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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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15.02.2006
 

Aus dem Leben eines Rechtschreibrates IV
November 2005

Notizen von der 7. Sitzung des Rates für deutsche Rechtschreibung (25.11.2005)

Diesmal fehlen 12 Mitglieder: Meraner, Feller, Lindauer, Laher, Zilk, Lusser, Eckinger, Eisenberg, Ossner, Fürstner, Kaiser, Scholz. Für die KMK ist Funk anwesend.

Die KMK will am 2.3.2006 über die bis dahin vom Rat korrigierten Teile abstimmen. Hierdurch entsteht ein Termindruck, gegen den Zehetmair die Unabhängigkeit des Rates verteidigt, aber auch er will bis dahin zu einem gewissen Abschluß kommen. (Dieses Argument wird später gegen eine umfassendere Behandlung der Groß- und Kleinschreibung geltend gemacht.) Möglicherweise muß im Februar zweimal getagt werden.

Nächste Woche sollen die anzuhörenden Gremien die Vorlagen bekommen: Goethe-Institut, Eltern- und Schülervertreter usw. In der Schweiz organisiert das die EDK (mit möglicher „Vernehmlassung“), in Österreich die Regierung.

Besch fragt, ob Aussicht auf wohlwollende Behandlung durch die KMK besteht. Zehetmair bejaht das vorsichtig.

Die Vorlage zur Worttrennung wird mit kleinen Änderungen angenommen (die beiden Gegenstimmen von Sitta und mir; Sitta hat aber keinen Ton dazu gesagt, war auch letztes Mal nicht anwesend, man weiß also nicht, warum er dagegen ist. Er ist überhaupt gegen jede Änderung der RSR, Blockade aus Prinzip.)

Die Vorlage zur Zeichensetzung wird nach kleinen Änderungen mit großer Mehrheit angenommen, ich enthalte mich. Meiner Ansicht nach richtet die Neuregelung nun keinen großen Schaden mehr an, ich finde aber die Entgrammatisierung und den vagen Bezug auf das Verdeutlichen der Gliederung rückschrittlich. Eisenberg hatte noch ein Papier geschickt, in dem er ebenfalls den Rückschritt in der Qualität der Ergebnisse kritisiert, aber zur Hinnahme neigt.

Schrodt eröffnet die von ihm verlangte Erörterung des Verfahrens der Einsetzung von Arbeitsgruppen. Zehetmair bedauert nochmals die Mißverständnisse vom letzten Mal. Ich berichte den Hergang aus meiner Sicht, der dazu geführt hatte, daß ich auf Bitte von Eichinger einen umfassenden Entwurf auf der Grundlage des revidierten Regelwerks ausgearbeitet hatte.

Zur Groß- und Kleinschreibung: Pörksen erklärt, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wolle dazu eine Arbeitsgruppe, aber wie auch in Eisenbergs nachgereichtem Papier zu lesen ist, will die Akademie das Thema kleinhalten. (Im Text wird wieder Eisenbergs Bestreben deutlich, die Rechtschreibreform um jeden Preis zu retten, wie schon seit 1996. Er hat darüber auf der Herbsttagung der DASD berichtet und angeblich den dringenden Auftrag erhalten, den bekannten Kompromißkurs weiterzuverfolgen.)

Obwohl viele das Thema gar nicht anfassen und eigentlich keine AG dazu wollen (Schrodt, Hoberg, Banse ...), wird sie eingesetzt, und es stimmt nur Steiner noch dagegen.Wie ich jedoch vorausgesehen hatte, wird der Themenbereich mit 32 : 2 Stimmen von vornherein begrenzt auf die vier Punkte aus Gütherts Begleitschreiben:

• „die Schreibung des Anredepronomens du in Briefen
• die Schreibung von festen Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv (sog. Nominationsstereotypen)
• Einzelschreibungen, die im Zusammenhang mit der Getrennt- und Zusammen-schreibung stehen (§ 34 E3(5) und § 55(4) des Regelwerks von 2004) bzw. deren Einstufung als Substantiv umstritten ist (wie insbesondere die bereits in den Voten genannten Fälle zu Eigen machen, Recht haben, Pleite gehen)
• die Abstimmung der Schreibung von Pronomina (§ 58(4)) bzw. Kardinalzahlen (§ 58(5)) einerseits und unbestimmten Zahladjektiven (§ 57(1)) andererseits, vgl. auf allen vieren (gehen), der eine und Einzige usw.“

