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23.01.2006
Irreführung
Künstlicher Zeitdruck bei der Anhörung
Ohne Trickserei geht es nicht, das wissen wir spätestens seit der Überrumpelungsaktion von 1996.
Im Anschreiben des Ratsvorsitzenden an die zur Anhörung Eingeladenen heißt es:
„Bereits jetzt dürfen wir Sie darauf hinweisen, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung auf seiner Februarsitzung über Vorschläge zum Bereich der Groß- und Kleinschreibung befinden wird. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Anpassungen, die sich aus den Änderungen im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung ergeben. Die Vorschläge zu diesem Bereich werden wir Ihnen zu gegebener Zeit mit der Bitte um kurzfristige Stellungnahme nachreichen.“
Das ist unzutreffend. Der Auftrag umfaßt vielmehr:
„(1) Schreibung des Anredepronomens du, (2) Schreibung fester Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv (z.B. gelbe/Gelbe Karte), (3) Schreibung von Einzelfällen insbesondere aus dem Überschneidungsbereich von Groß-Klein- und Getrennt-Zusammen-Schreibung (Pleite gehen, Recht haben), (4) Schreibungen im Randbereich (z.B. auf allen vieren (gehen)).“
Wie man sieht, berührt nur einer der vier Punkte die Getrennt- und Zusammenschreibung, und auch der nur teilweise; eigentlich sind nur drei Wörter betroffen (Pleite/Bankrott gehen, Recht haben, Not tun).
Die tatsächlich vorgelegten Änderungsvorschläge der Arbeitsgruppe gehen noch weiter über die im Anschreiben genannte Beschränkung hinaus, die offensichtlich nur den Zweck hat, die Bedeutung der Änderungen kleinzureden. Es soll der Eindruck entstehen, man habe mit der Getrennt- und Zusammenschreibung alles Wesentliche bedacht und die weiteren Änderungen seien nur redaktionelle „Anpassungen“.
In Wirklichkeit müßte natürlich wesentlich mehr behandelt und in Ordnung gebracht werden, als die gewaltsam beschränkte Agenda und die tatsächlichen Vorschläge der AG vorsehen. Damit ist jedoch keinesfalls mehr zu rechnen, wie folgende Agenturmeldung vom 31.12.2005 zeigt:
„Berlin (ddp). Der Präsident des Rates für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, versteht sich als «Moderator» der deutschen Sprache. Er wolle die starren Fronten zwischen Gegnern und Befürwortern der Rechtschreibreform abbauen, sagte Zehetmair der Nachrichtenagentur ddp in Berlin.
Die Weigerung vieler Zeitungen und Zeitschriften, die neue Rechtschreibung anzuwenden, sowie die traditionellen Lesegewohnheiten der Deutschen hätten einen Kompromiss notwendig gemacht. Nach den Korrekturen an der Getrennt- und Zusammenschreibung, der Silbentrennung sowie der Interpunktion entscheidet der Rat am 25. Februar über die letzten Veränderungen bei der Groß- und Kleinschreibung. Anfang März werden die Empfehlungen des Rates der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgelegt.“
Da die Beschlüsse des Rates auch noch redigiert werden müssen, blieben bis zur Sitzung der KMK Anfang März nicht einmal einige Tage, in denen die eingeladenen Institutionen zu diesem außerordentlich komplexen Bereich Stellung nehmen müßten. Mit dem Hinweis auf diesen aberwitzigen selbsterzeugten Termindruck kann dann auch der gesamte Rat im Februar unter Zeitnot und Entscheidungszwang gesetzt werden.
Mehrere Institutionen haben schon den gegenwärtigen Zeitdruck als unzumutbar kritisiert, den drohenden künftigen aber noch gar nicht recht wahrgenommen.
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Kommentare zu »Irreführung« |
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Kommentar von R. H., verfaßt am 31.01.2006 um 02.50 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2376
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Nichts.
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 30.01.2006 um 15.21 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2356
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Nochmals: Was legitimiert den Rat, Substantive klein schreiben zu lassen?
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 27.01.2006 um 13.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2328
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Die wirkliche und ausschlaggebende demokratische Mehrheit ist nicht die im Rechtschreibrat, sondern die Benutzermehrheit.
