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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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30.12.2004
 

Der sogenannte „Rat für deutsche Rechtschreibung“ (28.02.2005)
Was ist vom „Rat für deutsche Rechtschreibung“ zu erwarten?

Nach dem Internationalen Arbeitskreis, der Zwischenstaatlichen Kommission und dem Beirat für deutsche Rechtschreibung ist der „Rat“ das vierte Gremium, das sich mit demselben Gegenstand befassen soll: der Durchsetzung einer Rechtschreibreform gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit, insbesondere fast aller Schriftsteller und Intellektuellen.
(Sogar der VdS Bildungsmedien stellt in seinen Mitteilungen vom September 2004 fest: „Die große Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Reform weiterhin ab.“) Die Ministerpräsidenten und Kultusminister versprechen dem widerspenstigen Volk, daß dieses Gremium die Steine des Anstoßes beseitigen und eine allseits akzeptierbare Lösung der von ihnen selbst verursachten Krise finden werde. Der Vorsitzende des Rates will die Gesellschaft „mit der Rechtschreibreform versöhnen“. Was berechtigt zu solcher Erwartung? Dazu muß man sich die Mitglieder im Rat für deutsche Rechtschreibung genauer ansehen:

Deutschland
Prof. Dr. Ludwig Eichinger, Institut für Deutsche Sprache
Prof. Dr. Norbert Richard Wolf, Institut für Deutsche Sprache
N.N., N.N., Akademie für Sprache und Dichtung
Dr. Matthias Wermke, Dudenredaktion des Bibliographischen Instituts & F.A. Brockhaus AG
Frau Dr. Sabine Krome Wissen, Media Verlag/Wahrig-Wörterbuch
Prof. Dr. Rudolf Hoberg, Gesellschaft für deutsche Sprache
Prof. Dr. Werner Besch, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften
Prof. Dr. Jacob Ossner, Symposion Deutschdidaktik e.V.
Fritz Tangermann, Fachverband Deutsch im Deutschen Germanistenverband
Dr. Edmund Jacoby, Börsenverein des deutschen Buchhandels
Michael Banse, VdS Bildungsmedien
Ulrike Kaiser, Deutscher Journalistenverband/Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion
Jürgen Hein, Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen
Anja Pasquay, Bundesverband deutscher Zeitungsverleger – BDZV
Wolfgang Fürstner, Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V.
N.N., P.E.N.-Zentrum Deutschland
Dr. Ludwig Eckinger, Deutscher Beamtenbund/Deutscher Gewerkschaftsbund

Österreich
Landesschulinspektor Dr. Karl Blüml, Didaktik
OStR Prof. Günter Lusser, Didaktik
o.Univ.-Prof. Dr. Richard Schrodt, Wissenschaft
Mag. Ulrike Steiner, Österreichisches Wörterbuch
Bundesminister a. D. Dr. Helmut Zilk, Pädagogik
Obersenatsrat Dr. Kurt Scholz, Pädagogik
Dr. Hans Haider, Journalismus
Dir. Georg Glöckler, öbv&hpt
Dr. Ludwig Laher, Autoren

Schweiz
Prof. Dr. Horst Sitta, Fachwissenschaft
Prof. Dr. Peter Gallmann, Fachwissenschaft
Prof. Dr. Thomas Lindauer, Fachdidaktik
Max A. Müller, Lehrerorganisationen
Dr. Werner Hauck, Öffentliche Verwaltung
Peter Feller, Schulbuchverlage
Stephan Dové, Zeitungs- und Zeitschriftenverlegerverband
Dr. Monique R. Siegel, PEN-Zentrum Schweiz
1 Sitz vakant

(Quelle: http://www.kmk.org vom 17.12.2004; Vorname bei Dr. Sabine Krome ergänzt)

Sieben Mitglieder saßen schon in der nunmehr aufgelösten zwölfköpfigen Zwischenstaatlichen Kommission. Österreich und die Schweiz haben alle bisherigen Kommissionsmitglieder in den neuen Rat entsandt – ein provozierendes Signal, wenn man bedenkt, daß die Kommission wegen Unfähigkeit aufgelöst wurde. Damit machen die Regierungen der beiden Staaten deutlich, was sie von den Revisionsbemühungen der deutschen Kultusminister halten. Aus der gleichen Protesthaltung heraus hatten sie bereits den deutschen „Beirat“ nicht mitgetragen, sondern regierungsnahe eigene Beiräte geschaffen. Von deutscher Seite ist Hoberg geblieben, die anderen wurden durch Personen ersetzt, die für Kontinuität des Kurses bürgen. Fast alle deutschen Mitglieder stammen aus dem aufgelösten Beirat.
Hier ist zum Vergleich die Besetzung des bisherigen deutschen Beirats:

P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland
Verband deutscher Schriftsteller in der IG Medien
Deutscher Journalistenverband
Bundesverband deutscher Zeitungsverleger e.V.
Verband deutscher Zeitschriftenverleger e.V.
Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen
Börsenverein des Deutschen Buchhandels
VdS Bildungsmedien e.V.
Bundeselternrat
Deutscher Gewerkschaftsbund – Lehrerorganisationen
Deutscher Beamtenbund – Lehrerorganisationen
Deutsches Institut für Normung
Dudenredaktion
Bertelsmann-Lexikonverlag
Wahrig-Wörterbuchredaktion
Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V.
Ausgeschieden sind einige Vertreter, die auch bisher schon als mehr oder weniger stumme Gäste dabeisaßen bzw. sich entschuldigen ließen wie das Deutsche Institut für Normung oder der Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V. Den Bundeselternrat rechnet der VdS Bildungsmedien (d. h. der Verband der Schulbuchverleger) ohnehin zu seiner „Verbändeallianz“, vgl. meinen Beitrag „Die Schulbuchverleger und die Rechtschreibreform“. Immerhin verdient festgehalten zu werden, daß im Rat nicht einmal zur Wahrung des Scheins Eltern oder Schüler vertreten sind, wohl aber reichlich Wirtschaftsunternehmen und Berufsverbände. Zur letzten gemeinsamen Aktion der „Verbändeallianz“, einer Pressekonferenz in Berlin am 1.10.2004, waren noch die Vorsitzenden von Bundeselternrat und Bundesschülervertretung eingeladen worden; sie dankten es durch bedingungslose Zustimmung. Der Vorsitzende des Bundeselternrats bezeichnete die Reform als einen „Glücksfall“. – Wahrig ist inzwischen eine Bertelsmann-Marke, so daß auf Renate Wahrig-Burfeind verzichtet werden kann.

Der „Beirat“ war bereits nach den Wünschen der Zwischenstaatlichen Kommission zusammengestellt, die er beraten oder beaufsichtigen sollte.
„Der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung wurde 2000 ein Beirat zugeordnet. Dieser Beirat begleitet die Arbeit der Kommission, die sich bis 2005, das heißt bis zur endgültigen Fassung des neuen Regelwerkes, weiter mit der Rechtschreibreform befasst. Den Mitgliedern des Beirats obliegt es, vor dem Hintergrund der Umsetzung der neuen Rechtschreibung als notwendig bzw. wünschenswert erachtete Korrekturen an der Reform vorzubringen und zu diskutieren. Die Mitglieder des Beirats wurden von der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung der Kultusministerkonferenz der Länder vorgeschlagen, die ihrerseits über die Zusammensetzung des Beirats zu entscheiden hatte. Dieser Entscheidung musste im Weiteren die Bundesregierung zustimmen.“ (Verband der freien Lektorinnen und Lektoren)
Die Kommission selbst wiederum war aus der Gruppe der Reformer hervorgegangen und nach deren Wünschen zusammengesetzt, wie ihr ehemaliges Mitglied Horst H. Munske bestätigt:
„Als elementaren Fehler erkennt man nachträglich, daß die KMK keinerlei Einfluß auf die Zusammensetzung der Mannheimer Rechtschreibkommission genommen hat.“ (Horst H. Munske: Verfehlte Kulturpolitik. In: Kunst und Kultur 1/1998, S. 23)

Der „Rat“ ist nach Vorschlägen der Zwischenstaatlichen Kommission besetzt (FAZ 24.8.2004). In dieser personellen Kontinuität setzt sich eine Entwicklung fort, die ein führender Reformer im Rückblick auf die verschiedenen Reformarbeitskreise einmal so kennzeichnete:
„Der Aufeinanderfolge der Gremien entspricht eine durch persönlich-personelle Verknüpfung gestiftete und gesicherte Tradition auch mehrerer Forschergenerationen über mehr als drei Jahrzehnte hin, die sich als 'Reihendienst' im Sinne Jost Triers oder – im Sinne einer Metapher aus dem Sport – als 'Staffellauf' verstehen läßt.“ (Wolfgang Mentrup in: IDS 25 Jahre, Mannheim 1989, S.102)
Die ununterbrochene Selbstergänzung unbedingt reformwilliger Arbeitskreise macht diese zu einem von der Öffentlichkeit weitgehend abgeschnittenen Mikrokosmos, an den Diskussion und Kritik kaum noch heranreichen.

Der Beirat ist im Laufe der Jahre nur zweimal zu Arbeitssitzungen zusammengetreten, um den dritten und vierten Bericht durchzuwinken; einige Mitglieder sind gar nicht erst erschienen oder haben nur schriftliche Stellungnahmen eingereicht, die aber von dem Gremium nicht berücksichtigt wurden. Es gab – nach persönlicher Auskunft mehrerer Mitglieder – auch durchaus Streit, aber in der abschließenden Stellungnahme zu den Berichten ist davon nichts mehr zu entdecken.

Seinen Sitz hat der Rat am Institut für deutsche Sprache in Mannheim, dem bisherigen Zentrum der Reformpropaganda. Er hat die Aufgabe, die Durchsetzung der Rechtschreibreform zu begleiten, und zwar so, wie sie von der Kultusministerkonferenz beschlossen ist. Dabei darf er auch kritische Bemerkungen äußern; eine Rücknahme der Reform kommt auftragsgemäß aber nicht in Betracht.

