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Theodor Icklers Sprachtagebuch

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15.07.2009
 

Feinste Kommasetzung
Trotzdem kein klarer Sinn

Für die SPD lohnt es sich, zu kämpfen. (ZEIT vom 9.7.09; siehe auch hier)
Was ist gemeint?

(Der Titelbeitrag von Matthias Geis ist übrigens bemerkenswert: Schon im voraus tadelt er die Bürger, die im September nicht die SPD wählen werden. Bisher war es üblich, sie erst nach der Wahl dumm und ungerecht zu schelten. Die ZEIT treibt es immer ärger.)



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Kommentare zu »Feinste Kommasetzung«
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Kommentar von rrbth, verfaßt am 16.07.2009 um 11.36 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#14779

Nun, am (fehlenden) Komma liegt es ja nicht. Manchmal ist die Satzgliedstellung im Deutschen halt doch wichtig.

Es lohnt sich, für die SPD zu kämpfen.
Es lohnt sich für die SPD zu kämpfen.


(Was immer auch gemeint war ...)
 
 

Kommentar von Rob, verfaßt am 17.07.2009 um 11.46 Uhr   Mail an
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#14783

Ist Kommasetzung nicht Glücksache geworden? Begründungen warum hier ein Komma gesetzt werden kann oder nicht: Wer weiß das schon so genau !! Oder?
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 17.01.2010 um 12.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15556

Hier ein Beispiel für das Gegenteil: Korrekte Kommasetzung dient dazu, Mißverständnisse auszuschließen. Aus einem Interview zum Film von Joseph Vilsmaier über das Drama am Nanga Parbat:

Sie spielen auf den Dialog an, als Reinhold Messner allein in die Rupalwand hinab sah, während sein Bruder laut seinen Angaben schon schwer höhenkrank war, und mit Kuen und Scholz sprach, die höchstens hundert Meter unter ihm waren?

www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,672209,00.html

Wer sprach mit Kuen und Scholz: Reinhold Messner oder sein Bruder? Vom Komma hängt es ab, ob der Leser es richtig versteht. Wenn das Komma fehlt, wird er in die Irre geleitet oder kann zumindest die Frage, von wem da die Rede ist, nicht beantworten.

Meistens könnte man das Komma weglassen, ohne daß der Sinn verlorengeht, manchmal aber nicht. Wenn man das Komma wie vorgesehen setzt, das überdies einer ganz allgemeinen Systematik entspricht (Untergeordnetes und Einschübe werden gekennzeichnet, indem sowohl am Anfang als auch am Ende ein Komma gesetzt wird), dann wird der Leser nie in die Irre geführt, und der Schreiber – genauso vorteilhaft – muß nicht jedesmal überlegen, ob das Komma jeweils nötig oder hilfreich oder ganz verzichtbar ist. So einfach ist das.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.01.2010 um 14.05 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15557

Lieber Herr Wrase,
was die Kommasetzung bzw. überhaupt Ihren ganzen Beitrag betrifft, bin ich vollkommen der gleichen Meinung, und Sie haben da ein sehr schönes Beispiel gefunden. Trotzdem muß ich sagen, daß ich solche Sätze immer erst zwei- oder dreimal lesen muß, bevor mir die eindeutige Aussage klar ist und ich z.B. weiß, wer da mit wem sprach. Außerdem bleibt ein Restzweifel, ob das auch dem Schreiber so klar war, oder ob er sich nicht doch mit dem Komma einfach nur geirrt hat, was man nur manchmal im Kontext erkennen kann. Dem leichten Leseverständnis dient solche "feinste" Kommasetzung also nicht gerade.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.01.2010 um 14.19 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15558

(Mein Komma vor "oder ob" ist leider auch so ein Versehen.)
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.01.2010 um 14.48 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15559

In diesem Fall geht es natürlich um ein Interview, um wörtliche Rede, deren Text man nicht verändern kann. Da bleibt einem nur "feinste" Zeichensetzung. Meine Bemerkung bezog sich mehr auf allgemeine Fälle, wo man statt dessen anders formulieren kann.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 17.01.2010 um 15.59 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15560

