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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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14.03.2012
 

Heizen mit Brot
Konnotationen können sich ändern

In den Medien wird nach Kräften versucht, Empörung über die Vernichtung von Lebensmitteln zu schüren. Wer es feierlich mag, kann auch von "täglich Brot" reden.
Von der Wertbetontheit solcher Wörter ist zweifellos noch ein Rest vorhanden, allerdings kaum bei den Geschäftsleuten, die ihr Geld mit Agrarprodukten verdienen. Wer schon etwas länger auf der Welt ist, wundert sich vielleicht manchmal, wie unmerklich und dann auf einmal doch sehr deutlich sich die Wertmaßstäbe verschieben. So auch bei den Konnotationen der Wörter. Man muß aber etwas zurückdenken: Ich sehe noch die Bilder, auf denen riesige Berge Äpfel oder Tomaten von Raupenfahrzeugen zusammengeschoben und vernichtet werden. Viele Millionen Tonnen sind damals auf Veranlassung der EWG/EG vernichtet worden, natürlich unter demselben Gejammer der Presse wie heute. Das Ziel war, die Preise hoch zu halten.
Inzwischen werden große und schnell größer werdende Flächen für die Herstellung von Autotreibstoff genutzt. Zwischen solchen Feldfrüchten und Brotgetreide gibt es objektiv keinen Unterschied, es ist nur eine Frage der Benennung. Sollte es sich als günstig erweisen, mit Brot zu heizen, wird es natürlich umgesetzt – warum auch nicht? Man wird es nur anders nennen müssen.
Durch geschickte Wortwahl kann man erreichen, daß die größte Zumutung überhaupt keine mehr ist. Die Umerziehung im Interesse der Wirtschaft ist erst am Ziel, wenn auch die Sprache entsprechend zugerichtet ist.
Die Macht der Sprache ist gerade bei Nahrungsmitteln sehr groß. Wenn jemand bei uns ein Gulasch verzehrt und es ihm – naturgemäß – sehr gut schmeckt, werde ich mich hüten, ihm die Herkunft des Fleisches mitzuteilen. (Ich habe Gulasch noch nie aus etwas anderem als Pferdefleisch gekocht!) Hierher gehört ja auch die camouflierende Doppelbezeichnung: pork vs. pig, mutton vs. sheep usw.
Pascal Boyer hat einmal erwähnt, daß wir uns wahrscheinlich sehr ekeln würden, wenn uns jemand sagte, das Glas Wasser, aus dem wir gerade trinken, enthalte einen kleinen Tropfen Kuhharn. Man würde es nicht schmecken, und schädlich ist es auch nicht, aber trotzdem...



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Kommentare zu »Heizen mit Brot«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.04.2024 um 05.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#53045

Zum letztenmal und gleichsam als Abgesang auf das Thema „Pferdefleisch“:

Die Tagesschau berichtet über den letzten Münchner Pferdemetzger. Früher gab es dort 35. Wie er sagt, „werden heute die allermeisten Pferde für viel Geld eingeschläfert und in einer Tierkörperbeseitigungsanlage entsorgt“. Das kommt den Pferdehaltern (meist Reiterinnen) anscheinend edler vor als der Verzehr des vergleichsweise gesunden Pferdefleischs (das immerhin 1.200 Euro einbringen würde). Die Nachfrage ist immer noch groß. In meiner Wohngegend ist seit zehn Jahren kein Pferdemetzger mehr erreichbar. Dabei stellen viele Landwirte auf Reitpferde um.
Vielleicht wird die „Beseitigung“ noch durch die Bestattung ersetzt, wie bei Hunden. Pferde stehen gewissermaßen zwischen Schweinen und Hunden, Nutz- und Heimtieren, und wandern auf dieser Skala allmählich ein Stück zu den Heimtieren hin. Die Gesetzgebung ist, wie gezeigt, unentschieden, dem Brauchtum folgend. Man denke auch an das „Gnadenbrot“, das sich vom Menschen auf Tiere verschoben hat, die heute auf „Gnadenhöfen“ (also in Tierasylen) gehalten werden.
Das Ganze ist ein nicht besonders rationales, regional begrenztes Phänomen und kann gut als Beispiel für „Gruppenleistungen vom Typ des Bestimmens“ (Hofstätter) untersucht werden.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.11.2023 um 05.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#52168

Über den Begründer der "Allgemeinen Semantik" wird berichtet:

One day, Korzybski was giving a lecture to a group of students, and he interrupted the lesson suddenly in order to retrieve a packet of biscuits, wrapped in white paper, from his briefcase. He muttered that he just had to eat something, and he asked the students on the seats in the front row if they would also like a biscuit. A few students took a biscuit. "Nice biscuit, don’t you think," said Korzybski, while he took a second one. The students were chewing vigorously. Then he tore the white paper from the biscuits, in order to reveal the original packaging. On it was a big picture of a dog’s head and the words "Dog Cookies." The students looked at the package, and were shocked. Two of them wanted to vomit, put their hands in front of their mouths, and ran out of the lecture hall to the toilet. "You see," Korzybski remarked, "I have just demonstrated that people don’t just eat food, but also words, and that the taste of the former is often outdone by the taste of the latter." (Wikipedia „Alfred Korzybski“)
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 07.11.2023 um 08.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#52112

Darf ein Veganer getrocknete Feigen essen? Schließlich steckt in jeder die Leiche einer Wespe. Experten beruhigen: Die Wespe sei längst aufgelöst und in körpereigene Feigensubstanz überführt.

Den Enkeln erzähle ich lieber nichts davon, sonst geben sie die sehr gesunden Früchte auf.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.05.2023 um 05.54 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#50972

Noch einmal zu den Speisetabus und ihrer pseudohygienischen Rationalisierung:
„All Bengali Hindus are very particular about left-over food, which they consider to be very unclean; therefore they never go anywhere near it.“ (Nirad Chaudhuri 177)

Nicht nur die Bengalen. Zu Ucchiṣṭa vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Uchchhishta
Daraus geht hervor, daß „Reinheit“ und „Unreinheit“ viel mehr mit der Sozialordnung zu tun haben als mit Hygiene-Vorstellungen. Reinheitsgebote können im größten Schmutz durchgesetzt werden.

