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»Rechtschreibung und -reform«


Beiträge zum Thema

»Variantensalat
Wohl bekomm’s!«

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Wolfram Metz
Den Haag, Niederlande

Dieser Beitrag wurde am 16.07.2009 um 00.51 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=100#5163


Im Hause Duden schert man sich offenbar wenig um die eigenen Variantenempfehlungen. So rät die Redaktion zu der Schreibung »ohne Weiteres«, übersetzt aber das österreichische Wort »ohneweiters« im Klammerzusatz mit »ohne weiteres«. Eine Altlast aus früheren Auflagen kann sie nicht geltend machen, da die Erklärung erstmals in der (noch) aktuellen 24. Auflage von 2006 erscheint. Wer dem verunsicherten Benutzer hier die Großschreibung empfiehlt, selbst aber die Kleinschreibung benutzt, predigt Wasser und trinkt Wein.

Mich würde einmal interessieren, was die Duden-Leute wirklich von Schreibungen wie »im Voraus« und »des Öfteren« halten und wie ihre Empfehlungen wohl ausfielen, wenn hier die Kleinschreibung wenigstens wieder als richtig anerkannt würde. Eisenberg hin oder her – solange der Duden mit seinen Produkten die Ausweitung der Großschreibung tatkräftig unterstützt, wird sich in diesem Bereich von Amts wegen wenig tun. Nachdem die Getrennt- und Zusammenschreibung aufgrund der ernüchternden Erfahrungen mit der ungebärdigen Realität als Experimentierfeld für die vielbeschworene »Vereinfachung« weitgehend ausgedient hat, klammern sich die Reformretter nun an jenen letzten Strohhalm: die Großschreibung von allem, was entfernt nach »Substantiv« aussieht. Solche Großschreibungen werden sich aber schon deshalb nicht allgemein durchsetzen, weil viele moderne Schreiber beim schnellen Hinwerfen ihrer SMS- und Mailtexte die Umstelltaste meiden wie die Pest. Dies begünstigt einen ökonomischen Umgang mit Versalien auch in gepflegteren Privattexten. So könnte die vermehrte Großschreibung zunehmend zu einem Kennzeichen der Offizialliteratur werden, ebenso wie manche PC-Narretei schon heute nur im Kokon einer gleichstellungsverkrampften Behörde oder Bildungseinrichtung, also jenseits des richtigen Lebens, denkbar ist. Irgendwann werden auch die Wörterbuchredaktionen dieser Entwicklung Rechnung tragen müssen. So gesehen hat die allmähliche Entfärbung des Dudens auch etwas Gutes, denn sie schafft die Voraussetzungen für einen gesichtswahrenden Einstieg in den Ausstieg.

Nachtrag:
In der 25. Auflage ist der obenerwähnte »Fehler« korrigiert. Nun wird »ohneweiters« mit »ohne Weiteres« übersetzt.
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Christoph Schatte
Poznan

Dieser Beitrag wurde am 01.03.2007 um 14.36 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=100#1547


Anders als Roger Herter kann man auch bei "ebay" suchen, wo nicht nur die im VLB verzeichneten Bücher gehandelt werden. Da findet man eine Sammlung von Erzählungen von Balzac unter besagtem Titel, wenn man ihn in normaler Schreibung eingibt.
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Roger Herter
Basel

Dieser Beitrag wurde am 18.02.2007 um 18.30 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=100#1491


Gewiß. Nur ist Balzacs Erzählung nicht aus Gründen der beschädigten Orthographie unauffindbar, sondern weil das VLB kein Buch mit diesem (Haupt-)Titel kennt. (Man suche statt dessen unter "Gobseck".)
Der erwähnte Roman aber heißt allen Ernstes neu "Der Ball spielende Hund" (Fischer 2006) und läßt sich nur in dieser Schreibung eruieren.
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Christoph Schatte
Poznan

Dieser Beitrag wurde am 18.02.2007 um 17.22 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=100#1486