Ich wende ein, daß der Rat doch nicht vorab bestimmen könne, welche Punkte die AG im Laufe ihrer Arbeit als korrekturbedürftig erkennen werde. Der allgemeine Wille, das Thema niedrig zu hängen, wird durch Zehetmairs Wunsch unterstützt, bis März fertig zu werden und keine „Büchse der Pandora“ zu öffnen. Insgesamt schockierend sachfremde Argumente und genau die Art von „Politik“, die nach Zehetmairs erneuertem Bekenntnis („mea culpa“) nie wieder in die Schreibweise eingreifen soll. Ich bekomme zu spüren, daß ich wirklich der einzige Reformgegner im Rat bin. Eisenberg würde, wenn er da wäre, wenigstens noch die sprachliche Richtigkeit verteidigen, aber sein Wille zum Kompromiß (und sein Stolz auf seinen „zweitbesten“ Vorschlag) würde ihn ebenfalls auf die Seite der Reformdurchsetzer stellen. Man kann sich, jedenfalls in einer solchen Runde, auch gegen grammatische Argumente einfach taub stellen: man hört sich's an und geht zur Tagesordnung über. (Im nachgereichten Papier behauptet Eisenberg, bisher sei „nur und ausschließlich“ auf dem Wege des Kompromisses etwas erreicht worden. Das stimmt aber gar nicht, wenn man an die kompromißlose Rückumstellung der Presse denkt, den bisher größten Erfolg der Reformgegner.)

Zehetmair deutet an, daß er ständig Kontakt zu FAZ, Springer-Verlag und „Spiegel“ hat und daß diese zugesichert haben, einen tragbaren Kompromißvorschlag des Rates übernehmen zu wollen. (Dies ist meiner Ansicht nach die größte Gefahr, und sie ist sehr real, denn es gibt natürlich in diesen Unternehmen eine starke Tendenz zur Anpassung, genau wie im Rat. Hein meint, daß „daß“ jetzt schon altertümlich wirke und daß die abtrünnigen Zeitungen es gern loswären, wenn es denn ohne Gesichtsverlust möglich wäre.)

Zehetmair berichtet schmunzelnd, neulich in Peking habe er den „Spiegel“ gelesen und dabei ein „dass“ entdeckt, worin er ein Signal sieht, daß auch der „Spiegel“ allmählich wieder der Reformschreibung folge ... Hoberg ist so taktlos, ihm durch den Hinweis, der Spiegel habe nie rückumgestellt, die Pointe zu verderben.

Zehetmair versichert, die AG dürfe trotzdem auch andere Punkte besprechen, aber als es darum geht, die AG GKS zu besetzen und mich als ersten auffordert, lehne ich zunächst ab. Das hatte ich mir für diesen Fall schon vorgenommen, und die schon vernehmbaren Namen der anderen Mitarbeiter schreckten zusätzlich ab. Mit Rücksicht auf Zehetmairs offenbar dringenden Wunsch sage ich, daß ich mich zwar nicht hineindrängen, aber auch nicht verweigern wolle.

Banse (Schulbuchverlage) meldet sich ziemlich eifrig und verweist auf den „Brauch“, daß dieselben Mitglieder, die schon einmal in einer AG waren, nicht wieder in eine solche entsandt werden sollen. Von einem solchen „Brauch“ kann zwar keine Rede sein, denn es hat ja bisher erst zwei parallel arbeitende AGs gegeben, und in der Geschäftsordnung steht auch nichts davon, aber das Argument reicht, um mich wieder aus der Gruppe herauszuschießen. Wenige Minuten später bittet Pörksen dringend darum, Eisenberg noch dazuzunehmen, und nun applaudieren dieselben Mitglieder, obwohl doch Eisenberg gerade führendes Mitglied der AG GZS gewesen war! Der abwesende Eisenberg wird sofort aufgenommen. Nun wird es aber Jürgen Hein (dpa) zu bunt, er weist darauf hin, daß der Rat gegen eine Regel verstößt, die er drei Minuten vorher aufgestellt hat, um mich herauszuhalten. Dem können sich die anderen nicht verschließen, und Eisenberg fliegt wieder raus. (Im Protokoll wird es später heißen: „Während die deutsche Delegation die Linie verficht, jedes Mitglied nur einmal in eine AG zu schicken, stellt dies für die Schweizer Delegation keinen Maßstab dar.“)

Die AG besteht aus: Wolf, Krome, Kaiser, Blüml, Haider, Gallmann und Eichinger als Leiter.