Hierzulande war es früher üblich, daß alle mit ihrem Löffel aus einer einzigen großen Schüssel schöpften (und sich dabei nicht „zuviel herausnahmen“). Für Hindus eine Horrorvorstellung.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.10.2022 um 05.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#49743

Gerade hörte ich eine Erlanger Theologin wieder mal die gotteslästerliche Ansicht vortragen, das Schweinfleischverbot der Juden gehe auf die Gefahr der Trichinose zurück. Dieser Zusammenhang wurde allerdings erst im 19. Jahrhundert erkannt, und von damals stammt auch die rationalistische Erklärung dieses und anderer Nahrungstabus.
Gott spricht denn auch nie von krankmachenden Wirkungen. Wer die detaillierten Vorschriften (es geht ja nicht nur um Schweine) bricht, wird nicht krank, sondern verflucht. (https://de.wikipedia.org/wiki/Nahrungstabu)
Die gleiche rationalistische Banalisierung fand jene Theologin (Bibel-Podcast "Unter Pfarrerstöchtern") im Fall der Beschneidung einleuchtend. Aber wenn das Beschneidungsgebot hygienisch motiviert war – warum heißt es dann: "Wenn aber ein Männlicher nicht beschnitten wird an seiner Vorhaut, wird er ausgerottet werden aus seinem Volk, weil er meinen Bund gebrochen hat." Das ist ja noch schlimmer als Lauterbachs Impfzwang!
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.09.2022 um 05.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#49703

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#40242

Im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 in Südkorea gab es internationale Kritik daran, dass der Verzehr von Hundefleisch in Korea nicht explizit verboten ist. Die Schauspielerin und Tierschützerin Brigitte Bardot sprach beispielsweise von „barbarischen Unsitten“ und handelte sich dafür den Vorwurf des Rassismus ein. (https://de.wikipedia.org/wiki/Nahrungstabu – „exzellenter“ Artikel, in der Tat lesenswert)
So gerät man zwischen alle Stühle.

Fast alle Tiere sind eßbar, aber nirgendwo werden alle gegessen. Die Gründe sind also stets irrational.

Die Aufklärung begann mit der Einsicht „Andere Länder – andere Sitten“. Dazu trugen die Reisenden der Antike bei. Als nächstes kamen die Religionen dran. (Nach Gräfenhan war die Religionskritik des Xenophanes für Jahrhunderte das Schärfste, was es an Aufgeklärtheit gab; Gesch. d. klass. Philologie im Altertum I, S. 202.) Abgeschlossen ist dieses „Projekt“ (wie man modisch sagt) bis heute nicht, kann es wohl auch niemals sein.
 
 

Kommentar von , verfaßt am 30.10.2021 um 06.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#47464


 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.05.2021 um 08.37 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#46007

Amazon lässt weiter regelmäßig neuwertige Ware, darunter Kleidung, Spielzeug, T-Shirts, Bücher und Elektro-Artikel vernichten.

Usw. – alles zielt darauf ab, Empörung zu erzeugen und den Versandhandel anzuprangern. (Als ob im Einzelhandel so etwas nicht vorkäme!) "Neuwertig" ist auch nicht "neu". Ob Kleider anprobiert oder ein paarmal getragen und damit "gebraucht" sind, läßt sich auch nicht feststellen. Gleiches gilt für viele andere Artikel. Es gibt bessere Gelegenheiten, sich aufzuregen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.05.2019 um 09.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#41421

Unser Interesse an der Erhaltung von Regenwäldern und Korallenriffen ist begründet und stark genug, so daß wir nicht außerdem noch Tier- und Pflanzenrechte einführen müssen, was dann wieder Vormünder für Pilze und Hummeln erfordern würde usw. – Die Diskussion würde durch solche Phantastereien ins esoterische Abseits geschoben und zur Ergebnislosigkeit verurteilt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.12.2018 um 06.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#40242

Nahrungsmitteltabus sind zunächst Bräuche, doch können sie einerseits in die Gesetze eingehen, andererseits in Zwangsneurosen übergehen.

Viele Menschen mögen kein Schaffleisch, andere essen es mit Vorliebe. Das ist auch gesellschaftlich bedingt, nicht nur individueller Geschmack.

Stärker und weiter verbreitet ist die Abneigung gegen Pferdefleisch. Aus meiner Kindheit in der Nachkriegszeit ist mir in Erinnerung, daß man einigen Essern am besten verschwieg, was auf dem Teller lag, allenfalls witzigerweise unter dem Tisch mit den „Hufen“ trappelte und einander zuzwinkerte.

Hundefleisch ist hierzulande verboten (https://www.gesetze-im-internet.de/tier-lmhv/__22.html), anderswo eine Delikatesse.

Das Verbot von Schweinefleisch kann so weit gehen, daß gelehrte Spezialisten hauptberuflich damit beauftragt werden, nach Spuren von Schweinernem zu fahnden, die den Zorn Gottes über die ganze Gemeinde heraufbeschwören könnten.

Spitzfindige Rationalisierungen, etwa Gesundheitsgründe, sind durch die Praxis der jeweils anderen epidemiologisch widerlegt.

Der Umgang einer liberalen Gesellschaft mit solchen Verhältnissen kann nur darin bestehen, jedem die Wahl zu lassen, aber nicht zu dulden, daß einige den anderen ihre Verhaltensvorschriften aufzwingen. Das ist, wie die Religionsfreiheit, auch keine Frage von Mehrheitsverhältnissen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.10.2018 um 17.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#39752

Die Umweltorganisation WWF wirft Backwarenfirmen eine teils massive Überproduktion vor. In manchen Geschäften bleibe jede fünfte Backware liegen, heißt es in einer Studie zur Lebensmittelverschwendung bei Bäckereien und Backshops. WWF schätzt, dass die Verluste bei Backwaren insgesamt etwa 1,7 Millionen Tonnen pro Jahr betragen. Nicht verkaufte Ware werde entweder gespendet oder weiterverarbeitet - zu Tierfutter, Biogas oder Semmelmehl. Manche Bäckereien verkaufen das Altbrot auch verbilligt, ein anderer Teil landet im Abfall.
(...)
Das bedeute, dass die Ernte von knapp 400.000 Hektar Ackerland verschwendet werde, einer Fläche, die größer als Mallorca ist. Zudem würden unnötige 2,46 Millionen Tonnen Treibhausgase ausgestoßen, heißt es weiter.
(tagesschau.de 4.10.18)

Diese Milchmädchen- oder Bäckerjungenrechnung widerlegt sich selbst. Tierfutter und Biogas beanspruchen ja auch Ackerland, und Semmelmehl ist nur eine andere Form, Backwaren zu verzehren. Übrigens bedeuten 1,7 Mill. Tonnen auf die Menschheit umgerechnet etwa ein halbes Pfund pro Jahr, weniger als 1 Gramm pro Tag.

In diesem Zusammenhang weist ein Leser darauf hin, daß die EU zwar die Leistung von Staubsaugern begrenzt, aber nicht die von Autos.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2018 um 05.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#39630

Zwar fehlt es Bill Clinton nach den vorliegenden Medienberichten noch an einer ethischen Fundierung seines Veganismus im Sinne von Tierschutz und Tierrechten, dennoch ist sein Beispiel wegweisend bezüglich der enormen positiven Auswirkungen einer veganen Ernährung auf die menschliche Gesundheit. (https://www.vegan.eu/clinton_isst_vegan/)

Es genügt eben nicht, das Richtige zu tun, man muß es auch aus den richtigen Gründen tun. Kühe haben ein Recht auf die eigene Milch, Hühner ein Recht auf ihre Eier, Bienen ein Recht auf ihren Honig (auch wenn sie ihn ihrerseits gestohlen haben).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.06.2017 um 14.52 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#35505

Verbraucherschützer wollen auch ab und zu in die Presse.

Es wird beklagt, daß die Behörden "Ekelfunde in Bäckereien" verschwiegen haben.