... Außerdem bleibt ein Restzweifel, ob das auch dem Schreiber so klar war, oder ob er sich nicht doch mit dem Komma einfach nur geirrt hat, was man nur manchmal im Kontext erkennen kann. Dem leichten Leseverständnis dient solche "feinste" Kommasetzung also nicht gerade. (#15557)

Lieber Herr Riemer, das ist jetzt gerade kein Argument gegen die feine Kommasetzung, sondern eines dafür. Der Pfiff an dem von Herrn Wrase dargelegten Zusammenhang – strenge Kommasetzung erleichtert dem Leser das Textverständnis, strenge Kommasetzung entlastet den Schreiber von der Entscheidung, einen Beistrich zu setzen oder nicht – ist nämlich, daß dem Leser das auch klar ist: Der eindeutige Komment entlastet ihn zusätzlich von der Verantwortung für Mißverständnisse; der Schreiber muß eventuelle Fehler gegen sich gelten lassen und kann sich eben nicht auf den Kontext herausreden.

Voraussetzung ist freilich eine intakte Schriftkultur, wie wir sie bis 1996 hatten. Ein Beispiel, das zwar mit Kommasetzung nichts zu tun hat, das aber trotzdem einschlägig ist: Tagelang irritierte mich auf dem Verkaufstresen einer Tankstelle mit Imbiß ein Schildchen vor einem halben Dutzend verschiedener Limonadenflaschen, auf dem "Getränke Muster für Brötchen-Menü" zu lesen steht. Was, zum Kuckuck, sollte das sein, ein "Getränkemuster"? Seit gestern ist mir klar, daß ich die Aufschrift nicht verstanden hatte, obwohl sie korrekt ist. Man setzt halt schon als selbstverständlich voraus, mit Halbanalphabeten zu tun zu haben.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.01.2010 um 16.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15561

Lieber Herr Bärlein, ich bin natürlich für richtige, sinnvolle Kommasetzung, was u.U. auch "feinste Kommasetzung" einschließt. Ich wollte nur sagen, daß das – Herrn Wrases Beispiel zeigt es ja – manchmal gar nicht so leicht zu lesen ist, dann sollte man vielleicht eher aus einem Satz zwei machen oder wie auch immer.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 17.01.2010 um 17.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15562

Nun ja, "feinste Kommasetzung" sollte es dann auch wieder nicht sein, jedenfalls nicht wie in dem von Herrn Ickler angeführten Fall. Dort entsteht die Zweideutigkeit ja erst dadurch, daß das Komma sich als reformgemäß (vor einem nicht erweiterten Infiniv mit "zu") deuten läßt. Ohne diese Vorschrift (und wenn nur vor dem erweiterten Infinitiv mit "zu" ein Komma stehen darf) wäre klar, daß es sich bei "Für die SPD lohnt es sich, zu kämpfen" nur um eine Umstellung von "Es lohnt sich, für die SPD zu kämpfen" handeln kann.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.01.2010 um 19.38 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15563

Ich dachte eigentlich, daß der von Prof. Ickler zitierte Satz aus der ZEIT auch vor der Reform schon zweideutig gewesen wäre:
Für die SPD lohnt es sich, zu kämpfen kann bedeuten:

(1) Jemand kämpft für die SPD, und das lohnt sich (für denjenigen).
Oder:
(2) Die SPD kämpft (für etwas), und das lohnt sich für die SPD.

Nur so, wie rrbth vorschlägt, mittels Umstellung, wird es eindeutig:
(1') Es lohnt sich, für die SPD zu kämpfen.
(2') Es lohnt sich für die SPD(,) zu kämpfen.

In dem ursprünglichen Satz mußte vor dem nicht erweiterten Infinitiv nach der alten Regel ein Komma stehen, weil zu kämpfen als Subjekt dem Prädikat folgt (R 108).
Auch in (2') mußte nach der alten Regel ein Komma stehen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 17.01.2010 um 22.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15565

Ich möchte mich noch einmal teilweise korrigieren. Nach herkömmlicher Rechtschreibung gilt:

Für die SPD lohnt es sich zu kämpfen.

