissen führen:

10 kg Stoßkugeln,
400 m Laufbahnen,
100 kg Männer,
50 m Schwimmstrecken,
100 km Radrennen,
4 Fahrstreifen Schnellstraßen,
50 g Semmeln, usw.

Um Mark Twains Kritik am deutschen Dativ zu variieren:
Das Weglassen der Bindestriche bringt die Plurale durcheinander.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 14.07.2010 um 17.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16516

G. Gew. dürfte eher für Gesamtgewicht stehen.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 14.07.2010 um 18.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16517

Das nehme ich nach (leider zu später) Recherche inzwischen ebenfalls an. Die Standardaufschrift auf größeren Kisten lautete wohl "Heeresmunition Gesamtgew(icht) ... kg". Der Spielkamerad, dem ich den Behälter vor ein paar Jahrzehnten abgehandelt hatte, war der felsenfesten Überzeugung gewesen, eine Kiste für Gewehrgranaten gefunden zu haben, und ich hab's halt geglaubt. Aber so lernt man dazu.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.07.2010 um 09.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16518

Ich stimme Herrn Wrase zu und möchte noch zu bedenken geben: Wir können nicht die Beschränkung der Staatsorthographie auf die Schule hervorheben und gleichzeitig die Schreibpraxis von Firmen usw. kritisieren. Erst wenn jemand beflissen die Reformschreibung zu befolgen vorgibt und dann doch versagt, ist unser Spott berechtigt. So haben wir es ja bisher auch fast durchgehend gehalten.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 15.07.2010 um 17.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16519

Das Pochen auf sinnvolles Schreiben außerhalb der Schule schlösse jede Kritik an unsinnstiftenden Schreibattitüden abseits der Staatsorthographie aus?
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.07.2010 um 17.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16520

Wieso denn? Das habe ich doch gar nicht gesagt.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 15.07.2010 um 18.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16521

Was soll ich unter dem Hervorheben der Beschränkung der Staatsorthographie auf die Schule verstehen? Kein Pochen darauf, daß die Staatsorthographie außerhalb keine Geltung zu beanspruchen habe?
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 15.07.2010 um 21.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16523

Noch zu Herrn Wrase (#16508):

Niemand hat gefordert, Rechtschreibung stur nach Schema F durchzuziehen. Und natürlich nimmt man hin, was nicht zu verhindern ist. Was denn sonst?

Wenn man etwa in Baden-Baden Centrum auf die Straßenschilder kleben läßt, dann vermutlich deshalb, weil man diese Schreibung für schicker (chiquer?) hält; sie paßt wohl besser zum Anspruch der altehrwürdigen »Kultur- und Bäderstadt«. NUSS SCHOKO KRINGEL auf drei Zeilen verteilt? Prima. Der Anbieter wird es so schöner finden. Vielleicht würde ich mich an seiner Stelle auch für diese Lösung entscheiden. Aber warum um alles in der Welt schreibt jemand Sport Edition statt Sportedition? Warum wird hier ein stinknormales Kompositum in seine Bestandteile zerlegt?

Ist die Zusammenschreibung dem Hersteller womöglich zu ordinär? Dann übersieht er, daß nicht die Schreibung, sondern das Wort selbst das Problem ist. Sportedition/Sport Edition ist so abgedroschen und öde, daß man diesem Mangel mit orthographischen Mitteln nicht abhelfen kann.

Sollen wir Sport Edition englisch aussprechen? Tja, dann gibt es ein doppeltes Problem. Denn woher soll der arme Leser wissen, daß er »Spooot Idischn« sagen soll? Er wird so oder so »Sportedition« sagen, und zwar mit Recht. Oder ist ein Fahrzeug aus einer Sport Edition »sportlicher« als eines aus einer Sportedition?

Das ist doch, mit Verlaub, alles Quatsch. Die Hersteller, die so schreiben lassen, gehen meines Erachtens an den Erwartungen und Bedürfnissen ihrer Kundschaft völlig vorbei. Für mich riecht das alles nach Wichtigtuerei. Das sollte man ihnen zu bedenken geben dürfen, ohne gleich in den Verdacht zu geraten, irgendwem Vorschriften machen zu wollen.

Wir sollten auch nicht alles in einen Topf werfen. Mit neckischen Bindestrichen durchgekoppelte Endloskomposita haben mit der Frage, ob die Schreibung Sonnen Creme gegenüber der herkömmlichen Schreibung Sonnencreme irgendwelche Vorteile bietet, wenig zu tun. 170 kW 6-Zylinder Mercedes-Benz SL Roadster (wozu überhaupt der Strich zwischen 6 und Zylinder?) ist ein Monstrum. Ich denke sofort an Loriot, wenn ich so was lese. Die Variante mit Bindestrichen ist dasselbe Monster, nur mit herausgestreckter Zunge.

Der Bindestrich stößt hier an die Grenzen seiner Möglichkeiten – was er bei der 250-GB-Festplatte nicht tut. Mit der Staatsorthographie, welchen Datums auch immer, hat dies alles übrigens nichts zu tun.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 15.07.2010 um 22.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16524

Auf englisch müßte das ja wohl Sports edition heißen. Seit wann werden Automobile eigentlich herausgegeben? Alfa Romeo nennt seine Kombis (station wagon) schon seit langem Sportwagon, in einem Wort. Sei's drum.

Zurück zum Bindestrich, in diesem Bruchstück eines Artikels von Chris Hitchens geht dem deutschen Leser einer ab: "the line that separates French from Flemish-speaking Belgians".
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 15.07.2010 um 23.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16525

Selbst bei *ice creams* gibt's *special editions*; und ich hatte mal einen "Maikäfer", einen schönen *metallic*-braunen VW, der auch eine *special edition* war. —

Zum Bindestrich im Englischen: Ich schaue nach, wenn ich nicht sicher bin, welche der drei Möglichkeiten — ein Wort, mit Bindestrich, getrennt — ich verwenden soll, damit ich im Notfall nicht ganz blöd dastehe und ich mich sowieso besser fühle. Ich erinnere mich, daß ein Englischlehrer uns mal darauf hinwies, daß im selben Lexikon *boyscout* in einem Wort geschrieben wurde, *girl-guide* aber mit Bindestrich. Oder war's umgekehrt?
In "the line that separates French from Flemish-speaking Belgians" muß der Leser wegen der englischen Schreibtradition aber tatsächlich ohne die deutsche Klarheit auskommen. Gott sei Dank stehen jedoch die fraglichen Wörter hier in "French from Flemish-speaking" so nahe beieinander, daß kein Mißverständnis aufkommen kann.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.07.2010 um 00.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16526

Nein, kein Mißverständnis, sondern bloß eine kurze Irritation, ob da nicht ein "the" vergessen worden sein könnte.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 16.07.2010 um 03.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16527

Zu "ob da nicht ein 'the' vergessen worden sein könnte": Nein, denn gemeint ist "the line that separates French-speaking Belgians from Flemish-speaking Belgians" (soweit ich das aus dem kurzen Zitat ersehen kann). Mit "the" vor "French" hätten wir ganz stark gleich "die Franzosen" im Vordergrund, und zwischen denen und den "Flemish-speaking Belgians" ist keine Linie, sondern das Gebiet der Wallonen, der "French-speaking Belgians". —

Und ein "the" fehlt hier nicht, da wir es mit dem indefiniten Plural zu tun haben (dem Plural von "ein/eine/ein/a/an", und der ist "null/zero/nichts"); mit "the" wär's ein definiter Plural. — Und zu welchem Grade der definite Artikel etwas "begrenzt/bestimmt", das ist ein Kapitel für sich: "Die Liebe ist eine Himmelsmacht", singen wir deutsch, während die Angelsachsen sich gerademal zu "Love is wonderful the second time around" aufraffen.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.07.2010 um 05.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16528

Ich wundere mich über manche unlogische Argumentation. Es müsse im Englischen Sports heißen, sagt Herr Markner und bringt dann gleich das Gegenbeispiel Sportwagon. Aus der möglichen Zusammenschreibung von englisch Sportwagon folgt doch nicht, daß Sport Edition genauso gut zusammengeschrieben werden kann, wie es Herr Markner suggeriert. Einfach mal die Silben zählen und hinhören, wo die Betonungen liegen.

Herr Metz: "Niemand hat gefordert, Rechtschreibung stur nach Schema F durchzuziehen. Und natürlich nimmt man hin, was nicht zu verhindern ist. Was denn sonst?" Die vergangenen Beiträge enthalten eine Menge Beispiele für das Gegenteil: Auflehnung gegen bestimmte Schreibweisen (ohne Bindestriche) oder Benennungen, so daß schon mal eine ganze Branche (die Werbung) mit Verachtung gestraft wird. Sport Edition sei unglaublich abgedroschen, meint Herr Metz. Dabei ist es doch gerade das Bedürfnis, nicht abgedroschen zu sein, das die Hersteller veranlaßt, immer neue Bezeichnungen zu erfinden und unkonventionelle Schreibweisen noch dazu. Dazu gehört auch das Ausweichen ins Englische, das den Vorzug hat, in mehr Ländern als Deutschland, Österreich und der Schweiz verstanden zu werden. Daher ist es durchaus eine vorteilhafte Lösung, eine Modellreihe nicht als XY-Reihe oder XY-Klasse zu bezeichnen, sondern beispielsweise als XY Edition (englisch).

Ausgangspunkt war doch das Lamento über die fehlenden Bindestriche in irgendwelchen Produktnamen. Niemanden stört das, außer ein paar Exoten in diesem Forum. Klagelieder dieser Art sollten wir seltener anstimmen. Dann erübrigen sich auch Erörterungen über die Berechtigung eigenwilliger Schreibweisen, ebenso wie die merkwürdige Gegenrede, es habe niemand behauptet, Rechtschreibung sei immer stur anzuwenden.

Die Firmen stehen selbstbewußt zu ihren Produktbezeichnungen und Schreibweisen, auch wenn damit manche Regel und mancher Geschmack verletzt wird. Damit stehen sie im Prinzip auf unserer Seite. Denn auch wir wollen, daß sich jeder so ausdrücken kann, wie es ihm am besten vorkommt.

PS:
170 kW 6-Zylinder Mercedes-Benz SL Roadster ist kein Monstrum, genausowenig wie die bereits in Südafrika eingetroffene Fußball-Nationalmannschaft: ein paar vorangestellte Attribute, wo ist das Problem? Bei Automodellen interessiert nun mal die Leistung, die Motorkonfiguration, der Hersteller. Der Bindestrich bei 6-Zylinder hilft bei der richtigen Betonung. Es handelt sich um einen Sechszylinder, nicht um sechs einzelne Zylinder.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.07.2010 um 09.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16529

Zu Herrn Virch: Daß außerhalb der Schule jeder schreiben könne, wie er will, war ein oft wiederholtes Beschwichtigungsargument der Reformer. Unnötigerweise, denn es versteht sich von selbst (und ist doch trügerisch, weil die Schulorthographie schon immer zwangsläufig alle anderen nach sich zog. Passende Argumente dazu erfand die Presse. Das ist hier bereits besprochen.)
Ich hatte gesagt, daß wir erst spotten dürfen, wenn jemand so tut, als befolge er die Reformschreibung, und es dann doch nicht kann. Sonst wird es pedantisch oder geschmacklos wie bei Sick, der ja sogar türkische Gemüsehändler verhöhnt, weil sie ihre Schilder ungeschickt beschriften.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 16.07.2010 um 09.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16530

Ausgangspunkt war die Frage, inwieweit das vermehrte Auftreten des "Dass-Fehlers" auf die Reform zurückzuführen sei.

Die seit Jahren anhaltenden krampfhaften Bemühungen der Werbung um weltläufige, englisch anmutende Schreibung mag jeder finden, wie er will; ich find sie blöd – spätestens, wenn der Sinn baden geht. Daß sie Schule macht, läßt sich leicht im Internet nachprüfen. Da finden sich selbst Verrücktheiten wie Budden Brooks (Budden-Brooks), Fliesen Leger (Fliesen-Leger) und Finger Nagel Studios. Die Massen haben lebhaft zu schreiben begonnen, orientieren sich an dem, was sie lesen und nehmen nun ihrerseits Einfluß auf die Entwicklung der Orthographie.

