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»Rechtschreibung und -reform«


Beiträge zum Thema

»Deutschlehrer
Neue deutsche Rechtschreibung im Kabarett«

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Edelgard Mank
Düsseldorf

Dieser Beitrag wurde am 08.11.2009 um 01.12 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=241#5573


Es gibt ein wunderbares Stück vom diesjährigen Träger des Kleinkunstpreises in der Kategorie Chanson, Sebastian Krämer, das ich der hiesigen Gemeinde nicht vorenthalten möchte. Die neue Gattung Poetry Slam hat diesen Künstler hervorgebracht.
Ich habe mir die Mühe gemacht, den Text zu transkribieren, weil die Darbietung doch ein sehr rasches Tempo hat. Genießen kann man Sebastian Krämer auf youtube hier:
http://www.youtube.com/view_play_list?p=A8DE24AA5F909BA1

Und hier der Text:
Dieses Lied vereint Elemente aus dem Flamenco, Fanfaren aus Gladiatoren-Filmen – eine Woge der Erregung wälzt sich durch den Saal. Und das liegt am Thema dieses Stückes. Es geht nämlich um Deutschlehrer. – Sind Deutschlehrer hier heute abend? Einer?! Vielleicht? Okay, und die anderen geben’s nicht zu.
Liebe Deutschlehrer, Ihr denkt, Ihr hättet Pisa verhindern können. Ihr macht Euch schwere Vorwürfe deswegen. Macht Euch keine Vorwürfe, arme Deutschlehrer! Es gibt schon einen, der Euch genug andere Vorwürfe macht – und das bin ich.
Deutschlehrer, Ihr hättet die neue Rechtschreibung verhindern können. Ihr hättet sie verhindern können – wer wenn nicht Ihr?! An Euch wäre es gewesen zu sagen: Nein! Denn wißt Ihr: Wenn Ihr sagt, Schiller war ein cooler Typ, der hatte es echt drauf, dann glaubt man Euch das nicht. Wenn Ihr sagt, Sprache ist was ganz Tolles, probiert es mal aus, dann seht ihr, daß ihr auch Dichter seid – dann glaubt man Euch das nicht.
Und wenn Ihr sagt, Max Frisch ist heute immer noch aktuell, deshalb heißt er auch Max Frisch, höhöhö – dann glaubt man Euch das nicht. Aber wenn Ihr sagt: „selbstständig“ schreibt man mit Doppel-st, dann glaubt man Euch das doch. Und wenn Ihr sagt: „es sich leicht machen“ – das sind vier getrennte Wörter: es sich leicht machen; „er hat es sich leicht gemacht“ – dann liegt zwar ein Sechzehnjähriger am Boden und bepißt sich vor Lachen, aber man glaubt es Euch. Und wer hat gesagt: Die neue Rechtschreibung, die ist doch gar nicht mehr neu? Aber falsch ist sie immer noch – als könnten zehn Jahre Opportunismus irgend etwas ändern.
Deutschlehrer, Ihr hättet Bushido verhindern können! Und Xavier Naidoo! Wer wenn nicht Ihr?! An Euch wäre es gewesen zu sagen: Das reimt sich nicht, das sind schiefe Bilder, das ist gar kein vollständiger deutscher Satz – oder besser: Ihr hättet schon früher damit beginnen können, Poetry-Slam oder Rap-Kultur in Eurem Unterricht durchzukaspern. Dann wäre uns auch viel erspart geblieben.
Deutschlehrer, schaut Euch doch mal an! Wo sind die Cordhosen geblieben und die Pullunder?! Deutschlehrer, wo sind nur die Steckfrisuren? Die Schüler haben einen Anspruch darauf, sie brauchen doch ein klares Wertesystem. Sie wollen doch von Euch wissen, welches Outfit gar nicht geht. … und welche Bücher!
Deutschlehrer, wenn Ihr wollt, daß die Schüler ein Werk der Wortkunst […]* ein Leben lang im Herzen tragen, haltet es um Gottes willen aus Eurem Unterricht raus! Kapiert das doch endlich! Ihr seid wie König Midas, falls Euch Mythologie etwas sagt. Nur daß alles, was Ihr anfaßt, zu Scheiße wird. Ihr seid das Abführmittel der Kultur. Oder – anders gesagt – Ihr seid die Bösen, aber nicht weil Ihr wirklich böse seid, sondern weil es Eure Aufgabe in der Gesellschaft ist. Zur Sozialisation gehören Feindbilder. Werdet Euch endlich Eurer Verantwortung bewußt!
Deutschlehrer, ich weiß, daß Ihr mich hört. Die Zeiten, als Ihr vor dem Fernseher saßet und Elke Heidenreich gucktet, sind vorbei. Elke Heidenreich ist abgesetzt. Ganz zu schweigen vom „Literarischen Quartett“. Wer hätte es verhindern können? Egal – nicht weiter tragisch.
Ich weiß, daß Ihr mich hört. Ihr geht ja inzwischen in Comedy-Clubs und in MySpace-Blogs – ja, da trifft man Euch ja, im neuen Medium. Wo die Schriftlichkeit die triumphale Renaissance bar jeder Orthografie erlebt: „ich kozze ab“ – mit zwei Z. […] Nacktmodels auf „Playboy at night“ gehört: ,Zu meinen Hobbies gehört auch das Internet, weil die Schriftlichkeit eine Renaissance erlebt.‘ War bestimmt ’ne „Deutsch-auf-Lehramt“-Studentin.
Deutschlehrer, Ihr hättet Harry Potter – nein, den hättet Ihr nicht verhindern können. Ich gebe es zu. Aber das ist noch lange kein Grund, sich nachts gemeinsam mit den Gören um halb zwei in die Schlange vor den Buchladen zu stellen, weil der neue Band releast wird – wir krank ist das denn?! Der gewaltverherrlichende Päderastentraum mit Zauberstab! – „Der Feuerkelch war so spannend. Eigentlich war meine Ausfahrt schon da, aber ich bin extra über Leverkusen gefahren, um es zu Ende zu hören.“ – Und zu Hause steht Robert Musil im Regal und wurde noch nicht einmal angefangen.
Deutschlehrer, Schande über Euch, Schande, Schande, Schande, Schande über Euch! …
Deutschlehrer, und jetzt nehmt gefälligst dieses Scheißlied, ohne Reim und ohne Rhythmus und mit einer Melodie, die ein wenig über die Mühe verrät, die ich mir bei der Erarbeitung dieses Werkes gegeben habe, und analysiert es mit Euren kleinen Schleimwichsern.
Frage: „Warum verwendet der Autor hier die Umgangssprache?“ – Das ist keine Umgangssprache, das ist meine Sprache für besondere Anlässe. Es kommt halt immer auf den Umgang an, den man pflegt.
Nein, ich bin nicht stolz auf das Lied. Aber ich bin ein Getriebener, ein von der Wahrheit Getriebener […] Ihr elenden Deutschlehrer, Ihr hättet diese Wahrheit, Ihr hättet dieses Lied verhindern können – wer wenn nicht Ihr?!

