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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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25.09.2005
 

Absurdes Theater
Malari-aerreger, Raphi-abast, Bläu-epilz usw.

Was denken sich Wörterbuchredaktionen, wenn sie solche Trennungen aufzunehmen beschließen? Die Reformer selbst haben an solche Fälle offenbar gar nicht gedacht.
Am Ende eines Wortes ist die Abtrennung einzelner Vokalbuchstaben genauso sinnlos wie am Anfang, aber die Reformer haben sich dazu ein Begründung einfallen lassen, die an sich schon ganz typisch ist: der Trennungsstrich nehme ebenso viel Platz ein wie der abgetrennte Buchstabe. Also nicht die Sinnlosigkeit solcher Trennungen, sondern ein rein formaler Grund wurde geltend gemacht. Nun sind die Redaktionen unvermeidlicherweise auf die Zusammensetzungen gestoßen, für die das Argument offenkundig nicht mehr gilt. Um sich kein Versäumnis nachsagen zu lassen, haben sie dann beschlossen, die oben angeführten Trennungen tatsächlich durchzuführen. Bei solchen Redaktionssitzungen wäre ich gern mal Mäuschen gewesen. Man könnte sicher ein absurdes Theaterstück daraus machen, etwa im Stil von Ionescos "Unterrichtsstunde".
Daß jeglicher Sinn und der gesunde Menschenverstand dabei unter die Räder kommen, spielt für diese Leute keine Rolle. Daher ja auch die bewußten Verstöße gegen die Grammatik bei der GKS.

Die Redaktionen von Duden und Wahrig sind durch die nun seit neun Jahren dokumentierten Verrücktheiten so korrumpiert, daß man sie auf lange Zeit nicht mehr ernst nehmen kann.



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Kommentare zu »Absurdes Theater«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 23.01.2016 um 08.01 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#31420

Beim Lesen von Texten aus den ersten Jahren der Rechtschreibreform frage ich mich manchmal: Was hat es zu bedeuten, daß die Reformer die Abtrennung einzelner Buchstaben (Ü-bergang) dann doch recht widerstandslos wieder gestrichen haben? Wie leichtfertig muß die Neuregelung überhaupt erst eingeführt worden sein? Sie geschah gegen das überwältigende Zeugnis der gesamten deutschen Literatur der letzten 200 Jahre, nur aus dem Wunsch heraus, daß schon Erstkläßler hier keine Fehler mehr sollten machen können. War es das wert?
 
 

Kommentar von Dr. Konrad Schultz, verfaßt am 26.10.2005 um 12.04 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1254

Es gibt Gedankenstriche, Trennstiche, Bindestriche und vieles mehr. Aber Trennstriche gibt es nur in einer Länge. Dafür aber gibt es etwa im Systsystem TeX, anders als in einem üblichen Schreibprogramm, mehr oder weniger gute Trennungen bis Nottrennungen: Das System versucht, möglichst gut zu trennen, so daß das Ergebnis gut lesbar ist und auch gefällig aussieht. Man mag etwa mal in die Trenndatei dehypht.tex gucken ("t" bedeutet traditionelle Silbentrennung, die Alternative interessiert mich nicht). Hier sind Wortteile mit Ziffern 1 bis 8 gespickt, je nach dem, an welchen Stellen eine Trennung mehr oder weniger empfehlenswert ist.
 
 

Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 25.10.2005 um 22.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1253

Ich denke, hier ist nicht der Raum in mm oder einem anderen Längenmaß gemeint, sondern die Anzahl der Zeichen. Trotzdem ist natürlich die Begründung hanebüchen und zeigt exemplarisch, daß die Rechtschreibung für die Reformer tote Materie, man könnte sagen: Buchstabensalat, war.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 25.10.2005 um 21.49 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1252