Man könnte auch H. de Balzacs Erzählung "Das Haus zur ballspielenden Katze" suchen und würde sie nicht finden (die Erzählung).
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Roger Herter
Basel

Dieser Beitrag wurde am 18.02.2007 um 15.52 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=100#1484


Angenommen, Sie hätten am Bahnhofkiosk den Krimi "Der ballspielende Hund" von Agatha Christie gesehen und wollten den nun bestellen - Sie kämen nie zu Ihrem Buch.
Gibt man den Titel bei buchhandel.de ("Profisuche im VLB") ein, so ist die Antwort negativ, kein Ergebnis der Recherche.
Lieferbar wäre hingegen (sowohl bei Scherz wie bei Fischer), sofern Sie auf diese abwegige Nachfrage verfielen: "Der Ball spielende Hund" ...
Die feine Pointe: Diesem Suchergebnis ist ein Bild des (Scherz-)Buchumschlags beigegeben, worauf zu lesen steht: "Der ballspielende Hund".
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Sigmar Salzburg
Dänischenhagen

Dieser Beitrag wurde am 18.02.2007 um 11.42 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=100#1483


Manfred Ickler: Die ZEIT hat seit einigen Wochen das schöne alte Wort Handvoll wiederentdeckt.

Die blasierten Unwichtigtuer und hämischen Klammeraffen aus dem ZEIT-Lager haben sieben Jahre lang ihren Irrtum nicht zugeben wollen und lieber andere als Don Quijotes denunziert. Aus den letzten drei Jahren im ZEIT-Forum (Christoph Drösser verfaßt u.a. die Zeit-Kolumne „Stimmt’s?“):


Sigmar Salzburg - 20. May 2004 8:00 (#1637 of 1637)
Absurde Reformschreibung (113):
Der Selbstmordattentäter sprengte sich in die Luft.
In der Nähe wurde noch eine Hand voll Sprengstoff gefunden.



Syntax - 20. May 2004 8:39 (#1638 of 1639)
for man is a giddy thing, and this is my conclusion
und wieder ringen wir, wenn es denn sein soll, einem satz eine unerwuenschte lesart ab. hurra. […]


hjm - 2. Jul 2004 13:52 (#1957 of 1960)
.... und überhaupt!
[…] Er wehrt sich vehement gegen die Schreibweise "eine Hand voll" statt "eine handvoll", weil dadurch die Sprache unendlich verkompliziert, weil mehrdeutig wird. Er setzt sich aber genauso vehement gerade nicht für die Wortschöpfung "eine seitevoll" oder "ein eimervoll" ein, obwohl dadurch die Sprache doch unendlich vereinfacht, weil eindeutiger würde […]


Sigmar Salzburg - 27. Jun 2004 12:15 (#1903 of 1903)
Schwachsinn „neue" Rechtschreibung, Nr. 917:
Das Schleudern von Händen
In George Bernard Shaws „ARMS AND THE MAN“,
2. Akt, heißt es ...
It's like slinging a handful of peas against a window pane...
... und in der Übersetzung:
Gerade, als ob man eine Handvoll Erbsen gegen eine Fensterscheibe schleuderte...
... in „neuer" Rechtschreibung (bisher noch nicht gesichtet):
... als ob man eine Hand voll Erbsen gegen eine Fensterscheibe schleuderte...


Denis - 27. Jun 2004 12:38 (#1904 of 1906)
Pauschalierungen sind grundsätzlich Scheiße.
(Ist ja grauenhaft.)


Pallas - 27. Jun 2004 12:42 (#1905 of 1906)
Man ist stets gerne zu Diensten
(Völlig unverständlich!)


hjm - 27. Jun 2004 12:49 (#1906 of 1906)
.... und überhaupt!

(Neulich hat jemand einen Eimer voll Wasser über mein Blumenbeet geschleudert. Die ganzen Rosen waren hin. Hab den Typ natürlich angezeigt. Wegen Sprachmissbrauchs und wegen des unlauteren Gebrauchs von Leerzeichen. Wo kämen wir da hin!)