* Stellen mit diesen Klammern sind der Unverständlichkeit geschuldet
(Eigene Transkription der Videofassung; Text/Lyrics: Sebastian Krämer)

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Jan-Martin Wagner
Kiel

Dieser Beitrag wurde am 24.01.2011 um 19.53 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=241#7409


Hunderttausend.de, 13. Januar 2011

Sebastian Krämer
"Kunst ist keine Dienstleistung"

[...]

Rilke ist ein gutes Stichwort. Einer Ihrer beliebtesten Songs ist "Deutschlehrer", in dem Sie sich die Sprach- und Literaturerzieher vorknöpfen. Hatten Sie selbst auch einen solchen Deutschlehrer oder was haben Sie gegen die Vertreter jener Zunft?

Nein, es geht ja hier nicht um die Deutschlehrer meiner Schulzeit, sondern um heutige Deutschlehrer. Einer vom alten Schrot und Korn, der noch Schillers Glocke auswendig lernen ließe, wäre ganz nach meinem Geschmack. Ich habe meine Achtung vor allen Deutschlehrern dieses Landes verloren, die nach der Rechtschreibreform nicht in den Streik getreten sind. Also vor allen.

[...]

(http://www.hunderttausend.de/artikel/7feafb55-dccf-4c87-bc11-c4cb92518510.htm)
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