Bedeutung (1), erweiterter Infinitiv OHNE Komma, weil Hauptsatz vom erweiterten Infinitiv eingeschlossen wird (R 107).

Für die SPD lohnt es sich, zu kämpfen.

Bedeutung (2), nicht erweiterter Infinitiv MIT Komma, weil Subjekt nach Prädikat (R 108).

Die Zweideutigkeit ist also doch erst mit der Reform entstanden. Allerdings ist die Annahme, daß der erweiterte Infinitiv immer mit Komma und der nicht erweiterte immer ohne Komma geschrieben wird, nicht richtig.
 
 

Kommentar von Urs Bärlein, verfaßt am 17.01.2010 um 23.17 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15566

Lieber Herr Riemer, danke für den Hinweis auf R 108. Bei mir steht jetzt so oder so ein Kommafehler. Auch sonst ist die Sache wohl etwas vertrackter. Schließlich verneint "Für die SPD lohnt es sich(,) zu kämpfen" nicht nur zwei, sondern vier mögliche Aussagen:

Es lohnt sich, nicht für die SPD zu kämpfen.
Es lohnt sich nicht, für die SPD zu kämpfen.
Es lohnt sich nicht für die SPD, zu kämpfen.
Es lohnt sich für die SPD, nicht zu kämpfen.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 18.01.2010 um 01.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15567

Lieber Herr Riemer,

es ist nicht recht klar, ob die von Ihnen zitierte Unterregel aus R 108 auch auf den Fall zutrifft, wo das Subjekt durch es vertreten wird. Der Problemfälle-Duden von 1985 bringt als Beispiel für ein nicht zu setzendes Komma den Satz: "Es ist verboten zu rauchen."

Merkwürdigerweise ist die erwähnte Regel – im Gegensatz zu früheren und späteren Duden – im Problemfälle-Duden von 1985 nicht enthalten. Dort ist sie durch folgende Regel ersetzt:

"5.2.3 Ihre Absicht war, zu gewinnen: Ein Komma steht, wenn in einem Gleichsetzungssatz der nichterweiterte Infinitiv mit zu dem Finitum (ist, war u. a.) folgt:
lhre Absicht war, zu gewinnen. Mein Traum ist, zu fliegen."

Dadurch wird die in diesem Forum an anderer Stelle erörterte Frage vermieden, wie man bei solchen Sätzen zwischen Subjekt und Prädikat unterscheiden soll. Allerdings ist diese Regel ihrerseits etwas unklar, weil man nicht genau weiß, ob der Infinitv dem Finitum unmittelbar folgen muß. Wie ist es also mit Mein Traum ist es(,) zu fliegen?

Allerdings bringt der Problemfälle-Duden 1985 unter 5.2.1 noch folgende Regelung:

"Folgt der nichterweiterte Infinitiv solchen Wörtern [es, das, daran, darauf], dann ist das Komma freigestellt:
Ich denke nicht daran einzuwilligen. Oder: Ich denke nicht daran, einzuwilligen."
(Diese Regel vermisse ich wiederum in R 108. Dort wird bei hinweisendem Wort nur der Fall des vorangestellten reinen Infinitivs behandelt.)

Schließlich darf man aber immer ein Komma beim einfachen Infinitiv setzen, um Mißverständnisse zu vermeiden.

Also dürfte in Für die SPD lohnt es sich, zu kämpfen in jedem Fall ein Komma stehen, nach Regel 108 müßte dort ein Komma stehen. Bleibt noch die Frage, ob in diesem Fall das Komma tatsächlich Mißverständnisse ausschließen kann.