Dass ist ein Faktum, dass Beachtung verdient.
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 16.07.2010 um 10.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16531

Verzeihen Sie, habe meinen letzten Beitrag gepostet, bevor ich Ihren Hinweis auf Sick vor Augen hatte. Es geht mir nicht um die Verhöhnung ungelenker Schreiber, sondern um Einflüsse auf den allgemeinen Schreibgebrauch, die es früher nicht oder nicht in diesem Maße gab, und frage mich, ob beispielsweise der Duden vernünftig darauf reagiert.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.07.2010 um 12.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16534

Sportwagon ist Inglese all'italiana . . .
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 16.07.2010 um 17.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16538

Zu #16528 ("Ausweichen ins Englische"): Es hilft nicht, aufs Englische auszuweichen: "Grand-Prix-Siegerin Lena Meyer-Landrut stellt das neue Video "Touch an new day" vor – und geht dabei mal wieder baden." (welt.de, 16.7.) Auch das geht sehr oft baden.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 16.07.2010 um 17.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16539

In der Werbung bastelt sich jedes nicht-englisch sprechende Land sein eigenes angebliches "Englisch" mit manchmal grandiosen Fehlleistungen. Es gäbe genug Stoff für ein Spaß-Wörterbuch für nicht-englisches "Englisch".
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 17.07.2010 um 02.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16540

Genau. Bei Sport Edition hätte ich auch nicht gleich gewußt, ob das Englisch oder Deutsch sein soll. Bei Mercedes-Benz gibt es auch eine Grand Edition oder eine Night Edition, also soll es wohl Englisch sein, jedenfalls Edition. Wer sagt überhaupt, daß beide Teile aus derselben Sprache stammen müssen? Babykleidung oder Schadsoftware oder Englisch all'italiana: Man kann alles mischen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 17.07.2010 um 10.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16541

Man kann alles mischen, darf sich aber nicht beschweren, wenn es Leute gibt, die das Ergebnis dann unfreiwillig komisch finden. – Nachgetragen sei noch, daß die Franzosen durchaus auch eine direkte Grenze mit den Flamen haben, bei Dünkirchen. Ihnen gehört nämlich ein Teil Flanderns.
 
 

Kommentar von Rominte van Thiel, verfaßt am 17.07.2010 um 18.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16544

Zwar kein Relativpronomen, aber auch sehr schön:
"Fast nie aber meldet sich eine Frau zu Wort – und dass, obwohl das Denken im Lande der Simone de Beauvoir ja noch nie reine Männersache gewesen ist."
(faz.net)
In einem Leserkommentar wird es dann auch so zitiert.
 
 

Kommentar von Rumpel, verfaßt am 20.07.2010 um 12.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16568

Die Abschaffung des 'ß' dürfte viel zur Unsicherheit beim Setzen von das und dass beigetragen haben.
das und daß lassen sich rein optisch leicht auseinanderhalten, und so lernt man beim Lesen die richtige Anwendung.
das und dass sehen sich sehr ähnlich, lassen sich nur durch Überlegung trennen, und liegen nur einen Tippfehler auseinander.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 28.09.2010 um 01.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16830

Noch zu Sportwagon ohne s: Das gefällt mir persönlich auch nicht, Hingegen stört mich kaum etwas beim neuen Audi A7, den sie Sportback getauft haben. Ein solcher Name wird nicht aus einer Laune heraus vergeben, sondern tausendmal besprochen, abgeklopft, getestet. Ganz sicher gab es die Frage, ob es nicht Sportsback heißen müsse. Man hat sich bewußt dagegen entschieden. Ich vermute: nicht zuletzt aus ästhetischen Gründen. Das s in der Mitte ist einfach kein schöner Laut, zumal wenn drei harte Explosivlaute benachbart sind (p, t, k) und das Wort auch schon mit einem Zischlaut beginnt. Daß dann nicht klar ist, ob Sport englisch sein soll, muß im Blick auf die internationale Verwendung des Namens kein Nachteil sein.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 28.09.2010 um 08.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#16832

Gegen Sportback könnte allenfalls sprechen, daß es eventuell schon vergeben ist. Während der WM gab es ja auch Wirbel um Weltmeisterbrötchen und ähnliches. Ich hoffe, man hat auch diese Frage restlos geklärt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.04.2011 um 14.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#18466

Vergleich von Fehlschreibungen mit dass/daß:
Google-Suche je 2mal pro Subst., z. B. "ein Land, +dass" oder "ein Land, +daß"

"ein ..., dass/daß" (alle Zahlen in Tausend):
Land: 373/42
Haus: 177/30
Kind: 731/86
Tier: 150/16
Fenster: 87/7
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.04.2011 um 14.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#18469

Ich wollte damit eigentlich nachweisen, daß dass viel häufiger als daß als Relativpronomen verwendet wird. Aber natürlich geht es so nicht, denn auch sonst kommt daß wegen der Reform viel seltener vor (Google: dass/daß = 319/39). Es müßte eine Möglichkeit geben, nur in vorreformierten Texten zu suchen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 10.04.2011 um 16.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#18471

Die gibt es, jedenfalls bei Google Books, indem man den Zeitraum eingrenzt.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.04.2011 um 20.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#18473

Danke für den Tip, R.M. Das hat mich nun doch interessiert, und ich habe mal die Ergebnisse von "Google bücher" (http://books.google.de) hier aufbereitet. Dazu eine kurze Erläuterung am Beispiel "Land":

Suche nach "ein Land, +das", "ein Land, +daß", "ein Land, +dass", jeweils für 2 Zeiträume. Für "vor der Reform" habe ich die Jahre 1900 bis 1996 eingegeben, für "nach der Reform" die Jahre 2000 bis 2011.
Ich gehe davon aus, daß die Suche nach das etwa die Anzahl richtiger Schreibweisen liefert, nach daß und dass die Anzahl falscher. (Das ist nicht ganz exakt, da auch ein paar Fundstellen "ein Land. Das/Daß/Dass ..." mitgezählt werden. Ich denke aber, diese sind vernachlässigbar.) Bezogen auf jeweils 10000 richtige Schreibungen gebe ich im folgenden die (relative) Anzahl fehlerhafter Schreibungen mit daß und dass an, die erste Summe vor, die zweite nach der Reform:

Neutrum : daß+dass (immer in dieser Reihenfolge) vorher, nachher:
Land....: 082+06=088, 42+148=190
Haus....: 078+18=096, 48+114=162
Kind....: 243+21=264, 95+248=343
Tier....: 111+09=120, 59+150=209
Buch....: 070+08=078, 37+114=151
Fenster.: 215+26=241, 22+117=139
Ereignis: 169+10=179, 50+206=256

Diese Zahlen entsprechen also 1/10 Promille der richtigen das-Schreibung.
Wie erwartet, überwiegt vor der Reform der daß-Fehler, nach der Reform der dass-Fehler. Zählt man beide Fehler zusammen, dann ist (ebenfalls wie erwartet) nach der Reform eine deutlich höhere Fehlerquote zu verzeichnen: etwa anderthalbmal bis doppelt so viele Fehler, mit Ausnahme bei Fenster.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.04.2011 um 22.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#18475

Diese Art der Suche zeigt vielleicht ungefähr den Trend auf, aber für eine exakte Analyse müßte man die Suche unbedingt noch verfeinern. Besonders für "ein Kind, daß/dass" zeigt sich nämlich bei genauerem Hinsehen, daß doch sehr oft richtigerweise die Konjunktion benutzt wird. Andererseits dürfte sich diese Abweichung bei den Zahlen "vorher" und "nachher" ungefähr in gleicher Weise auswirken, und eine Bereinigung würde die Verhältnisse zugunsten der sowieso schon besser abschneidenden bewährten Rechtschreibung noch weiter verbessern.
 
 

Kommentar von ppc, verfaßt am 12.04.2011 um 21.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#18489

Gemäß des Mottos ... Halt: Ich habe noch gelernt: Gemäß DEM Motto "Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast" gebe ich zu bedenken, daß sich möglicherweise die Klientel, die im Internet sitzt und etwa unter forum.i-love-my-pitbull.de Bilder ihrer Liebsten veröffentlicht und kommentiert, in den Jahren von 1996 bis 2011 geändert hat. Dies betrifft auf jeden Fall die Altersstruktur und die – wie sagt "man" heute? Gendering oder so? –- egal, jedenfalls den Frauenanteil, möglicherweise auch die Bildungsschichten. Insofern wäre eine tragfähige statistische Aussage hier kaum möglich, was natürlich nicht bedeutet, daß man nicht dennoch eine veröffentlichen kann, um eine Theorie zu untermauern.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.05.2011 um 16.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#18752

Die folgenden Aussage bezieht sich auf das Ziel, dass Sie in Ihrer beruflichen Karriere verfolgen.

Aus dem Fragebogen zur Frauenförderung, den eine Potsdamer Akademikerin herumschickt. Trotzdem wollte ich ihn gutwillig ausfüllen, aber erstens bin ich als Ruheständler nicht so richtig vorgesehen, und zweitens sind die Fragen teilweise zu läppisch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.05.2012 um 15.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20676

das neue Kindermädchen Victoria, dass Barnabas‘ Verlobter zum Verwechseln ähnlich sieht (SZ 9.5.12)
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 14.05.2012 um 10.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20704

Lieber Herr Riemer,

ich finde Ihre statistische Erhebung in #18473 wichtig, aber ich kann Ihre Zahlen nicht zuordnen. Könnten Sie vielleicht anhand des ersten Beispiels Land noch einmal erklären, welche Häufigkeiten mit den vier Summanden (in diesem Fall 82 und 6 sowie 42 und 148) gemeint sind?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 14.05.2012 um 12.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20706

Lieber Herr Wrase,
die Zahlen habe ich immer auf 10000 Fundstellen mit korrekter Schreibweise bezogen, damit sie untereinander vergleichbar sind.

Beispiel 'Land' vor der Reform (1900-1996):
"ein Land, +daß": m Fundstellen (falsch geschrieben)
"ein Land, +dass": n Fundstellen (falsch geschrieben)
"ein Land, +das": a Fundstellen (richtig geschrieben)

Daraus erhielt ich dann 10000*m/a = 82 und 10000*n/a = 6.
Also auf je 10000 richtig geschriebene Stellen kommen 82 Stellen mit dem Fehler 'daß' und 6 Stellen mit dem Fehler 'dass', also 88 Fehler insgesamt vor der Reform.

Entsprechend erhielt ich nach der Reform (die Jahre 1996 bis 2000 habe ich als Übergangszeit ausgelassen) von 2000 bis 2011, wieder bezogen auf 10000 richtige Schreibungen, 42 daß- und 148 dass-Fehler, insgesamt 190 Fehler pro 10000 richtige Schreibungen.

Ich habe gerade versucht, wenigstens dieses Beispiel auf books.google.de zu verifizieren, aber leider scheint die Suche mit dem Zeichen + nicht mehr zu klappen, jedenfalls bekomme ich damit jetzt immer 0 Treffer. Entweder hat Google etwas geändert oder ich muß mir die erweiterten Suchoptionen noch mal gründlich durchlesen. Ohne '+' bekommt man leider keine klare Trennung der Schreibweisen das/daß/dass.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 14.05.2012 um 14.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20707

Lieber Herr Riemer,

vielen Dank für die Erklärung. Ich hatte aus zwei Gründen Mühe, die Zahlen richtig zu verstehen: Erstens hatte ich nicht daran gedacht, daß es auch vor der Reform schon dass gab. Das werden dann wohl vor allem Schweizer Publikationen sein. Zweitens hatte ich am Ende übersehen, daß Sie Bücher ausgewertet haben. Deshalb haben Sie Ergebnisse bekommen, die sich nicht mit meinen täglichen Erfahrungen etwa als Zeitungs- und Internet-Leser decken. Ihre Zahlen kamen mir nicht plausibel vor.

Man sollte sich wohl auf die jeweils höheren Werte konzentrieren, also die Fehlerquote bei denjenigen, die vor der Reform daß geschrieben haben und nach der Reform dass schreiben und die Sie bei dem Fehler erwischt haben, diese Konjunktion mit dem Relativpronomen das zu verwechseln. Wenn ich Ihre Werte zusammenrechne, komme ich auf eine Fehlerquote vor der Reform von knapp 1,4 Prozent (Verwechslung daß statt das) und nach der Reform von knapp 1,6 Prozent (Verwechslung dass statt das).

Das wäre eine kaum erwähnenswerte Steigerung, die vielleicht noch mit Umstellungsschwierigkeiten erklärt werden könnte. Bei Büchern sind offenbar Lektoren beteiligt, denen diese Fehler kaum unterlaufen, zumal sie bei jedem Buch hundertmal Gelegenheit haben, ihre Aufmerksamkeit für diese Stolperfalle zu trainieren.