Ein hoffnungsloser Fall. Wolf will gar nichts ändern, Blüml und Gallmann sind Altreformer, Gallmann wird alle in Grund und Boden reden, wie jetzt schon. Er wird die Großschreibung der Tageszeiten mit seinem skurrilen Argument verteidigen, man müsse Lexemklasse und syntaktische Wortart unterscheiden usw.

Abschließend wird alles mögliche besprochen. Haider will das ß ganz abschaffen. Jacoby berichtet, die s-Schreibung sei das einzige, was fast alle Autoren angenommen hätten. Es wird deutlich, daß der Rat hieran so wenig rühren wird wie an die Augstschen Etymogeleien. Hierzu sollte ich gar nichts beantragen, weil ich sofort sämtliche Ratsmitglieder gegen mich hätte, ganz sicher ohne jede Ausnahme, so ist der Rat nun mal besetzt.

Hauck kritisiert, daß viele Wörter beseitigt und nicht wiederhergestellt seien, statt dessen Varianten, Hoberg zieht seine bekannte Nummer ab: Varianten könne es gar nicht genug geben, die hätten eine großen „Charme“. Hauck spricht sich gegen zuviel Charme, für Lesbarkeit aus. (Wenn Hoberg etwas sagt, läuft es immer darauf hinaus, er sehe „nicht den geringsten Grund“, an der revidierten Neuregelung irgend etwas zu ändern. Auf linguistische Argumente läßt er sich niemals ein.)

Längere Diskussion darüber, wie man die Zeitungen an die Kandare nehmen könne. Der Vorschlag, die FAZ und Springer jetzt schon in die Entscheidungen einzubeziehen, wird als zu riskant empfunden. Zehetmair meint, mit dem Versuch, die abtrünnigen, aber im Grunde gutwilligen Verlage jetzt schon vor Entscheidungen zu stellen, könne man das Gegenteil bewirken. Es fällt das böse Wort, man dürfe die „Krawallmacher“ (FAZ, Springer, Spiegel) nicht noch belohnen, indem man ihnen besondere Aufmerksamkeit schenke. (Diese Äußerung des dpa-Vertreters solle aber nicht ins Protokoll; sie drückt allerdings die Mehrheitsmeinung treffend aus.)

Pasquay mahnt eine ausführliche Liste erlaubter und empfohlener Neuschreibungen an, Gallmann verweist auf „Was Duden empfiehlt“ und geht sogar quer durch den Saal, um Pasquay einzureden, sie müsse sich unbedingt dieses „ausgezeichnete“ Buch kaufen; mit seiner lauten Stimme stört er die weitere Verhandlung. Erstaunlich primitive Werbung, Gallmann ist ja einer von sechs Dudenleuten im Rat, Dudenchef Wermke wird es mit Wohlgefallen bemerkt haben.

Frau Siegel will wieder mal mit „Quiz“ und „spielerisch“ die Neuregelung populär machen und sehnt sich nach der (gut finanzierten) eigenen Website, um Propaganda für etwas zu machen, was es noch gar nicht gibt. Mit den Interessen des Schweizer PEN hat bisher noch keine ihrer Äußerungen zu tun gehabt, um so mehr mit ihrem eigenen Metier.

Blüml regt an, der Rat könne die Gespräche mit Software-Häusern wiederaufnehmen, die seinerzeit von der Kommission geführt wurden.

Belgien will Sitz und Stimme im Rat und wird nächstes Mal dabeisein.

Nach drei Stunden ist die Sitzung beendet.

Von diesem Rat ist kein brauchbarer Gesamtvorschlag zu erwarten. Ein Interesse an sprachlicher Richtigkeit ist nicht zu erkennen, es geht nur um schonende Korrektur und weitere Durchsetzung.