Ich habe mal ein Brot in einer kleinen, "handwerklich arbeitenden" Bäckerei gekauft. Jede Scheibe hatte am unteren Rand einen zentimeterbreiten Streifen von Mäusekot.
Und jetzt wird gejammert, ein Brot aus einer Großbäckerei habe einmal die "Kotpille eines Kleinsäugers" enthalten. Ich glaube, jede Bäckerei wimmelt von Mäusen, darum muß das Mehl gesiebt werden.

Ein befreundeter Koch half mal in einem angesehenen Restaurant aus, bis zu den Knöcheln im Unrat, der tagelang nicht aus der Küche geräumt wurde. Natürlich würde er nie selbst dort essen gehen, vermeidet es aber auch sonst.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.06.2017 um 07.06 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#35385

Die symbolische Umweltpolitik hat sich auf die Plastik-Einkaufsbeutel eingeschossen, deren Rückgang nun in allen Medien gefeiert wird. Er ist ökologisch ohne Bedeutung. Deutsche Tüten landen nicht im Pazifik und nur selten im Wald, sie werden verbrannt. Der Gelbe Sack verrät, was die Nachbarn wegwerfen (wir auch, obwohl wir uns Mühe geben): Hauptsächlich Verpackungen, verschwindend wenige Plastikbeutel.

Von den Grünen sollte man ein umfassendes vernünftiges Konzept (auch für den Verkehr) erwarten, aber deren einziger nicht-verhandelbarer Programmpunkt ist die "Ehe für alle", durchgesetzt von unserem alten Freund Volker Beck.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2017 um 06.55 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#35364

Hier ist die Liste der Ausnahmen (auch für andere Sprachen der EU):

Kokosmilch Liebfrau(en)milch Fischmilch Milchner Butterbirne Rahmapfel Butterbohne Butterkohl Butterpilz Milchbrätling Buttersalat Erdnußbutter Kakaobutter Fleischkäse Leberkäse Käseklee

Interessanterweise steht der Bezug auf Milch und Milchprodukte meistens im Bestimmungswort, dessen logische Beziehung zum Grundwort bekanntlich sehr offen ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2017 um 06.15 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#35362

Es ist schon ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke, daß sich Juristen und Ministerialbeamte ein deutsches Wörterbuch vornehmen und die Komposita danach sortieren, ob sie beim imaginierten Laien irreführende Vorstellungen hervorrufen könnten oder nicht.

Immerhin sind die Vegetabilen nun gezwungen, sich neue, möglicherweise recht attraktive Ausweichbezeichnungen auszudenken, und es könnte dahin kommen, daß die Produzenten von Fleisch sich letzten Endes ins eigene geschnitten haben.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 15.06.2017 um 05.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#35360

Abgeschlossene Ausnahmeliste von der Kokosmilch bis zur Erdnussbutter
Eine Ausnahme davon kann dem EuGH nach nur dann gemacht werden, wenn eine Produktbezeichnung in einer Liste im Beschluss 2010/791/EU der Kommission vom 20. Dezember 2010 enthalten ist. Für Deutschland und Österreich sind in dieser Liste die Bezeichnungen "Kokosmilch", "Kakaobutter", "Fleischkäse", "Leberkäse", "Butterschnitzel", "Faschiertes Butterschnitzel", "Milchmargarine" und "Margarinestreichkäse" enthalten. Außerdem "Liebfrauenmilch" (eine altere liebliche Weisorte, die nach dem Vorbild der Likörmarke "Jägermeister" gerade an ein jüngeres Publikum vermarktet werden soll), "Erdnussbutter" (die es in Deutschland lange nur in US-Kasernen gab und die Harald Schmidt nach eigenen Angaben als Kind nach dem Lesen von Lassie-Romanen selbst herstellen wollte, indem er Erdnüsse in Butter drückte), "Käseklee" (ein dem Bockshornklee vergleichbares Würzmittel), die Salatsorten "Buttersalat" und "Butterhäuptel", die Obstsorten "Butterbirne" und "Rahmapfel", die Gemüsesorten "Butterbohne", "Butterkohl", die Pilze "Butterpilz" und "Milchbrätling" sowie "Fischmilch" und "Milchner" (vgl. Thunfischsperma als Gänseleberersatz).


Linguistisch ist hier interessant das Arbeiten mit einer geschlossenen Liste. Natürlichweise wächst die Sprache nicht nur durch Ableitung und Zusammensetzung neuer Wörter, sondern auch durch "innere" Wortbildung,rein semantische Verfahren der Bedeutungserweiterung und -übertragung. Dem schieben die Richter einen Riegel vor, wie es sonst nur in fachsprachlicher Terminologisierung vorkommt. Um allzu großen Widerstand zu vermeiden, gesteht man eine geschlossene Liste von Ausnahmen zu, aber das ändert nichts daran, daß die Herrschaft des normalen Sprachbenutzers über seine Sprache staatlich beschränkt wird – letzten Endes aber im Interesse einer Gruppe von Wirtschaftsunternehmen. Also ein weiterer Fall von Privatisierung des Allgemeinguts Sprache.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.06.2017 um 13.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#35353

Der Europäische Gerichtshof hat den Verbraucherschützern recht gegeben und verbietet Bezeichnungen wie Sojamilch, Tofukäse usw. Der Verbraucher setze voraus, daß Milch aus dem Euter komme und Kase daraus gemacht sei.

Das ist aber nicht nachgeprüft worden. Nur der Glaube an die Macht der Worte ist ungebrochen. Die SZ bringt einen ebenso naiven Kommentar, in dem auch jene Frau Wehling erwähnt wird, die ja sogar weiß, wie die Wörter im Hirn verarbeitet werden (http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#32496 und http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1106#32433)

Glauben die Verbraucher auch, daß Sonnenmilch aus dem Euter kommt und Leberkäs Käse enthält? Deutsche Gericht haben schon eine Beimischung von Leber zum Leberkäs erzwungen, obwohl das nur eine Volksetymologie ist (nach Laib, der Form der Fleischmasse = Kas).

Ich kenne niemanden, der sich über die Herkunft von Sojamilch im unklaren wäre; man kauft sie ja gerade wegen ihres nicht-tierischen Ursprungs.

Der Angriff auf die Produzenten vegetarischer Lebensmittel hat in Wirklichkeit nichts mit Verbraucherschutz zu tun, sondern ist eine Aktion der Fleischindustrie, zu deren Handlanger sich die CDU gemacht hat. Der Rückgang des Fleischkonsums soll aufgehalten werden, dazu bedient man sich eines Abmahnvereins, willfähriger Politiker und nützlicher ("grüner") Idioten, die das nicht durchschauen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.04.2017 um 05.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#34893

Eine Zeitung erinnert mit Recht daran, daß der christliche Brauch, an Karfreitag kein Fleisch, sondern Fisch zu essen, seinen Sinn verloren hat, seit Fleisch billig und Fisch Luxus geworden ist. Fleisch aus dem Supermarkt ist ja billiger als gutes Brot. Ich erinnere mich, als Kind drei Pfund grüne Heringe für 1 Mark gekauft zu haben. Gute Katholiken mißbilligen aber immer noch den Fleischverzehr, obwohl Fisch ja gerade kein "Opfer" mehr ist. Das ist ein gutes Beispiel für das Verschwinden der Motivation und die Verselbständigung eines Tabus.
Vielleicht habe ich es anderswo schon gesagt: Die katholische Kirche hat den Biber wegen seines Schwanzes zum Fisch erklärt, wodurch diese Delikatesse als Fastenspeise galt. Dazu trank der Mönch das nahrhafte Starkbier, über dessen heutige Bezeichnungen auf -ator, aus Salvator abstrahiert, wir schon gesprochen haben.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 04.10.2016 um 13.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#33450

Ja, das finde ich auch, habe hier nur den Tagesschau-Text wiedergegeben.
Was Homunculi machen, ist aber aus meiner Sicht in Ermangelung einschlägiger Berichte auch noch offen.