Eine nähere Untersuchung der wechselnden Regeln des Duden zum Komma beim Infinitiv dürfte für eine ganze Abhandlung reichen. Herr Metz, hätten Sie Lust?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 19.01.2010 um 00.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15579

Lieber Herr Achenbach,
dieses Beispiel ist wirklich ziemlich "vertrackt", wie Herr Bärlein schon meinte. Sie schreiben:

"Also dürfte in Für die SPD lohnt es sich, zu kämpfen in jedem Fall ein Komma stehen, nach Regel 108 müßte dort ein Komma stehen. Bleibt noch die Frage, ob in diesem Fall das Komma tatsächlich Mißverständnisse ausschließen kann."

Nein, eben nicht in jedem Fall, sondern nur in dem Fall, den ich mit Bedeutung (2) gekennzeichnet habe! Ich war zuerst auch in diesem Irrtum, deswegen hatte ich ja vorhin die Korrektur nachgeschoben. Im Fall (1) darf kein Komma stehen!

Mit Komma (auch wenn es nur zur Vermeidung eines Mißverständnisses dient) würde zu kämpfen auf jeden Fall zum Subjekt des Satzes.
Wenn es lohnt sich gemäß Bedeutung (2) Hauptsatz sein soll, und der erweiterte Infinitiv Für die SPD zu kämpfen sein soll, dann darf nach R 107 der dazwischengeschobene Hauptsatz nicht mit Komma abgetrennt werden!

Da wir nun nach Ihren Worten nicht hundertprozentig wissen, ob das Komma im Fall (2) trotz des Subjekt-Platzhalters es stehen muß, so muß es also zumindest stehen, um die Verwechslung mit Fall (1) auszuschließen.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 21.01.2010 um 03.42 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#15595

Lieber Herr Riemer,

Sie haben ganz recht. Ich habe mich mißverständlich ausgedrückt. Erstens habe ich nur den Fall des nichterweiterten Infinivs behandelt, habe aber leider versäumt, das ausdrücklich zu sagen. Zweitens ging es mir vor allem um die Abweichungen zwischen den verschiedenen Dudenausgaben. Ich könnte noch hinzufügen, daß die entsprechenden Regeln des "normalen" Duden von 1985 in etwa denen im Problemfälle-Duden von 1985 entsprechen, aber in den Formulierungen auch leicht davon abweichen.

Insbesondere wollte ich keineswegs Ihre Deutung der Regeln 107 und 108 (in der Fassung von 1991, nehme ich an?) in Zweifel ziehen. Ich stimme Ihnen vollkommen zu, daß in der Bedeutung (1) kein Komma stehen darf. Leichte Restzweifel habe ich nur daran, ob in der Bedeutung (2) ein Komma stehen muß, obwohl Ihre Auslegung durchaus überzeugend ist. Ich meine jedenfalls, daß man da besser ein Komma setzen sollte als keins. Ich weiß aber nicht, ob dieses Komma wirklich jede Zweideutigkeit ausräumen kann, jedenfalls für den, der die Dudenregeln nicht sehr gut kennt.

Besser wäre es schon, den Satz umzuformulieren, wie rrbth vorgeschlagen hat:

(1) Es lohnt sich, für die SPD zu kämpfen.
(2) Es lohnt sich für die SPD, zu kämpfen.

Hier beseitigen die Kommas jede Zweideutigkeit, auch für den, der keine Ahnung von den Regeln hat.

Es geht aber auch ganz ohne Kommas:

(1) Für die SPD zu kämpfen lohnt sich.
(2) Zu kämpfen lohnt sich für die SPD.

Allerdings wäre diese Ausdrucksweise wohl nicht so gängig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.12.2011 um 09.41 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#19787

Was ein Komma zuviel ausmachen kann, sieht man hier:

"Also, sprach Zarathustra von Richard Strauß" ... (Kieler Beiträge zur Filmmusikforschung, 5.2, 2010) (und der Komponist schrieb sich mit ss)

Andererseits streicht ein Deutschdidaktiker die Kommas mit erkennbarer Lust am Vollstrecken der Reform:

Zu verstehen war bei der Frage, worum es dem Text primär geht und das war die zoologische Sensation und es waren nur sekundär die Besonderheiten dieses Tieres. (Heiner Willenberg: Lesen. In: Beck, Bärbel [Hrsg.]; Klieme, Eckhard [Hrsg.]: Sprachliche Kompetenzen. Weinheim 2007, S. 107–117)
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 29.12.2011 um 14.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#19789

Allerdings ist das fehlende Komma (Verzeihung: das Fehlen des Kommas) hinter "geht" auch nach der RSR ein Fehler.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.03.2012 um 08.28 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#20207

Jochen Bär diskutiert die folgenden beiden Sätze:

[1] In der ersten, Projektfindung genannten Phase werden Länder analysiert. [...]
[2] In der zweiten, der Explorationsphase[,] werden umfangreiche geologische Analysen erarbeitet.

Er fragt, ob im zweiten Satz ein Komma stehen darf oder soll. Er kommt zu dem Ergebnis, es sollte keines stehen, denn das Erstglied der Zusammensetzung sei ebenso aufzufassen wie das Adjektivattribut im ersten Satz, folglich liege keine Apposition vor. Dabei übersieht er jedoch den großen Unterschied, den die Setzung oder Nichtsetzung des Artikels bewirkt. Die Nichtsetzung macht im ersten Satz die Appositionsdeutung unmöglich, im zweiten bleibt sie offen, so daß Kommasetzung zumindest möglich scheint.
Der Aufsatz holt weit aus, behandelt auch die schiefen Attribute (vierstöckiger Hausbesitzer) und enthält einiges Fragwürdige, worauf ich hier nicht eingehen will, vor allem natürlich die unkontrollierbare Paraphrasenmethode. Wer selbst nachlesen will:
http://85.214.96.74:8080/beitraege/kuerze.pdf
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.03.2012 um 21.11 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#20210

Wie man die Satzteile auch deutet, es gibt immer einen wesentlichen Unterschied: Satz [1] könnte auch allein stehen, ersten ist eindeutig Attribut des darauffolgenden Substantivs. Satz [2] dagegen könnte niemals allein stehen, daher ist zweiten kein Attribut des folgenden Substantivs, sondern bezieht sich auf das schon vorher genannte Wort Phase. Das Bestimmungswort der Zusammensetzung ist auch keinesfalls als Attribut parallel zum Adjektiv denkbar. Wenn das aber so ist, dann kann der Explorationsphase schlechterdings nur als Apposition gedeutet werden, als nichts anderes. Das zweite Komma in [2] ist also meiner Ansicht nach nicht nur möglich, sondern es muß unbedingt stehen.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.03.2012 um 21.20 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#20211

Mit dem Substantiv, auf das sich ersten bezieht, meinte ich natürlich das Wort Phase (nicht das unmittelbar folgende Subst.).
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 06.03.2012 um 23.32 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#20212

Ich möchte mich korrigieren. Ich finde, es sind doch Zusammenhänge denkbar, wo auch Sätze wie [2] allein stehen können, d.h. ohne Rückbezug des Adjektivs. Mit dem Argument des Rückbezugs kann ich also nur der Möglichkeit der Apposition zustimmen, aber es ergibt sich keine unbedingte Notwendigkeit.
 
 

Kommentar von Klaus Achenbach, verfaßt am 07.03.2012 um 23.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#20213

Nun schließt Jochen Bär die Deutung als Apposition ja nicht grundsätzlich aus. Er erwägt ja auch die Möglichkeit einer "anaphorische Ellipse", was die Deutung als Apposition ja zwingend nach sich zöge.

Allerdings meint er, die Deutung als Ellipse sei "zweifelhaft", weil "beide Sätze im konkreten Text etwa anderthalb Seiten weit auseinander standen und die Herstellung eines anaphorischen Bezugs für den Leser deshalb nicht mehr unmittelbar auf der Hand lag". Dieses Argument überzeugt allerdings nicht so recht, denn die bloße Erwähnung einer "zweiten Phase" verweist ja klar auf die vorher genannte erste Phase zurück. Außerdem ist in den anderthalb Seiten ja vermutlich nur Näheres zur ersten Phase gesagt, so daß der Leser (womöglich ungeduldig) auf die Behandlung der nächsten Phase wartet.