Ich möchte hier nicht auf die Frage eingehen, ob Begründungen in einem Regelwerk am rechten Platze sind oder nicht. Vielmehr möchte ich bezweifeln, daß die von den Reformern für die Nichtabtrennung eines einzelnen Buchstaben am Wortende gegebene Begründung überhaupt richtig ist. Meines Erachtens ist die Behauptung, der Trennstrich nehme genauso viel Platz ein wie ein Buchstabe, jedenfalls in dieser Allgemeinheit, einfach falsch.
Die Aussage trifft zu für herkömmliche, mechanische Schreibmaschinen, denn dort nehmen tatsächlich alle Buchstaben die gleiche Breite ein. Sie gilt aber nicht für Proportionalschriften, wie sie bei gedruckten Texten verwandt werden. Denn dort nehmen die Buchstaben nur den Raum ein, der ihrer tatsächlichen Breite entspricht. Also nimmt ein a mehr Raum ein als ein i.
Es stellt sich dann die Frage: Wie breit ist denn der Trennstrich? Möglicherweise verwenden Drucker (oder Computerprogramme) auch Trennstriche unterschiedlicher Breite?
Gibt es in diesem Forum einen Fachmann, der mehr darüber weiß?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 29.09.2005 um 05.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1022

Herr Glück hat auf die Absurdität hingewiesen, daß bei den Trennregeln - wie so oft bei dieser Reform - nicht das Ziel erreicht wird, Merkmale von Bildung und Intelligenz aus dem Schreiben zu verbannen, sondern das Gegenteil kam dabei heraus. Um dieses Fazit mit Ausrufezeichen festzuhalten, muß man keinen Bildungsdünkel haben.

Hervorzuheben ist auch immer wieder, wie absurd das Ziel selbst schon war und ist, gerade auf den Schulunterricht bezogen. Auf den Punkt gebracht: Die Schule soll möglichst nichts vermitteln, was nach Bildung aussehen könnte. Dieses Staatsziel ist derart bescheuert ... Kein Wunder, daß der Versuch mißlingt.

Natürlich ist auch der Hinweis von Herrn Lachenmann wichtig.
 
 

Kommentar von Walter Lachenmann, verfaßt am 28.09.2005 um 22.51 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1021

A. Glück: Allein schon an der Trennung kann man künftig erkennen, wer gebildet ist und wer nicht!

Man wird damit leben müssen, daß inzwischen auch »Gebildete« - ein außerordentlich schwammiger Begriff, mit dem wenig Konkretes beschrieben wird - in »neuer« Rechtschreibung schreiben oder das zumindest nach bestem Verständnis versuchen. Es gab schon immer nicht unbeträchtlich viele Menschen, die nach den bestehenden Rechtschreibregeln fehlerfrei schreiben konnten, ohne darüber hinaus besondere Bildungsqualitäten zu besitzen. Es war - und ist - in der Regel ein wenig sympathischer Menschenschlag. Und umgekehrt gab es schon immer hochgebildete Menschen, die nicht fehlerfrei schreiben können oder denen dieser Aspekt des Schreibens nicht wichtig ist. Auf den höheren »Bildungsgrad« der Reformgegner abzuheben, mag ja ein gewisser Trost in der etwas aussichtslos erscheinenden derzeitigen Situation sein, man macht sich damit aber etwas vor. Nicht anders, als wenn man sich über den Untertanengeist oder sonstige Charakterschwächen derjenigen meint erheben zu müssen, die keinen Grund sehen, sich bei ihren schriftlichen Äußerungen nicht um die Anwendung der "neuen Rechtschreibung" zu bemühen, was auch immer dabei herauskommen mag.

Das Thema ist vielen Menschen, auch gebildeten und charakterlich nicht weniger integren als wir alle es für uns in Anspruch nehmen, einfach nicht wichtig. Das sollte man, wenn man schon meint, es nicht respektieren zu können, dann doch wenigstens nüchtern zur Kenntnis nehmen. Die Kritik an der Sache selbst muß deshalb nicht aufhören.
 
 

Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 28.09.2005 um 19.40 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1019

Auch hier zeigt sich ein Grundsatz der Reform, nämlich der, die Regelung im Zweifelsfall "zugunsten" des Schreibenden zu treffen; es soll ja niemand wegen mangelnder Bildung "falsch" (im Sinne einer Regelabweichung) schreiben.

Genau dieses Ansinnen läuft auf das Gegenteil hinaus: Allein schon an der Trennung kann man künftig erkennen, wer gebildet ist und wer nicht!
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 28.09.2005 um 18.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1017

P. Nemec: Der Bildungstest ist § 112: "Wörter, die sprachhistorisch oder von der Herkunftssprache her gesehen Zusammensetzungen sind, aber oft nicht mehr als solche empfunden oder erkannt werden, kann man entweder nach § 108 bis § 110 oder nach § 111 trennen."