Für mich als Deutschsprachigen, der, wie hier auch schon gesagt wurde, das Englische fast als deutschen Dialekt betrachtet, ist es immer wieder etwas irritierend zu lesen oder zu hören: What do lions eat? usw.
Das Verb to fret hat dort eine leicht andere Bedeutung erhalten.
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 03.10.2016 um 21.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#33445

Menschliche Leukozyten essen im allgemeinen nicht, sie fressen. Es sind ja keine Homunculi.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 03.10.2016 um 19.18 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#33443

zu "essen" versus "fressen", #22690:

Auf http://www.tagesschau.de/nobelpreis-medizin-autophagie-101.html steht heute:

Das Wort Autophagie, auch Autophagozytose genannt, setzt sich aus den griechischen Wörtern auto (selbst) und phagein (essen) zusammen und bedeutet damit wörtlich "Selbstfressen". Heißt: Unsere Zellen essen sich teilweise von innen auf, um funktionsfähig zu bleiben.

selbst + essen = Selbstfressen
Warum eigentlich groß? Vielleicht, um das Problem der GZS zu umgehen?
Und letzteres wiederum heißt bei menschlichen Zellen (sich) "selbst essen".
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 08.07.2016 um 17.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#32792

Auf der Suche nach diesem legendären Rezept gefunden: »Der Pfeffer kann Chili sein« (Siebeck, 2000).
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.07.2016 um 17.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#32790

Wolfram Siebeck ist gestorben, und man braucht nicht viel Phantasie, um sich das Paradies vorzustellen, in das er hoffentlich entrückt ist.

Man zitiert nun gern seine schönsten Sprüche, aber bisher nicht den denkwürdigen Satz von 1983, den ich anderswo schon mal in Erinnerung gerufen habe und an den ich mich etwa so erinnere: Ich koche zwei Hühner und werfe sie weg. Die Brühe...

Übrigens in besseren Küchen völlig normal.

Siebeck hat lange vor Dollase und niemals so pseudointellektuell "strukturalistisch" wie dieser seinem Publikum suggeriert, es gebe beim Essen so etwas wie einen Fortschritt ("avancierte Kreationen" wurden bei Dollase daraus).

Beide haben in diesem Bereich wohl einen gewissen Einfluß ausgeübt. Die ganze Art, darüber zu schreiben, hat sich ein wenig verändert, wie es ja auch bei der Musik- und Kunstkritik einen solchen Einfluß gibt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 01.12.2015 um 19.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#30721

Unter den Google News bin ich auf ein Filmchen gestoßen, das zeigt, wie in China noch nackte Jungmäuse lebend gegessen werden, mit den Stäbchen zuvor in Sojasoße getunkt. Angeblich soll das Quieken beim Hineinbeißen besonders reizvoll sein. Die Empörung der Leser ist ungeheuerlich, was ja wohl auch die Absicht war. Einer beschimpft die Chinesen als völlig kulturlose Barbaren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.06.2015 um 11.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#29248

Noch zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22690

Von "Euter" sprach neulich eine Frau, als sie gegen Mütter wetterte, die in der Öffentlichkeit ihre Säuglinge stillen. Durch die Verweigerung des üblichen sprachlichen Tier-Mensch-Dimorphismus wirkt das ziemlich grob.

Die Leser sind in dieser Frage naturgemäß gespalten. Manche ekeln sich oder empören sich moralisch, wenn sie das Stillen mitansehen müssen. Andere heben das Natürliche hervor, worauf jene replizieren, es gebe auch andere natürliche Vorgänge, die man gleichwohl im Verborgenen verrichte. Außerdem auch von JournalistInnen der Verdacht, eine Kind sei ein angeberisches Accessoire wie jedes andere.

Es fällt ein gewisser Widerspruch auf: Sexuelle Zurschaustellung in der Öffentlichkeit? Ja, gern, jede Menge! Aber ein Kind stillen? Seltsame Verlagerung der Prüderie.

Die Maler haben die Gottesmutter mit Baby gern als Vorwand benutzt, schöne junge Frauen mit mehr oder weniger entblößten Brüsten (nicht Eutern) darzustellen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.02.2015 um 16.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#28125

Zu http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#20258:

Jedes Jahr um diese Zeit wird die gleiche Platte aufgelegt:

Dass jeder Bundesbürger laut einer Studie im Jahr 82 Kilogramm Nahrung in den Müll werfe, sei angesichts von weltweit 800 Millionen hungernden Menschen nicht akzeptabel, sagte Schmidt. "Die Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit, darüber nachzudenken, welchen Wert wir unseren Lebensmitteln beimessen." (Bundesernährungsminister Schmidt laut PNP 18.2.15)

Früher sagt man zu uns: "Denk an die armen Negerkinder!" Aber wir hatte keine Möglichkeit, die verschmähte Graupensuppe nach Afrika zu schaffen, insofern war das unpädagogisch. Das gilt auch noch für die 800 Millionen, denen es eher schadet, wenn wir die Lebensmittel nicht wegwerfen, sondern auf ihre Märkte rübersubventionieren.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.09.2014 um 04.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#26789

Das Pferdeopfer bringt mich auf eine orthographische Beobachtung, die eigentlich anderswohin gehört:

Das Ashvamedha war ein ausschließlich dem König vorbehaltenes Opfer, dass eng mit dem Machtanspruch des jeweiligen Herrschers in Verbindung stand. (...) Hierzu wurde ein Pferd ausgewählt, dass an einem glückverheißenden Tag freigelassen wurde. (Wikipedia Ashvamedha)
 
 

Kommentar von Erich Virch, verfaßt am 14.09.2014 um 15.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#26753

Für "Teilzeitvegetarier" gibt es neuerdings die Bezeichnung Flexitarier.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.09.2014 um 07.35 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#26748

Eine kluge Antwort. Das Oktoberfest (zu dem ich in meinen neun Jahren München nie gegangen bin) ist ja untypisch, wie man schon an der Bereitschaft sieht, fast zehn Euro für einen Liter bzw. 0,9 Liter Bier zu zahlen. Aber auf dem Wochenmarkt zum Beispiel kann man sehen, wo sich die Leute anstellen: dort, wo großzügig gewogen bzw. abschließend noch eine Gratis-Knolle draufgelegt wird. Alle Kunden wissen, daß solche Freigiebigkeit den Verkäufer nicht ärmer macht, aber wir haben es doch recht gern und kommen immer wieder. So gehen wir auch lieber in Gaststätten, wo die Portionen reichlich - sogar allzu reichlich - bemessen sind, als dorthin, wo man das Schnitzel unter der zweiten Kartoffel von rechts suchen muß.
 