Interessanter wäre deshalb eine Auswertung von Texten (von durchaus geübten Schreibern), bei denen keine solche professionelle Kontrolle stattgefunden hat. Dann müßten sich große Unterschiede und auch höhere Fehlerquoten zeigen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.05.2012 um 01.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20709

Lieber Herr Wrase,
ich habe ja unten bereits eine Zusammenfassung meiner Zahlen versucht und bin (ganz grob gesagt) zu dem Schluß gekommen, daß die Gesamtfehlerzahl nach der Reform anderthalb- bis doppelt so groß ist wie vorher, mit Ausnahme des Wortes Fenster. Das ist doch schon eine beachtliche Steigerung der Fehlerzahl nach der Reform, nicht nur, wie Sie schreiben, eine Steigerung von 1,4 auf 1,6.

Wie heißt es immer: Man kann nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.
Wir haben also eine Menge Äpfel, 10% davon sind verdorben, und eine Menge Birnen, davon sind 50% verdorben. Das macht insgesamt (10+50)/2 = 30, also 30% verdorbene Früchte, richtig? Rechnen wir mal richtig nach:
100 Äpfel, davon 10% verdorben, sind 10 verdorbene Äpfel.
10 Birnen, davon 50% verdorben, macht 5 verdorbene Birnen.
Sind zusammen 15 verdorbene von insgesamt 110 Früchten, also 15/110 = 13,6%.

Sie sehen, man kann nicht einfach relative Zahlen zusammenrechnen. Dazu müßte man sie erst wieder mit der Gesamtmenge wichten. Der Ausdruck "ein Fenster, das" kommt eben viel seltener vor als "ein Land, das", deshalb fällt die Abweichung bei Fenster auch viel weniger ins Gewicht. So genau habe ich das damals leider nicht weitergerechnet, habe mich in der Zusammenfassung damit begnügt, die Ausreißer zu ignorieren, und habe nur den ungefähren Trend angegeben.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 15.05.2012 um 06.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20710

Lieber Herr Riemer,

ich habe den Mittelwert der sieben ersten Summanden berechnet (Ihre Fehlerquoten daß statt das vor der Reform) und den Mittelwert der sieben vierten Summanden (Fehlerquoten dass statt das nach der Reform). Ich weiß nicht, was daran falsch sein soll.

Meine Überlegung war, daß die Fehlerquote eigentlich nicht vom Substantiv abhängig sein kann, sondern in der Schwierigkeit liegt, die jeweiligen Wörtchen daß und das am Anfang von Nebensätzen auseinanderzuhalten. Sie haben für die Verwechslung daß statt das vor der Reform beispielsweise Werte zwischen 0,70 Prozent (nach dem Substantiv Buch) und 2,15 Prozent (nach dem Substantiv Fenster) gefunden.

Woher rührt die Schwankung? Ich vermute wie gesagt, daß diese "zufällige" Schwankung auf unspezifischen Faktoren beruht, die mit der Ursache der Fehlschreibung und auch mit dem jeweiligen Substantiv nichts zu tun haben. Wenn der Schreiber die Fehlermarkierung eines Textverarbeitungsprogramms nutzt, werden solche Fehler weitgehend eliminiert. Dasselbe gilt, wenn Sie oder ich als Lektor an einer solchen Veröffentlichung mitwirken. Wenn zum Beispiel aus Kostengründen kein Lektor dabei gewesen ist oder nur jemand, der es nicht so mit genauem Lesen hat, dann bleiben mehr Fehler übrig. Also muß man aus Ihren Fehlerquoten Mittelwerte bilden – und sich klarmachen, daß die Häufigkeit der ursprünglichen Fehlschreibungen (vor dem Einsatz von Korrekturhilfen und -helfern) wahrscheinlich deutlich höher war. Ich bin deshalb der Meinung, daß realistische Fehlerquoten eher aus Internet-Texten ermittelt werden können.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 15.05.2012 um 06.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20711

Bevor der Eindruck entsteht, daß wir aneinander vorbeireden, noch folgende Erwiderung. Ihr Einwand war:

Der Ausdruck "ein Fenster, das" kommt eben viel seltener vor als "ein Land, das", deshalb fällt die Abweichung bei Fenster auch viel weniger ins Gewicht.

Das halte ich in diesem Fall nicht für stichhaltig, weil es wie gesagt auf das jeweilige Substantiv gar nicht ankommt. Deshalb muß man auch dessen Häufigkeit nicht beachten. Das zeigt ein Auszug aus Ihren Zahlen: Die Gesamt-Fehlerquote nach dem Substantiv Fenster war vor der Reform etwa dreimal so hoch wie die Fehlerquote nach dem Substantiv Buch (241:78). Nach der Reform soll sie plötzlich niedriger gewesen sein (139:151). Daraus kann man eigentlich nur folgern, daß die Zahlen ungenau sind und daß die großen Schwankungen mit den Substantiven nichts zu tun haben können.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.05.2012 um 10.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20713

Lieber Herr Wrase,
meine Zahlen sind Verhältniszahlen, keine absoluten, und was falsch läuft, wenn man von solchen einfach den Mittelwert bildet, habe ich mit dem Früchtebeispiel zu veranschaulichen versucht.

Ich habe leider die absoluten Zahlen nicht aufgehoben, und da kann man nun über den Grund der stärkeren Abweichung bei dem Wort Fenster nur spekulieren. Solche Ausreißer kommen vor allem zustande, wenn die Bezugsmenge zu klein ist. Die Fenster sind eben wie die Birnen in meinem anderen Beispiel.

Um den richtigen Durchschnitt für den Fehler "daß/dass statt das" zu finden, müßte man zumindest den richtigen Mittelwert entsprechend der Häufigkeit jedes Substantivs bilden, vielleicht auch noch mehr Substantive und andere Beispiele einbeziehen. Ich würde mir ja mal am Abend die Zeit nehmen, aber, wie gesagt, die kriege die Suche mit dem Zeichen '+' bei Google Books nicht mehr hin. Vielleicht weiß jemand, woran das liegen könnte?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 15.05.2012 um 12.43 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20714

Lieber Herr Riemer,

ich habe das schon verstanden. Aber darauf kommt es doch kaum an. Statt mit Gewichtungen und sieben Substantiven zu arbeiten, könnten Sie auch Zahlen zu zehn oder zwanzig weiteren Substantiven erheben und einen einfachen Durchschnitt bilden. Dann mitteln sich die Ausreißer (nach oben und nach unten) schon sehr gut aus, egal mit welcher Gewichtung die einzelnen Ergebnisse theoretisch behandelt werden müßten.

Ich denke, man kann bei folgender Bewertung bleiben: Die Zahlen zeigen eine schwache Zunahme der Verwechslungen nach der Umstellung von daß auf dass. Die Ergebnisse bei Fenster sehen nach einem Ausreißer aus und sollten bei der Durchschnittsbildung weggelassen werden, wenn man nicht noch mehr Zahlen erhebt (das räume ich gerne ein).

Die persönliche Erfahrung zeigt jedoch, daß die Häufigkeit dieses Fehlertyps in Wirklichkeit noch viel stärker zugenommen hat. Bücher eignen sich nicht für eine Statistik, weil in diesem Bereich oft hochprofessionell korrigiert wird. Deshalb spielt es auch keine Rolle, wie der gewichtete Durchschnitt bei Ihren Stichproben genau aussieht. Bitte, sparen Sie sich doch die Mühe, dies nachzurechnen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.05.2012 um 13.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20715

Ich glaube auch, daß in Zeitungen mehr Fehler stehen als in Büchern, und im Netz wieder mehr als in Zeitungen. Ob aber auch der prozentuale Anstieg der Fehlerhäufigkeit in Zeitungen größer ist als in Büchern, ist eine ganz andere Frage. Das würde mich überraschen. Warum sollte nach der Reform die Häufigkeit eines bestimmten Fehlers in Zeitungen (nur als Beispiel) auf das Vierfache gestiegen sein, in Büchern aber nur auf das Doppelte? Das wäre jedenfalls interessant.

Der subjektive Eindruck täuscht manchmal sehr. Als Reformgegner nehmen wir jetzt solche dass-Fehler vielleicht viel stärker wahr als früher. Deshalb kann eine genaue Statistik schon hilfreich sein. Die ist natürlich auch aufwendig. Die elektronische Suche ist noch sehr unzureichend. Sätze wie "Woher aber weiß ein Tier, daß es bereits in ein fremdes Revier eingedrungen ist ..." sind ja völlig in Ordnung. Zum Glück kommen sie bei dem Muster "ein <Substantiv>, daß/ss" selten vor und sind m. E. vernachlässigbar, zumal es beide Richtungen betrifft. Aber schon mit "das <Substantiv>, daß/ss" bekommt man solche unerwünschten Fälle schon so häufig, auch abhängig vom Substantiv, daß sie die Statistik stören können.

Wie hoch würden Sie denn, lieber Herr Wrase, nach Ihrer persönlichen Erfahrung die Fehlerzunahme in diesem Fall ganz konkret schätzen? Sie schrieben schon, ein Anstieg um 14% (1,6/1,4) erschiene Ihnen zu gering. Schätzen Sie den Anstieg auf mehr als um 100% (d.h. mehr als Verdopplung)?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 15.05.2012 um 21.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20717

Lieber Herr Riemer,

es kommt natürlich darauf an, von welchen Texten die Rede ist. Mich interessiert die Schwierigkeit, die geübte, ansonsten fähige Schreiber mit dieser Stolperfalle haben. Meine Erfahrungswerte beruhen in erster Linie auf Texten, die ich beruflich zur Korrektur bekomme, und auf Texten im Internet. Texte, die recht ordentlich und kompetent geschrieben sind.

Ich habe immer die Schätzung angegeben, daß die Häufigkeit des Fehlers bei dieser Art von (unkorrigierten) Texten ungefähr um eine Größenordnung zugenommen hat. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr ganz sicher, denn es könnte zum Beispiel sein, daß die Schreiber mit vielen Jahren Reformerfahrung allmählich lernen, beim Relativpronomen das besonders aufzupassen. Aber ich tippe immer noch darauf, daß der Faktor der Zunahme eher 10 als 5 beträgt.

Ich frage mich: Wie lange dauert es beim Lesen, bis ich wieder einem dass (bzw. früher: daß) als Relativpronomen begegne? Früher waren es im Schnitt vielleicht 10 oder 20 Stunden Lektüre, jetzt sind es 1 oder 2 Stunden. Wenn anderen diese Schätzung übertrieben vorkommt, könnte es daran liegen, daß sie schneller als ich und ohne "Korrekturbrille" lesen und den Fehler nicht immer entdecken.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 15.05.2012 um 21.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20718

Um zum Tagebucheintrag zurückzukommen: Man muß ja wohl feststellen, daß die Eindrücke von Professor Ickler in einem krassen Gegensatz zu Herrn Riemers Vermutung stehen, daß in verschiedenen Textarten ungefähr dieselbe Zunahme der Fehlerquote zu erwarten sei. Es wundert mich nicht, daß der Fehler in Büchern nur wenig zugenommen hat, in Texten von jedermann dagegen explosionsartig.

Der letzte Satz aus dem Tagebucheintrag kommt mir zwar zugespitzt vor. Aber in einer abgeschwächten Fassung halte ich ihn für realistisch. Etwa so: "Ob von der Schule oder aus der Kirchengemeinde oder irgendeinem Verein – kaum eine Mitteilung vom Umfang einiger DIN-A4-Seiten, auf der die Verwechslung nicht vorkäme! Vor der Reform war so etwas extrem selten."
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 15.05.2012 um 23.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20719

Nun habe ich doch noch mal neu mit Google Books gesucht, etwa wie bisher, jetzt aber nur mit "ein Land, das " und "ein Land, dass ", wobei das zweite immer die gleiche Trefferanzahl liefert, wie mit ß, es werden immer alle Funde mit der Konjunktion daß oder dass angezeigt. Für "vorher" habe ich die Jahre 1900-1996, für "nachher" 2000-2012 eingesetzt, Suche immer in allen deutschsprachigen Büchern.
Außerdem habe ich 'Land' durch alle Substantive wie unten außer 'Fenster', dafür zusätzlich 'Ergebnis' und 'Bild', ersetzt und über alles den genauen Durchschnitt berechnet.
"ein Land, das " liefert mit großer Sicherheit die Fälle mit richtiger Schreibweise, "ein Land, dass " liefert meist mit guter Mehrheit falsche Schreibweisen. Ich glaube, ich kann davon ausgehen, daß sich Abweichungen hiervon durch die Quotientenbildung nachher/vorher etwa aufheben.

Ich möchte nun nicht mit vielen einzelnen Zahlen langweilen, hier nur das Endergebnis: Ich erhielt damit einen Anstieg der Fehleranzahl nach der Reform mit dem Faktor 2,2.
Also ich glaube, von einem Anstieg der Fehlerquote auf etwa das Doppelte bei diesem Fehler in Büchern nach der Reform kann man guten Gewissens sprechen.