Nachbetrachtung

Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist nicht repräsentativ für die Bevölkerung und sollte es auch nie sein. Er ist ein Instrument für die reibungslose Durchsetzung der Reform. Als sichere Bastion der Reformdurchsetzer erweist sich seit 1999 die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Mit ihrem Kompromiß bietet sie sich den Kultusministern als Wunschpartner an. Die Forderung nach Rücknahme der Reform ist nicht mehr zu hören, so etwas kommt für die DASD überhaupt nicht in Betracht. Die Formel heißt seit vielen Jahren, die beste Lösung sei angesichts der Machtverhältnisse nicht zu erreichen, daher sei die zweitbeste anzustreben. Damit arbeitet die DASD gegen die mutigeren Zeitungsverlage, die ganz zurückgekehrt sind, und gegen die Interessen vieler ihrer Mitglieder. Warum die Mitglieder den Kompromißkurs schweigend hinnehmen, entzieht sich meiner Kenntnis. Es soll auch schon zu Mißhelligkeiten gekommen sein, besonders im Zusammenhang mit der von Wulf Kirsten organisierten Erklärung zahlreicher Mitglieder, die anderer Meinung waren und sind.
Die Zwischenstaatliche Kommission ist nicht zuletzt deshalb aufgelöst worden, weil sie mit der DASD nicht zusammenarbeiten wollte, sondern deren Kompromißvorlage rüde kritisiert hat. Damit überwog für die KMK die Liebe zur Akademie die Anhänglichkeit an die schon immer zwiespältig beurteilte Kommission. Auf Anregung der Ministerinnen Schavan und Wolff (und Reiche, der aber bald danach von Platzeck entlassen wurde) wurde mit der Kommission kurzer Prozeß gemacht und der neue Rat installiert, bezeichnenderweise mit gleich zwei Sitzen für den neuen Wunschpartner, der allerdings gar nicht so viele Orthographiefachleute in seinen Reihen hat.

Die Reparatur der Getrennt- und Zusammenschreibung schmerzte niemanden und war bei der Revision 2004 schon weitgehend durchgeführt oder vorbereitet. Bekanntlich erklärte die KMK aus heiterem Himmel die Groß- und Kleinschreibung für unstrittig und fügte hinzu, auf diesem Gebiet und den anderen noch unbearbeiteten seien vom Rat „keine Änderungsvorschläge zu erwarten“. Das war eine ausgesprochene Unverschämtheit, denn der Rat hatte sich noch keine Minute mit diesen Dingen befaßt, geschweige denn irgend etwas dazu verlautbart.
Der Versuch, die „unstrittigen“, im August verbindlich gemachten Teile zu tabuisieren, konnte nicht gelingen, aber nun versuchen sämtliche Ratsmitglieder, auch die DASD, den notwendigen Eingriff auf ein Minimum zu begrenzen. Nicht das sachlich Notwendige, sondern das bis Februar 2006 Machbare, das Durchsetzbare, das wirtschaftlich Verkraftbare usw. ist die Leitgröße.
Es gibt auch niemanden, der die Laut-Buchstaben-Zuordnung (ss, fff, Etymogeleien) noch einmal aufgreifen will, jeder Versuch wäre sofort zum Scheitern verurteilt. Dies wird also von der Reform bleiben, wenn es nicht gelingt, das Ganze zum Einsturz zu bringen. Verunzierungen, die uns für die nächsten Jahrzehnte Tag für Tag an das große Versagen der Sprachgemeinschaft erinnern werden, auch an die Komplizenschaft der DASD mit den Mächtigen. Wie werden „rau“ und „Stängel“ lesen und immer an Augst und sein Vermächtnis denken. Aber wir leben ja nicht ewig, das ist die große Hoffnung der Reformer. Der Quark tritt sich fest. Basso continuo der DASD: War zwar nicht notwendig, ist aber hinzunehmen, um nicht die ganze Reform zu gefährden. Zugleich erscheinen sämtliche Texte der DASD in herkömmlicher Orthographie, nicht einmal der Kompromißvorschlag ist in Kompromißschreibung gehalten – warum wohl? Sollen die gewöhnlichen Mitglieder nicht sehen, wie ihre Texte in Zukunft aussehen werden?
Ich habe Gerhard Storz, Dolf Sternberger, Karl Korn und andere noch gut gekannt und bilde mir ein, daß so etwas mit ihnen nicht möglich gewesen wäre.

Wie hoffnungslos die Lage ist, wird durch die jüngsten Äußerungen des Ratsvorsitzenden Zehetmair gegenüber einer Nachrichtenagentur deutlich (31.12.2005):

»Zehetmair sieht sich als Moderator bei der Rechtschreibreform

Berlin (ddp). Der Präsident des Rates für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, versteht sich als «Moderator» der deutschen Sprache. Er wolle die starren Fronten zwischen Gegnern und Befürwortern der Rechtschreibreform abbauen, sagte Zehetmair der Nachrichtenagentur ddp in Berlin.