Nun geht es dem Autor ja gar nicht um diese Kommafrage. Diese dient ihm nur als Aufhänger für eine Erörterung der Frage, ob man adjektivisches Attribut und Bestimmungswort einer Zusammensetzung gewissermaßen gleichbehandeln könne. Ein Beispiel dafür wäre etwa eine Wendung wie "Handels- und verarbeitendes Gewerbe" (Bär behandelt auch solche Fälle).

Persönlich halte ich derartige Wendungen für sehr unschön und versuche sie wo nur möglich zu vermeiden, wofür ich auch Wortwiederholungen in Kauf nehme. Offenbar sieht Jochen Bär das unter dem Gesichtspunkt der "Sprachökonomie" anders. Darüber kann man streiten.

Ich sehe im übrigen nicht so recht, daß die Verwendung des Artikels hier einen "großen Unterschied" macht.

Den ersten Satz hätte man ja auch anders ausdrücken können:

[1] In der ersten, der Projektfindungsphase werden Länder analysiert. [...]

Ich empfände diese Ausdrucksweise zwar als wenig schön, aber nicht als eindeutig "falsch".

Jedenfalls ist aber in dieser Fassung des Satzes eine Deutung als Apposition trotz des Artikels völlig ausgeschlossen, denn sonst hinge das Attribut ersten in der Luft.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 08.03.2012 um 05.07 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#20214

Mit seinem letzten Satz drückt Herr Achenbach noch einmal aus, was ich sagen wollte: Der erste Ausdruck kann nicht als Apposition gedeutet werden, der zweite schon, und zwar gerade wegen des Artikels. Das ist für mich ein "großer Unterschied", zumal es den Ausgangspunkt von Bärs Argumentation betrifft. Die vermeintliche Parallele ist keine.
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 08.03.2012 um 14.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#20216

Nicht nur [2], sondern auch Herrn Achenbachs Version von [1] kann als Apposition gedeutet werden. Es hängt vom Kontext ab:

[1']
Die Arbeit wird in mehrere Phasen eingeteilt.
In der ersten, der Projektfindungsphase, werden Länder analysiert.

[1'']
Die Arbeit wird wie folgt eingeteilt.
In der ersten, der Projektfindungsphase werden Länder analysiert.

In [1''], den ich auch als weniger schön empfinde, würde sonst das Attribut in der Luft hängen, wie Herr Achenbach sehr treffend schreibt, aber nicht in [1'].

Was aber, wenn das erste Komma nicht mehr einfach zwischen den beiden Attributen steht? Ist [1'''] wirklich das gleiche wie [1'']?

[1''']
Die Arbeit wird wie folgt eingeteilt.
In der ersten, der Phase der Projektfindung[,] werden Länder analysiert.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.09.2014 um 05.40 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#26730

Im vielgefeierten Roman "Kruso" von Lutz Seiler (Suhrkamp 2014:89) heißt es:

Sie hatten auch gesungen. Stille Nacht, heilige Nacht und O, du fröhliche.

Nach O sollte kein Komma stehen, da es sich nicht um das Exklamativsatzäquivalent oh handelt, sondern um eine Vokativpartikel.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 09.04.2015 um 05.39 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#28585

Das Komma zwischen konjunktional verbundenen Hauptsätzen darf zwar neuerdings weggelassen werden, aber nach einigen Jahren Erfahrung kann man wohl sagen, daß dies fast immer zu einer leichten Irritation des Lesers führt. Die Zeitungen haben daher die klassische Kommaregel weitgehend beibehalten. In anderen Texten findet man die Neuschreibung öfter, aber nie zum Vorteil des Lesers. Es wirkt einfach schlampig.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.10.2015 um 04.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#30325

Die wichtigste Aufgabe der Kirche sei nicht zu verurteilen. (SZ 25.10.15)

"Man darf die wichtigste Aufgabe der Kirche nicht verurteilen." (?)