Ob nun in Zeitungen und anderen Texten auch ungefähr eine Verdopplung vorliegt oder eher das 5-10fache, wie Herr Wrase meint, müßte man erst untersuchen.

Zu 'Fenster':
Dieses Wort bildet eine Ausnahme. Ich habe auch hier wieder etwa eine Halbierung der dass-Fälle nach der Reform festgestellt. Wenn man sich aber die Fundstellen 'vorher' und 'nachher' genauer ansieht, stellt man fest, daß die Konjunktion in "ein Fenster, daß/dass" in der Mehrzahl der Fälle richtig ist! (Ich hatte große Freude, ihn wiederzusehen, und zog ihn an ein Fenster, daß er mir erzählen möchte. usw.) Es wird also durch die Reform nicht die Fehleranzahl, sondern die Anzahl richtiger Schreibungen halbiert!
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.05.2012 um 00.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20720

Herr Riemer, was wollen Sie denn mit Google Books herausfinden? Bücher werden zu einem guten Teil professionell korrigiert. Von mir erwartet man, daß nach der Korrektur kein einziger Fehler übrigbleibt. Ich kann mir alle paar Monate mal einen übersehenen Fehler leisten, mehr nicht. Sie untersuchen bei Google Books die teilweise mangelhaften Leistungen von Korrektoren und Korrekturprogrammen, Sie sollten aber die Fehler der Schreiber untersuchen, von denen hier die Rede ist. Ich beschäftige mich jeden Tag mit den Fehlern der Schreiber, also werde ich schon etwas zu dem Thema sagen können. Wenn Sie das überprüfen wollen, suchen Sie besser mit Google und nicht mit Google Books.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.05.2012 um 00.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20721

Google Books bietet im Unterschied zur normalen Suche nach Websites die Möglichkeit einer auf Erscheinungsjahre eingeschränkten Suche (s. u.). Alternativ dazu ließen sich z. B. auch die IdS-Corpora heranziehen.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 16.05.2012 um 06.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20722

Das ändert nichts daran, daß man in Büchern nicht die Fehlerquote der Schreiber feststellen kann, sondern die Fehlerquote in korrigierten professionellen Texten. Ich erinnere mich noch an Professor Jochems, der die vermeintliche Harmlosigkeit der Rechtschreibreform mit der Beobachtung zu untermauern pflegte, er habe im neuesten Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung keinen einzigen Fehler gefunden. Solche "Untersuchungen" sind doch völlig wertlos.

Wenn man wissen will, wie viele Fehler in der Produktion entstehen, darf man nicht die mangelhaften Produkte zählen, die ausnahmsweise bei der anschließenden Qualitätskontrolle nicht entdeckt wurden. Sondern man muß die Spezialisten in der Qualitätskontrolle fragen, wieviel sie aussortiert haben.

Mit Google kann man die Suche immerhin auf aktuelle Texte eingrenzen und eine realistischere Fehlerquote aus der Masse des Geschriebenen ermitteln. Sodann wird man auf seine Erinnerung zurückgreifen müssen und zu dem Ergebnis kommen: "Früher hat man so viele Fehler nie gesehen." So wie es im Tagebucheintrag steht.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.05.2012 um 10.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20723

Lieber Herr Wrase,
ich möchte noch einmal betonen, daß ich nicht bezweifle, daß die Fehlerquote in den Texten, mit denen Sie zu tun haben, 10 oder 100 oder 1000mal größer ist als in den hier untersuchten Büchern. Darin vertraue sehr gern auf Ihre Erfahrung.

Ich meine nur dies: Wenn die Reform in den Büchern einen Anstieg der Fehleranzahl von sagen wir 10 auf 20 bewirkt hat, dann würde ich in einer ähnlich großen, von Ihnen bearbeiteten Textmenge einen Anstieg von z. B. 1000 auf 2000 vermuten, vielleicht auch von 10000 auf 20000.
Sie sagen aber, Sie halten eher einen Anstieg von 1000 auf 10000 oder von 10000 auf 100000 für plausibel.
Ich gebe schon zu, daß auch das durchaus sein könnte, aber für mich klingt es erstmal weniger wahrscheinlich. Ich halte einen objektiven Nachweis für notwendig. Ich würde das gern in gleicher Weise wie für Bücher nachrechnen. Leider kenne ich im Moment keine Möglichkeit, Zeitungstexte so zu durchsuchen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 16.05.2012 um 11.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20724

Das menschliche Gedächtnis ist bekanntlich unzuverlässig und die Erinnerung daher kein Ersatz für Dokumente. Es gibt eine zunehmende Anzahl von Volltextarchiven; so hat die F.A.Z. inzwischen ihre Jahrgänge seit 1949 digitalisieren lassen. Dieses Angebot kann auch in der Mannheimer Universitätsbibliothek genutzt werden.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 16.05.2012 um 12.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20725

Ach so, zur Produktion.
Da wird es immer schwieriger, weil andere Einflüsse dazukommen, die mit der RSR nichts zu tun haben. Vielleicht ein anderes Schreibverhalten, höherer Termindruck, andere Prioritäten. Da kenne ich mich nicht aus. Vielleicht würden Sie auch ohne RSR heutzutage eine viel höhere Fehlerquote beim Erstschreiben feststellen.

Internetforen, E-Mail, SMS gab es vor der Reform alles noch nicht, da läßt sich eine Änderung sowieso nicht feststellen. Computer (PC) kamen erst kurz davor auf, bis zur Reform wurden teilweise noch die herkömmlichen Schreibmaschinen benutzt. Alle diese Dinge (nicht nur die RSR) haben sehr das allgemeine Schreibverhalten mit beeinflußt. Deshalb denke ich, solche Statistiken wie hier unter dem Gesichtspunkt der RSR sollte man sowieso nur von fertigen, veröffentlichten Texten betrachten.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 16.05.2012 um 17.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20726

Zur Schreibmaschinenzeit mußten Texte von speziellen Schreibkräften und von Zeitungsdruckern geschrieben werden, deren Beruf es war, die Rechtschreibung zu beherrschen. In der Computerzeit muß jedermann seine Texte selber schreiben, und nur wenn man Gück hat, gibt es einen Korrektor.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 17.05.2012 um 07.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20727

Methodische Zweifel in Ehren. Aber so ist es auch wieder nicht, daß wir keine Ahnung hätten, ob und in welchem Maß sich die Häufigkeit dieses Fehlertyps verändert hat.

Noch einmal: Es kommt darauf an, von welchen Texten bzw. Schreibern man spricht. Ich spreche von geübten Schreibern, die in der Lage sind, zwischen Relativpronomen (ein Kind, das ...), Demonstrativpronomen (das = dies) und Standard-Konjunktion (es ist bekannt, daß/dass ...) zu unterscheiden. Daß sie dazu in der Lage sind, erkennt man unter anderem daran, daß sie in den meisten oder allermeisten Fällen die richtige Schreibung wählen. Außerdem gibt es allgemeine Erfahrungswerte bezüglich der Schreibkompetenz. Ein Legastheniker, der die genannten Wörtchen grundsätzlich nicht auseinanderzuhalten vermag, könnte gar nicht als Journalist oder in einem anderen schreibenden Beruf arbeiten. Oder wenn Professor Ickler in einem Tagebucheintrag erkant statt erkannt schreibt, dann weiß man einfach, daß es sich um einen Tippfehler handelt.

Als Lektor bekommt man mit den Jahren ein Gefühl dafür, ob ein Fehler sehr selten oder selten oder aber häufig oder sehr häufig vorkommt. Früher war es ganz einfach so, daß ein Versehen beim Relativpronomen bei den im oben beschriebenen Sinn kompetenten Schreibern selten vorkam. Nach der Reform hatte man als Lektor plötzlich jeden Tag einen oder mehrere Fehler vom Typ dass statt das zu korrigieren.

Diese Erfahrung ist eindeutig, ebenso, daß es sich dabei nicht nur um eine Verdoppelung der Fehlerquote handelt. Man könnte zum Beispiel mal in einem Lektoren-Forum die älteren Kollegen fragen, in welchem Maß ihrer Meinung nach der Fehler nach der Reform in unkorrigierten Texten zugenommen hat. Einzelne können sich nach oben oder nach unten verschätzen, aber im Durchschnitt müßten sich die Irrtümer ungefähr neutralisieren. Ich bin zuversichtlich, daß die Kollegen im Schnitt ähnliche Schätzungen wie ich abgeben würden.

Warum es zu dieser erheblichen Zunahme dieser schwer zu erkennenden Tippfehler gekommen ist, das ist ebenso evident. Ich habe mich dazu schon mehrmals geäußert, zum Beispiel in diesem Strang im Beitrag #16495.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 17.05.2012 um 15.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20733

Meine Erfahrung mit Zeitungsmanuskripten bestätigt Herrn Wrases Beobachtung von Werbetexten: daß als Relativpronomen kam vor der Reform so gut wie nicht vor. Allerdings habe ich den Eindruck, daß die Vermehrung des Fehlers um ein Vielfaches sich nicht sofort und in einem Schritt vollzogen hat. Anfangs war ja jedes dass eine bewußte Transliteration von daß; das das hat auch der reformwillige Schreiber halt so gelassen, wie er es kannte.

Auf den Fehler kann eigentlich nur kommen, wer sich auf die vermeintliche Lautgesteuertheit der Heyseschen s-Schreibung eingelassen hat, dieser gewissermaßen intuitiv folgt. In diesem Sinne ist die vermehrte Verwendung von dass als Relativpronomen ein schöner Beweis für die wachsende Akzeptanz der Reform in der Bevölkerung. Man sollte den Rechtschreibrat einmal darauf hinweisen.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 17.05.2012 um 23.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20735

Ich denke, die meisten in diesem Forum teilen seit jeher die Auffassung, daß die RSR zu einer erheblichen Zunahme der ss/ß-Fehler im allgemeinen und der das/daß-Fehler im besonderen geführt hat und daß dies nicht nur eine bloße Übergangserscheinung, sondern ein inhärenter Fehler der reformierten ss/ß-Schreibung ist.

Herrn Riemer scheint es mir aber darum zu gehen, zumindest für die Fehlerzunahme einen empirischen Beweis zu finden, der auch den Rest der Menschheit überzeugen könnte.

So sehr ich einen solchen Beweis begrüßen würde, so gering scheinen mir die Aussichten, einen solchen jemals führen zu können. Bei vergleichbaren vor- und nachreformierten Textkorpora wäre es wohl nicht schwer, eine Zunahme von Fehlern wie „weiss“ festzustellen. Dagegen ist es erheblich schwerer, dasselbe für die das/dass-Fehler zu tun, da man dafür jede einzelne Fundstelle einzeln darauf untersuchen müßte, welche Schreibung richtig ist.

Herr Riemer versucht dies dadurch zu umgehen, daß er einen typischen Ausdruck wählt, bei dem mit hoher Wahrscheinlichkeit (jedoch auch nicht zwingend) ein „das“ zu erwarten ist. Allerdings verringert sich dadurch die Zahl der Fundstellen und damit die Relevanz des statistischen Ergebnisses. Dem ließe sich abhelfen, indem man mehrere Ausdrücke dieser Art untersucht, die Ergebnisse aggregiert und damit die statistische Relevanz zu erhöhen versucht.

Ein solcher Versuch wäre dennoch unnütze Mühe, denn damit kämen wir dem Ziel um keinen Deut näher, nämlich zu beweisen, daß die erhöhte Fehlerhäufigkeit auf einem inhärenten Mangel der RSR beruht.

Daher werden wir weiter im Safte unserer Überzeugung schmoren, ohne Aussicht, die Außenwelt zu überzeugen.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 18.05.2012 um 00.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20736

Die Gegenseite wird natürlich immer behaupten, daß es sich um einen Fall von Post hoc ergo propter hoc handele (man erinnere sich Anatol St.). Na und? Verheißen war von den Reformern und ihren Spießgesellen in Politik und Verwaltern schließlich eine Absenkung der Fehlerzahlen.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 18.05.2012 um 09.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20738

Der Apologet braucht die Zunahme der Fehlerzahl gar nicht zu leugnen. Ich erinnere mich an das Argument, die deutsche Rechtschreibung sei in den 90er Jahren kurz vor dem Zusammenbruch gestanden, und die Reform sei dann gerade noch rechtzeitig gekommen, um das Schlimmste zu verhindern. Das folgt dem Muster des "Post hoc, propter hoc"-Einwands, mit dem einzigen Unterschied, dessen Wahnhaftigkeit offenkundig zu machen – aber auch dies wiederum nur für den Nichtapologeten.