Auch hier zeigt sich ein Grundsatz der Reform, nämlich der, die Regelung im Zweifelsfall "zugunsten" des Schreibenden zu treffen; es soll ja niemand wegen mangelnder Bildung "falsch" (im Sinne einer Regelabweichung) schreiben.
 
 

Kommentar von Pavel Nemec, verfaßt am 28.09.2005 um 18.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1016

Der Bildungstest ist § 112: "Wörter, die sprachhistorisch oder von der Herkunftssprache her gesehen Zusammensetzungen sind, aber oft nicht mehr als solche empfunden oder erkannt werden, kann man entweder nach § 108 bis § 110 oder nach § 111 trennen."
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 27.09.2005 um 20.48 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1013

Seit jeher gilt lt. Duden die Regel, daß von mehreren Konsonanten der letzte auf die nächste Zeile kommt, worauf ja schon hingewiesen wurde. M. W. hat es nie einen Zweifel gegeben, daß diese Regel ausnahmslos, also auch nach langer Silbe gilt. Daß der Duden dabei keine Beispiele für lange Silben gegeben hat, mag Absicht sein, um den Widerspruch zur Grundregel der Trennung nach Sprechsilben nicht zu deutlich zu machen.
Schließlich ist die Trennung nach Sprechsilben die Grundaussage von R 178 (Duden 1991).
Daß die Spezialregeln von R 178 aber Ausnahmen von der Grundregel nach sich ziehen, ergibt sich klar aus der weiteren Regel, daß Einzelbuchstaben nicht abgetrennt werden, denn A-bend ist eindeutig eine durch die Spezialregel verbotene Trennung nach Sprechsilben.

Die Reformer haben an der Mehrkonsonantenregel nichts geändert, aber deutlicher auf die sich daraus ergebenden Ausnahmen hingewiesen. In den Amtlichen Regeln wird die Trennung wid-rig ausdrücklich als solche Ausnahme erwähnt.

Zum Einwand von Herrn Wrase:
Es trifft zu, daß einsilbige Wörter eine Ausnahme bilden zu der allgemeinen Gesetzmäßigkeit des Deutschen, wonach geschlossene Silben kurz, offene Silben lang sind. Sobald die einsilbigen Wörter Endungen erhalten, gilt das Gesetz wieder: lie-be, Hüh-ner, Rö-mer, Ta-ge.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 27.09.2005 um 11.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1009

Man könnte die Trennung Kek-se unter R 178 subsumieren, nach der von mehreren Konsonanten der letzte auf die folgende Zeile kommt. In dieser Fallgruppe sind aber nur Beispiele mit offenen Silben aufgeführt. Man könnte also auch zu dem Schluss kommen, dass der Fall Kekse gar nicht eindeutig geregelt war. Herr Achenbach hatte ja gerade ein Problem mit geschlossenen langen Silben. Oder welche Richtlinie habe ich übersehen?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.09.2005 um 11.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1008

R 162 (Mannheim 1973).
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, verfaßt am 27.09.2005 um 10.54 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1007

Da mir das seit fast dreißig Jahren bekannt ist, habe ich gestern natürlich auch im Richtlinienteil nachgesehen, bin dort aber nicht fündig geworden. Vielleicht kann mir jemand meine ernst gemeinte Frage ernsthaft beantworten. Auf welche Richtlinie soll sich diese Trennung stützen?
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 27.09.2005 um 10.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1006

Merke: Ein Duden besteht nicht nur aus dem Wörterverzeichnis.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, Den Haag, verfaßt am 27.09.2005 um 09.05 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1004

Und welcher Duden (Mannheim/Leipzig?, Auflage?) soll die Trennung Kek|se oder überhaupt irgendeine Trennung der Pluralform vorgeschrieben haben?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 27.09.2005 um 00.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1003

Was soll an geschlossenen langen Silben - lieb, Rom, Huhn, Tag - unmöglich sein?
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 26.09.2005 um 22.57 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1002

Die "Unmöglichkeit kurzer offener Silben" wurde allerdings schon von den herkömmlichen Trennungsregeln ignoriert: z.B. He-xe. Phonetisch richtig wäre die Trennung Hek-se - übrigens im Gegensatz zu der schon vom alten Duden verbotenen phonetischen Trennung Ke-kse. Trotz der Unmöglichkeit geschlossener langer Silben schrieb der Duden seit jeher die Trennung Kek-se vor.
 
