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16.07.2010
Koiné
Mißverständnis einer Weltsprache
"Als eine der ersten aposteriorischen Welthilfssprachen gilt Koiné, das im 4. Jahrhundert v. Chr. aus einem attischen Dialekt entwickelt wurde."
So steht es in einer sprachwissenschaftlichen Dissertation, aber es ist nicht richtig. Die Koiné war eine ganz natürlich entstandene Weltsprache, das Griechische des Hellenismus und der Spätantike. Aposteriorische Welthilfssprachen sind künstliche Plansprachen, die ihr Material im wesentlichen aus schon vorhandenen Sprachen schöpfen.
Ich erwähne das hier, weil unsere sprachenpolitische Situation ein neues Nachdenken über Plansprachen und globalisierte natürliche Sprachen anregen könnte. Eine Sprache, die ohne starke zentrale Überwachung (wie die Académie) von vielen Fremden gesprochen wird, macht offenbar rasche Fortschritte hin zu einer optimalen Sprache und zieht nach dem Matthäus-Prinzip immer weitere Sprecher an. Die Vertreter von Plansprachen sehen das oft nicht ein und wenden ihre Mühe an aussichtslose Projekte.
Die Koiné ist eine viel bessere Parallele zum globalen Englisch als das Gelehrtenlatein des Mittelalters und der Neuzeit.
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Kommentar von Sigmar Salzburg, verfaßt am 19.07.2010 um 14.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1328#16556
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Von meiner Mutter hörte ich Gedichte in Esperanto, mein Stiefgroßvater erfand das Occidental (Interlingue). Nach kurzer jugendlicher Begeisterung für Planprachen bemerkte ich aber bald, daß diese trotz all ihrer Erleichterungen und Systematisierungen schwerer zu lernen sind als gewachsene Sprachen in natürlichem Umfeld mit vielfältiger Literatur. Welche Schwierigkeiten hat den unsereiner – trotz der skurrilen Orthographie – heutzutage noch mit Englisch?
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Kommentar von R. M., verfaßt am 19.07.2010 um 16.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1328#16557
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http://www.youtube.com/watch?v=0Fksc1kzWz8
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.07.2010 um 17.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1328#16558
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Oettinger hat offenbar keine Schwierigkeiten mit dem Englischen. Bloß die anderen haben Schwierigkeiten mit seinem Englisch. Aber wenn er mit diesen Leuten keine Schwierigkeiten hat, dann hat er tatsächlich überhaupt keine Schwierigkeiten und ist auf dem richtigen Posten.
Ich verstehe nicht viel vom Esperanto, aber wenn ich recht sehe, ist das Problem, das ich eben karikierend angedeutet habe, bei den Welthilfssprachen geringer. Das war ja im Grunde beim Latein auch nicht anders, bis die Humanisten uns auf "Cicero oder gar nichts" festlegten.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.07.2010 um 12.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1328#16569
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Eine Welt(hilfs)sprache, die sich entgegen den Regeln der Hochsprache und ganz von selbst entwickelt hat, war das Vulgär- oder besser Bürgerlatein, von dem die romanischen Sprachen abstammen. Es gibt sehr wenige schriftliche Dokumente und so gut wie keine Literatur, aber es kann sehr gut erschlossen werden. Die Syntax des Vulgärlateins ist stark vom Griechischen beeinflußt, das in diesem Punkt moderner war als das klassische Latein. Ein großer Vorteil des Bürgerlateins ist die Eigenschaft, daß solche Texte im Gegensatz zum klassischen Latein fließend gelesen und verstanden werden können, weil sie nach unserer Technik des Hörverstehens konzipiert sind.
(Nach Marcello Durante, Geschichte der italienischen Sprache)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.07.2023 um 05.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1328#51509
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Ganzseitige Anzeige in Tageszeitung: „Anhaltender Frieden mit Esperanto“. Esperanto als „Trumpf gegen die Erderwärmung“ (weil es Papier sparen hilft). Auch das unverdiente Privileg der Anglophonen wird enden: „Die Menschheit wird kein Englisch mehr lernen wollen.“ Tolstoi und Romain Rolland werden zitiert; allerdings hat keiner von beiden, soviel ich weiß, auf esperanto veröffentlicht. Angeblich stagniert der Anteil der Englischsprecher. Das kann man aber auch vom mikroskopisch kleinen Anteil der Esperantosprecher sagen. Dr. Esperanto hat vergeblich gehofft.
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