 

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 14.09.2014 um 06.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#26746

Die Sache mit dem "Unterschank" erinnert mich an einen alten Bekannten, der mit allen Wassern gewaschen war. Sogar in der Legion in Indochina diente er.
Es hört sich zwar nach einem Kalauer an, ich schreib´s trotzdem.
Wir saßen beim Bier in der Kneipe, mein Bekannter ärgerte sich über den Unterschank. Er an den Wirt: Sie könnten mehr Umsatz machen.
Der Wirt naiv: wie denn?
Indem Sie die Gläser besser füllen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.09.2014 um 06.02 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#26743

Ein Hoch auf den wahren Genießer! Das klingt doch gleich viel herzhafter als das dekadente Geschreibsel eines Herrn Dollase. Keine Esel mehr? Das erinnert mich an Platon, der seinen Sokrates klagen läßt, in einer Demokratie wie Athen seien sogar die Esel frecher als anderswo und ließen in ihrem übersteigerten Selbstbewußtsein dem gewöhnlichen Fußgänger keinen Platz auf der Straße.
Wie ich aus jahreszeitlichen Gründen gerade lese, gibt es auf dem Münchner Oktoberfest jetzt auch vegane Würste usw. Das verstehe ich nur halb, warum überhaupt die Vegetarier und Veganer auf der Imitation von Fleischspeisen bestehen, statt eine autonome Gemüsekultur zu entwickeln. Eine solche vegetarische Autonomie gibt es z. B. in Indien, und es ist eine wahre Pracht, von der man bei uns nur ganz allmählich etwas übernimmt. In einfachen Gasthäusern hierzulande besteht aber ein vegetarisches Gericht oft aus demselben unappetitlichen Zeug wie das normale, nur ohne das Fleisch.

Fragen zum Münchner Oktoberfest:

Stimmt es, dass es nur Bier zu trinken gibt?
Nein, in jedem Zelt gibt es außer Bier auch antialkoholische Getränke zu trinken.
(stern.de 11.9.14)

Das klingt ja richtig kämpferisch. Bei uns kommt kraß antialkoholisches Wasser aus der Leitung.

Eine schöne Wortbildung im selben Artikel:

Doch fast jede Maß ist schlecht eingeschenkt. Behördlich ist ein Unterschank von 0,1 Liter sogar erlaubt.

Man hat ausgerechnet, daß die Biermafia durch den Unterschank über 5 Mill. Euro Zusatzgewinn einstreicht. Nebenbei wird man daran erinnert, daß die Maß vor 40 Jahren etwa 2,40 DM kostete, heute also das Achtzehnfache.
 
 

Kommentar von Argonaftis, verfaßt am 14.09.2014 um 01.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#26742

Ich habe diesen Faden jetzt erst entdeckt. `Waldhonig` hat mich neugierig gemacht. Dann natürlich auch die Hinweise auf anständige Salami nicht ohne Eselsfleisch. Mich leiten auch ausschließlich fleischliche Genüsse. Auf der Suche nach einer solchen habe ich gestern in einer griechischen Kleinstadt einen kleinen, sehr appetitlichen Supermarkt aufgesucht. Zwei Metzger bedienten die Fleisch-Wurst-Käse-Theke. Ihre Arbeit gefiel ihnen sichtlich. Die Frage nach Salami mit Eselsfleisch beschieden sie mit dem üblichen nach Hilflosigkeit ausschauenden wortlosen Augenaufschlag.
Kein Wunder, es gibt in Griechenland keine Esel mehr.
Ich erinnere mich mit Wehmut auf meiner Zunge früherer Jahrzehnte, in denen die luftgetrocknete Salami mit einem Stück vom Laib heruntergerissenen Stück Brot und einer Flasche Wasser im Schatten eines Olivenbaums zur Rast die Mittagsmahlzeit war.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.09.2014 um 16.44 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#26741

Waldhonig ist eine feine Sache. Die Wortbildung habe ich anderswo schon erwähnt. Auf einem Glas steht:

Waldhonig hat einen würzigen, harzig bis malzigen Geschmack.

Die letzten beiden Adjektive sind zusammen mit der Partikel univerbiert: [einen würzig-bis-malzig]en Geschmack.

Seinen Kindern sollte man vorläufig nicht erklären, wie Waldhonig entsteht (aus Blattlausschiß gewissermaßen), sonst wollen sie ihn so wenig wie das oben erwähnte Wasser mit Kuhharn.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 13.04.2014 um 20.58 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#25597

Habe jetzt mal nachgesehen. Einen ausgewachsenen Wikipedia-Artikel über den Tonartencharakter gibt es nur in Deutsch und Esperanto. Das Phänomen ist offenbar wohlbekannt, aber in den Einzelheiten umstritten.

Meine spezielle Theorie (C-Dur ist wegen "Alle meine Entchen" banal) kommt im dem Artikel nicht vor. Sie bedeutet verallgemeinert: Musiker erkennen den Grundton wieder und damit auch die Tonart. Mit einer bestimmten Tonart assoziieren sie alle Musik, die sie in dieser Tonart gehört haben. Genauer: deren Essenz, also den emotionalen Charakter aller dieser Werke, gewichtet mit der jeweiligen Häufigkeit der Hörerlebnisses.

Bei einigen Tonarten bahnen objektive Faktoren die Richtung, wie die C-Dur-Konstruktion des Klaviers und der Kinder-Blockflöten. Oder D-Dur als barocke Trompetentonart. Oder die Tatsache, daß bei Es-Dur kaum leere Saiten gestrichen werden können.

Ich habe mich getraut, diesen spekulativen Exkurs hier einzustreuen, weil ich glaube, daß es sich mit der Sprache ähnlich verhält: Man assoziiert mit einem Wort im Prinzip alle Zusammenhänge, in denen es aufgetreten ist – vor allem die häufigsten Bedeutungen, Kontexte und Verwendungen. Diese bestimmen dann in der Summe den Assoziationsmix und geben den Konnotationen oft eine eindeutige Tendenz.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 13.04.2014 um 14.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#25592

Im Untertitel dieses Abschnitts ist von Konnotationen die Rede. Ich möchte eine zugegeben vage Theorie beisteuern, die ich einfach mal so aufgestellt habe. Sie besagt, daß in der Musik Tonarten mit bestimmten emotionalen Qualitäten konnotiert sind, für die es teilweise plausible Erklärungen geben könnte. Ich hätte vielleicht erst mal Google befragen sollen, ob jemand schon ungefähr dasselbe mitgeteilt hat, ich habe es aber nicht gemacht.

Diese Empfindungen sind Gegenstand von Smalltalk unter Amateurmusikern gewesen, zu denen ich früher gehört habe. Man war sich eigentlich immer wieder einig – vor allem grundsätzlich, daß es solche emotionalen "Färbungen" der Tonarten gibt (also sozusagen Konnotationen), und teilweise auch darin, wie sie sich anfühlen. C-Dur wurde beispielsweise als flach, platt, irgendwie neutral empfunden. Es-Dur ist dagegen ähnlich füllig und glänzend wie Gold.