Das „Statut“, nach dem der Rat arbeitet, wurde erst am 16.12.2004, also einen Tag vor der konstituierenden Sitzung, von den Regierungen der drei deutschsprachigen Staaten beschlossen und war daher den Mitgliedern nicht bekannt, als sie in Mannheim zusammentrafen; erst während der Sitzung wurde es ausgeteilt. Man darf nach den bisherigen Erfahrungen vermuten, daß dies so beabsichtigt war, denn das Statut stellt die Arbeit des Rates unter unzumutbar restriktive Bedingungen.

Die Wissenschaft ist im Rat nur in Spuren vertreten, und zwar fast ausschließlich in Gestalt der Reformer und ihrer Freunde. Den Kern des Rates bilden die Schulbuch- und Wörterbuchverlage, also die wirtschaftlich an der weiteren Durchsetzung der Reform besonders Interessierten. Sie beherrschten schon den bisherigen „Beirat“, was andere Mitglieder in ängstlich-vertraulichen Mitteilungen beklagten. Der Dudenverlag hat die jüngsten Änderungsbeschlüsse der KMK wenigstens teilweise bereits in einem Ende August 2004 erschienenen neuen Rechtschreibduden umgesetzt; Bertelsmann hat für den Mai 2005 ein neues Rechtschreibwörterbuch angekündigt. In beiden Fällen hängt daran eine große Menge weiterer Publikationen. Beide Unternehmen sind schon aus diesem Grunde an einer weiteren Durchsetzung der Reform in ihrer aktuellen Version ohne große Veränderungen interessiert. Dafür spricht auch die Terminplanung: Bis zum 31. Juli 2005 müssen die nochmals revidierten neuen Wörterbücher vorliegen; die nächste Sitzung des Rates, auf der erstmals inhaltliche Fragen besprochen werden sollen, findet am 18. Februar 2005 statt – es bleibt also gar keine Zeit für umfangreichere Eingriffe. Zur Stabilisierung der wankenden Reform sponserte der Brockhauskonzern im Mai 2004 eine mehrteilige, von Hape Kerkeling moderierte Sendung von RTL mit dem Titel „Der große Deutsch-Test“. Als Juror war der stellvertretende Duden-Chefredakteur Werner Scholze-Stubenrecht anwesend. Der Werbeaufwand war beachtlich.

Welches besondere Interesse der Bertelsmann-Konzern an der Rechtschreibreform hat, geht aus folgender Mitteilung hervor:
„Ein Extrageschäft hat dem Konzern die Rechtschreibreform beschert. Von der hauseigenen 'Neuen Rechtschreibung' wurden bereits rund 1,7 Millionen Exemplare verkauft. Das Ziel, in die Domäne des 'Duden' einzubrechen und bei einem Marktpotential von zehn Millionen Bänden einen Anteil von über 25 Prozent zu erhalten, dürfte damit problemlos erreicht werden.“ (Berliner Zeitung, 23.11.1996)
Auch in einer im Internet verbreiteten „Chronologie“ der Reform läßt der Konzern erkennen, daß er die Rechtschreibreform, durch die er „neben Duden der zweite deutsche Wörterbuchverlag“ wurde, als seine ureigene Sache betrachtet. Um der drohenden Wiederherstellung der Duden-Vormacht entgegenzuwirken, bot der Bertelsmann-Vertrieb am 14.1.1999 allen Buchhandlungen per Fax an, Prof. Götze in einer öffentlichen Vortragsveranstaltung die Vorzüge der von ihm bearbeiteten Bertelsmann-Rechtschreibung darlegen zu lassen.

Die Schulbuchverleger werden wiederum durch Michael Banse (Klett Leipzig) vertreten, der schon im bisherigen Beirat für deutsche Rechtschreibung saß, vgl. den Jahresbericht des VdS-Vorsitzenden von 2001:
„Unser Verband wurde Ende 2000 in den Beirat zur Zwischenstaatlichen Kommission berufen, Herr Banse vertritt dort unsere Interessen und wacht darüber, dass uns allen nichts Unangenehmes passiert.“
Das wird er auch weiterhin tun. Um einen Sitz im Rat hat sich der VdS laut Verbandsmitteilung frühzeitig aktiv beworben („Es besteht kein Zweifel daran, dass unser Verband in diesem Rat mit von der Partie sein will,“ sagte der Vorsitzende im Jahresbericht 2004) und rühmt sich auch sonst, „massiv“ auf die zuständigen Politiker „eingewirkt“ zu haben.

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wird mit zwei Sitzen geködert. Zwei Sitze bekommt aber auch das Institut für deutsche Sprache (IDS).

Das IDS hat sich auf Betreiben seines damaligen Direktors Gerhard Stickel jahrelang als Sprachrohr der Reform betätigt und sich beispielsweise in seiner Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht zu der These verstiegen, die Richtigkeit der Schreibweisen sei allenfalls mit der Richtigkeit von Postleitzahlen zu vergleichen – eine im Lichte der Orthographieforschung erstaunlich inkompetente, um nicht zu sagen frivole Behauptung. Protestierende Schriftsteller wurden vom Institut in Pressemitteilungen verhöhnt (vgl. „Was manche Schriftsteller alles nicht wissen“ vom 17.10.1997 sowie den ersten Bericht der Kommission vom Dezember 1997). Das Institut gab jahrelang auch nach dem Erlöschen seines Mandats offiziöse Erklärungen zum weiteren Fortgang der Reform ab. Es kommt schon deshalb für eine ernsthafte Auseinandersetzung über orthographische Fragen nicht in Betracht, auch wenn alle seine Veröffentlichungen auf (fehlerhafte) Reformschreibung umgestellt sind. Unter Sprachwissenschaftlern gilt das IDS ohnehin als nicht besonders effizient:
„Die mit öffentlichen Geldern geförderte Mammutinstitution [beachtet] die eigentlichen Anliegen und Interessen der Sprachgemeinschaft kaum. So versagte sie an der dringendsten Aufgabe, ein umfassendes Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache zu erstellen, so daß die Sprachgemeinschaft der Brüder Grimm in diesem Punkte nun weit hinter den europäischen Nachbarn zurücksteht. Stattdessen hat das IdS eine überflüssige Rechtschreibreform betrieben und bis zuletzt verteidigt (s. Sprachreport 16 [2000], 8), die aufgrund ihrer schweren inhaltlichen Mängel mittlerweile die Einheit der deutschen Rechtschreibung – ein hohes Gut der Sprachgemeinschaft – zerstört hat.“ (Heinz-Günther Schmitz in: Vulpis Adolatio. Fs. f. Hubertus Menke. Heidelberg 2001, S. 725)

Übrigens geht die Besetzung der gescheiterten Zwischenstaatlichen Kommission weitgehend auf das IDS zurück, das hier ein Vorschlagsrecht für fünf der sechs deutschen Vertreter besaß.

