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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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09.08.2013
 

Verschlossene Juden
Völkerpsychologische Schriftanalyse

»Im Unterschied zu den Arabern haben die Juden bis heute keine zusammenhängende Schreibschrift entwickelt. Auch die neuhebräische Schreibschrift setzt Buchstaben für Buchstaben ohne Verbindung untereinander:
(Schriftgraphik weggelassen)
Dies scheint der jüdischen Tendenz zu kasuistischem Denken zu entsprechen, das Fall für Fall mit messerscharfem Verstand behandelt, aber in Gefahr ist, vor lauter Einzelheiten den Zusammenhang zu verlieren. Typisch ist schon für die althebräische Schrift, dass sie nicht nur die Buchstaben, sondern auch die Wörter sauber voneinander trennt, teilweise durch eigene Worttrenner, und dass bereits in den Bibelhandschriften am Ende des Satzes ein Satzzeichen (։) steht, während unbetonte Wörter durch einen Bindestrich (־) angehängt werden.
Die Quadratschrift kennt nur zwei waagrechte Ebenen, eine obere und eine untere, damit sind die Mittelstriche der phönizischen Schrift weggefallen:
(Schriftgraphik weggelassen)
Die obere Linie ist dabei wesentlich stärker betont als die untere. Wollte man aus der Quadratschrift eine Kurrentschrift entwickeln, so bestünde sie aus lauter Arkaden:
(Schriftgraphik weggelassen)
eine durchgehende obere Linie, von der die einzelnen Buchstaben herabhängen. Dadurch entsteht der Eindruck der Verschlossenheit: Die Quadratschrift ist zum Schreiber hin geöffnet, nach oben, der "Welt" hin dagegen verschlossen.
Diese Tendenz wird durch ein paar Besonderheiten verstärkt:
Die ursprüngliche Quadratschrift hatte drei nach oben (עצש) und drei nach unten gerichtete Buchstaben (החת). Die klassische hebräische Druckschrift hat nun sämtliche nach oben offene Zeichen durch kleine Strichlein nachträglich abgeschlossen: עצש. Das haben die nach unten offenen Zeichen nicht (החת). Der Eindruck der Verschlossenheit, Exklusivität des Judentums wird dadurch verstärkt.
Bis auf zwei Ausnahmen sitzen alle diakritischen Zeichen entweder in der Mitte oder unter den Buchstaben.
Es gibt nur eine Oberlänge (ל) dafür aber vier Unterlängen bei den Schlussbuchstaben: ךןףףץ.
Die arabische Schrift geht zwar auch von rechts nach links, aber die Buchstaben bilden "Girlanden", die nach oben offen sind, also weltoffen sind:
هذه مقالة عه بزج إيفل في باريس
Der Unterschied zum Hebräischen wird noch dadurch verstärkt, dass die arabische Schrift zusammenhängende Buchstaben hat, also "Schreibschrift" ist, keine "Druckschrift: Ausdruck eines Denkens in ganzen Zusammenhängen, nicht in einzelnen Paragraphen.«

www.heinrich-tischner.de/21-th/4relg/fbs/schr.pdf

Solche Deutungen waren früher sehr beliebt, vgl. etwa A. Petrau: Schrift und Schriften im Leben der Völker. 1944.



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Kommentare zu »Verschlossene Juden«
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Kommentar von Kohl, verfaßt am 10.08.2013 um 10.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1573#23873

Beim Lesen fiel mir grade noch ein, daß chinesische Zeichen auch als "Fangkuai wenzi", also Quadratschrift bezeichnet werden. Unterscheidet man in der deutschen Fachliteratur die chinesische von der hebräischen Quadratschrift?
 
 

Kommentar von Germanist, verfaßt am 08.11.2013 um 15.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1573#24351

Das Fehlen einer arabischen Druckschrift verhinderte den Buchdruck und damit die Verbreitung der mittelalterlichen arabischen Wissenschaften in der übrigen Welt. Es herrschte in der muslimischen Welt ein Widerwille gegen die Druckerpresse. Erst 1727 wurde in der Türkei der arabische Buchdruck eingeführt. (Quelle: "Im Haus der Weisheit, Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur")
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.11.2013 um 17.03 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1573#24352

Ich weiß nicht, ob man schon die hebräische und die chinesische Schrift verglichen hat. Die "quadratische" Form ist ja nur eine ziemlich entfernte Gemeinsamkeit der grundsätzlich verschiedenen Schriftsysteme.

Die chinesischen Schulkinder lernen zunächst eine Standardschrift, die an die Blockschrift der Zeitungen und Bücher angelehnt ist. In den Übungsheften (ich habe mir welche mitgebracht) sind Quadrate mit einer bestimmten inneren Aufteilung (Seiten- und Winkelhalbierende) vorgedruckt, und die Zeichen sollen dann möglichst gefällig in diesen Raum eingepaßt werden. Die Quadrate sind später nur noch virtuelle Rahmen, während z. B. in der indischen Devanagari tatsächlich ein (zusätzlicher) horizontaler Deckstrich und ein rechts befindlicher vertikaler Strich bei vielen Buchstaben den "rechteckigen" Eindruck erzeugen. Die Vokalzeichen werden adskribiert.
 
 

Kommentar von Kohl, verfaßt am 08.11.2013 um 19.46 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1573#24353

Eigentlich halte ich einen Vergleich beider Schriften auch für recht fruchtlos. Es ging mir vor allem darum, daß der Begriff "Quadratschrift" immer wieder von Chinesen verwendet wird, um ihre Schrift zu bezeichnen, im Deutschen wird der Begriff aber nur für das hebräische Alphabet verwendet, das mir im Vergleich mit den chinesischen Zeichen reichlich unquadratisch vorkommt.

Da Sie gerade vom Zeichenunterricht in China sprechen, in Taiwan sieht es da ähnlich aus; seit einigen Jahren (inzwischen Jahrzehnten) macht sich auch dort die festlandchinesische Marotte breit, Druckschrift und Handschrift zu vereinheitlichen. Festlandchinesische Typographie wirkt auf mich daher immer etwas unsymmetrisch, doch solche Typen machen sich in Taiwan inzwischen auch breit. Der Gedanke scheint hier ein ähnlicher wie bei der Rechtschreibreform zu sein: der viel zu hohe Aufwand für Schüler, die Unterschiede zwischen Druck- und Handschrift zu erlernen, soll verringert werden. Ich kenne bloß keinen Taiwanesen, der das hätte lernen müssen.
 
 

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