Aus physikalischer Sicht müßte das Unsinn sein. Bei C-Dur schwingt die Luft nur eine Spur langsamer als bei derselben Musik, wenn sie einen Halbton nach oben transponiert wird, also nach Cis-Dur. Warum sollte damit ein ganz anderes emotionales Register angesprochen werden? Außerdem sind die absoluten Frequenzen gar nicht eindeutig. Der Kammerton war und ist variabel. Man stimmt mal etwas höher, mal etwas tiefer, so daß C-Dur objektiv gesehen manchmal schon halb Cis-Dur ist.

Aber die Erfahrung widerspricht dem: Ich habe kein absolutes Gehör, kann aber zum Beispiel C-Dur meistens anhand seiner emotionalen Qualität heraushören, egal von welchem Instrument oder Ensemble es erklingt.

Ich könnte mir vorstellen – falls etwas dran ist –, daß es Gründe gibt, warum C-Dur so platt klingt. Es ist diejenige Tonart, in der Kinder oder Laien auf dem Klavier herumklimpern. Entsprechend klingen auch viele einfache Kinderlieder in C-Dur (Hänschen klein, Alle meine Entchen). Meine Vermutung ist: Das Simple dieses Liedguts wird emotional mit der Tonart verknüpft. So überträgt es sich später auch auf die edelste Kunstmusik in C-Dur. Selbst dann, wenn die genaue Stimmung eine Spur höher oder tiefer liegt.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.09.2013 um 05.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#24092

Lebensmittelskandale in Deutschland folgen einem Muster: Erst wird über Umwege bekannt, dass ein Lebensmittel eklig (Dioxin in Futtermittel), falsch deklariert (Pferdefleisch) oder gar gesundheitsschädlich (Ehec) ist. (Spiegel online 20.9.13)

Merkwürdige Einschätzung von Dioxin.
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 11.04.2013 um 14.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22962

Viel tragischer ist, daß die Mongolen die letzten Wildpferde aufgegessen haben, sodaß jetzt in Europa nachgezüchtete dort ausgewildert wurden und Wildhüter sie vor dem Abschuß schützen müssen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 11.04.2013 um 12.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22960

Der nächste Pferdefleisch-"Skandal" galoppiert heran, da will ich auch noch etwas ergänzen:

„Der Pferdefleischskandal zieht immer erschreckendere Kreise. Jetzt kam heraus, dass auch in Fertiggerichten von Starkoch Alfons Schuhbeck Pferdefleisch gefunden wurde. Doch es geht noch schlimmer. In Großbritannien wurde jetzt in Proben von Hackfleisch sogar Eselfleisch nachgewiesen.“ (shortnews)

„Pferde-Lasagne? Papperlapapp! Es geht noch viel schlimmer: In Südafrika haben Forscher nun ebenfalls Burger und Würste aus Rinderhack untersucht. Sie fanden Spuren von Büffel-, Ziegen- und Eselfleisch.“ (SPIEGEL)

Büffel sind doch auch Rinder, was soll also "noch viel schlimmer" sein? (In Indien war Fleisch von Wasserbüffeln besonders billig, auch ein bißchen zäh; ich erinnere mich, daß das Rindfleischtabu für die Büffel nicht galt oder nicht so streng.)

Esel gehört in eine anständige Salami. Gerade heute war ich beim Pferdemetzger, der in letzter Zeit soviel Nachfrage erlebt, daß ich mich sputen muß, wenn ich noch ein gutes Stück bekommen will. Er erinnerte sich noch, daß ich an Esel interessiert bin, und verkaufte mir ein Stück Eselsalami, echt lecker.
Esel sind laut Wikipedia schwindelfrei, anders als Pferde. Dies wurde einem großen Sprachwissenschaftler zum Verhängnis.
Ich weiß nicht, ob ich das schon mal erzählt habe: Der Mann war im Orient unterwegs, ich glaube im Hindukusch oder Karakorum. Er wollte seine eigenen Esel fotografieren, die ihm mit den ausladenen Traglasten auf einem schmalen Gebirgspfad entgegenkamen. Nun gehen Esel immer am äußersten Rand, lassen den Kopf schief hängen und stellen fest, ob der Weg gefährlich überhängt. Der Kollege stand ebenfalls am Rand, guckte nur durch den Sucher seiner Kamera – und wurde vom ersten Tier in die Schlucht gewischt. Ich weiß nicht, ob man die Leiche bergen konnte.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 04.03.2013 um 06.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22746

In Island hat man jetzt Fleischpasteten entdeckt, die überhaupt kein Fleisch enthalten.
Wie man hört, werden sogar die Löwen eines Tages kein Fleisch mehr essen, sondern neben den Antilopen grasen. Wahrscheinlicher ist, daß es dann längst keine Löwen mehr gibt.

Bei Youtube gibt es neben viel Unsinn auch ganz hübsche Filmchen, in denen z. B. Löwinnen jagen. Als Fernsehverweigerer gönne ich mir manchmal ein paar Minuten davon. Ich bin sicher nicht der einzige, der inständig hofft, die Gazelle möge entkommen. Warum freue ich mich nicht mit den Löwen auf die leckere Mahlzeit? Wahrscheinlich haben unsere Vorfahren das ganz anders wahrgenommen als wir Fernseh- und Bilderbuchkinder. (Ist es nicht eine schöne Vorstellung, als Wespenlarve in einer fetten Raupe zu wohnen und sie allmählich aufzufressen? Eigentlich doch das Schlaraffenland.)

Die Betrachtung des Lebens, wie es wirklich ist, versetzt uns nicht gerade in festliche Stimmung. Man sollte dran arbeiten.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 22.02.2013 um 13.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22697

Ja, das ist sehr interessant. Wir hatten ja schon den Fall, den Bühler berichtet: "Sie Alpha, Sie Beta!" usw.
Wenn auf einer Tube steht: "Enthält ABC", dann glauben alle, ABC müsse etwas Gutes sein, und wenn auf einer Packung steht: "Frei von XYZ", dann denken sie, XYZ sei schädlich. Auf diesen Ton ist die ganze Pferdefleischdebatte gestimmt. Hinzu kommt nun noch, daß das Zeug armen Leuten angedreht werden soll. Dann muß es ja wohl was ganz Schlechtes sein.
Ich habe der Bischofskonferenz daraufhin vorgeschlagen, die Pferdefleischgerichte ordentlich zu deklarieren und dann den Bedürftigen anzubieten. Das wäre doch viel besser, als die Kirchen damit zu heizen, oder?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 22.02.2013 um 10.24 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22696

Es wird immer komischer. Der Vorschlag, die fragwürdigen Produkte an Hilfsbedürftige zu verteilen, anstatt sie zu vernichten, löst ein gemischtes Echo aus und stößt überwiegend auf den Protest der Hilfsorganisationen, weil das "menschenunwürdig" sei. Aus dieser Sicht ist die Vernichtung der Mahlzeiten besser, als sie interessierten Hilfsbedürftigen anzubieten. Währenddessen verzeichnen die Pferdemetzger einen Zustrom neuer Kunden, die neugierig geworden sind und Pferdefleisch ausprobieren wollen. Aber zugegeben, diese aufgeschlossenen Kunden würden sich vor der suspekten Rinder-Pferde-Mischung vermutlich auch ekeln, nachdem sie in Grund und Boden dämonisiert worden ist.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 21.02.2013 um 12.12 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22690

In der FAZ nutzt ein Herr Friebe die Gelegenheit, uns mit krassen Worten zum Vegetarismus zu bekehren, erklärt nebenbei auch die Abneigung gegen Pferdefleisch. Er ist wohl eigentlich Popmusiker. Unser Pferdemetzger, den ich heute neugierig fragte, ob die Diskussion sich negativ auf sein Geschäft ausgewirkt habe, sagte mir: Im Gegenteil, er habe etliche neue Kundschaft gewonnen. Auch sei gestern im Fernsehen ein Vergleichstest gelaufen, bei dem Pferd besser abschnitt als Rind.

