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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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27.03.2005
 

Reihendienst

Wie Zabel einmal sehr treffend schrieb, haben sich die Reformer seinerzeit „den Auftrag geholt“, die deutsche Rechtschreibung zu reformieren.

Der Anstoß kam also keineswegs von den Kultusministerien oder gar vom Bundesinnenministerium. Was den nordrheinwestfälischen Staatssekretär Besch und seinen Mitarbeiter und Nachfolger Niehl eigentlich bewogen hat, sich derart für die Reform zu engagieren, ist nicht bekannt; sie waren aber eher Ausnahmen. Zwischen den politischen Auftraggebern, besonders also der „Arbeitsgruppe Rechtschreibreform“, und den Reformern gab es einen umfangreichen Schriftverkehr, aus dem man überall die Abneigung der Ministerialbeamten gegen die Reformer und ihre Pläne herausspürt. Man lese bei Zabel („Wüteriche“ 1996) die Stellungnahmen kurz vor den dritten Wiener Gesprächen nach. Je mehr die Reform später ihre Mängel offenbarte, desto mehr verfluchte man die Reformkommission im Generalsekretariat der KMK. Leute wie Krimm, Pauly u. a. waren viel zu klug, um in Augst und seinen Genossen nicht lästige Wichtigtuer zu sehen. Nachdem ihre obersten Dienstherren das Reformprojekt unterschrieben hatten, betrieben die Ministerialräte das Unternehmen jedoch mit der gewohnten Kompromißlosigkeit und ließen keine Vorbehalte mehr durchschimmern. Die dunkle Geschichte um Kanther/Bergsdorf/Palmen-Schrübbers (Spitzname im BMI: „heilige Dreifaltigkeit“) wird sich wohl so bald nicht aufklären lassen; ob die Akten im Strafprozeß gegen Kanther etwas Einschlägiges enthalten, ist nicht bekannt.

Die Reformergruppe selbst hatte sich durch Selbstergänzung (Mentrups „Reihendienst“) aus der Kernmannschaft entwickelt, die schon im Dritten Reich reformerisch tätig gewesen war. Neu war der kulturrevolutionäre Impuls der emanzipatorischen Pädagogik; das Projekt wurde dadurch ein zunächst vor allem gewerkschaftliches, linkes. Durch die Einbeziehung konservativer Politiker wie Zehetmair konnte die politische Rechte es sich aneignen, so daß heute derselbe Anspruch von Bodo Hombach (SPD) und Dirk Metz (CDU) geltend gemacht werden kann, wenn beide fast gleichlautend der freien Presse das Recht absprechen, die von ihr für richtig gehaltene bewährte Orthographie zu verwenden.

Der Angriff gegen die Presse ist bei Hermann Zabel vorgezeichnet:

»Meiner Ansicht nach würden Journalisten oder ganze Redaktionen ihre Kompetenzen überschreiten, wenn sie sich der Reform gegenüber total verweigern. Die Medien sollten diesen mühsam erreichten politischen Konsens in einer Demokratie akzeptieren.« (FOCUS 25.11.1996)

Unmittelbar zuvor hatte er die Selbstverständlichkeit wiederholt, daß außerhalb von Schulen und Behörden weiterhin jeder schreiben dürfe, wie er es für richtig hält. Das Hinüberspielen des Themas auf das Gebiet der Demokratie ist ein rhetorischer Trick. Weder ist die Orthographie ein Gegenstand demokratischer Abstimmung noch wäre eine solche verbindlich, selbst wenn die Bevölkerung sich etwa in einer Volksabstimmung oder auch in den Parlamenten dazu geäußert hätte – was man aber gerade mit allen Mitteln zu verhindern suchte.

Ministerin Karin Wolff, nach Meinung der Schulbuchverleger die „Wortführerin“ der Reform (und der Verlagslobby), läßt sich auf der Internetseite des Ernst Klett Verlages so vernehmen:

»Die Debatte um die neue Rechtschreibung, die von einigen Chefredakteuren angezettelt wurde, schürt Verunsicherung und Unklarheit, die auf dem Rücken und auf Kosten junger Leute ausgetragen wird. Hier geht es nicht darum, dass etwas Bewährtes noch besser wird. Um Inhalte geht es nicht. Es geht vielmehr um die Machtfrage, wer in diesem Land Politik gestaltet. Hessen setzt diesem Chaos politische Verlässlichkeit und inhaltliche Information entgegen. Politik heute so und morgen anders ist mit uns nicht zu machen. Nicht Zeitungsüberschriften bestimmen die Inhalte einer guten Politik, sondern die Richtigkeit des Inhalts muss die Orientierungsgröße für die Politik sein.«



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