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12.03.2006
Weise Beschränkung
Befunde zur GZS
„Die Sprache lebt.“ Das sagt sich einfach und klingt im Munde der Reformer so falsch.
Wir machen die Probe aufs Exempel. Warum überläßt man es den Leuten nicht einfach, wie sie die Getrennt- und Zusammenschreibung handhaben? Der Befund war stets uneinheitlich. Ich habe das bei den Vorarbeiten zu meinem Wörterbuch festgestellt. Meine Sammlungen füllen ganze Kladden, ich beschränke mich hier auf einige Beispiele aus Süddeutscher Zeitung und FAZ vor der Reform:
bereitfinden
bestehenbleiben
hängenbleiben
steckenbleiben
stehenbleiben
fallenlassen
stehenlassen
kaputtmachen
leichtfallen
sauberhalten
verlorengehen
zugrundelegen, -liegen
In allen diesen Fällen wurde in unterschiedlichen Zahlenverhältnissen, aber hinreichend deutlich sowohl zusammen- als auch getrennt geschrieben, unabhängig von den jeweils eindeutigen Dudenfestlegungen.
Fast nur getrennt schrieb man genau nehmen (aber sehr oft genaugenommen), fast nur zusammen dagegen zufriedenstellen. Ein Grund für diese unterschiedliche Entwicklung, die offensichtlich noch im Fluß war, ist entweder nicht auszumachen oder so fein gesponnen, daß es sich nicht lohnt, praktische Normen daraus abzuleiten. Daran ist der Duden gescheitert (was aber kaum bemerkt wurde), daran scheitert auch jede Reform, die nicht die weise Zurückhaltung der Zweiten Orthographischen Konferenz von 1901 übt.
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Kommentare zu »Weise Beschränkung« |
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 12.10.2014 um 19.52 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=451#27029
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Wenn man das Andauern einer Tätigkeit eindeutig ausdrücken will, empfielt sich die westfälische Dauerform: am Laufen bleiben.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.10.2014 um 12.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=451#27027
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Wie Hermann Paul in seiner Abhandlung über die Umschreibung des Perfekts zeigt, ist bleiben zwar nach unserem Empfinden das durative Verb schlechthin, bedeutete aber ursprünglich das Endergebnis eines Vorgangs. Darum unterscheiden wir heute stehen bleiben = "weiterhin stehen" und stehenbleiben = "zum Stillstand kommen". Der alte Duden hatte diese Tendenz zur orthographischen Differenzierung schon erfaßt, allerdings unzulänglich (auch mit fehlerhafter Akzentzuschreibung).
So erklärt Paul auch die seltsame Wendung Sieger bleiben (obwohl man es vorher noch nicht war!).
Die Neuregelung hatte solche Feinheiten zunächst völlig beseitigt, die Revision ermöglicht sie wieder. In meinem Wörterbuch wird die Unterscheidung in § 10, Anm. dargestellt, aber nicht strikt formuliert, um keine unnötige Haarspalterei zu treiben.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.09.2013 um 16.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=451#24071
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Es muß nicht immer der Infinitiv sein. Auch das Partizip Perfekt zeigt die Bedeutungsunterschiede zwischen z.B. schlecht gemacht und schlechtgemacht u.v.a.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2013 um 16.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=451#24069
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Doch, es gibt viele adjektivische Verbzusätze, die man nicht erfragen kann, z. B. miesmachen.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 20.09.2013 um 16.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=451#24068
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Es fehlt auch eine gängige Substantivierung das Leichtfallen.
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Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 20.09.2013 um 14.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=451#24067
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Aber wenn man die Frage Wie ...? zum Kriterium machte, dann dürfte man ja gar kein Adjektiv mit einem Verb zusammen schreiben, oder?
Ich hätte in diesem Satz leicht fiel auch eher getrennt geschrieben. Die m. E. wichtigste Voraussetzung für Zusammenschreibung, resultative Bedeutung, liegt hier nicht vor.
Alles andere, auch Differenzierung nach Bedeutung, hier leicht fallen (schnell fallen) vs. leichtfallen (etwas mit Leichtigkeit tun können) bleibt immer etwas vage. Man neigt auch eher bei infiniten Formen (leichtfallen, leichtgefallen) zur Zusammenschreibung als bei finiten (leicht fiel, leicht fällt/fällst), trotz zweiter Bedeutung.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.09.2013 um 04.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=451#24064
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(Thomas Mann) hatte dieser Kampf zunächst keineswegs nahegelegen, der ihm in der Zeit des Widerstands gegen Hitler-Deutschland dann so erstaunlich leichtfiel. (Heinrich Detering: Thomas Manns amerikanische Religion. Frankfurt 2012:211)
Ich würde leicht fiel schreiben. Vgl. Wie leicht fiel es ihm?
1996 mußte es sogar getrennt geschrieben werden, 2006 dann nur noch zusammen. Ähnliche Überlegungen könnte man zu nahegelegen anstellen.
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Kommentar von Fungizid, verfaßt am 14.03.2006 um 09.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=451#3348
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Rein völkerrechtlich gehört das Franz-Josefs-Land hoch droben im Norden Asiens noch immer zu Österreich, weil man es in die Liste der Abtretungen im Vertrag von St. Germain aufzunehmen vergessen hat.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 13.03.2006 um 22.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=451#3341
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"Denn die Österreicher hatten in allen Kriegen ihrer Geschichte zwar auch gesiegt, aber nach den meisten dieser Kriege hatten sie irgend etwas abtreten müssen. Das weckt das Denken..."
(R. Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Kap. 5 "Ulrich")
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Kommentar von Johannes Faupel, verfaßt am 13.03.2006 um 20.09 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=451#3340
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Die Sprache bebt. Bastian Sick gibt vor 15.000 Menschen den Oberlehrer der Nation
Heute abend in Köln: „Die größte Deutschstunde der Welt“
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,404966,00.html
Wie darf man jetzt schreiben? Wie heißt es neu? Interessant, welche Feinsinnigkeiten – vor allem orthographischer Natur – Herr Sick dem geneigten Publikum heute wird servieren dürfen. Frisch aus der KMK-Küche, der Mist wird noch dampfen.
NRW-Schulministerin Barbara Sommer paßt live dazu auf, daß alles rechtschreibreformtechnisch nach KMK-Plan über die Bühne geht. Fabelhaft fügt sich Jürgen Rüttgers ins Bild. Als Ehrengast. Eine rekordbuchverdächtige Siegeskundgebung der Kultusminister im Spiegel unserer Zeit – nur: ein bißchen voreilig, wie man noch sehen wird.
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