Der "Post hoc, propter hoc"-Einwurf ist unangreifbar. Nicht unangreifbar dagegen ist seine Instrumentalisierung zur Beweislastumkehr. Manchmal ist ein Ereignis B, das nach einem Ereignis A eintritt, eben doch eine Folge des Ereignisses A. Die Vermutung liegt sogar auf der Hand, wenn zwischen A und B überhaupt ein Zusammenhang erkennbar ist. Von dem, der die Vermutung hegt, kann man verlangen, daß er sie demonstriert. Um jedoch der Vermutung entgegenzutreten reicht die Feststellung nicht aus, sie könne auch unzutreffend sein.

Wer die Ursächlichkeit der Reform für die Häufung bestimmter Fehler bestreitet, muß zeigen, daß und warum er recht hat. Statt dessen fordern Leute wie der Bremer Methodenschwindler von den Reformgegnern im Grunde nicht mehr und nicht weniger als den Nachweis eines Paralleluniversums, in dem es, ceteris paribus, keine Reform gegeben hat und in dem die monierten Fehlerhäufungen nicht vorkommen. Dieser Nachweis ist jedoch unmöglich; gesellschaftlich-geschichtliche Veränderungen lassen sich nicht unter Laborbedingungen reproduzieren.

Aus der Unmöglichkeit, eine Letztgewißheit zu erlangen, folgt dann der Anspruch, Beliebiges und eben auch das Gegenteil behaupten zu dürfen. Das ist Sophistik.
 
 

Kommentar von B.Troffen, verfaßt am 18.05.2012 um 10.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20739

Zu solchen Streitereien müßte es nicht kommen, hätte das ganze Unternehmen mit verantwortungsbewußter Vorbereitung begonnen und nicht mit dem Stoß des ganzen Schreibvolks ins kalte Wasser, und hätte es eine unabhängige wissenschaftliche Beobachtung und Evaluierung gegeben, wie sie für viel kleinere Projekte gängig ist und
ganz selbstverständlich von Projektträgern gefordert wird.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.05.2012 um 12.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20740

Ich schlage vor, in Anlehnung an die Mathematik die "Riemersche Vermutung" offiziell so zu benennen und als Forschungsaufgabe z.B. für Statistiker zu präsentieren.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 18.05.2012 um 13.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20741

Danke, lieber Germanist, und vielleicht sind Sie dann so nett, die eine Million Dollar Preisgeld dafür bereitzustellen.
Was den "Rest der Menschheit" (laut Herrn Achenbach) betrifft, so gehören dazu immerhin auch die Reformer, und es wäre ja nicht schlecht, wenn man gerade sie mit so einem "Beweis" festnageln könnte. Aber eigentlich ging es mir gar nicht in erster Linie darum, zu beweisen, was wir alle sowieso wissen, sondern ich wollte gern zu einer etwas konkreteren Aussage über die wirkliche Höhe des Fehleranstiegs kommen, den die Reform bewirkt hat. Andererseits, ob nun zwei- oder zehnmal so viele Fehler, darauf kommt es auch nicht unbedingt an.
 
 

Kommentar von Andreas Blombach, verfaßt am 21.05.2012 um 02.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20758

Zu dem Problem mit dem Pluszeichen bei der Google-Suche: Google hat da vor einiger Zeit Änderungen vorgenommen, auch wenn die Anleitung wohl nicht auf den neuesten Stand gebracht wurde.
Wenn man nicht will, dass Google auch nach Varianten einer Wortform sucht, muss man sie in Anführungszeichen setzen. Wenn sie Teil eines längeren Strings ist, der in Anführungszeichen steht, muss man mehrere Anführungszeichen verwenden.
Das heißt, das hier bringt nicht das gewünschte Ergebnis:
"ein Land, daß"
Das hier dagegen schon:
"ein Land, "daß""
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 21.05.2012 um 08.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20760

Lieber Herr Riemer,

gut, daß jetzt noch einmal deutlich wird, warum wir uns überhaupt auseinandergesetzt haben. Sie wollen "gern zu einer etwas konkreteren Aussage über die wirkliche Höhe des Fehleranstiegs kommen" und sind dabei der Meinung: "Andererseits, ob nun zwei- oder zehnmal so viele Fehler, darauf kommt es auch nicht unbedingt an."

Mit Ihrem Ansatz bin ich nur deshalb nicht einverstanden, weil es für mich nicht aktzeptabel ist, einen Fehleranstieg um den Faktor 10 (Schätzung) als Fehleranstieg um den Faktor 2 zu präsentieren, und dies mit dem Anspruch, erstmals handfeste oder "konkrete" Zahlen zu liefern. Außerdem ging es den Reformern um alle Schreiber, insbesondere um jene, die Mühe mit der Rechtschreibung haben. Gerade letztere aber haben ihre liebe Not mit der Unterscheidung von dass und das, während ein routinierter Verfasser oder Lektor zwar auch ein paarmal häufiger als früher in die Falle tritt, aber nach ein paar Monaten oder Jahren der Umgewöhnung mit dieser Schwierigkeit gut zurechtkommt.

Daher erscheint mir Ihr Untersuchungsmaterial nicht geeignet, ein realistisches Bild zu vermitteln. Eine Verdoppelung der Fehlerzahl könnte man ja eventuell noch mit Umstellungsschwierigkeiten wegerklären. Bei einer Verzehnfachung geht das nicht mehr, unter anderem deswegen, weil sich die Häufigkeit der von der Reform nicht unmittelbar betroffenen Rechtschreibfehler im Schnitt nur wenig geändert hat.

Ein Vergleich. Nehmen wir (theoretisch) an, in ein paar Jahren seien sich die führenden Klimaforscher ziemlich einig, daß binnen 200 Jahren ein Anstieg der mittleren globalen Temperatur um circa 5 Grad (bzw. Kelvin) zu erwarten sei, falls man keine weiteren Maßnahmen ergreift. Jetzt kommt ein Forscher, der behauptet, er habe die exakteste Berechnung, das Ergebnis sei bei ihm ein Anstieg um 1 Grad. Aufgrund methodischer Schwächen sei das Ergebnis zwar möglicherweise zu niedrig, aber ob 1 Grad oder 5 Grad, das sei doch ziemlich egal. Die einzig interessante Botschaft sei: Anstieg, und dies sei nun erstmals sicher nachweisbar. Sie können davon ausgehen, daß die Kollegen den Mann bitten würden, seine Zahlen für sich zu behalten.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.05.2012 um 12.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20762

Lieber Herr Wrase,
wollen wir doch die Kirche im Dorf lassen. Sie sagten schon, es kommt darauf an, von welchen Texten die Rede ist. Meine Rechnung, also etwa Faktor 2, bezieht sich auf die Zunahme des Fehlers "daß/dass statt das" im Muster "ein <Subst.>, daß/dass" in Büchern, und dazu stehe ich nach wie vor. Die Rechnung gibt einen objektiven Sachverhalt wieder, falls die Google-Ergebnisse verläßlich sind, wovon ich ausgehe.

Der von Ihnen genannte Faktor 10 bezieht sich erstens auf andere Texte, nämlich solche, die Ihnen zur Korrektur vorgelegt werden und Internettexte, zweitens ist er eine Schätzung. Bei allem Respekt vor Ihrer Erfahrung, aber Sie wissen doch selbst, wie uns unsere subjektive Wahrnehmung manchmal täuschen kann.

Ich präsentiere doch für Ihre Texte nicht den Faktor 2, meine nur, daß ein höherer Faktor erst nachgewiesen werden müßte.
2 oder 10 war mir insofern egal, als beides bedeutet, daß die Reform ihre Ziele nicht erreicht hat.
Natürlich besteht zwischen Faktor 2 und 10 ein großer Unterschied, deshalb ist es schon schade, daß Sie für die 10 nur eine Schätzung haben. Aber bitte geben Sie mir doch nicht die Schuld daran.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 21.05.2012 um 13.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20764

Lieber Herr Riemer,

wenn Sie sich in Ihrem vorigen Beitrag auch so differenziert ausgedrückt hätten, dann hätte sich meine Erwiderung erübrigt. Ihr angebliches Interesse betraf dort jedoch "die wirkliche Höhe des Fehleranstiegs", "den die Reform bewirkt hat" (und entsprechend lasen sich auch frühere Formulierungen). Mit der anschließenden Bewertung, daß es auf den Unterschied zwischen den Faktoren 2 und 10 "nicht unbedingt" ankomme, haben Sie nochmals zu der Sichtweise eingeladen, daß es auch nicht darauf ankomme, ob man korrigierte oder unkorrigierte Texte untersucht. Gut, daß dies nun richtiggestellt wurde. Dann wage ich zu hoffen, daß wir uns einig sind!
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 22.05.2012 um 00.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20773

Lieber Herr Riemer,

ich glaube nicht, daß die Häufigkeit der das/dass-Fehler besonders geeignet ist, zu belegen, "daß die Reform ihre Ziele nicht erreicht hat".

1. Prof Ickler hat ja wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß schon vor der Reform der das/daß-Fehler der weitaus häufigste Fehler bei der ss/ß-Schreibung war.

2. Die Reformer hatten ja ursprünglich angestrebt, die das/daß-Unterscheidung ganz abzuschaffen. Sie werden sich durch Ihre Fehlerstatistik ja noch bestätigt fühlen.

3. Man muß sich auch fragen, warum Schreibfehler wie biss, wass, dess anscheinend sehr viel seltener vorkommen als das/dass. Wäre es tatsächlich so, daß das und dass sehr viel ähnlicher sind als das und daß, müßte es dann nicht auch viele was/wass-Fehler geben?

3. Meine Erfahrung bei der Korrektur eigener Texte war schon vor der RSR, daß s/ss/ß-Fehler sehr schwer zu erkennen waren.

Unabhängig von diesem besonderen Fall ist es natürlich unbestreitbar, daß die Reform ihre Ziele nicht erreicht hat.
 
 

Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 22.05.2012 um 09.00 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20774

Die vermehrte Verwechslung von „das“ und „daß“ in der reformierten Form ist meiner Meinung nach psychologisch bedingt: „Dass“ ist – anders als „wass“ und „dess“ – bildhaft beim Schreiber abgespeichert und deutet reformgemäß auch meist noch eine Betonung an.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.05.2012 um 09.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20775

Habe ich das wirklich so gesagt? Oder nur in bezug auf Schüler und Wenigschreiber? Nach meiner Erinnerung kam in professionellen Texten, wo ich jetzt so viele Fehler finde, die Verwechslung von das und daß kaum vor.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 22.05.2012 um 10.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20776

Weil hier immer wieder von Zielerreichung durch die Reform gesprochen wird. Gab es überhaupt Reformziele, die bereits vorab formuliert waren?
Ich bin nicht so ein Reforminsider, aber viele Argumente scheinen mir eher derart, eingeführte Änderungen nachträglich zu legitimieren und z. B. als Erleichterungen darzustellen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.05.2012 um 11.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20778

Schüler sollten weniger Fehler angestrichen bekommen, das war das gemeinsame Ziel aller Reformer. Daher waren die Schulminister auch die Adressaten aller Entwürfe.

Ob dieses Ziel erreicht worden ist, wird nicht nachgeprüft. Das ist aber gerade im Bildungswesen so gewöhnlich, daß sich auch unter Journalisten fast niemand dafür interessiert.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.05.2012 um 12.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20779

Im Englischen wird "that" als Konjunktion durch den A.C.I. (Akkusativ cum Infinitiv) vermieden. Im Deutschen ist er nur nach Verben der Wahrnehmung erlaubt. Vielleicht würde er auch bei anderen Verben, z.B. des Wünschens und Wollens, die Anwendung der Konjunktion "daß" verringern und Verwechslungen mit "das" und umgekehrt verringern. Nicht alle Anglizismen sind von vornherein schlecht.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 22.05.2012 um 13.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20780

Aus "Die sogenannte Rechtschreibreform":

"Und mit der s-Schreibung gab es außerdem nie große Schwierigkeiten – bis auf eine einzige Ausnahme, und die bleibt gerade erhalten. Ich meine natürlich den Unterschied von das und daß, der immer für einen großen Anteil, nämlich rund 6 % aller Rechtschreibfehler verantwortlich war.
...
Manche Kinder haben Schwierigkeiten, diese Funktionen auseinanderzuhalten."

Aus dem zuletzt zitierten Satz scheint hervorzugehen, daß von Schülerfehlern die Rede ist.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.05.2012 um 15.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20781

Wir hatten das alles doch schon in der Vergangenheit mehrmals und zur Genüge besprochen. Mich wundert es, daß diese Diskussion immer neu aufgerollt wird, das gibt mir den Eindruck von Begriffsstutzigkeit. Der Fall ist leicht zu verstehen, abgesehen davon, daß man differenzieren muß (auch in der Formulierung). Bei jungen Kindern sieht das Ergebnis natürlich anders aus als bei Erwachsenen, bei Wenigschreibern anders als bei routinierten Schreibern, bei unkorrigierten Texten anders als bei geprüften Texten (zum Beispiel in Büchern).