 

Kommentar von Pavel Nemec, verfaßt am 26.09.2005 um 17.29 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1001

Etymologisch richtig müßte "Mal-aria" getrennt werden, denn das Wort komt vom italienischen "mala aria" = schlechte Luft.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, Den Haag, verfaßt am 26.09.2005 um 16.42 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#1000

W. Wrase: Eine feine Unterscheidung! Nach meinem Dafürhalten kann man sehr wohl von "in die Irre führen" reden, wenn der Leser anschließend "verwirrt" ist. [...] Wenn er [...] die Folge See•- sieht, zum Beispiel Seeu-, so schließt er blitzschnell, daß es sich wohl um etwas anderes handelt als um See- plus Fortsetzung. Zumindest bleibt seine Erwartung in der Schwebe, er rechnet damit, daß der Tip "See + ••••" verworfen werden muß; die Folge Seeu- präsentiert sich zeitweilig als Geheimnis.

Und genau da liegt für mich der feine Unterschied. Seeu- ist für den Leser in der Tat ein Geheimnis, seine Erwartung bleibt in der Schwebe. Sprecher- dagegen (wie in dem ebenfalls in § 111 aufgeführten Beispiel Sprecher-ziehung) lässt nichts in der Schwebe, ist auch nicht weiter geheimnisvoll, sondern weckt die feste Erwartung, dass es sich um eine Zusammensetzung mit dem Substantiv Sprecher handelt, was nicht der Fall ist. Das eine erzeugt Konfusion im Sinne einer unbestimmten Ratlosigkeit, das andere lässt den Leser ins offene Messer einer konkreten Fehlvorstellung laufen, und diese zweite Fallgruppe beschreibt – nach meinem Sprachgefühl – das Wort „irreführend“ treffender als die erste. Das macht das eine nicht weniger schlimm als das andere. Auch ich empfinde solche Düpierungen als das, wofür Sie, Herr Wrase, in Ihrem Schlusstusch eine so passende Vokabel gefunden haben.

 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 26.09.2005 um 12.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#998

R. M.: Mit dem Ende der Deutungshoheit der Zwischenstaatlichen Kommission könnte man zur vernünftigeren Auslegung der Regeln zurückkehren. Besser wäre aber natürlich eine Neuformulierung, die sich nicht in vulgärtypographischen Betrachtungen (»ist überflüssig«) und stilistischen Empfehlungen (»sollte man vermeiden«) verliert.

Konsens: Die verschiedenen Rechtschreibregelungsgremienmitglieder und Wörterbuchredaktionen haben das Regelwerk nur unterschiedlich interpretiert; es kommt aber darauf an, es zu verändern. Wenn die Brauchbarkeit der Orthographie auf Dauer von einer "vernünftigeren Auslegung der Regeln" abhängt, führt kein Weg daran vorbei.
 
 

Kommentar von Alexander Glück www.glueck.eu.tt, verfaßt am 26.09.2005 um 12.06 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#997

Das Problem mit den Metzgertrennungen kommt teilweise auch vom neuen Ethos der digitalen Textverarbeitung her. Der Computer tastet nun einmal Information für Information ab, und wir gewöhnen uns allmählich daran, dies für richtig zu halten. Im Endeffekt läuft das auf folgende Trennmöglichkeiten hinaus:

M-a-l-a-r-i-a-e-r-r-e-g-e-r.

Wie sich schon vor längerer Zeit herumgesprochen hat, liest der Mensch nicht Buchstabe für Buchstabe, sondern Wortbild für Wortbild (ein Umstand, dem übrigens die Frakturschrift mit ihren Oberlängen und Ligaturen eine von Haus aus bessere Lesereignung verdankt, aber das nur nebenbei). Wir erfassen also:

Malaria-erreger.

Jede weitere Trennung macht die Sache schon etwas komplizierter, wir müssen dann zumindest Teilwortbilder vorfinden, die sich möglichst schnell erkennen lassen, wenn die Erleuchtung nicht erst in der nächsten Zeile kommen soll. Daher trennt man [ck] sinnvoll zu [k-k] und läßt [st] ungetrennt. Daher trennt man See-ufer. Daher trennt man Bio-top und nicht Bi-otop. Bi- ist zwar eine sinnvolle Vorsilbe, aber Otop ist nichts sinnvolles.