Stickels Nachfolger Ludwig M. Eichinger hält die Rechtschreibreform für „grundsätzlich gelungen“ und lobt insbesondere die neue Zeichensetzung (dpa 31.7.2003). Der neue Mann in der Runde, Norbert Richard Wolf (Professor in Würzburg), empfiehlt sich schon lange durch Polemik gegen die Kritiker der Rechtschreibreform. In seinen „Hinweisen zu einigen Spezialfällen der Rechtschreibreform“ (Internet-Fassung) gibt er zu erkennen, daß ihm grammatisch falsche Schreibweisen wie Not tun, Pleite gehen nichts ausmachen. – Die „Hinweise“ verteidigen die überholte Reformfassung von 1996, Wolf wird aber sicher auch die jüngste Wende mitmachen.
Während der konstituierenden Sitzung des Rates am 17.12.2004 erfuhren die Mitglieder zu ihrem Erstaunen, daß das IdS bereits die Stelle eines Geschäftsführers für den Rat ausgeschrieben hatte und die Bewebungsfrist eine Woche zuvor abgelaufen war.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat inzwischen ihre Teilnahme abgesagt, jedoch Bedingungen gestellt, über die sich verhandeln läßt. Der Ratsvorsitzende Zehetmair rechnet mit ihrer Rückkehr in die Runde und hat bereits ein Gespräch mit Präsident Reichert für Januar 2005 vereinbart. Sie kann sich ihrer Alibirolle schwer verweigern, weil sie ihr Pulver allzu früh verschossen hat, bot sie doch ungefragt einen „Kompromiß“ an, als dies noch gar nicht nötig war. Während die Zeitungen und Zeitschriften des Axel Springer Verlags, die F.A.Z., die Schweizer Monatshefte und andere Publikationen (laut „Capital“ bis Dezember 2004 rund 300 Zeitschriften und Zeitungen) längst die beste Lösung, also die schlichte Rückkehr zur bewährten Orthographie, vorführen, preist die Akademie immer noch ihre „zweitbeste“ an, einen derart faulen Kompromiß, daß die Zwischenstaatliche Kommission mit Recht jede Diskussion darüber ablehnte. Drei auf Druck der KMK zustandegekommene Treffen verliefen unerfreulich. Doch selbst wenn die Akademie ihre zaghafte Kritik vortragen sollte, wird sie durch das IDS sofort neutralisiert.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache, von ihrem äußerst autoritär auftretenden Vorstand auf Reformkurs gezwungen, wird durch ihren Vorsitzenden Hoberg vertreten, der bereits in der Zwischenstaatlichen Kommission saß. Zur bisherigen Befassung dieses Vereins mit der Rechtschreibreform gebe ich zunächst einen Abschnitt aus meinem Buch „Regelungsgewalt“ wieder:
„Während der Mitgliederversammlung am 10. Mai 1998 in Wiesbaden beantragte ich, folgendes zu erklären: 'Die Gesellschaft für deutsche Sprache sieht sich zur Zeit außerstande, ein Votum zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in der Fassung von 1996 abzugeben, da unter den Mitgliedern keine eindeutige Meinung zu diesem Gegenstand festgestellt worden ist.'“ (Damit wollte ich verhindern, daß der Vorsitzende wenige Tage später vor dem Bundesverfassungsgericht die Rechtschreibreform im Namen der GfdS guthieß.) „Der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt, ebenso wie zuvor der Antrag von Hildegard Krämer auf eine Mitgliederbefragung zur Reform; doch kam es während der Aussprache zu einer unschönen Szene. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter, vertreten durch Helmut Walther (Schriftleiter des „Sprachdienstes“), Gerhard Müller (Schriftleiter der „Muttersprache“) und Uwe Förster, erklärten übereinstimmend, sie hätte in zwei Jahren tagtäglicher Sprachberatung mit der Neuregelung die Einsicht gewonnen, daß die Rechtschreibreform nichts tauge. Daraufhin wurden sie vom Vorstand (Vorsitzer Günther Pflug, Vorstandsmitglied Rudolf Hoberg, Geschäftsführerin Karin Frank-Cyrus) lautstark niedergemacht, ließen sich aber nicht einschüchtern. Bezeichnenderweise gaben sie auf die Frage, warum sie das nicht eher gesagt hätten, die Antwort, sie seien nie gefragt worden – was ein Licht auf das Betriebsklima in der Wiesbadener Geschäftsstelle warf, das besonders durch die Geschäftsführerin nachhaltig gestört sein soll und seither sicher nicht besser geworden ist.“
Dieser Bericht wird bestätigt durch einen weiteren Zeugen, Prof. Horst Dieter Schlosser (Frankfurt):
„Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, hat sich Herr Prof. Pflug in Sachen Rechtschreibreform bei seiner Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht schlicht wahrheitswidrig vehalten, wenn er dabei erklärt hat, die GfdS habe in ihrer Sprachberatung mit den neuen Regeln nur gute Erfahrungen gemacht. Das Gegenteil war nämlich der Fall. Denn es hat auf der Mitgliederversammlung der GfdS 1998 gerade deswegen heftige Auseinandersetzungen gegeben. Die Sprachberater erklärten auf dieser Versammlung in öffentlicher Sitzung, sie seien bisher von niemandem aus dem Vorstand oder der Geschäftsführung nach ihren Erfahrungen mit den neuen Regeln befragt worden; tatsächlich seien sie aber gerade auf Grund ihrer Erfahrungen in der Sprachberatung von anfänglichen Befürwortern der Reform zu Kritikern geworden. Eine positive Stellungnahme der GfdS entbehre also jeder Grundlage. Vorstand und Geschäftsführung reagierten auf diese Erklärung äußerst gereizt und beschimpften die Sprachberater in aller Öffentlichkeit wegen dieser politisch offenbar unerwünschten Äußerungen. Unter der Hand konnte man später erfahren, dass die Sprachberater danach in dieser Frage ein regelrechtes Redeverbot erhielten.“ (Horst Dieter Schlosser in einem Brief an Silke Wiechers vom 10.6.2003, abgedruckt in dies.: Die Gesellschaft für deutsche Sprache. Frankfurt 2004, S. 327)

Silke Wiechers, die selbst zeitweise Mitarbeiterin der GfdS war, bemerkt abschließend:
„Mit dem Wissen um ein derart autoritäres und antidemokratisches Vorgehen, bei dem die Erfahrungen der Sprachberatung im eigenen Haus bewußt nicht einbezogen wurden, kann der GfdS unter dieser Leitung Glaubwürdigkeit und Kompetenz zum Thema 'Rechtschreibreform' kaum noch zugebilligt werden.“ (ebd.)
Auch Hoberg hat sich verächtlich über die protestierenden Schriftsteller geäußert (z. B. im ZDF am 1.8.2003). Es sei noch erwähnt, daß ein umfangreicher Band „Förderung der Sprachkultur in Deutschland“, herausgegeben von der GfdS und dem IDS, zwar Platz für die skurrile „Deutsche Gesellschaft zur Rettung des Konjunktivs“ und Großunternehmen wie die Bertelsmann-Stiftung hatte, die mit Sprachpflege nichts zu tun haben, nicht aber für Vereine und Initiativen, die gegen die Rechtschreibreform kämpfen, mögen sie auch würdig gewesen sein, vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundestag angehört zu werden. Die ebenso einseitige wie oberflächliche Stellungnahme der GfdS für das Bundesverfassungsgericht (18.9.1997) wurde von der baden-württembergischen Kultusministerin sogleich als Beweis dafür interpretiert, „die Sprachwissenschaft“ unterstütze die Rechtschreibreform.

Die Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen wird durch die Deutsche Presse-Agentur (dpa) vertreten. Wie sich dpa um die Durchsetzung der Rechtschreibreform verdient gemacht hat, ist in meinem Buch „Regelungsgewalt“ dokumentiert. Im zweiten Bericht der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission (2000) heißt es:
„Ein besonderer Stellenwert aber musste dem Vorhaben der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen zugemessen werden, zum l. August 1999 die neue Schreibung 'weitestgehend und in einem Schritt' einzuführen – eine Entscheidung, die von nicht zu unterschätzender Bedeutung im Hinblick auf die Haltung der Öffentlichkeit sein musste, weil zeitgleich auch der weitaus größte Teil aller Presseorgane die Umstellung mit vollzog.“
Viele Zeitungen fühlten sich damals von dpa überrumpelt. Die Agenturen pflegen eine fehlerhafte, von dpa ausgearbeitete Hausorthographie und verwirren damit die Schüler zusätzlich. Es bleibt abzuwarten, ob der Vorstoß des Springer-Verlags hier ein Umdenken bewirkt. Das gilt auch für den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger. Er ist zwar zu den Hauptverantwortlichen zu zählen, weil sein abgestimmtes Vorgehen im Sommer 1999 die Durchsetzung der Reform erst möglich gemacht hat, ist aber wenigstens finanziell uninteressiert, wie seine kurze, von Volker Schulze und Anja Pasquay unterzeichnete Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht vom 8.4.1998 deutlich machte:
„Unseren Erkenntnissen zufolge bedeutet die Umsetzung der Rechtschreibreform für die Zeitungsbranche ein Investitionsvolumen von rund fünf Millionen Mark. Dieser Betrag ist, mit Blick auf den Gesamtumsatz unserer Branche, nicht allzu hoch; eine Rücknahme der Reform würde folglich keine bedeutenden Verluste mit sich bringen.“
Schwer zu verstehen ist, warum neben den Zeitungsverlegern auch noch die Zeitschriftenverleger vertreten sind. Diese Entscheidung verstärkt nur das Stimmgewicht der wirtschaftlichen Interessen; einen inhaltlichen Beitrag kann man von den Verlegerverbänden schwerlich erwarten.
Ulrike Kaiser hat als Chefredakteurin die Zeitschrift „Journalist“, das Organ des Deutschen Journalistenverbandes, im Jahre 1999 auf Reformschreibung umgestellt.

Kritische Alibistimmen sind für die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und für das PEN-Zentrum Deutschland vorgesehen. Die Akademien haben sich bereits geschlossen für eine Rücknahme der Reform eingesetzt, werden aber problemlos überstimmt werden und brauchen an den Scheinverhandlungen eigentlich gar nicht erst teilzunehmen. Für das PEN-Zentrum gilt dasselbe; es hat sich in einer Resolution gegen die Rechtschreibreform ausgesprochen (14.5.2004), zuvor im „Beirat“ allerdings die Entscheidungen der schlagkräftigen Mehrheit mitgetragen. Beide Institutionen haben inzwischen erklärt, daß sie nicht mitmachen wollen; die Union der Akademien ließ später wissen, daß sie nur bei ausgewogener Beteiligung weiterer Reformkritiker zur Mitwirkung bereit wäre. Sie benannte für diesen Fall den Bonner Germanisten Werner Besch und als dessen Stellvertreter Manfred Bierwisch. Kurz darauf scherte die Berlin-Brandenburgische Akademie (und damit Bierwisch) wieder aus. Sie plädierte dafür, „auf eine staatliche Regulierung der Rechtschreibung zu verzichten und die gewachsene Struktur und die lebendige Dynamik der deutschen Sprache beizubehalten.“ Anders als die Union sehe sie im Rat nicht die Voraussetzung für einen konstruktiven Dialog gegeben (vgl. Circular 2004). Professor Besch nahm an der konstituierenden Sitzung teil, ohne daß die Bedingung einer ausgewogeneren Zusammensetzung erfüllt worden wäre.

Die Lehrerverbände und zugleich den Beamtenbund vertritt Ludwig Eckinger, der im Beirat saß und seine Übereinstimmung mit den Kultusministern oft genug zu Protokoll gegeben hat; vgl. etwa VBE Pressedienst 50, 13.12.2001 oder Süddeutsche Zeitung vom 8.7.2000 sowie sein Votum bei der vom VdS organisierten Pressekonferenz am 1.10.2004 in Berlin. Im Beirat saß für den Gewerkschaftsbund noch Reinhard Mayer, über dessen private Geschäfte mit der Rechtschreibreform ich in meinem Buch „Rechtschreibreform in der Sackgasse“ berichtet habe; er war wohl nicht mehr tragbar. Bemerkenswerterweise ist der Deutsche Philologenverband nicht mehr eingeladen worden.