Oder: Die wichtigste Aufgabe der Kirche sei, nicht zu verurteilen.

Oder: Die wichtigste Aufgabe der Kirche sei nicht, zu verurteilen.
 
 

Kommentar von Wolfgang Wrase, verfaßt am 13.03.2016 um 16.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#31949

Aus dem aktuellen SPIEGEL:

Es ist gerade sehr leicht, im sozialistischen Havanna ein Unternehmer zu werden. [...] Es ist aber auch sehr schwer in Havanna ein Unternehmer zu werden.

Falls man die Kommasetzung als Leser bemerkt, fragt man sich zwangsläufig, ob der Autor sich etwas dabei gedacht hat, ob er etwas damit ausdrücken wollte. Ich würde auf "Nein" tippen.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.08.2016 um 18.27 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#33025

Als eine Streife der Polizeiinspektion Nürnberg-Süd eintraf, lag in dem Lichtschacht tatsächlich eine graue, lange Schlange. (infranken.de 5.8.16)

Alles völlig in Ordnung! Wegen der Kommasetzung sind die Attribute einander nebengeordnet, daher ist die Reihenfolge beliebig. Ohne Komma wären sie einander untergeordnet, und dann müßte die Reihenfolge geändert werden. Grau ist eine intrinsische Eigenschaft der Schlange, die Länge dagegen nur relativ (im Vergleich) feststellbar, also weiter weg vom Substantiv. Schönheit wäre noch weiter weg: eine schöne lange graue Schlange. Das finde ich ganz lehrreich.

Übrigens war das Tier 130 cm lang, enorm für eine mittelfränkische Würfelnatter.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 10.08.2016 um 19.10 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#33066

Wenige Minuten, nachdem er einen Flugzeugabsturz überlebt hatte, raffte er sich auf, uns darüber eine Reportage zu schreiben.

Ich glaube, wir haben das schon mal diskutiert. Mir kommt das Komma falsch vor, vgl. Kurz nachdem... Der Nebensatz ist ja kein Attribut zu den Minuten, sondern wenige Minuten ist ein Adverbial, das die temporale Konjunktion präzisiert, wie bald, kurz usw.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 17.01.2019 um 07.14 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#40602

Aus diesem Sachverhalt kann man herleiten, dass immer Kommas zu setzen sind, wenn ein Satz mehr als ein finites Verb hat. (https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/Remote/km/180629_Rechtschreibrahmen-Klassen-1-bis-10.pdf)

Das ist natürlich Unsinn, sonst wäre zu schreiben: Sie stand auf, und ging.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.01.2021 um 16.53 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#45098

Wie weit war Donald Trump im Kampf gegen die US-Wahl bereit, zu gehen? (FR 25.1.21)

Er war überhaupt nicht bereit, zu gehen, aber wie weit war er bereit zu gehen?
 
 

Kommentar von Manfred Riemer, verfaßt am 10.04.2021 um 12.57 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#45622

Kreml droht in Konflikt einzugreifen

KIEW/MOSKAU - Russland hat angesichts der Eskalation im Konflikt in der Ost-Ukraine mit einem militärischen Eingreifen zum Schutz seiner Staatsbürger gedroht.

(Freie Presse, 10.4.2021, Seite 5)

In dem Fall hätte man mit einem Komma nach droht in der Überschrift gleich für Klarheit sorgen können.
 
 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.02.2023 um 16.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=1190#50424

Vielleicht ist es hier schon gesagt worden: Man kann heute Tausende von Seiten Zeitung und Bücher lesen, ohne auf die geringste Abweichung der Kommasetzung vom Zustand vor der Reform zu stoßen (mit Ausnahme der wörtlichen Rede). Längst vorbei die wilden Anfangsjahre, als die Verlage im Rausch der Unterwerfung die Kommas aus den Druckvorlagen herauskratzten.
Diese stille Niederlage der Reformer sollte auch mal gewürdigt werden. Das Schreibvolk hat entschieden, kein Rechtschreibrat.
 
 

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