Ganz richtig, "manche Kinder" haben Schwierigkeiten mit der grammatischen Unterscheidung zwischen der Konjunktion und dem gleichlautenden Relativpronomen. Wenn ganz normale Erwachsene, die von Berufs wegen viel schreiben, hier plötzlich viel öfter als früher Fehler machen, liegt es also nicht daran, daß sie grammatisch verblödet wären. Das erkennt man wie gesagt auch daran, daß sie weit überwiegend die richtige Schreibung wählen. Es handelt sich um Verwechslungen beim Tippen, also um Tippfehler. Ich verweise noch einmal auf meinen Beitrag #16495. Es glaubt noch hier niemand im Ernst, daß etwa ein Journalist einer Qualitätszeitung, in dessen Internet-Text dass statt das steht, an der betreffenden Stelle plötzlich sein grammatisches Wissen verloren hätte, das er an den allermeisten vergleichbaren Stellen seiner Texte unter Beweis stellt.

Tippfehler, die schwer zu entdecken sind. Aus diesem Grund sind die Fehlerzahlen sehr viel höher als früher, und zwar gerade bei jenen normalen Schreibern, denen es nicht an den grammatischen Voraussetzungen mangelt.

Gänzlich realitätsfern ist der Einwand von Herrn Achenbach, dann müßte man ja auch viel mehr Fehlschreibungen wass statt was erwarten können. Antwort: Erstens gibt es wass nicht. Zweitens: Wenn es wass gäbe, müßten noch weitere Umstände hinzukommen, die die Verwechslung beim schnellen Tippen nahelegen, nämlich eine ähnliche Häufigkeit und eine ähnliche Verwendung bzw. "Bedeutung". Das Relativpronomen das und die Konjunktion dass, beide gehören zu den häufigsten Wörtern, beide stehen am Anfang eines Nebensatzes, in der Regel nach einem Komma. Im Englischen gibt es dafür dieselbe Übersetzung (that). Die Verhältnisse sind völlig andere als bei einem konstruierten Paar was und *wass.

Wenn wir weiter so realitätsfern herangehen, werden wir noch hundert Beiträge zu dem Thema lesen und keinen Schritt weiterkommen. Zu diesem Theoretisieren gehört für mich auch Herrn Riemers wiederholte Unterstellung, meine Schätzungen seien subjektiv und als solche automatisch unzuverlässig. Ich mache meinen Job jetzt seit rund 15 Jahren, und ich kann mir ziemlich gut merken, welche Fehler in welchen Texten wie oft vorkommen.

Ich weiß zum Beispiel, daß fast alle Schreiber, deren Texte ich beruflich oder privat lese, die Voraussetzungen mitbringen, dass und das grammatisch zu unterscheiden. Wenn dann mehr oder weniger Fehler in diesem Bereich auftreten, dann ist das in erster Linie mit dem Grad der Sorgfalt bzw. Schlampigkeit korreliert, die der Schreiber seinem Text angedeihen läßt. Hat er den Text hastig oder mit Bedacht getippt? Hat er sich auf die Rechtschreibung konzentriert, oder war sie ihm schnuppe? Liest er seinen Text am Ende zur Kontrolle gar nicht mehr durch? Oder wenn ja, wie oft? Wie gründlich? Beachtet er die Fehlermarkierungen des Textprogramms? Sucht er vielleicht sogar gezielt nach ß, um ss/ß-Fehler auszuschließen? Haben sich noch andere Leute den Text kritisch angesehen? Vor allem weil diese Faktoren, die zusammen erhebliche Auswirkungen haben können, von Mal zu Mal unterscheiden, schwankt auch die Fehlerhäufigkeit beträchtlich.

In schlampigen Texten wimmelt es von dass/das-Verwechslungen, in ordentlichen Texten sind sie viel seltener. Aber früher, und darauf kommt es an, gab es diese Fehler auch in schlampigen Texten kaum, weil die Gefahr, D A S und D A ß im Sinne eines Tippfehlers zu verwechseln, nun einmal äußerst gering ist, jedenfalls sehr viel geringer als die Gefahr, D A S und D A S S beim Tippen zu verwechseln. Ist das so schwer zu verstehen?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 22.05.2012 um 16.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20782

Auf die Dauer hilft wohl nur das Vermeiden von Daß-Sätzen, z.B. durch untergeordnete Hauptsätze wie im gesprochenen Deutsch. (Ich ganz persönlich empfinde Daß-Sätze als holprig.)
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 22.05.2012 um 20.00 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20783

Auch meiner Erinnerung nach gab es früher das/daß-Fehler bei Schreibprofis so gut wie nicht, es gab sie natürlich bei Schülern. Heute ist dieser Fehlertyp in allen Textsorten allgegenwärtig.
Eine Ursache ist sicherlich bei der Reform zu suchen, wie hier vielfach diskutiert (z. B. betonungsgeleitetes Schreiben).
Andere Ursachen scheinen mir jedoch zu sein, daß erstens eine Lektorfunktion verglichen mit früher nur mehr rudimentär besteht und zweitens, daß Satzkonstruktionen sehr leicht umgeschachtelt werden können. Macht man das, entsteht an verschiedensten Stellen Bedarf an Nachkorrektur. Und, jeder kennt es, man übersieht sehr leicht Details. Nur sorgfältiges Korrekturlesen hilft da, und dazu nimmt man sich heute halt vielfach die Zeit nicht mehr.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 22.05.2012 um 22.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20784

Die das/dass-Verwechslung in Zeitungstexten geschieht sicherlich überwiegend bloß versehentlich. Was man aber andernorts sieht, z. B. in Geschäftspost oder Internetforen, spricht eher dafür, daß man es mit einer grassierenden Infantilisierung der schreibenden Bevölkerung zu tun hat.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 23.05.2012 um 00.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20785

Lieber Herr Wrase,

ich hatte doch in meinem Beitrag #20735 schon gesagt, daß wir in diesem Forum seit jeher in dieser Frage einig sind. Herrn Riemer ging es nach meinem Eindruck darum, für die empfundene Fehlerzunahme einen objektiven Maßstab zu finden. Mir geht es um die Frage, ob wir in der Lage sind, auch Außenstehende von unserer Auffassung zu überzeugen. Das sind ganz verschiedene Fragen, die mit einem „Wiederaufrollen“ des Themas nichts zu tun haben. Wenn wir zufrieden damit sind, in unserem eigenen Saft zu schmoren, brauchen wir uns diese Fragen natürlich nicht zu stellen.

Was nun die mich interessierende Frage anbetrifft, so habe ich starke Zweifel, daß es uns je gelingen könnte, die (inzwischen wenigen) überzeugten Anhänger der Reform, die vielen Gleichgültigen und Unentschiedenen, ja selbst die vielen Reformgegner, die meinen, die reformierte s/ss/ß-Schreibung sei ach so logisch und deshalb das einzig Gute an der Reform, von unserer Auffassung zu überzeugen.

Wenn ich daher Gegenargumente verwende, so gewissermaßen als Advocatus diaboli. Ich will nicht näher auf die hier schon oft genug genannten Argumente eingehen: notwendige Übergangsphase von mindestens einer Generation, Abwertung der Rechtschreibfähigkeit schon seit den 60er Jahren und deren Auswirkungen in den Schulen, veränderte Schreibgewohnheiten durch die Einführung von Computern und Korrekturprogrammen, Einsparungen beim Lektorat usw. usw.

Ihre Erklärung für die Fehlerzunahme bei das/dass, wonach sie auf die größere Ähnlichkeit von das/dass ggü das/daß beruht, ist natürlich sehr plausibel und auch nach meiner Meinung wahrscheinlich richtig. Nicht ganz so sicher bin ich mir, daß sie hinreicht, eine Fehlerzuname von einer Größenordnung oder mehr zu erklären. Wie erklären sich dann die zahllosen Fehler wie Strasse, Grüsse usw? Müßten solche Fehler nicht sehr viel stärker auffallen?

Das Beispiel wass habe ich im übrigen nur erwähnt, weil gelegentlich auch die übergeneralisierte Regel „ss nach kurz“ als Erklärung herangezogen wird. Daß vergleichbare Fehler so gut wie nicht auftreten, ist daher zumindest erwähnenswert.

Schließlich möchte ich darauf hinweisen, daß die Feststellung, das/dass-Tippfehler seien schwer zu entdecken, nicht ungefährlich ist. Könnte man nicht daraus folgern, daß die das/dass-Unterscheidung für das Textverständnis ohne nennenswerte Bedeutung sei? Warum dann, wie von Reformern ursprünglich beabsichtigt, nicht ganz darauf verzichten?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 23.05.2012 um 05.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20786

Wenn sehr viele Leute immer noch zwanghaft Strasse und Grüsse schreiben, liegt es in der Regel daran, daß sie meinen, das sei die reformierte Schreibung. Sie werden in dieser Annahme dadurch bestätigt, daß sie zum Beispiel viele E-Mails bekommen, in denen sie ihrerseits Grüsse bekommen von jemandem, der in der XY-Strasse wohnt oder arbeitet. Wenn sie abwechselnd damit Straße und Grüße schreiben, sind sie entweder total verunsichert oder zu faul, die Frage der richtigen Schreibung für sich zu klären, oder ihnen hängt das ganze ss/ß-Gefummel derart zum Hals heraus, daß sie sich gedanklich nicht mehr damit befassen wollen. Echte Rechtschreibschwäche kommt natürlich auch vor, aber interessant ist, daß solche banalen und häufigen Wörter oft von solchen Schreibern falsch dargeboten werden, die sonst vergleichsweise ordentlich schreiben, jedenfalls im Bereich der Laut-Buchstaben-Beziehung.

Man kann doch nicht irgendeinen Aspekt wie "Auffälligkeit" herausgreifen und dann diese theoretischen Schlußfolgerungen präsentieren: "Straße vs. Strasse ist auffällig, also müßten die Leute dann doch ihre eigenen Schreibfehler sehen und diese gleich korrigieren." Der Fall ist eben anders gelagert. Das fängt damit an, daß Strasse wohl kaum als Tippfehler einer beabsichtigten Schreibung Straße zustande kommt, anders als bei dass anstelle von das am Anfang eines Nebensatzes.

Eine weitere vorschnelle Schlußfolgerung ist die Erwägung in Ihrer letzten Frage, Herr Achenbach. Sie greifen hier wieder etwas heraus und verabsolutieren einen Aspekt. Ich hatte gesagt, der Fehler dass sei "schwer zu entdecken". Ich hatte nicht gesagt, dieser Fehler sei praktisch unsichtbar. In Wirklichkeit wird es so sein, daß der Schreiber, wenn er seinen Text vor dem Absenden überhaupt noch einmal kontrolliert, einige falsche dass sehen und korrigieren wird, einige aber wird er übersehen. Das liegt auch daran, daß er selber seinen Text kennt, und wenn man schon ganz genau weiß, wie die nächsten Wörter lauten werden, dann reduziert man automatisch seine Aufmerksamkeit bei diesen Wörtern und überfliegt sie nur noch. Aus diesem Grund ist der Schreiber auch schon beim Verfassen in Gefahr, nicht genau hinzusehen, denn er weiß ja in der Regel, welches Wort er als nächstes hinschreiben will. In einer anderen Position ist der Leser. Bei ihm entstehen zwar auch in den angefangenen Sätzen Erwartungen, wie es jeweils weitergehen wird, aber er muß auch immer mit Überraschungen rechnen. Jedenfalls ist der Text für ihn neu. Also wird er anders hinsehen als der Schreiber. Auch er wird einige falsche dass gar nicht bemerken, aber andere sehr wohl. Schließlich kommt es gar nicht selten vor, daß ein Nebensatz sowohl mit daß als auch mit das beginnen könnte. Auch nach einem Satzschlußpunkt kommt als nächstes Wort sowohl Das als auch Daß in Frage. In solchen Fällen wäre die Abschaffung der Unterscheidung zwischen daß und das geradezu eine Beleidigung des Lesers.