Vom Symposion Deutschdidaktik e.V., das seine Unterstützung der Rechtschreibreform u. a. in der F.A.Z. vom 12.10.2004 bestätigte, sind Einwände so wenig zu erwarten wie von den Lehrern im Germanistenverband (nur diese sind eingeladen, nicht die Hochschulgermanisten). Das „Symposion“ zählt übrigens die führenden Rechtschreibreformer Augst und Sitta zu seinen früheren Vorsitzenden; Sitta hat für das „Symposion“ über das von ihm selbst mitverfaßte Reformwerk ein Gutachten geschrieben, das denn auch sehr positiv ausfiel. Jakob Ossner, der das „Symposion“ vertreten wird, lehnt eine Rückkehr ausdrücklich ab:
„Professor Ossner findet sowohl die alte als auch die neue Orthografie unbefriedigend. Daher halte er nichts davon, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Die Entscheidung der FAZ sei 'im schlechten Sinne reaktionär'. Ohne 'Murren' würden seit einem Jahr die neuen Regeln angewandt.“ (Frankfurter Rundschau 1.8.2000)
Edmund Jacoby, der den Börsenverein vertritt, ist Leiter des Verlages Gerstenberg („Kleine Raupe Nimmersatt“ usw.) und gibt auch selbst Kinderbücher heraus, selbstverständlich in reformierter Rechtschreibung.

Auf deutscher Seite ist mithin kein einziger Reformgegner auszumachen, aber auch kein Experte für Orthographie (außer den Wörterbuchredaktionen).

Die österreichische Regierung hat als Hauptvertreter dieselben drei Personen in den Rat berufen, die bereits in der Zwischenstaatlichen Kommission saßen: Blüml, Schrodt und Steiner. Alle drei gemeinsam haben früh ein einschlägiges Buch verfaßt („Warum neu schreiben?“, Wien 1997). Blüml und Steiner (hauptberuflich) arbeiten am Österreichischen Wörterbuch mit. Für Schrodts Polemik gegen die Reformkritiker mag sein Aufsatz „Diesseits von G/gut und B/böse“ (informationen zur deutschdidaktik 1997/3, 13-17) als bezeichnendes Beispiel genannt sein.
Der prominente und beliebte Politiker Zilk hat sich einmal kritisch zur übertriebenen Getrenntschreibung geäußert, hält aber nichts von einer Rücknahme der Reform (Der Standard 14.12.2004). Scholz hat eine muntere Glosse über Erlebnisse mit seinem Rechtschreibprogramm geschrieben; er istAnhänger der Kleinschreibung und hofft, daß dieses sich irgendwann durchsetzt (ebd.). Lusser ist Verfasser von Rechtschreib-Schulbüchern („tip top in Rechtschreibung“, öbv&hpt) und wirkt in der „Arbeitsgruppe Grundschule“ im Auftrag des Schulministeriums bei der Durchsetzung der Reform mit. Von dieser Seite sind also keine Einwände gegen die weitere Durchsetzung der Rechtschreibreform zu erwarten. Nur Ludwig Laher ist als Kritiker der Reform hervorgetreten; er hat die reformbedingte Aussonderung und Vernichtung von Büchern in „alter Rechtschreibung“ aus Schulbüchereien ans Licht gebracht.
Auch die Schweiz schickt alle drei Mitglieder der Zwischenstaatlichen Kommission in den Rat: Sitta, Gallmann und Hauck. Dabei ist Hauck, Leiter der Sektion Deutsch der Zentralen Sprachdienste der schweizerischen Bundeskanzlei, noch am ehesten bereit, seiner besseren Einsicht zu folgen. Er hat für die Schweizer Regierung eine eigene Hausorthographie ausgearbeitet, die nicht mit der amtlichen Neuregelung übereinstimmt. In privatem Gespräch gab er schon 1999 zu, daß die ganze Reform mißlungen sei. Sitta und Gallmann sind maßgebende Mitverfasser der Reform. Wie sie als Reformdurchsetzer mit der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) zusammenarbeiten und dabei auch ihr finanzielles Interesse als Duden-Autoren nicht vergessen, wurde durch einen versehentlich an die Öffentlichkeit gelangten Brief vom 29.9.1996 an den Generalsekretär der EDK, Christian Schmid, deutlich. Er war einer „Stellungnahme zu den Unruhen bezüglich der Umsetzung der neuen Rechtschreibregelung in Deutschland“ beigefügt, worin es u. a. heißt:
„Auch wenn man alles, was an Vorwürfen gegen die Umsetzung der Reform in den neuen Wörterbüchern zu lesen war, zusammenrechnet, kommt man auf Prozentsätze, die das öffentliche Gegacker nicht wert sind, das da veranstaltet wird. Von geringen Ausnahmen abgesehen, die man getrost als Petitessen oder – dem Zeitgeist entsprechend – als Peanuts abtun kann, ist vorzügliche Arbeit geleistet worden – nicht nur beim Duden, aber auch und vor allem beim Duden.“
(Näheres zu diesem erstaunlich ungenierten Brief an den „lieben Christian“ in meinem Buch „Die sogenannte Rechtschreibreform“. Sittas Geringschätzung der Schriftsteller kommt in einem Beitrag zum St. Galler Tagblatt vom 5.10.2004 zum Ausdruck, worin er sie mit „Lemmingen“ vergleicht.) Der schönste Erfolg von Sittas Zusammenarbeit mit der EDK ist zweifellos, daß in der Schweiz weiterhin der Duden verbindlich ist: „Der Duden bleibt auch in seiner 21. Auflage massgebendes Referenzwerk für alle Rechtschreibfragen im Schulunterricht.“ (Erklärung der EDK vom 30.5.1996) Dabei hatte die Reform das Ziel, den Duden zu entmachten: „Das Ziel der Reform waren gar nicht die Neuerungen. Das Ziel war, die Rechtschreibregelung aus der Kompetenz eines deutschen Privatverlages in die staatliche Kompetenz zurückzuholen.“ (Karl Blüml in: Der Standard 31.1.1998)
Thomas Lindauer ist eng befreundet mit Peter Gallmann und dessen langjähriger Mitarbeiter und Mitverfasser von Schulbüchern und anderen Arbeiten; beide gehören zusammen mit ihrem gemeinsamen Lehrer Sitta zu den erfolgreichsten Vermarktern der Rechtschreibreform, auch als Duden-Autoren. (Der Dudenverlag ist also mindestens fünfmal im Rat vertreten, denn auch Hoberg ist Dudenautor.)
Peter Feller vertritt die Schulbuchverlage als Direktor des Lehrmittelverlags des Kantons Zürich. Er lehnt aus wirtschaftlichen Gründen jede Revision ab.

Frau Siegel ist Verfasserin von Werken wie „Vom Lipstick zum Laptop“ (Hörbuch); zur Rechtschreibreform hat sie sich anscheinend bisher nicht öffentlich geäußert, sagt jedoch auf Befragen: „Ich war und bin vehemente Kritikerin. Wenn es sich jedoch als gesichert herausstellt, dass sie nicht rückgängig gemacht werden kann, werde ich das als Pragmatikerin akzeptieren und für die kleinstmögliche Anzahl Änderungen kämpfen.“ (mitgeteilt von Peter Müller, Dezember 2004) Sie hat einen Lehrauftrag an derselben Fachhochschule Aargau, an der auch Lindauer Dozent ist.
„Dr. Monique R. Siegel hat sich mit ihrer Firma MRS MindRevival Strategies GmbH als Innovationsberaterin international etabliert. Als Bestsellerautorin, Publizistin und Dozentin äußert sich die Zukunftsforscherin an zahlreichen Veranstaltungen sowie in Fernseh- und Radiosendungen kompetent zu Themen wie Unternehmertum, Innovation, Bildung oder Kommunikation.“ (Internet)
Stephan Dové ist Chefkorrektor der Neuen Zürcher Zeitung. Als solcher ist er zwar von der amtlichen Neuregelung keineswegs überzeugt, lehnt jedoch eine Rückkehr zu bewährten Rechtschreibung ab.
Der Präsident des Lehrerverbandes, Max A. Müller, hat sich gelegentlich spöttisch über die Rechtschreibreform geäußert:
„Die deutsche Rechtschreibreform und das neue BL-Bildungsgesetz haben durchaus Gemeinsamkeiten. Beide Unternehmungen wurden unter Begründungen angezettelt, an die sich heute kaum mehr jemand erinnert, in beiden Fällen verlief die Projektphase eher holprig, die Erläuterungsrhetorik war blumig euphorisch, und das Resultat hinterlässt in der Umsetzung zunehmend Ratlosigkeit.“ (Rundschreiben des LVB)
Wirkliche Reformkritiker sind unter den 32 namentlich bekannten Mitgliedern des „Rates“ mit Ausnahme des Schriftstellers Ludwig Laher bisher nicht auszumachen. Der Auftrag des Rates läßt den schlichten Rückkehrgedanken oder ein grundsätzliches Überdenken der Reform auch gar nicht zu. Daß der Rat im Grunde die bisherigen Reformgremien auch personell fortsetzt, hat auch der VdS Bildungsmedien sofort erkannt: „Die Kommission und die Beiräte werden nach dem Willen der KMK in einen 'Rat für deutsche Rechtschreibung' zusammengefasst.“ (Jahresbericht 2004)
Um die Aussichtslosigkeit der Lage zu erkennen, muß man einen Blick auf den historischen Zusammenhang werfen. Der Zwischenstaatlichen Kommission war von den Politikern eine unerfüllbare Aufgabe zugewiesen worden:
„Die Zwischenstaatliche Kommission, die im Zuge der Neuregelung eingerichtet wurde, sollte im Grunde die Funktion übernehmen, die zuvor von der Dudenredaktion wahrgenommen wurde.“ (Beschlußvorlage der KMK für die Amtschefskommission vom 14.1.2004).
Die Aufgabe der Dudenredaktion besteht bekanntlich in erster Linie darin, Wörterbücher zu machen. Der „Rat“ soll nun die Zwischenstaatliche Kommission ablösen und ersetzen, also wohl ebenfalls die Rolle der Dudenredaktion ausfüllen. Daß ein 37köpfiges ehrenamtlich tätiges Gremium, das ganz überwiegend aus lexikographischen und linguistischen Laien besteht, die deutschsprachige Welt mit einem brauchbaren Wörterbuch versehen könnte, ist eine abenteuerliche Vorstellung. „Wann hätte je eine amtliche, halb- oder dreiviertelamtliche orthographische Konferenz etwas Vernünftiges zuwege gebracht!“ (Friedrich Roemheld: Die Schrift ist nicht zum Schreiben da. Eschwege 1969, S. 23).