Die Weigerung vieler Zeitungen und Zeitschriften, die neue Rechtschreibung anzuwenden, sowie die traditionellen Lesegewohnheiten der Deutschen hätten einen Kompromiss notwendig gemacht. Nach den Korrekturen an der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Silbentrennung sowie der Interpunktion entscheidet der Rat am 25. Februar über die letzten Veränderungen bei der Groß- und Kleinschreibung. Anfang März werden die Empfehlungen des Rates der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgelegt. Für die Schulen treten die Korrekturen am 1. August 2006 in Kraft. Insgesamt zieht der ehemalige bayerische CSU-Kultusminister eine positive Bilanz der bisherigen Arbeit des Rates für deutsche Rechtschreibung. Er sei mit dem Ergebnis „sehr zufrieden“, sagte Zehetmair ein Jahr nach Bestehen des Gremiums. Für das 2006 hofft er, nicht mehr so unter Zeitdruck zu geraten. „Der Rat soll in ruhigere Gewässer kommen", sagte er. Der Rat plane vorerst nicht, noch weitere Teile der Reform anzugreifen. Fremdwörter würden nicht sofort geändert. Hier werde man abwarten, welche Schreibart sich in der Öffentlichkeit durchsetzt.«


Es waren aber weder die Weigerung der Medien noch die Lesegewohnheit der Deutschen, die zur Gründung des Rates führten. Vielmehr fing schon die Zwischenstaatliche Kommission sofort nach ihrer Gründung im Frühjar 1997 – anderthalb Jahre vor dem Inkrafttreten der Reform – mit der Reparatur der fehlerhaften neuen Regeln an. Ihre Vorschläge wurden von der KMK abgelehnt. Im Sommer 2004 wurde die erste amtliche Revision durchgeführt. Der Rat für deutsche Rechtschreibung knüpfte hier an. Satzungsgemäß soll er den Sprachwandel beobachten und die Rechtschreibung daran anpassen, aber in Wirklichkeit ist er wie zuvor die Kommission mit nichts anderem als der Revision der mißlungenen Reform beschäftigt. Der „Zeitdruck“, unter dem der Rat bisher arbeiten mußte, existiert in Wirklichkeit nicht. Die Kultusminister mögen den Wunsch geäußert haben, spätestens im Sommer 2006 eine endgültige Regelung beschließen zu können, doch ist der Rat an solche Wünsche nicht gebunden. Sie decken sich allerdings mit dem Wunsch des Vorsitzenden und selbstverständlich auch der Mehrheit der Ratsmitglieder, die ja an der Durchsetzung der Reform interessiert sind.



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Kommentare zu »Aus dem Leben eines Rechtschreibrates IV«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.03.2006 um 17.22 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=415#3381

Interessanterweise endet das angeführte deutsche Material im Jahre 1998. Es gibt auch eine gekürzte Übersetzung vn Augst/Schaeders Pamphlet. Die weitere Verfolgung der deutschen Ereignisse hätte den englischen Reformern vielleicht die Lust genommen, ausgerechnet unsere Rechtschreibreform als Beispiel vorzustellen. Die genannte Schrift ist ja eher ein Schritt zum Abgrund gewesen. Es sind aber nicht die reformfeindlichen Kräfte, die das Debakel verursacht haben, sondern die Fehler der Reform selbst. Von Deutschland lernen heißt also: lernen, wie man es auf keinen Fall machen darf.
 
 

Kommentar von Bernhard Eversberg, verfaßt am 16.03.2006 um 15.34 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=415#3380

Es ist übrigens nicht so, daß es keine Bemühungen zur Reform der englischen Orthographie gäbe und kein Empfinden, daß sie Vereinfachung nötig hätte. Eine "Simplified Spelling Society" hat sogar eine Web-Präsenz:
http://www.spellingsociety.org/index.php
und man findet dort eine interessante Übersicht:
Other countries have reformed their spelling; so can we!
mit u.a. Material zur deutschen Reform.
 