Die Rechtschreibkommission hatte ihr dieses Recht wie unmündigen Kindern abgesprochen. Der Rechtschreibrat hat es ihr auch noch nicht wirklich zurückgegeben.
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 27.01.2006 um 10.36 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2322
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Das soll also heißen:
1. Ein Adverb kann fälschlich als Substantiv gedeutet werden, wenn sich dafür eine demokratische Mehrheit findet.
2. Dieses "Substantiv" kann dann fälschlich klein geschrieben werden, wenn sich dafür eine demokratische Mehrheit findet.
Ist das nicht ein etwas mühsamer Umweg?
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Kommentar von Roger Herter, verfaßt am 27.01.2006 um 05.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2321
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Ja, wie kriegt man Substantive (auch erfundene) legitimerweise klein?
Die Reformer beobachten bekanntlich die Sprachentwicklung genau. Sie schauen also zunächst in die Vergangenheit und sehen, wie "Stand" oder "Teil" feste Verbverbindungen eingehen (standhalten, teilnehmen) - und sich fortan klein schreiben (ich halte stand, nehme teil).
Danach schauen sie ebenso genau in die Zukunft. Und siehe - aus "Leid tun" ist dort "leidtun" geworden (tut mir leid), und nächstens bilden sich vielleicht "pleitegehen" oder gar "rechthaben".
Aber dazu müssen sie erst die Sprachentwicklung noch ein wenig fälsch-- äh: beobachten.
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 26.01.2006 um 17.28 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2316
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Danke, das ist mir soweit schon alles klar.
Meine Frage zielt dahin: "Leid" wird von den Reformern doch eindeutig als Substantiv aufgefaßt. Herr Dr. Blüml hat mir dies auch noch einmal schriftlich bestätigt.
Wieso in drei Teufels Namen soll dann die Kleinschreibung zulässig sein? Wer soll sowas lernen und wer soll's begreifen?
Es ist Zeit für einen Marschhalt!
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Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 26.01.2006 um 13.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2315
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„Vereinfachung“ durch die Reform:
seit 1902: not tun, leid tun, weh tun, guttun
„Reform“ 1996: Not tun, Leid tun (nie dagewesen), wehtun (vermeidet Weh tun), gut tun (wg. Ideologie)
„Reform“ 2004: Not tun, Leid tun (aus Rechthaberei) und leidtun („wie kundtun“, eher wg. wehtun), wehtun, gut tun
– not tun, leid tun, weh tun, guttun sind aber dennoch in besseren Texten weiterhin üblich.
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Kommentar von kratzbaum, verfaßt am 26.01.2006 um 09.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2314
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leidtun - leid tun - Leid tun (Zu Herrn Glücks Frage)
not tun - Not tun usw.
Wenn sich die Reformer geirrt haben, dann flüchten sie sich ganz einfach in die Behauptung, man könne den Charakter des Wortes nicht mehr eindeutig feststellen. Oder wie Prof. Ickler kurz und bündig sagte: Wenn wir es nicht verstehen, dann versteht es auch sonst niemand. - An solchen Fehlleistungen zeigt sich ganz besonders deutlich die mangelnde Qualifikation der Reformköche.
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Kommentar von R. M., verfaßt am 26.01.2006 um 00.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2313
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Sie meinen K. E. Rotzler?
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Kommentar von Lost, verfaßt am 26.01.2006 um 00.04 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2312
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Ich habe eine Frage, die den obigen Text nicht unmittelbar betrifft. Leider brachte eine Recherche mit Google keine Ergebnisse. Die Ursache hierfür hat Herr Prof. Ickler ja beschrieben...
Also: Stimmt es, daß sich die Kommissionsmitglieder damals maßgeblich an den Vorschlägen eines Schweizers orientierten, der im Grunde genommen keine Ahnung von der Materie hatte? Wer kennt den Namen dieser Person?
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Kommentar von Alexander Glück, verfaßt am 24.01.2006 um 10.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=369#2293
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In diesem Zusammenhang interessiert mich vor allem die Frage, wie der Rechtschreibrat dazu kommt, für das ausdrücklich substantivisch interpretierte "Leid" die Kleinschreibung ("leid tun") zuzulassen!?
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