Der Vorsitzende Hans Zehetmair will Arbeitsgruppen beauftragen, sich mit einzelnen Bereichen zu beschäftigen. Sie werden naturgemäß wiederum aus den Mitgliedern der alten Reformergruppe bestehen müssen, weil nur diese über die erforderliche Detailkenntnis verfügen. Doch selbst da hapert es. Der einzige, der orthographische Ideen hat, diese allerdings ohne jeden Respekt vor dem Erfordernis der Kontinuität zu verfechten pflegt, ist Peter Gallmann. Die wenigen Sprachwissenschaftler, die sonst noch zu finden sind, verstehen zu wenig von Orthographie. Kein einziger hat sich mit der Neuregelung in ihren verschiedenen Versionen näher beschäftigt.

Der „Rat“ wird also genau das tun, was die KMK anstrebt: alle fünf Jahre über die „problemlose“ Durchsetzung und phänomenale Akzeptanz der Reformschreibung berichten. Dabei wird er sich auf „Mehrheiten“ bei seinen internen Abstimmungen berufen und sich als „demokratisch“ zusammengesetzte Vertretung der Betroffenen darstellen. Die KMK-Vorsitzende Doris Ahnen hält ja die Zusammensetzung für sehr ausgewogen: „Ich kann in diesem Rat keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse erkennen.“ (SPIEGEL-Gespräch 22.11.2005) Auch das Statut drückt sich in nahezu parodistischer Anlehnung an Art. 38 GG so aus, als handele es sich um demokratische Repräsentanz durch „unabhängige“ Abgeordnete, „an Aufträge oder Weisungen nicht gebunden“. Demgegenüber haben einzelne Mitglieder persönlich mitgeteilt, daß sie selbstverständlich den Standpunkt ihres Verbandes und nicht ihren eigenen vertreten werden.

Warum es so kommen mußte, erklärt schlaglichtartig eine Äußerung Hans Zehetmairs Ende November 2004: „Sie wollen keine totale Rücknahme der Reform?“ – Zehetmair: „Nein. Das wäre nicht durchsetzbar.“ – Die Arbeit der Reformer hat schon vor über zehn Jahren die sachbezogene Diskussion aufgegeben und sich nur noch auf die „Durchsetzbarkeit“ beliebiger Änderungen konzentriert. („Die jetzt vorliegenden Vorschläge wurden allgemein als durchsetzbar angesehen,“ heißt es schon in der Vorlage für die Wiener Konferenz 1990 – wohlgemerkt: durchsetzbar gegen den Widerstand der Sprachgemeinschaft, die keine Veränderung des vertrauten Schriftbilds wolle.) Daher ist es nur konsequent, wenn jetzt Unternehmensvertreter und Verbandsfunktionäre in einem Gremium dominieren, das über Eingriffe in die deutsche Sprache berät und in dem solche Interessengruppen normalerweise nichts zu suchen hätten. Im Bundestag haben alle Parteien außer der FDP den Fraktionszwang eingesetzt, um die weitere Durchsetzung der Rechtschreibreform im Sinne der Lobby nicht zu gefährden.

Statt die Gesellschaft „mit der Rechtschreibreform zu versöhnen“, könnte man versuchen, die Kultusminister mit der bewährten Rechtschreibung zu versöhnen. Solange sie diesen Gedanken nicht an sich herankommen lassen, ist auch vom neuen „Rat“ nichts zu erwarten.



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Kommentare zu »Der sogenannte „Rat für deutsche Rechtschreibung“ (28.02.2005)«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.11.2019 um 09.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=16#42398

Ich erwähne im Haupteintrag den Brief an den "lieben Christian". Der sollte vielleicht auch auf dieser Website in voller Länge nachzulesen sein.


Prof. Dr. Horst Sitta
Dr. Peter Gallmann
Universität Zürich


Schweizerische Konferenz der kantonalen
Erziehungsdirektoren
Christian Schmid
Zähringerstrasse 25
Postfach 5975
3001 Bern

29.9.1996


Lieber Christian,

ich beziehe mich auf unser Telefongespräch vom 25.9. und auf die Sendung von Unterlagen, die ich am 26.9. an dich abgeschickt habe. Unterdessen hat in der ZEIT vom 26.9. der normalerweise klug und abgewogen argumentierende Dieter E. Zimmer einen längeren Artikel unter der Überschrift "Beschreibung eines Kampfes. Im Ringen Duden gegen Bertelsmann um die richtige deutsche Rechtschreibung verliert das Publikum" veröffentlicht. Da dies in Folge schon der dritte Artikel in kurzer Zeit ist (nach knappen Meldungen im SPIEGEL vom 16.9. und in FOCUS vom 23.9.) und da darüber hinaus die Diskussion munitioniert wird von einem "Gutachten" von Herrn Kollegen Zabel, Professor an der Universität Dortmund und seinerzeit Mitglied des Internationalen Arbeitskreises, rechnen wir damit, dass die in Deutschland gepflegten Unruhen in die Schweiz hereinschwappen werden - wir hatten schliesslich schon in der Vergangenheit alle Hände voll zu tun, wenn Herr Heller am Deutschen Fernsehen wieder einmal mit problematischen Behauptungen zugeschlagen hat. Und wir rechnen auch damit, dass Menschen mit Fragen an euch gelangen werden.

In dieser Situation fanden wir es gut, einmal für uns und für euch zu prüfen und zusammenzustellen, was an Vorwurfen erhoben wird, was dahinter steckt, wie gerechtfertigt das alles ist und was wir unseren Klienten in Schule und Öffentlichkeit raten können. Zum Verteiler: Wir geben das Papier an euch und wir arbeiten selbst damit, wenn wir angefragt werden. Wir schicken es - ungebeten - in alter Kollegialitat auch an die Präsidenten der deutschen und der österreichischen Kommission. Das sind unsere ersten Adressen. Wir sind aber - und das als Lehrende an der Universitat Zürich, nicht als Beauftragte der EDK auch bereit, es an die (seriöse) Presse zu geben, an Lehrerverbände, an das Radio usw. Und auch ihr sollt damit machen können, was euch gut scheint.

Wir gehen im Folgenden (1) auf die Vorgeschichte ein, wie wir sie sehen, wir behandeln dann (2) die uns gewichtig erscheinenden Punkte in dem Papier von Herrn Kollegen Zabel und wir nehmen schliesslich (3) noch Stellung zu dem, was Dieter E. Zimmer schreibt, soweit es nicht schon durch das beantwortet ist, was wir unter den vorangehenden Punkten zusammengestellt haben. Dabei konzentrieren wir uns auf die Debatte um den Duden, lassen also Bertelsmann u.a. völlig
ausserhalb der Betrachtung: die Plenarversammlung der Schweizerischen Konferenz der kantonalen
Erziehungsdirektoren hat schliesslich in ihrer Erklärung vom 30.5.1996 befunden: "Der Duden bleibt auch in einer 21. Auflage massgebendes Referenzwerk für alle Rechtschreibfragen im Schulunterricht."



Stellungnahme zu den Unruhen bezüglich der Umsetzung der neuen Rechtschreibregelung in Deutschland

1 Zur Vorgeschichte

Was ist eigentlich geschehen? Seit mehr als 100 Jahren steht der Duden in unserer Sprachgemeinschaft für die Einheitsschreibung. Er hat sie, noch bevor es eine amtliche Regelung gab, weitgehend etabliert und hat sich dabei - verdientermassen - weite Verbreitung, hohe Akzeptanz und grosses Ansehen erworben - so sehr, dass 1955 die deutsche Kultusministerkonferenz ihm die Kompetenz gegeben hat, in Sachen Rechtschreibung in Zweifelsfällen den Ausschlag zu geben. Man kann dieses Alleinvertretungsrecht
problematisch finden, viele Kollegen aus der Linguistik haben das getan und auch Dieter E. Zimmer tut das, wenn er von einem "seltsamen und unnormalen Zustand" spricht,
der nun ein Ende hat. Richtig ist aber auch: Dieser Zustand hat uns über die letzten 100 Jahre eine einheitliche Rechtschreibung garantiert - sogar in der Zeit des geteilten Deutschland, in der es zwei Duden gab, wobei aber auf beiden Seiten trickreich darauf geachtet wurde, dass die Einheitlichkeit im Grossen erhalten blieb. Anders gesagt: Das Auseinanderdriften der Schreibungen in unterschiedlichen Wörterbuchern war in den fünfziger Jahren für die KMK der Anlass, eine gewissermassen kanonische Entscheidungsinstanz, nämlich, den Duden, zu etablieren, und das hatte durchaus seine Vorteile für die Schreibgemeinschaft.
Dann kam der 1. Juli 1996. Mit ihm endete die alleinige Auslegungskompetenz des Duden für die Regeln - gemäss KMK-Beschluss von 1955 galt sie nur bis zum Zeitpunkt einer Neuregelung der Rechtschreibung. Und damit kam, was kommen musste. In dieser Welt, in der Worte wie Markt und Handel Hochwertworte sind, drängten und drängen natürlich mehrere ins "Geschäft" - wir wären nicht verwundert, wenn es am Ende des Jahres ein Dutzend wären, die Rechtschreibwörterbucher anböten. Die Einheitsschreibung ist dadurch im Kern nicht gefährdet, aber Unterschiede in den randständigeren Bereichen der Rechtschreibung sind sehr wohl möglich.