Ich bin mir ziemlich sicher, Herr Achenbach, daß Ihnen all das sowieso klar ist, oder Sie könnten es sich mit ein wenig Nachdenken selbst klar machen. Ihre ständigen Rückfragen der Art "Aber das müßte dann ja auch bedeuten ...", "Würde daraus dann nicht auch folgen, daß ...?", warum formulieren Sie überhaupt diese Rückfragen? Sie selbst bezeichnen sich als Advocatus diaboli. Ich sehe das auch so, daß Sie den Advocatus diaboli spielen, und ich möchte Sie bitten, damit aufzuhören. Denn Sie nötigen damit regelmäßig jene, die etwas mitgeteilt haben, sich immer weiter zu erklären, obwohl Sie sich die Antworten auf Ihre Fragen auch selbst geben könnten. Damit muten Sie zugleich den Besuchern dieser Seiten die Lektüre ermüdender und unfruchtbarer Pseudo-Auseinandersetzungen zu. Was soll das? Den Advocatus diaboli zu spielen ist einfach nur destruktiv. Einem Dia-bolus macht es Spaß, immer neue Komplikationen anzuzetteln und die Mitmenschen damit zu befrachten. Falls Sie in der Lage sind, mit dem Spiel aufzuhören, scheinbare Schwachstellen in der Argumentation der anderen durch vorgebliches Interesse an einer weiteren Klärung aufzuspießen, dann möchte ich Sie sehr darum bitten. Ich nehme mir jedenfalls vor, in Zukunft auf diese nötigenden Fragen je nachdem nicht mehr zu reagieren.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 25.05.2012 um 11.34 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20791

Nach der Theorie der Reformer müßten die Rechtschreibfehler kontinuierlich abnehmen, weil die Zahl der Erwachsenen, die die Reform auf der Schule gelernt haben, stetig zunimmt und die Zahl der Erwachsenen, die sie erst neu lernen mußten, stetig abnimmt. Die Zunahme der Rechtschreibfehler führe ich auf die abnehmende Wertschätzung der Rechtschreibung in allen Bevölkerungsschichten zurück. Die Abnahme der Wertschätzung führe ich auf die undemokratische Einführung der Reform gegen den Willen des Volkes durch die von Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht bevollmächtigte Rechtschreibmafia zurück.
Diese Reform war ein Test der Bundesregierung, ob und wie sie gegen das Volk regieren kann. Vor hundert Jahren verstanden sich die Bürger als Untertanen und waren zufrieden, daß die Obrigkeit die Rechtschreibregeln verordnete. Heute verstehen sich die Bürger als mündige Staatsbürger mit demokratisch legitimierten Mitspracherechten und sind stinksauer, weil sie nicht gefragt und ihre Argumente abgewiesen wurden und die Reform nur wegen der Staatsraison durchgedrückt wurde.
Wenn eine öffentliche Diskussion verhindert wird, weil sie der Sache schaden könnte, kann diese Sache nicht gut sein, außer für diejenigen, die an ihr verdienen wollen. Die undemokratische Durchführung der Rechtschreibreform hat das Ansehen und die Wertschätzung der Rechtschreibung dauerhaft geschädigt.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 25.05.2012 um 15.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20792

#20791: Re Rechtschreibreformmafia
"Wenn eine öffentliche Diskussion verhindert wird, weil sie der Sache schaden könnte, kann diese Sache nicht gut sein, außer für diejenigen, die an ihr verdienen wollen. Die undemokratische Durchführung der Rechtschreibreform hat das Ansehen und die Wertschätzung der Rechtschreibung dauerhaft geschädigt." — Genau! Ich sage sogar, sie steht der Entartete-Kunst-Aktion der Nazis, wenn überhaupt, in nur wenigem nach.
 
 

Kommentar von Marco Mahlmann, verfaßt am 25.05.2012 um 17.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20793

Nein, die Festlegungen der Zweiten Orthographischen Konferenz wurden bereitwillig angenommen, weil sie eh schon Übliches zum Standard erklärt und weil sie Ungleichheiten sehr behutsam und nachvollziehbar vereinheitlicht hat.
Die 96er Reform wurde übernommen, weil sie als fortschrittlich und schülersegensreich angepriesen wurde, und niemand wollte als rückständig gelten (besonders in der Wirtschaft und in den Medien herrschte die Ansicht vor, man sei nicht mehr wettbewerbsfähig, wenn man nicht flugs die Reformschrift anwende).

Der mündige Bürger, der mit der Reform nicht einverstanden ist und der wieder und wieder auf die Mängel hinweist, ist derjenige, der nach wie vor unreformiert und auch weitgehend fehlerfrei schreibt – und das auch reformiert überall dort, wo er (z. B. dienstrechtlich) dazu gezwungen ist.

Den Rechtschreibschwachen hat die Reform scheinbar einen Blankoscheck ausgestellt, und sie schreiben einfach so drauflos. Dem Rest ist die Orthographie immer schon egal gewesen; er schreibt so, wie er meint, es irgendwo mal gelesen zu haben, und im Zweifel sagt der Rechner schon mit roter Unterschlängelung Bescheid.

Politikwissenschaftlich und historisch interessant ist es natürlich, daß in Deutschland jede diktatorische Maßnahme begrüßt und bereitwillig aufgenommen wird, wenn sie nur mit hinreichender Lautstärke und Wiederholfrequenz als demokratisch beschrieben wird und wenn sie vorgibt, einige beliebte Anliegen (am besten gutmenschelnde) zu bedienen: Hilfe für Schwache, Volksnähe, Ausländerfreundlichkeit, Umweltschutz etc. pp. Ob die Maßnahme dazu geeignet ist, ist belanglos. Wer etwas mit solch guter Absicht kritisiert, ist ein Nörgler. Nörgler sind unsachlich; mit unsachlichen Diskutanten debattiert man nicht.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.05.2012 um 06.33 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20794

Interessanter als die Frage, warum die Rechtschreibreform begrüßt und befolgt wurde, scheint mir die Frage zu sein, warum sie abgelehnt und trotzdem befolgt wurde, obwohl es keinen wirklichen Zwang gab. Gerade ist mir wieder "Forschung und Lehre" von 1997 in die Hände gefallen, wo wie in anderen Dokumenten die breite Ablehnung der Reform durch die Akademiker gezeigt wird – aber wer wäre eifriger bei der Um- und Durchsetzung der Reform gewesen als gerade diese Leute? (Ebenso verhält es sich mit der Politischen Korrektheit.)
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 31.05.2012 um 00.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20814

Lieber Herr Wrase,

es steht Ihnen frei, meine Argumente zu ignorieren oder zu widerlegen. Bitte stellen Sie aber keine Spekulationen darüber an, über was ich mir klar bin oder leicht klar werden könnte.

Ich halte Ihre Argumente zumeist für sehr plausibel, aber leider nicht für mehr. Wenn ich andere Argumente anführe, so nicht aus bloßem Widerspruchsgeist oder Disputierlust, sondern weil ich diese ebenfalls für plausibel halte, aber auch nicht für mehr. Ich bin mir allerdings darüber klar, daß es auch zu diesen Argumenten Gegenargumente gibt, die plausibel, aber auch nicht mehr sind.

Ich halte zwei Dinge für mehr als plausibel:

1. Es war von vornherein klar, daß die Rechtschreibreform über ein bis zwei Generationen zu einer allgemeinen Verunsicherung bei der Rechtschreibung führen mußte.

Andererseits hat es schon vorher und nachher erhebliche Änderungen bei der Wertschätzung der Rechtschreibung, beim Schulunterricht, bei den Schreibtechniken, beim Lektorat usw. gegeben. Die relative Bedeutung dieser Einflüsse genauer einzuschätzen, dürfte aussichtslos sein.

2. Der auf (angebliche) Systematik und Vereinfachung ausgerichtete Ansatz der Reform unter Mißachtung von Schreibgewohnheiten, die sich über lange Zeiträume intuitiv entwickelt haben, mußte zu einer noch tiefergreifenden Verunsicherung auf unabsehbare Dauer führen. Allerdings ist auch diese Wirkung kaum von den anderen Einflüssen abzugrenzen.

Unter diesen Umständen halte ich es leider für völlig aussichtslos, einen über bloße Plausibilität hinausgehenden Nachweis dafür zu führen, daß bestimmte Einzelregelungen der Reform, etwa die ss/ß-Schreibung oder die das/dass-Schreibung, inhärent fehleranfälliger seien als die früheren Regelungen.

Ich empfinde das als höchst bedauerlich:

"So lernt ich traurig den Verzicht: ..."
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 31.05.2012 um 02.30 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20815

Lieber Herr Achenbach, Ihr Beitrag disqualifiziert sich selbst. Wenn Sie von der Empirie ausgehen, ist sofort klar, daß manche Neuschreibungen nach kurzer Zeit von den meisten Schreibern beherrscht werden, während andere sich bei fast allen Schreibern als unausrottbare Fehlerquellen herausstellen. Dazu gehört auch der Fehler, dem der Tagebucheintrag gewidmet ist. Sie werfen dagegen alles in einen Topf und faseln von einer allgemeinen Verunsicherung von "ein bis zwei Generationen". Damit ignorieren Sie alles, was in unserer Diskussion und schon an anderen Stellen an Erkenntnissen zu diesem Thema zusammengetragen wurde. Daß manche Schreibungen oder Regeln einfach sind und manche schwer, daß auch manche Neuschreibung schwieriger ist als die jeweilige herkömmliche Schreibung, ist völlig banal. Sie bringen es fertig, dies für nicht nachweisbar zu halten? Damit inszenieren Sie sich aufs neue als jemand, der ständig alles in Zweifel zieht, was andere Leute zum Thema zu sagen haben. Anstatt aus den Beiträgen der anderen etwas zu lernen, finden Sie immer ein Haar in der Suppe oder mißbilligen gleich das ganze Gericht.

Neulich hatten wir den Fall, daß Sie mehrmals interessierte Fragen an Germanist gestellt hatten, die Germanist sachlich beantwortet hat. Dann stellte sich heraus, daß Sie ihm bloß beibringen wollten, daß seine Anmerkungen zum Wort integer aus Ihrer Sicht völlig deplaziert waren und "in die hinterste Ecke des Diskussionsforums" verschoben werden sollten. Ein Beispiel dafür, daß Ihr scheinbar interessiertes Diskutieren nur vorgeschoben ist, wenn es Ihnen darum geht, die Beiträge anderer mit Verachtung zu behandeln.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 31.05.2012 um 11.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20816

Aber meine Herren. Mehr als Plausibilität (Achenbach) bzw. Klarheit (Wrase) können Theorien, zumal solche, die gesellschaftlich-geschichtliche Zusammenhänge beschreiben, sowieso nicht bieten. Es ist sinnlos zu bedauern, daß sie keine Letztgewißheit gewährleisten – ebenso sinnlos wie der relativistische Trugschluß, mangels Letztgewißheit lasse sich geradesogut etwas ganz anderes oder auch gleich das Gegenteil behaupten.
 
 

Kommentar von B.Troffen, verfaßt am 31.05.2012 um 14.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20817

Letztgewißheit scheint mir inzwischen, zumindest im Sinne einer Philosophie des Als-Ob, so gut wie gegeben, daß die Reform wirklich nun unumkehrbar ist. Allerdings betrifft das wohl fast nur die ß/ss-Schreibung (wobei viele schon beim Lesen die Schreiweise mit der Aussprache korrelieren und dann bei "alter" ß-Schreibung stutzen).
Daneben hat sich nur ein unklares Rauschen etabliert, das fast niemanden zu stören scheint. (Für das Fehlergeprassel im Netz ist höchstwahrscheinlich die Reform wenig ursächlich.)
Und wenn über Probleme mit schlechter Orthographie lamentiert wird, bringen das die Politik und die Medien nicht mehr mit einer Reform in Verbindung. Dummheit, Trägheit, Wurschtigkeit, Selbstgefällgikeit und Angst haben obsiegt, und gegen solche Allianz kommt nichts an.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.05.2012 um 17.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20818

Das Wort Letztgewißheit gibt es in der Mathematik nicht, denn es zweifelt an sich selbst, an der Gewißheit. Dort aber, wo es benutzt wird, wird es nicht als Verstärkung DER Gewißheit, sondern als Gegensatz zu einer sogedachten Gewißheit verstanden, die in Wirklichkeit nur eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit ist.
Letztgewißheit besteht sozusagen, wenn die Leiche gefunden ist.

Mir leuchtet eigentlich nicht so recht ein, weshalb beim das/daß/dass-Fehler keine auffindbare Leiche existieren soll. Man brauchte doch nur die Fehler richtig zu zählen. Dazu reicht es natürlich nicht aus, nur mit Google, nur in Büchern und nur nach einzelnen Mustern zu suchen. Man muß schon alle das/daß/dass-Fehler in repräsentativen Textstichproben nach den Methoden der Statistik genau zählen. Institute wie die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen beweisen ja auch jedesmal Punkt 18.00 Uhr, daß sich bei ihrer nur auf Stichproben beruhenden Hochrechnung bis zur Endauszählung nicht mehr viel ändert. Sogar der mögliche Fehler ist eingrenzbar.
Großer Aufwand, aber ich finde, man könnte auch in dieser sprachlichen Frage durchaus Letztgewißheit erreichen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 31.05.2012 um 17.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20819

Ich lese gerade noch einmal Herrn Achenbach (#20735):
Ein solcher Versuch wäre dennoch unnütze Mühe, denn damit kämen wir dem Ziel um keinen Deut näher, nämlich zu beweisen, daß die erhöhte Fehlerhäufigkeit auf einem inhärenten Mangel der RSR beruht.