Wikipedia schreibt unter dem hübsch gebildeten Schlagwort "Speziesismus".

Ähnlich den feministischen Versuchen, eine nicht-sexistische Sprache etwa unter Verzicht auf generische Maskulina zu etablieren, verweisen manche Antispeziesisten darauf, dass die allgemeine Sprache speziesistisch sei, und propagieren einen nicht-speziesistischen Sprachgebrauch.
Als Beispiel speziesistischer Sprache wird etwa die Abwertung von Tieren im Zuge der Beschimpfung anderer Menschen als „dumme Kuh“, „blöde Ziege“, oder „faule Sau“ angeführt oder die Tatsache, dass etwas als „affig“ bezeichnet wird. Zudem wird kritisiert, dass auch dort, wo sich Menschen nicht von den übrigen Tieren unterscheiden, also sachlich die gleichen Vorgänge oder Zustände vorlägen, sprachliche Unterschiede gemacht werden, wenn etwa von „essen“ versus „fressen“, „sterben“ versus „verenden“ oder „gebären“ versus „werfen“ die Rede sei. Auch das Einschreiben des Nutzens für den Menschen in Begriffen wie „Nutztiere“, „Legehennen“ oder „Haustiere“ wird als speziesistisch bezeichnet.
Zu den Forderungen im Zuge eines antispeziesistischen Sprachgebrauchs zählt die Verwendung des Begriffs „nichtmenschliche Tiere“, um zu betonen, dass der Mensch auch eines von vielen Tieren sei. In diesem Sinne kritisiert auch der Philosoph Jacques Derrida die verallgemeinernde Verwendung des Tierbegriffs im Singular. Durch die Rede von „dem Tier“ als Gegenüberstellung zum Menschen werde die Vielfalt tierischen Lebens verdeckt, da eine Spezies „Tier“ nicht existiere: Erica Fudge erkennt zwar Derridas Hinweis auf das homogenisierende Potential in dem Begriff „Tier“ an, schlägt aber dennoch eine Verteidigung vor. Der Begriff von „dem Tier“ könne Menschen dazu zwingen, die Gewalt gegenüber manchen und Zuneigung gegenüber anderen Wesen, die alle unter denselben Begriff „Tier“ fallen, als willkürlich und widersprüchlich zu erkennen.
Zuweilen wird auch kritisiert, dem Begriff „tierisch“ hafte eine abwertende Konnotation an. Aus diesem Grunde soll stattdessen die Bezeichnung „tierlich“ verwendet werden.



Da stehen uns also noch viele sprachliche Eingriffe bevor. Aber sollen wir nun die weiblichen Brüste "Zitzen" oder "Euter" nennen oder umgekehrt vom Busen der Kuh sprechen?

Es wird auch darauf hingewiesen (an gleicher Stelle), daß Tiere, selbst wenn wir sie nicht mehr essen, nicht aufhören werden, uns zu essen. Aber darauf hat anscheinend Peter Singer eine Antwort gefunden.
 
 

Kommentar von Oliver Höher, verfaßt am 19.02.2013 um 11.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22665

Zu 1505#22660:

Die Desinformation oder sogar Fehlinformation des Publikums (bzw. der Verbraucher) gehört zu den herausragenden schauspielerischen Fähigkeiten der Ministerdarstellerin Ilse Aigner. Deshalb ist sie in dieser Rolle auch schon mehrmals erfolgreich in diversen Satyrspielen aufgetreten. Die Netzausgabe der "Süddeutschen" erinnert aus gegebenem Anlaß noch einmal an ihre großen Erfolge der letzten Jahre. Von der "Sauerei" bis zum Gurken- und Tomatenverbot.

Vgl. hier: www.sueddeutsche.de

Und dann noch zum Roastbeef in 1505#22661:

Anders als die italienische Mortadella, das Wiener Schnitzel oder die Frankfurter Wurst bezeichnet Roastbeef kein Produkt aus einer bestimmten regionalen Herkunft. In meiner Kindheit hieß beim Metzger fast jede Brühwurst (egal ob mit Pistazien oder ohne) "Mortadella" und jedes panierte Stück Schnitzelfleisch war ein "Wiener Schnitzel". Die ABM der EU haben inzwischen dafür gesorgt, daß nur noch die Produkte, die aus den Regionen der Ursprungsbezeichnung kommen, diese Namen tragen dürfen. (Ich warte darauf, daß die Stadt Lyon sich über die vielen umbenannten deutschen Mortadellas aufregt.)
Roastbeef ist daher zunächst ein bestimmtes Fleischstück vom Rind, das es so tatsächlich vom Pferd nicht geben kann. Darüber hinaus bezeichnet Roastbeef aber auch die Zubereitungsart, bei der Fleisch bei niedriger Temperatur langsam im Backofen gebraten wird. Daher finde ich es nicht so kurios, wenn der Pferdemetzger Fleisch, das auf diese Weise zubereitet wird, als "Roastbeef" bezeichnet. Das Wort ist zum Glück (noch) keine geschützte Herkunftsangabe. Etwas anders sieht das die EU womöglich mit den brotähnlichen Eierkuchen, die in England die traditionelle Beilage zu diesem Fleischgericht sind.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2013 um 06.04 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22661

Kurioserweise bietet unser Pferdemetzger auch Roastbeef an, das liegt im Preis zwischen Gulasch und Lende. Umgekehrt sprechen sämtliche "normalen" Metzger und auch fast alle anderen Leute das Wort als Roßbief aus. Also Pferdefleisch vom Rind, Rindfleisch vom Pferd...
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.02.2013 um 05.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22660

Das Satyrspiel zum Schluß:

„Doch der Widerwille gegen Pferdefleisch kommt nicht vom Ponyhof – er kommt aus Stalingrad. Dahinter steckt nicht Kleinmädchenhysterie, sondern historische Erfahrung. Nirgendwo ist der Ekel vor Pferdefleisch so ausgeprägt wie in der Generation, die noch den 2. Weltkrieg und die Nachkriegsjahre erlebt haben.“ (Matthias Heine in der Welt vom 19.2.13)

In Wirklichkeit war das die große Zeit der Pferdemetzgereien, in unserer Kleinstadt gab es sogar zwei davon. Es gab natürlich auch sehr viel mehr Pferde, weil sie als Zugtiere noch eine Rolle spielten.