Der Grund dafür liegt in der Aufgabe: Der Internationale Arbeitskreis für Orthographie hat nach langer und detaillierter Arbeit ein Regelwerk vorgelegt, das 112 Paragraphen (und ein Wörterverzeichnis mit Beispielschreibungen) enthält. Dieses Regelwerk muss nun - nach seiner Genehmigung - von Lexikographen auf unseren Wortschatz angewendet werden. Die Anwendung besteht in der Interpretation des Textes des Regelwerks und deren Applikation auf unsere Sprache. Dass beides gar nicht einheitlich sein kann, liegt in der Natur der Sache.

Die Probleme, um die es hier geht, liegen an verschiedenen Orten: Einige liegen in den Regeln (a), andere in ihrer Interpretation (b), wieder andere in der Umsetzung der Regeln im Wörterbuch (c). Wir können hier nur andeuten:

Zu (a), den Regeln:

- Es gibt strenge Regeln, Muss-Regeln (zum Beispiel manche Bindestrichregeln), die ein Wörterbuch unbedingt berücksichtigen muss. - Es gibt offene Regeln, Kann-Regeln (zum Beispiel im Bereich der Worttrennung), hier oft mehrere nebeneinander, bei denen sich die Frage stellen
kann, ob alle bzw. - wenn nicht - welche im Regelteil des Wörterbuchs verzeichnet werden sollen.
- Es gibt freigegebene Bereiche (zum Beispiel bei der Getrennt- und Zusammenschreibung), wo eigentlich der Schreibende entscheiden können soll. Wie soll sich hier das Wörterbuch grundsätzlich verhalten?

Mindestens bei den Regeln der letzten beiden Typs sind Unterschiede zwischen verschiedenen
Wörterbüchern vorprogrammiert.

Zu (b), der Interpretation der Regeln:

- Es gibt die richtige Auslegung einer Regel; "richtig" heisst hier: in Übereinstimmung mit den Intentionen der Regelverfasser.
- Es gibt - was den Regelverfassern möglicherweiseentgangen ist - oft mehrere "richtige" Auslegungen einer Regel; "richtig" heisst dann zum einen das vorangehend Genannte: in Übereinstimmung mit den Intentionen der Regelverfasser. Zum andern kann es sich aber auch um eine von den Verfassern nicht beabsichtigte, wohl aber vom Wortlaut der Regel gedeckte Interpretation handeln.
- Es gibt die falsche Auslegung einer Regel; "falsch" heisst hier: nicht in Übereinstimmung mit den Intentionen der Regelverfasser und mit dem Wortlaut des Textes. Mit falschen Auslegungen muss man natürlich vor allem dort rechnen, wo Menschen interpretieren, die die Arbeit am Regelwerk nicht mitgemacht haben.

Zu (c), der Umsetzung der Regeln im eigentlichen Wörterbuch:

Unterschiedliche Wörterbuchredaktionen können natürlich zu unterschiedlichen Umsetzungsformen kommen. So kann man sich etwa die Fraqe stellen, ob man für die Darstellung der Trennung am Zeilenende jedes Wort mehrfach aufführen muss, um die unterschiedlichen Trennmöqlichkeiten zu zeiqen, oder ob man das mit Mitteln, die in der Lexikographie auch sonst üblich sind (zum Beispiel eingeführten Verweismitteln), leisten kann.
Apropos: Noch gar nicht gesprochen worden ist über die Möglichkeit, dass bei der Arbeit am Regelwerk auch Regeln formuliert worden sein können, die fragwürdig sind, was sich womöglich erst bei der konkreten lexikographischen Arbeit herausstellt.

All diese Probleme waren natürlich weder dem Internationalen Arbeitskreis noch den Behörden unbekannt. Auf Vorschlag des Internationales Arbeitskreises ist daher auch durch die Wiener Erklärung vom 1. Juli 1996 die Gründung einer zwischenstaatlichen Kommission (mit sechs Vertretern aus Deutschland, drei aus Österreich und drei aus der Schweiz) beschlossen worden. Als ihre Aufgabe wurde (in Artikel III der Wiener Erklärung) bestimmt: "Die Kommission wirkt auf die Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung im deutschen Sprachraum hin. Sie begleitet die Einführung der Neuregelung und beobachtet die künftige Sprachentwicklung. Soweit erforderlich erarbeitet sie Vorschläge zur Anpassung des Regelwerks." - Die Einführung der Neuregelung läuft - leider - ohne die Kommission, stattdessen werden die Debatten in den
Medien ausgefochten. Nichts ist bedauerlicher als das. Die Schweiz hat übrigens ihre Vertreter für die Kommission benannt, Deutschland und Österreich nicht, und wie es aussieht, wird sich die Entscheidungsfindung in Deutschland noch eine Weile hinziehen.


2 Zur Kritik H. Zabels am Duden

Die Debatten in den Medien werden natürlich nicht besser, wenn auch die Linguisten dort mitreden und womöglich Öl ins Feuer giessen. So treten wir auch eher ungern vor die Öffentlichkeit, um wenigstens ein paar ganz unhaltbare Behauptungen zurechtzurücken.

Mit Datum vom 19.9.1996 hat Hermann Zabel uns ein Schreiben zugeleitet, das, wenn wir es richtig verstehen, an die Kultusministerien der deutschen Bundesländer, auf jeden Fall aber an das Ministerium für Schule und Weiterbildung in Düsseldorf gegangen ist. Zum Schluss seines vier Seiten langen Schreibens (dessen Inhalt offenbar auch an anderen Stellen verbereitet worden ist; so bezieht sich auch der Focus in seiner Veröffentlichung auf H. Zabel) behauptet er, die Dudenredaktion sei eigenmächtig mit der neuen Regelung umgegangen und verlangt: "Unter Bezugnahme auf Ihren o.g. Erlass sollte überdeutlich geworden sein, dass der neue Duden in den Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen wegen der nachgewiesenen Abweichungen vom Amtlichen Regelwerk nicht verwendet werden darf."

Wir müssen gestehen, dass wir oft mit einer Mischung von Amüsiertheit und Entsetzen auf die Haltung Normen gegenüber reagiert haben, die uns in Deutschland immer wieder begegnet und uns aus Schweizer Warte ausgesprochen hysterisch vorkommt. Nur zwei Punkte pauschal zu Beginn:
1. Auch wenn man alles, was an Vorwürfen gegen die Umsetzung der Reform in den neuen Wörterbuchern zu lesen war, zusammenrechnet, kommt man auf Prozentsätze, die das öffentliche Gegacker nicht wert sind, das da veranstaltet wird. Von geringen Ausnahmen abgesehen, die man getrost als Petitessen oder - dem Zeitgeist entsprechend - als Peanuts abtun kann, ist vorzügliche lexikographische Arbeit geleistet worden - nicht nur beim Duden, aber auch und vor allem beim Duden.
2. Wir waren uns im Internationalen Arbeitskreis immer einig darin, dass das Regelwerk ein Referenzwerk sein soll und dass es möglich sein muss, sich innerhalb des Rahmens, den dieses Werk setzt, zu bewegen, nicht aber notwendig, ihn ganz auszuschöpfen. Das heisst: Es darf in den Wörterbüchern keine Entscheidungen gegen das Regelwerk geben, aber das Regelwerk muss auch nicht in seiner ganzen Differenziertheit umgesetzt werden, schliesslich enthält es eine Reihe von Bestimmungen, die allenfalls für Vertreter des graphischen Gewerbes von Gewicht sind, nicht für Alltagsschreiber. Die Frage ist jetzt allenfalls: Ist der Duden für den Alltagsschreiber da oder für den Buchdrucker? Oder anders: Vielleicht wäre es ja wirklich gescheit (wie das bis 1915 der Fall gewesen war), einen Duden und einen Buchdruckerduden zu haben.
Vor diesem Hintergrund bedauern wir es übrigens sehr, dass es mehrere Wörterbücher (auch der Duden) für nötig gehalten haben, das Amtliche Regelwerk abzudrucken. Was wir brauchen, sind Reqeln, die die Menschen verstehen, die für sie gemacht sind, an denen sie sich orientieren können. Das Regelwerk ist ein juristischer Text, an dem man das nicht kann. Schliesslich laufen wir alle auch nicht täglich mit dem BGB unter dem Arm herum, wenn wir im Alltag korrekt leben wollen.

Was sind nun aber im Detail die Vorwürfe, die gegenüber dem Duden erhoben werden? Wir folgen dem Papier von H. Zabel. Dabei geben wir im ersten und im zweiten Fall - petit - den ganzen Text von H. Zabel wieder, um den Argumentationsduktus vorzuführen. In den folgenden Fällen beschränken wir uns auf eine kurze Wiedergabe seiner kritischen Behauptungen

1. Laut-Buchstaben-Zuordnungen (einschließlich Fremdwortschreibung)

Mit diesem Bereich hat sich aus gegebenem Anlaß die Amtschefkonferenz in den letzten Monaten des Jahres 1995 noch einmal intensiv beschäftigt. Es bestand Konsens in der Auffassung, dass bei orthographischen Varianten im Bereich der Fremdwortschreibung stets eine Hauptvariante und eine Nebenvariante angegeben werden muss. An dieses Prinzip hat sich die Duden-Redaktion in einer Reihe von Fällen nicht gehalten.