Aber wieso? Wenn nachgewiesen wäre, daß der das/dass-Fehler nach der Reform um einen Faktor x (größer als 1) häufiger vorkommt, als der das/daß-Fehler vor der Reform, dann stellte sich doch genau diese Änderung (daß –> dass) als RSR-Mangel heraus.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 31.05.2012 um 23.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20820

Lieber Herr Riemer,

Ihre Argumentation ist doch ein klassisches Beispiel für den Fehlschluß post hoc ergo propter hoc.

Vor und seit 1996 hat sich viel verändert. Die RSR ist eine dieser Änderungen. Die Rechtschreibfehler haben zugenommen. Dazu könnten viele dieser Änderungen beigetragen haben, nicht nur die RSR.

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß die RSR und erst recht die zwei Reformen der Reform eine allgemeine Gleichgültigkeit in der Haltung zur Rechtschreibung gefördert haben. Das wird vermutlich erheblich zur allgemeinen Zunahme der Fehlerhäufigkeit beigetragen haben, vielleicht auch zur Fehlerhäufigkeit bei der das/dass-Schreibung.

Eine der anderen Änderungen war etwa die Verbreitung der Textverarbeitung mit dem Computer. Die vereinfachte Korrekturmöglichkeit hat dazu geführt, daß man nachlässiger schreibt und korrigiert. Die meisten Rechtschreibfehler werden ja vom Korrekturprogramm erkannt. Das gilt allerdings nicht unbedingt für das/daß- bzw. das/dass-Fehler. Selbst der aktuelle Dudenkorrektor erkennt zwar einige dieser Fehler, aber nicht alle. Dagegen können Korrekturprogramme ss/ß-Fehler leicht erkennen. Allein das könnte mit ein Grund für eine höhere Zahl von das/dass-Fehlern sein.

Ich teile nicht Ihren Optimismus, daß man mit statistischen Mitteln zu einem klaren Ergebnis kommen kann. Abgesehen davon, daß streng genommen ein kausaler Zusammenhang nie durch reine Statistik bewiesen werden kann, müßte man dazu viel weiter ausgreifen: Man müßte die Fehlerentwicklung – möglichst bei unterschiedlichen Fehlertypen – über einen längeren Zeitraum – etwa seit 1960 – messen. Nur dann, wenn ab 1996 ein deutlicher "Quantensprung" bei einzelnen oder allen Fehlertypen festzustellen wäre, hätte man immerhin einen starken prima-facie-Beleg dafür, daß die RSR die Hauptursache ist.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 01.06.2012 um 14.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20826

Lieber Herr Achenbach,
da muß ich Ihnen recht geben. Ich hatte in #20725 zu Rohtexten vor der Korrektur schon ähnliche Argumente benutzt, nur nicht bedacht, daß man diese eigentlich auf alles Schriftliche beziehen muß.
Man könnte nun noch andere Fehler einbeziehen, die mit der Reform nichts zu tun haben (*herschen, *Rythmus, ...), und dann sehen, ob reformbedingte Änderungsschreibungen wie daß/dass einen höheren Fehlerfaktor aufweisen. Aber Sie schreiben es schon, viele Fehlerarten werden von Korrekturprogrammen einfach besser erkannt als z.B. die Verwechslung von Konjunktion und Relativpronomen, d.h. damit wäre ebenfalls noch nichts klar.
Es wird also immer komplizierter, und ich komme nun auch langsam zu dem Schluß, daß ein exakter Beweis kaum möglich ist.

Jedenfalls bin ich Herrn Wrase sehr dankbar, daß er dieses Thema noch mal aufgeworfen hat, denn die Diskussion hat mir doch einige neue Erkenntnisse gebracht.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 01.06.2012 um 16.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20827

Es gibt eine Untersuchung zur Entwicklung der Fehlerhäufigkeit bei Rhythmus über einen Zeitraum beginnend lange vor der Reform bis 2008:

www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=590

Das Ergebnis: Fehleranteil konstant bzw. sogar leicht rückläufig, ähnlich wie bei Lebensstandard. Der Punkt: Herrn Achenbachs Argument wäre triftig, gäbe es nur die Korrelation zwischen der Reform 1996 und einer generellen Zunahme von Rechtschreibfehlern danach. Aber die Fehler haben nicht generell zugenommen, jedenfalls nicht gleichermaßen. Vielmehr häufen sich die Fehler besonders in von der Reform betroffenen Bereichen. dass als Relativpronomen ist ein Beispiel.
 
 

Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 01.06.2012 um 19.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20828

Aus logisch-theoretischer Sicht ist eine Fehlerabnahme durch die Reform sehr unwahrscheinlich, weil neue und vorher vollkommen unübliche Schreibungen verbindlich eingeführt wurden. Teilweise auch sinnwidrige, gemessen am Sprachgefühl. Es wäre daher umgekehrt logisch, daß die Fehler, verglichen mit dem neuen Standard, zugenommen haben. Diese theoretische Betrachtung stimmt mit der beobachtbaren Wirklichkeit überein. Natürlich ist die Reform nicht der einzige Einflußfaktor, wie hier auch bereits bemerkt. Die Frage ist, wie lange es dauern wird, bis ein eingeschwungener Zustand ähnlich vor der ersten Reform erreicht ist und ob er überhaupt kommt?

Schon vor der Reform war die beobachtbare Schreibung vieler „Durchschnittsbürger“ nicht besonders „normgerecht“, erinnerte also stark an das, was heute in Internetforen verbreitet wird. Durch die Polizei aufgenommene Protokolle etwa konnten mitunter wahre Fundgruben für Satiriker sein. Auch das interne Berichtswesen im Bahnbereich (ca. um 1920), welches ich vor einigen Jahren in einer Jubiläums-Ausstellung bewundern durfte, wimmelte vor Absonderlichkeiten. Handgeschriebenes scheint also auch früher eine eigene Kategorie gewesen zu sein; – verglichen mit Gedrucktem, was ja so gut wie ausnahmslos von Schreibprofis gesetzt wurde. Erst seit dem DTP-Zeitalter geht vieles direkt in Druck oder ins Internet, und damit auch die Fehler.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.06.2012 um 08.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20829

Algorhythmen (SZ 30.5.12) (im weiteren Text dann Algorithmen)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.06.2012 um 14.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20949

dass es kein Bild gibt, dass dem Gegenstand völlig gleicht (Oliver R. Scholz: Bild, Darstellung, Zeichen. 2. Aufl. Frankfurt (Klostermann) 2004:27; auch sonst Fehler)

mit dem Ergebnis, das wackelnde Sparkassen zu großen Einheiten verschmolzen wurden (SZ 26.6.12)

Na, und dies noch: Fusssenegger (Wiener Sprachblätter Juni 2012)
 
 

Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 29.06.2012 um 20.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20963

Brockhaus, 17. Auflage (1968) zum Lemma "Franzosenkraut": "Wegen seiner ungeheuren Samenerzeugung (...) ist es ein Unkraut, daß gebietsweise die Kulturpflanzen ganz unterdrückt; (...)"
Auch dieses klassische Qualitätsprodukt hat doch seine Probleme mit der Rechtschreibung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.06.2012 um 06.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20965

ein Wagnis, dass sich lohnt (FR 18.6.12, Mosebach über Blasphemie)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 30.06.2012 um 21.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#20968

Botswana ist nur eines von mehreren afrikanischen Ländern, dass auf die Beschneidung als HIV-Prävention setzt.
(FAZ, 30.6.2012, Seite 5)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2012 um 05.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#21524

dass es kein Bild gibt, dass dem Gegenstand völlig gleicht (Oliver R. Scholz: Bild, Darstellung, Zeichen. 2. Aufl. Frankfurt (Klostermann) 2004:27)

mit dem Ergebnis, das wackelnde Sparkassen zu großen Einheiten verschmolzen wurden (SZ 26.6.12)

Sie haben mit diesem Brief ein Thema angesprochen, dass dem Bundespräsidenten am Herzen liegt. (Brief des Bundespräsidialamtes vom 30.1.2001)

ein Gesetz, dass die Fehlentwicklungen zementiert (SZ 10.7.12)

Das Raumfahrzeug von der Größe eines kleinen Autos und einem Gewicht von mehreren hundert Kilogramm ist das komplexeste und größte Gerät, dass den Mars bislang erreicht hat. (www.sueddeutsche.de, 6.8.12)

die nur darauf warten, das die Nato ihr Land verlässt (SZ 7.8.12)

Großes Kino also, dass „hart an der Gegenwart“ geschrieben und „ein literarisches Werk zugleich“ sein soll. (...) Der Fischer Verlag gab ebenfalls zerknirscht zu, das man es mit den Pseudonym-Spielereien übertrieben hätte. (taz 16.8.12)

Was ist denn passiert, dass uns heute schlechter dastehen lässt als gestern, als letzte Woche? (Welt online 24.7.12)

Die Koreanerin Shin A-Lam weinte herzzerreißend nach dem Urteil im Halbfinale, dass Britta Heidemann den Weg frei gemacht hatte. (Welt online 31.7.12)

Das er diese Stätte, mit der er seit Jahren identifiziert wurde, verlässt, wird verständlich: er übernimmt eine der reizvollsten Aufgaben, die derzeit wohl zu vergeben sind.
(Buchmarkt 22.1.07)

Er habe sie und die Kinder in ein Leben hineingenötigt, so Bettina Wulff, dass sie nicht recht führen mochten und vor allem immer weniger aushielten. (n-tv.de 18.9.12)

Es lässt sich leise und gewiss auch von den Medien unbemerkt ein Bordell finden, dass ihr persönliche Einblicke in die Arbeit und die täglichen Geschäftsabläufe gewährt. (taz 18.9.12)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 21.09.2012 um 23.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#21544

Das Umgekehrte passiert, wenn ein Frontensystem blockiert wird, dass warme Luft aus dem Süden heranbringt. (SZ, 20.9.12)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.02.2013 um 09.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#22707

Das duale Ausbildungssystem, dass mit seiner typischen Mischung zwischen Schul- und Werkbank außer in Deutschland auch in Österreich und der Schweiz bekannt ist, mutiert zum globalen Hoffnungsträger. (FAZ 23.2.13)

(Die FAZ macht dieselben Fehler wie andere, setzt sich aber darüber hinaus ganz bewußt über obligatorische Neuschreibungen wie rau hinweg und ist daher aus der Sicht der Schule, um derentwillen sie doch nachgegeben hat, die gefährlichste Zeitung Deutschlands. Zehetmair sollte vor ihr warnen.)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.03.2013 um 05.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#22809

Fremder: Das Trennen nach Gattungen, daß man weder denselben Begriff für einen anderen, noch einen anderen für denselben halte – wollen wir nicht sagen, dass gehöre zu der dialektischen Wissenschaft?
(...)
Den entscheidenden Schritt für ein Begriffsverständnis, dass unserem modernen mehr oder weniger entspricht, sieht Böhme erst bei Boëthius. (Wikipedia „Begriff“)

Auch bei der Wiedergabe griechischer Wörter gibt es viele Fehler, die schon seit Jahren dort stehen. Andere übernehmen alles buchstäblich auf ihre eigenen Websites.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 11.07.2013 um 10.13 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#23614

Zum Umgang der Süddeutschen mit Konjunktionen (SZ 11.7.13)

Ein Schmerzmittel, dass das Leiden, aber eben auch des [sic] Leben verkürzt, wäre damit wohl nicht vereinbar.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 12.07.2013 um 21.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#23641

Noch 'ne Konjunktion in der heutigen Süddeutschen auf Seite 1:

Washington hat im vergangenen Dezember ein Gesetz erlassen, dass russischen Staatsbürgern, die im Zusammenhang mit dem Tod Magnitskijs stehen, die Einreise verwehrt und ihre Vermögen einfriert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.07.2016 um 14.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1325#32833

In dem wundervollen Buch „Digitale Führung“, dass ich zusammen mit Thomas Schutz geschrieben habe und das die Tage erscheinen wird, gibt es u.a. ein Kapitel mit der Überschrift „Führung verkörpern“. (http://medienmosaik.de/2016/01/fuehrung-verkoerpern/)

Auch sonst wundervoll.
 
 

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