Das Problem rechtschreibgehudelter Zuschriften läßt sich, zumindest bei Emails, mit einer kreativen Veränderung der häufigen "delivery failed"-Meldungen beantworten. Ich habe in einem besonders schweren Fall eine scheinbar automatische Meldung zurückgeschickt, des Inhalts, aufgrund zu zahlreicher Fehler habe die Nachricht nicht zugestellt werden können. Zwanzig Minuten später kam sie erneut — und tiptop.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 26.09.2005 um 11.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#996

Wie Herr Wagner richtig sagt, ist die Neuregelung auf das Ziel der "Beseitigung von Ausnahmen" fixiert. Mit besonderer Sturheit wurde der Grundsatz durchgeführt, daß Sprechsilben um jeden Preis getrennt werden können müssen. Dabei hat man einiges übersehen. Erstens den Verstoß bei ck (gegen § 3). Zweitens noch allgemeiner die Unmöglichkeit kurzer offener Silben: e-xorbitant, he-raus. Drittens das Fremdwortproblem in bildungspolitischer und pädagogischer Hinsicht (Res-pekt). Viertens Sinn und Zweck des Trennens überhaupt.
 
 

Kommentar von Bernhard Berlinger, verfaßt am 26.09.2005 um 07.03 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#995

Jede gute Redaktion und jeder gebildete Schreiber sollte eigentlich von sich aus darauf achten, dass keine sinnentstellenden oder irreführenden Trennungen stehenbleiben. So sollte man also zum Beispiel See-ufer mit weichem Trennstrich von Hand trennen, wenn die Software partout Seeu-fer trennen möchte. Das ist eine Frage des guten Stils und für professionelle Software kein Problem. Gute Redaktionen haben dazu Korrekturabteilungen, die sich um solche Feinheiten kümmern, schlechte haben sie nicht. Die Qualität der Redaktionen lässt sich also sehr leicht an den Trennungen erkennen.

Ich reagiere, indem ich schlecht getrennte oder schlecht interpunktierte Texte einfach nicht kaufe oder nicht lese. Das spart viel Zeit und Geld. Und wenn ich den Mist lesen muss, weil er von einem Amt oder einem Rechtsanwalt, Professor oder - Gott behüte - Lehrer kommt, dann korrigiere ich das Original und sende es zurück mit der Bitte, mir es doch noch einmal in korrekter Überarbeitung zukommen zu lassen. Bewirken tut es nichts, doch ich habe meinen Spass.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 26.09.2005 um 01.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#993

Von einer „irreführenden“ Trennung kann etwa im Falle des dort genannten Beispiels Seeu-fer keine Rede sein, da es das Wort *Seeu ja nicht gibt. Insofern wird der Leser hier nicht in die Irre geführt, sondern allenfalls verwirrt.

Eine feine Unterscheidung! Nach meinem Dafürhalten kann man sehr wohl von "in die Irre führen" reden, wenn der Leser anschließend "verwirrt" ist. Warum ist er denn verwirrt? Weil er sich beim Lesen vorübergehend etwas anderes vorgestellt hat; weil sich sein vorübergehendes Rätselraten erst am Ende mit einem Ach-so-Erlebnis auflöst. Er erwartet nämlich, und das kann ihm keine Rechtschreibreform so schnell austreiben, daß eine Zusammensetzung See•••• (= See + ••••) folgendermaßen getrennt wird: See- ••••. Wenn er nun die Folge See•- sieht, zum Beispiel Seeu-, so schließt er blitzschnell, daß es sich wohl um etwas anderes handelt als um See- plus Fortsetzung. Zumindest bleibt seine Erwartung in der Schwebe, er rechnet damit, daß der Tip "See + ••••" verworfen werden muß; die Folge Seeu- präsentiert sich zeitweilig als Geheimnis. Einen solchen Vorgang kann man mit Fug als "in die Irre führen" bezeichnen. Oder kraftvoll und treffend als Leserverarschung.

 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 25.09.2005 um 21.51 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#992

Der Duden 1996 hatte See|ufer, der Duden 2004 hat See|u|fer. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Mit dem Ende der Deutungshoheit der Zwischenstaatlichen Kommission könnte man zur vernünftigeren Auslegung der Regeln zurückkehren. Besser wäre aber natürlich eine Neuformulierung, die sich nicht in vulgärtypographischen Betrachtungen (»ist überflüssig«) und stilistischen Empfehlungen (»sollte man vermeiden«) verliert.
 
 

Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 25.09.2005 um 19.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#991

R. Markner: Solche Trennungen sind mit § 111 nicht in Einklang zu bringen. Letzte Zweifel hätten die Autoren der Amtlichen Regelung ausräumen können, wenn dort auch auf § 107 verwiesen worden wäre.