Beispiele:
Eurythmie: Die Nebenvariante Eurythmie wird im neuen Duden nicht aufgeführt.
Cellophan: Der Hinweis auf die Nebenvariante Cellophan fehlt auf S. 187.
Graphologe: Ein Hinweis auf die Nebenvariante erfolgt nicht.
Die Nebenvariante Graphologe wird an anderer Stelle als "eindeutschende Schreibung für Graphologe" genannt.
Bei
Bravour
Expose
Hämorrhoide
quadrophon
wird mit dem Hinweis "eindeutschend" die integrierte Form eingeleitet. Dieser Hinweis ist nicht geeignet, den Benutzer des Wörterbuchs erkennen zu lassen, welche der beiden Formen die Hauptvariante bzw. die Nebenvariante ist. Der durch das neue Regelwerk nicht gedeckte Begriff "eindeutschend" wird von der Duden-Redaktion auch an anderen Stellen verwendet.

Nur durch die Kennzeichnung von Haupt- und Nebenvarianten kann übrigens verhindert werden, dass es über kurz oder lang zu einem neuen Buchdrucker-Duden kommt. Die Setzer brauchen klare Anweisungen, aus diesem Grunde benötigen sie einen Hinweis auf die jeweilige Hauptvariante.
In den vorliegenden Fallen liegen eindeutige Abweichungen vom Amtlichen Regelwerk vor.

Uns liegt daran, hier festzuhalten:

1. Es geht bei diesem Punkt um annähernd 200 Wörter, eine verschwindend geringe Menge im ganzen Wörterbuch.

2. Vom Schweizer Stundpunkt aus betrachtet, kann man, wenn Haupt- und Nebenvarianten nicht ausgewiesen werden, nur sehr zufrieden sein, sollen doch in der Schweiz gemäss Beschluss der EDK Fremdwörter, die aus den beiden anderen Landessprachen (also Französisch und Italienisch) stammen, nicht eindeutschend geschrieben werden. Darauf wird übrigens auch im Vorwort der amtlichen Regelung hingewiesen, und man wird davon ausgehen dürfen, dass die Dudenredaktion diese Situation vor Augen hatte, wo sie auf diese Markierung verzichtet hat.

3. Die Regelung im Amtlichen Regelwerk ist an dieser Stelle alles andere als konsequent; so wird etwa Bibliografie als Hauptvariante angegeben, aber Geographie. So etwas schluckt ein intelligenter Leser wohl nur, wenn er sich das Nachdenken strikt verbietet.

4. In den Fällen, die wir überprüft haben, verzeichnet der Duden entweder beide möglichen Schreibungen oder er verweist mit einem roten Regelverweis darauf, dass es eine Schreibvariante gibt. Es werden also jedenfalls keine Variantenschreibungen unterschlagen.

5. Wir sind grundsätzlich der Meinung, dass eine starre Fixierung auf die Bestimmung als Haupt- und Nebenvariante in den Wörterbüchern, wie sie im Jahre 1996 im Amtlichen Regelwerk getroffen worden ist, jede weitere Entwicklung der Schreibung verhindern würde, an der uns doch gelegen sein muss. Varianten auf Dauer will ja eigentlich niemand, sie sind in unseren Augen immer nur Zwischenstationen auf dem Weg zu einer neuen Schreibung. Von daher ist es
geradezu notwendig, in den Wörterbuchern neue Varianten ohne detaillierte Charakterisierung anzubieten, den Schreibbrauch aber sehr genau zu beobachten und in Zukunft, d.h. bei Gelegenheit einer neuen Auflage, aus den Beobachtungen Konsequenzen zu ziehen.

6. Zu den Einzelfällen: Wir sehen davon ab, dass in unseren Augen Fälle wie Eurythmie und Cellophan nicht gerade im Zentrum des deutschen Wortschatzes platziert sind. Wenn aber dazu etwas zu sagen ist, dann dies:

- Eurythmie erscheint als Stichwort im Duden ebenso wie Eurhythmie, allerdings nicht als Variantenschreibung. Beide Stichwörter sind schon seit mehreren Auflagen im Duden verzeichnet. Dabei ist etymologisch gesehen Eurythmie eigentlich die Hauptvariante, Eurhythmie (mit rh) ein etablierter Rechtschreibfehler.
- Auf Seite 187 führt der Duden Cellophan mit der Charakterisierung eingetragenes Warenzeichen auf; auf Seite 842 wird Zellophan aufgeführt, und es wird von dort auf Cellophan verwiesen. Das Vorgehen ist absolut korrekt.
- Beim Stichwort Graphologe wird mit einem roten Verweis auf R 33 verwiesen, wo die Möglichkeit der Variantenschreibung mit f erläutert wird.
- Schreibungen von fremden Wörtern, die den deutschen Laut?Buchstaben-Entsprechungen gehorchen, eindeutschend zu nennen kann doch wohl in einem Volkswörterbuch (und das ist der Duden bekanntlich schon lange) nicht falsch sein. Der Begriff eindeutschend sei durch das neue Regelwerk nicht gedeckt, meint H. Zabel, dort heisse es integriert. Mit diesem Wort wird der Durchschnittsbenutzer jedoch kaum etwas anfangen können.

7. Zum Schluss: H. Zabel fürchtet die Möglichkeit, "dass es über kurz oder lang zu einem neuen Buchdrucker-Duden kommt". Wir haben schon darauf hingewiesen, dass wir eine solche Möglichkeit nicht befürchten, eher erhoffen; im Übrigen hat es in der grafischen Industrie immer spezielle Festlegungen gegeben. Wichtiger ist uns aber etwas anderes: Müssen wir H. Zabel so verstehen, dass alle Alltagsschreiber deswegen den Hinweis auf die jeweilige Hauptvariante zur Kenntnis nehmen müssen, weil eine kleine, spezialisierte Berufgsgruppe bestimmte Informationen dringend braucht? Das wäre ja wohl eine völlige Verkehrung der vernünftigen Proportionen.

Lesend, was wir nur zum Komplex Laut-Buchstaben-Beziehungen aufführen mussten, registrieren wir: Die aufgeführten Falle sind so peripher, dass man sich nicht genug wundern kann, wie aufgeregt sie behandelt worden sind.


2. Getrennt- und Zusammenschreibung

In diesem Bereich notiert die Duden-Redaktion an einer Reihe von Stellen, an denen nach dem Regelwerk Zusammenschreibung notwendig ist, Getrenntschreibungen auf (z.B. stramm ziehen, rein waschen, gleich gesinnt). Außerdem haben die Mitglieder der Duden-Redaktion auch in diesem Bereich eine Reihe beschlossener orthographischer Varianten einfach unter den Tisch fallen lassen, d.h. unterschlagen.

Wir beschränken im Folgenden unsere Auseinandersetzung mit H. Zabel auf den ersten Satz seines Textes. (Der zweite ist so pauschal, dass sich schlichtweg nicht auf ihn eingehen lässt.) Dabei gehen wir in zwei Schritten vor; wir weisen zum einen (1) auf die grundsätzlichen Probleme im Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung hin, und wir gehen zum zweiten (2) auf die drei Beispiele von H. Zabel ein.

1. Die langen Jahre der Arbeit am Regelwerk im Internationalen Arbeitskreis haben allen Beteiligten - H. Zabel wird das bestätigen konnen - deutlich gemacht, dass kaum ein Bereich so schwer zu regeln ist wie die Getrennt- und Zusammenschreibung. Hinter der Schwierigkeit steckt kein orthographisches, sondern ein grammatisches Problem. Orthographisch lässt sich hier sehr leicht festlegen (vgl. die Vorbemerkungen zur Getrenntund Zusammenschreibung im Amtlichen Regelwerk):

Die Getrennt- und Zusammenschreibung betrifft die Schreibung von Wörtern, die im Text unmittelbar benachbart und aufeinander bezogen sind. Handelt es sich um die Bestandteile von Wortgruppen, so schreibt man sie voneinander getrennt. Handelt es sich um die Bestandteile von Zusammensetzungen, so schreibt man sie zusammen. Manchmal können dieselben Bestandteile sowohl eine Wortgruppe als auch eine Zusammensetzung bilden. Die Verwendung als Wortgruppe oder als Zusammensetzung kann dabei von der Aussageabsicht des Schreibenden abhängen.

Dieser Satz (der noch nicht als Regel daherkommt!) beschreibt exakt das Problem: Man kann richtig schreiben, wenn man weiss, was eine Wortgruppe bzw. eine Zusammensetzung ist. Das festzustellen ist aber nicht leicht, und manchmal ist es ganz unmöglich: Erst die Aussageabsicht des Schreibenden legt das letztlich fest.

Vor diesem Hintergrund ist auch zuzugeben, dass der Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung nicht an allen Stellen optimal geregelt ist. Versteht man Regeln als klare Handlungsanweisungen - für Lexikographen ebenso wie für ganz normal Schreibende - so bietet etwa die folgende Regel (§ 34 (2.2) des Amtlichen Regelwerks) ein Beispiel für eine extrem wenig hilfreiche Formulierung:

Partikeln, Adjektive oder Substantive können mit Verben trennbare Zusammensetzungen bilden. Man schreibt sie nur im Infinitiv, im Partizip I und im Partizip II sowie im Nebensatz bei Endstellung des Verbs zusammen. Dies betrifft [...] Zusammensetzungen aus Adverb oder Adjektiv + Verb, bei denen [...] der erste Bestandteil in dieser Verbindung weder erweiterbar noch steigerbar ist, wobei die Negation nicht nicht als Erweiterung gilt [...].

Verräterisch ist hier schon das Wort können im ersten Satz. Im Übrigen versuche man einmal, diese Regel auf eine Reihe von Fügungen anzuwenden, bei denen man immerhin auf den Gedanken kommen könnte, sie sei einschlägig. Die folgenden Schreibungen entsprechen der neuen Regelung:

bekannt machen, aufrecht gehen, aufrechterhalten, (sich) bereithalten, (sich) bereit erklären, bloßstellen, fertig stellen, frei stellen, freisprechen, totschlagen, blau schlagen

Bei Regeln wie dieser werden wir wohl auch in Zukunft in den Wörterbuchern nachschlagen müssen. Das Problem im gegebenen Zusammenhang ist nur: Wo schlagen eigentlich die Wörterbuchmacher nach?