Die Leserbriefe in der "Welt" sind, wie gewohnt, die allerdümmsten, aber in der Ablehnung von Heines Phantasieprodukt sind sie sich einig und haben recht.

Eine Journalistin schrieb neulich: Pferd statt Rind, das sei ungefähr so, als habe man einen VW bestellt und müsse mit einem BMW vorlieb nehmen.

Das Ganze ist ein kommunikatives Desaster. Die Leute sind über ihre Lebensmittel hinterher weniger aufgeklärt als vorher. Da kann auch die geforderte "genauere" Deklaration (vor allem wenn sie zwar genau, aber falsch ist ...) nichts mehr ändern. Besonders schön ist die Forderung, Lebensmittel müßten teurer werden. Dann würden ja die Fälscher noch mehr verdienen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 14.02.2013 um 03.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22625

Inzwischen überschlagen sich die Medien mit Schlagzeilen wie "Pferdefleischskandal erreicht Deutschland". Auffälligerweise sind die Leser und Blogger viel besonnener als die Journalisten mit ihrer Sensationsmache und auch die Politiker, die selbst im Beschwichtigen noch die Maßstäbe verlieren. Wahrlich, ich sage euch: Pferd statt Rind ist wie Pute statt Huhn. Es ist nicht in Ordnung, aber es ist auch nicht weiter schlimm.
Bemerkenswert auch, wie viele Leser durchaus realistisch sagen: Verglichen mit dem, was sonst noch alles in Fertigkost und überhaupt in "veredelten" Lebensmitteln steckt, ist das wirklich belanglos.

In der chinesischen Provinz habe ich mal Bullenpenis gegessen, in Ringe geschnitten und geschmort. Aber wenn ich es bedenke, könnte es sich auch um etwas anderes gehandelt haben, weil die Chinesen ihre Gerichte gern metaphorisch-hyperbolisch benennen; so ist ja das bekannte südchinesische Ragout "Tiger und Drachen" auch bloß Katze und Schlange. Verglichen mit neueren deutschen Speisekarten sind die chinesischen Bezeichnungen allerdings noch schlicht und ehrlich.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.02.2013 um 04.09 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22582

Herr Ludwig hat es vielleicht besser getroffen als ich mit meinem Einfall. Ich kenne mich da leider nicht aus. Daß ein Tier verehrt wird, schließt ja nicht aus, daß es geopfert wird, im Gegenteil, es ist "opferrein" - ahd. zebar, das Gegenteil ist Ungeziefer.
In der brahmanischen Literatur bin ich während meines Studiums auf Pferdeopfer (ashvamedha) und sogar Menschenopfer (purushamedha) gestoßen, die von den Hindus heute meist als Priesterphantasien abgetan werden, aber ich glaube, daß so etwas immer einen realen Hintergrund hat, von dem spätere, "zivilisiertere" Zeiten nichts mehr wissen wollen. Ritualspezialist Frits Staal behandelt diese Fragen in einem seiner letzten Bücher: Discovering the Vedas. Penguin Books 2008. (Allgemeinverständlich und sehr interessant!)
 
 

Kommentar von R. M., verfaßt am 08.02.2013 um 19.47 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22580

Verunreinigung ist im Grunde ja korrekt, da die Produkte kein reines Rindfleisch mehr enthalten haben. Aber man verbindet mit dem Begriff Verunreinigungen durch Ungenießbares (= Nichteßbares) oder gar Giftiges.
 
 

Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 08.02.2013 um 19.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22579

In den Niederlanden kann man Pferdefleisch im Supermarkt kaufen, sogar geräuchert, geschnitten und in Plastikfolie verpackt, genauso wie man hierzulande Cervelatwurst oder Bierschinken angeboten bekommt.
 
 

Kommentar von Horst Ludwig, verfaßt am 08.02.2013 um 17.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22578

Wohl nicht aus indogermanischer, denn in anderen indogermanischen Kulturen gibt's diesen "Horror" ja nicht. Es hat wohl mehr mit der Einführung des Christentums bei den Germanen zu tun. Denn bei denen war das Pferd ja Wodan heilig, deren höchsten Gott. Und das Kommunizieren von Pferdefleisch war für die Christen dann ein religiöses Bekenntnis zu dem alten Gott, der ja abzulehnen war (wegen welcher Haltung dann im Hochdeutschen sogar das Wort Mittwoch als Bezeichnung des mit Wodan bezeichneten Tages aufkam). In Frankreich z. B. hatte das Pferd nie etwas mit dem höchsten Gott der Heiden da zu tun, und die da "finden Pferdefleisch nicht so schlimm, viele betonen sogar den delikaten Charakter", heute noch.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.02.2013 um 14.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#22577

Natürlich sollten Lebensmittel korrekt deklariert sein. Die Verbraucher müssen dann selbst entscheiden, was sie essen wollen. Das gilt besonders für gentechnisch veränderte Waren. Sie sind wahrscheinlich unschädlich, aber trotzdem ...

Nun ist in England und Irland Pferdefleisch entdeckt worden, wo Rindfleisch draufsteht. Interessant ist die Sprache, in der das berichtet wird:

Der Hersteller McAdam Food hatte polnische Zulieferer für die verunreinigten Produkte verantwortlich gemacht.
Die FSA-Chefin Catherine Brown sprach laut "Times" von einer "entsetzlichen Situation".
(spiegel.de 8.2.13)

Die meisten Leserbriefschreiber reagieren aber sehr besonnen und finden Pferdefleisch nicht so schlimm, viele betonen sogar den delikaten Charakter. Bei uns ist Pferdefleisch übrigens nicht teuerer als (gutes) Rindfleisch und war früher ausgesprochen billig. Pferde werden nicht gemästet und sind darum auch nie wahnsinnig. Esel ist übrigens auch sehr gut, besonders als Wurst.

Der Horror stammt wohl aus germanischer Frühzeit (oder indogermanischer? Die Ashvinau der alten Inder entsprechen den gekreuzten Pferdeköpfen auf niedersächsischen Bauernhäusern) und ist der Ablehnung des Schweinefleischs bei Juden und Muslimen vergleichbar.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.03.2012 um 09.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1505#20258

Die fragwürdigen Statistiken zur Lebensmittelvernichtung werden auch unbesehen geglaubt. Vorwurfsvoll hält man den Deutschen vor, sie würfen pro Kopf täglich fast ein halbes Pfund Essen weg, was natürlich ganz unglaubwürdig ist. Die einzige bekannte Langzeituntersuchung ausgewählter Familien kommt auf ein Fünftel der Menge.

Menschen, die in Kliniken, Heimen usw. arbeiten, sind allerdings oft entsetzt, weil dort das aus Großküchen angelieferte und stets sehr reichlich bemessene Essen tatsächlich zwangsweise vernichtet werden muß; nach einigen Stunden darf es nicht mehr genossen werden, schon gar nicht von den Angestellten selbst. Ich glaube, für die Schweinemast ist es dann auch nicht mehr zulässig. Aber die Empörung ist auch hier ziemlich archaisch.
 
 

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