Implizit gibt es diesen Bezug zu § 107, steht doch direkt vor § 108: "Dabei gilt im Einzelnen:" – als ob §§ 108–112 quasi nur Unterpunkte von § 107 wären. Aber gerade nach § 107 wäre es gerechtfertigt, Malari-aerreger etc. zu trennen, und zwar genau mit der von Herrn Ickler angegebenen Begründung (bei Zusammensetzungen bleibt nicht nur der einzelne Vokalbuchstabe stehen, es kommt noch der Trennungsstrich hinzu, was mehr Platz beansprucht, und das hebelt § 107 E aus). Und § 111 stört dabei nicht weiter, weil es bei der Abtrennung des einzelnen Vokalbuchstaben am Ende eines Teilwortes um die Trennung der Bestandteile nach § 111 E1 geht: Ma-la-ri-a-er-re-ger etc. – alles konform sowohl mit § 107 als auch mit § 111.

Das eigentliche Problem ist doch, daß die Reform möglichst viele Ausnahmen beseitigen wollte. Dementsprechend wurde es von den Reformern als Fortschritt angesehen, daß die Nichtabtrennbarkeit einzelner Vokalbuchstaben am Wortanfang abgeschafft wurde. Konsequenterweise hätten sie das am Ende eines Wortes auch so handhaben können, und da ist ihnen doch – in Anbetracht dessen, was ihnen sonst alles eingefallen ist – zugute zu halten, daß sie davon abgesehen haben. Zu dumm nur, daß sie sich dabei insofern treu geblieben sind, als daß sie dies aus der Sicht des Schreibenden motivieren. Also kommt es auch hier vor allem darauf an, diesen Grundfehler der Reform zu korrigieren und im Zuge der Revision die Regelung an der Perspektive des Lesenden auszurichten.
 
 

Kommentar von Pavel Nemec, verfaßt am 25.09.2005 um 13.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#989

Die Trennung von Wortverbindungen mit dem griechischen Wort "Bio..." (Leben) als "Bi-o..." ist allein schon deshalb abzulehen, weil sie zur Verwechslung mit der lateinischen Vorsilbe "Bi-" (zweifach) führen kann.
 
 

Kommentar von Wolfram Metz, Den Haag, verfaßt am 25.09.2005 um 13.43 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#988

Dass die Reformer eine formale Begründung für die Lösung eines – im Zusammenhang mit der Worttrennung am Zeilenende! – formalen Problems (Platzmangel) geliefert haben, ist zunächst einmal nur konsequent. Schlimmer finde ich, dass nicht deutlicher von möglichen, aber unerwünschten Trennungen abgeraten wird, etwa in Form einer allgemeinen Empfehlung, die Vorrang vor allen Einzelbestimmungen (nicht nur den §§ 107 und 111) hätte. In R 181 der alten Duden-Richtlinien hieß es noch: „Trennungen, die zwar den Vorschriften entsprechen, aber den Leseablauf stören, sollte man vermeiden.“ Diese Formulierung ist zwar auch nicht perfekt, denn letztlich dürfte jede Trennung eines Wortes am Zeilenende den Leseablauf stören, ich halte sie aber für besser als die in § 111 E2 gewählte. Von einer „irreführenden“ Trennung kann etwa im Falle des dort genannten Beispiels Seeu-fer keine Rede sein, da es das Wort *Seeu ja nicht gibt. Insofern wird der Leser hier nicht in die Irre geführt, sondern allenfalls verwirrt.
 
 

Kommentar von Reinhard Markner, verfaßt am 25.09.2005 um 12.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=233#987

Solche Trennungen sind mit § 111 nicht in Einklang zu bringen. Letzte Zweifel hätten die Autoren der Amtlichen Regelung ausräumen können, wenn dort auch auf § 107 verwiesen worden wäre. Es war sicherlich auch ein großer Fehler der Reformer, in der eigenen Wörterliste keine Trennstellen anzugeben. Wenn man sich die Wortstrecke Bio- im neuen Wahrig ansieht (dort wird durchgängig auch die hochgradig irreführende Trennung nach Bi- angeführt) fragt man sich, wozu die Gespräche der Zwischenstaatlichen Kommission mit den Wörterbuchredaktionen eigentlich gut waren.
 
 

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