2. Wir kommen damit zu den inkriminierten Schreibungen stramm ziehen, rein waschen und gleich gesinnt. Die Dudenredaktion hat hier interpretiert, musste interpretieren. Wir versuchen die Interpretationen nachzuvollziehen:

- stramm ziehen fällt unter den oben herangezogenen Paragraphen 34. Die Dudenredaktion hat hier offenbar Steigerbarkeit angesetzt (etwas stramm ziehen / etwas strammer ziehen) und musste entsprechend Getrenntschreibung ansetzen.
- Entsprechendes gilt für rein waschen: Hier ist Erweiterbarkeit möglich: Sie hat sich von diesen Anklagen nie ganz rein waschen können.

Damit nur die Problematik ganz deutlich ist: Wir können uns Wörterbuchentscheidungen vorstellen, die auf Zusammenschreibung hinauslaufen. Das hängt damit zusammen, dass die Kriterien Erweiterbarkeit und Steigerbarkeit nicht klar trennen. Nur: Falsch ist die Option Getrenntschreibung gewiss nicht.

- Getrenntschreibung bei gleich gesinnt kann sich auf die Wortliste stützen, der zu entnehmen ist, dass Fügungen mit gleich, wo es in gleicher Weise bedeutet, getrennt zu schreiben sind.

Zwischenfazit: Wir mussen im Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung dort, wo Regeln interpretierend auf den Wortschatz angewendet werden, auch in Zukunft tuft unterschiedlichen Entscheidungen rechnen. Welche von diesen Entscheidungen letztlich als falsch und welche richtig einzustufen ist, das ist angesichts der Kompliziertheit in diesem Bereich nicht von vornherein auszumachen.


Wir werden bezüglich der weiteren Punkte im Folgenden eher etwas holzschnittartig argumentieren.


3. Schreibung mit Bindestrich

Bezogen auf den Bereich Schreibung mit Bindestrich erhebt H. Zabel den Vorwurf, der Duden führe in einer Reihe von Fällen die beschlossenen Bindestrichschreibungen im Wörterverzeichnis nicht auf. Er nennt hier die Beispiele Hair-Stylist, Job-Sharing, Ich-Laut und Sex-Appeal.
Unserer Auffassung nach stilisiert H. Zabel hier ein Darstellungsproblem zu einem Grundsatzproblem hoch. Hätte das Wörterbuch überall, wo Bindestrichschreibung möglich ist (und sie ist nach der Neuregelung an vielen Stellen möglich) auch die Bindestrichschreibung verzeichnet, hätte das eine starke Aufblähung mit sich gebracht. Der Duden beschränkt sich darauf, hinsichtlich der Möglichkeit der Bindestrichschreibung auf seinen Regelteil zu verweisen und wir finden dieses Verfahren ökonomisch, korrekt und nicht angreifbar. - Die amtliche Wortliste verfährt übrigens nicht anders.


4. Worttrennung am Zeilenende

Bezogen auf die Worttrennung am Zeilenende wirft H. Zabel der Dudenredaktion vor, sie unterschlage (im Wörterverzeichnis!) Trennmöglichkeiten, die durch die Neuregelung eingeführt worden sind. Wörtlich: "Sie führt hunderte Trennungen wie Ap-ril, ext-ra, Pat-rone, Rek-rut usw. ohne jeden Verweis auf andere, ebenso richtige Möglichkeiten auf, und während andere Neuerungen farbig gekennzeichnet sind, fehlt eine solche Markierung hier vollkommen, sofern nicht st oder ck betroffen sind."

Wir möchten hier festhalten:

1. Der Duden enthält - sowohl in seinem Regelteil als auch im abgedruckten Amtlichen Regelwerk - selbstverständlich alle Trennregeln.
2. In allen inkriminierten Fällen (von April bis Rekrut) gibt es einen (roten) Verweis auf die allgemeinen Trennregeln.
3. Hinter dem Ganzen steckt - natürlich - wieder ein Darstellungsproblem (das von H. Zabel zu einem Grundsatzproblem aufgebauscht wird). Wir wollen es am Beispiel Rekrut demonstrieren. Hier ist neu möglich: Re-krut und Rek-rut.

Die Frage ist nun, wie man in einem Wörterbuch mit diesen unterschiedlichen Möglichkeiten umgeht. Eine Möglichkeit ist, überall dort, wo eine mögliche Trennfuge liegt, einen senkrechten Strich zu setzen; das ist aber verwirrend, weil ja die Entscheidung für Trennung an der einen Fuge die Trennung an der anderen ausschliesst. Eine andere Möglichkeit ist, für jede weitere Trennmöglichkeit das Wort noch einmal zu verzeichnen. Das ist unökonomisch. Wir haben uns beim Duden informiert, nach welchen Kriterien man dort vorgegangen ist. Die Auskunft ist:
Die Kriterien, nach denen die Dudenredaktion sich für bestimmte Trennungen im Stichwort entschieden hat, finden sich in der amtlichen Regelung: Die Trennung nach Sprechsilben verlangt, dass von mehreren Konsonanten in der Regel der letzte auf die neue Zeile kommt (ext-ra, Rek-rut). Die Trennung von Zusammensetzungen nach ihren Bestandteilen setzt voraus, dass man diese Bestandteile erkennen kann - dies ist nach Meinung der Dudenredaktion vor allem dann
gegeben, wenn sich stammverwandte Falle gegenüberstellen lassen (ex-trahieren wegen abs-trahieren, kon-trahieren, sub-trahieren; Re-klame wegen re-klamieren, de-klamieren, pro-klamieren).

Wir finden dieses Vorgehen korrekt.


5. Übriges

Das Schreiben von H. Zabel enthält einen Verweis auf nicht näher spezifizierte Arbeiten von G. Augst, in denen dieser gezeigt habe, dass der Duden im Bereich Zeichensetzung eigene Wege gehe. Da wir die Arbeiten nicht kennen, können wir keine Stellung zu ihnen beziehen. Wörtlich fügt H. Zabel hinzu: "Er (= G. Augst) stellt u.a. fest, dass die Duden-Redaktion neue Regeln und Unterscheidungen einführt sowie Empfehlungen mit dem Schein der Amtlichkeit präsentiert."

Wir meinen hier: Natürlich geht es nicht an, dass ein Wörterbuch eigene Reqeln mit dem Schein der Amtlichkeit präsentiert. Wir haben Derartiges im Duden auch nicht gefunden. Was der Duden hingegen tut,das ist eine Umsetzung des Amtlichen Regelwerks in eine präsentable Sprache, die der Benutzer verstehen kann. Dafür sollten wir dankbar sein. Das Regelwerk - wir sagten es schon - ist weder für den Laienleser geschrieben noch für ihn lesbar.


Wir kommen zu einer Würdigung der Vorwürfe von H. Zabel. Sie kann nicht anders lauten als so:

1. Die Vorwürfe, die H. Zabel erhebt, sind zum grossen Teil aus der Luft gegriffen, zum kleineren Teil aufgebauschte Petitessen.
2. Die Konsequenzen, die er fordert (den Duden in den Schulen nicht zur Verwendung zuzulassen) sind durch nichts begründet.


3 Zu dem ZEIT-Artikel von Dieter E. Zimmer

Vieles von dem, was zu dem Schreiben von H. Zabel gesagt worden ist, lässt sich auch auf den Artikel von Dieter E. Zimmer beziehen - offensichtlich hat ihm das Argumentarium H. Zabels zur Verfügung gestanden.
Wir beschränken uns daher darauf, hier einiges kurz zu rekapitulieren und einiges Wenige geradezurücken:

1. Dieter E. Zimmer, der hier marktwirtschaftlich argumentiert, findet ein Nebeneinander mehrerer
konkurrierender Rechtschreibwörterbücher grundsätzlich positiv. Wenn man dieser Meinung ist, darf man aber nicht zugleich fordern, dass die konkurrierenden Wörterbucher bis in die letzten Einzelheiten inhaltlich identisch sind. Konkurrenz schliesst Variation im Bereich der Kann-Regeln sowie in den randständigen Bereichen der Rechtschreibung mit ein. Wer die Konkurrenz unter den Rechtschreibbüchern bejaht, bejaht zugleich eine gewisse Relativierung des Gedankens der Einheitsschreibung.

2. Mag sein, dass der Duden in der Vergangenheit ein "nicht unheikles Verhältnis" zu den offiziellen Regeln hatte. Das heisst: Er hat an Stellen, an denen keine oder nicht mehr aktuelle Regeln da waren, kreativ weitergedacht. Wir würden sagen: Gott sei Dank. Angesichts der Untätigkeit der Politik in den letzten 100 Jahren hätte ein mutiger und selbstbewusster Duden ruhig noch mehr tun können - wir hätten dann keine Rechtschreibreform gebraucht. Auch Dieter E.Zimmer stellt ja fest:

"Dabei wird man der ´Duden´-Redaktion nicht vorwerfen konnen, ihr Privileg mißbraucht zu haben. Sie hat Dudens Namen geradezu zu einem Synonym für professionelle Lexikographie gemacht und auch die Pflichten der Sprachseelsorge, die die Herausgabe derartiger Werke mit sich brachte, gewissenhaft auf sich genommen."

 
 

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Mitglieder des Beirats: Herbert E. Brekle, Dieter Borchmeyer, Friedrich Forssman, Theodor Ickler, Michael Klett, Werner von Koppenfels, Hans Krieger, Burkhart Kroeber, Reiner Kunze, Horst H. Munske, Adolf Muschg, Sten Nadolny, Bernd Rüthers, Albert von Schirnding, Christian Stetter.

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