 

Kommentar von Klaus Depold, verfaßt am 16.03.2006 um 11.32 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=415#3376

Sinnvoll wäre nur die vollständige Rücknahme der zwangsweise eingeführten Regelungen und eine Fortsetzung der Tätgikeit der verschiedenen Verlage (Duden etc.), "behutsam" das ein oder andere Wort (meinetwegen auch kätschap) bzw. ggfs. - wenn vertretbar - die ein oder andere Schreibweise einzuführen bzw. zuzulassen etc. Stellt man fest, daß sich das neue nicht durchsetzt, verschwindet es schlicht bei der nächsten Ausgabe wieder. Warum nicht.
Es sollte mithin aber nicht um Vorgaben, sondern um ein Nachzeichnen einer bereits jeweils beendeten Entwicklung (im Sinne eines Zwischenergebnisses) statfinden. Sprache steht nie fest.
Platz für eine staatliche Institution könnte allenfalls für die Beantwortung erklärter bzw. erkannter Zweifelsfälle sein.
Der große Fehler der Reform, und die daraus resultierenden Probleme bis hin zur Ablehnung folgen m.E. aus dem verfehlten Ansatz, willkürlich etwas "verbessern" zu wollen, ohne das diese Verbesserungen etwas mit der Realität zu tun haben. Die Reform hätte der Entwicklung folgen müssen (dann hätten wir sie aber nicht gebraucht, denn dafür sind bzw. waren die Verlage da) und nicht eine Entwicklung der Reform (eine Zwangsentwicklung ist keine Enwtciklung, sondern eine Krankheit).

Ich hoffe inständig, daß der ganze Quatsch scheitert. Machen Sie bitte weiter.

Drei Aspekte aber noch, die, soweit ich es übersehe, wenig diskutiert wurden:
1. Bei staatlichen Eingriffen stellt sich mir neben der Frage der Ermächtigung grundsätzlich auch die Frage nach dem Nutzen. Hat jemand eine Kosten/Nutzen Relation aufgestellt? Jeder Eingriff kostet Geld, da ich etwas ändern muß. Also z.B. die Teilabschaffung bzw. Teilumstellung der ß-Schreibweise. Wem hilft das? Was bringt das? Schreibe ich statt "gestern abend" nun "gestern Abend" verdiene ich keinen Euro mehr, habe nur Kosten. Also beantworten Sie mir doch die Kardinalfrage: Wieso und wozu?

2. Sind eigentlich die internationalen Schriftsteller in die Diskussion involviert? Mit Bedauern habe ich festgestellt, daß praktisch alle aus dem fremdsprachigen Raum satmmenden Bücher nach den neuen Regeln respektive nach den gerade aktuellen "Hausregeln" des jeweiligen Verlages übersetzt worden sind. Dies ist sicherlich ein extrem bequemes und leider auch sehr breites Einfallstor für die Reformbefürworter. Einem südamerikanischen Schriftsteller dürfte es ja leider, wird er nicht sensibilisiert, völlig egal sein, was hier geschieht. Im Zweifel ist jeder froh, wenn sein Buch überhaupt übersetzt und verlegt wird. Und ihm (dem Schriftsteller) muß das Thema ja auch erst einmal bekannt sein.

3. Seit wann sind eigentlich staatliche Institutionen mit der Erarbeitung der aktuellen Rechtschreibreform beschäftigt und - dies ist die eigentliche Frage - wieviel manpower ist dabei draufgegangen? Gibt es Kostenaifstellungen auch über die diversen Tagungen der Personen? Es mußten doch sicherlich viele Abstimmungen mit Italien, Schweiz, Österreich, Lichtenstein, Rußlanddeutsche(?) geführt werden.

Ich meine dazu ergänzend, daß in einem Land wie dem unsrigem mit derart extremen Problemen in jeglicher Hinsicht, man jede Hand für sinnvolle Tätigkeiten gebrauchen könnte. Gerade "sprachbegabte" Mitarbeiter könnten in Gesetzgebungsverfahren begleitend eingeschaltet werden, damit zum einen auch inhaltlich das geregelt wird, was geregelt werden soll und zum anderen das, was geregelt werden soll, auch geregelt wird. Das "Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen" hat iin seiner ersten Fassung dazu geführt, daß Forderungen zwingend erst nach 30 Tagen fällig wurden, also grds. Restaurantrechnungen nicht nach dem Verzehr auszugleichen waren, sondern eben erst nach 30 Tagen. Es war unmittlebar eine Reform der Reform notwendig. Die kam, da man sich ja in diesem Fall nicht rausreden konnte.

Bleiben Sie tapfer.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Depold
 
 

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