Denis - 27. Jun 2004 15:18 (#1910 of 1912)
Pauschalierungen sind grundsätzlich Scheiße.
Die Auseinanderschreibung von "Handvoll" bietet besonders viele Beispiele für die Erzeugung von sprachlichem Blödsinn.
Ätschbätsch! Ich hab noch mehr gefunden.


Pallas - 27. Jun 2004 15:25 (#1911 of 1912)
Man ist stets gerne zu Diensten
(Und wer am meisten findet, hat gewonnen!)


Sigmar Salzburg - 27. Jun 2004 15:29 (#1912 of 1912)
Waugh, Evelyn A Handful of Dust/Eine Handvoll Staub, Roman (1934).
(www.lyrikwelt.de/autoren/waugh.htm)
Waugh, Evelyn, Eine Hand voll Staub, Details, Rowohlt Verlag,
(www.erich-kaestner-bibliothek.de/)
Lernt Sprachen! Das Reformdeutsche ist zur präzisen Darstellung nicht mehr geeignet.


Pallas - 27. Jun 2004 15:31 (#1913 of 1915)
Man ist stets gerne zu Diensten
Auswandern?


Denis - 27. Jun 2004 15:32 (#1914 of 1915)
Pauschalierungen sind grundsätzlich Scheiße.
Das Reformdeutsche ist zur präzisen Darstellung nicht mehr geeignet.
Also ich finde, das rechtfertigt Selbstmord.
Eindeutig.


Giesbert Damaschke - 2. Jul 2004 12:45 (#1953 of 1956)
lebt & arbeitet in München
[Bild Buchtitel Lina Haag „Eine Hand voll Staub“]
Handvoll oder Hand voll. Egal. Kaufen. Lesen.


Christoph Droesser - 2. May 2005 23:05 (#1073 of 1087)
Fast war ich versucht, mich auf die Seite von Sigmar S. zu schlagen, als ich heute in der ZEIT den Satz las:
In Fraktionen und Parteien beschäftigt sich nur eine Hand voll Frauen mit Sicherheitspolitik.
Irgendwie hab ich mir das zu bildlich vorgestellt.


Pallas - 3. May 2005 14:04 (#1074 of 1087)
Man ist stets gerne zu Diensten
Das wäre Sigmar nicht passiert.


Sigmar Salzburg - 4. May 2005 10:59 (#1077 of 1087)
Disloziertes Wenighirn oder nur neue Rechtschreibung?
Die Truppen laufen rückwärts in Richtung sichere Schutzwälle oder retten sich schon mal per Rolle seitwärts ins sichere Abseits. Dinosoid-Truppen schlagen Haken und lassen das Zielen zu einer reinen Glückssache verkommen. Auch Scharfschützen wurden mit einer Hand voll Gehirn bedacht: Nachdem sie gefeuert haben, suchen sie oftmals ein erfolgversprechenderes Örtchen um von dort Tal'Set wieder unter Beschuss zu nehmen.
http://www.mag64.de/ngc/turok/turok.htm


Giesbert Damaschke - 4. May 2005 12:15 (#1078 of 1087)
Lebt & arbeitet in München
tertium datur: bescheuerte Formulierung in einem bescheuerten Text.


Pallas - 4. May 2005 12:45 (#1079 of 1087)
Man ist stets gerne zu Diensten
bescheuerte Formulierung in einem bescheuerten Text.
Aber hier ist doch das Sammelbecken dafür!


fora - 4. May 2005 22:16 (#1080 of 1087)
Das Wesen der Mathematik ist die Freiheit
Sigmar durchsucht das Internet nach "Hand voll".


Sigmar Salzburg - 6. May 2005 6:58 (#1081 of 1087)
Nein, mein Sohn nach Spielen.


Sigmar Salzburg - 7. Oct 2006 16:20 (#2745 of 2745)
DIE ZEIT, 21.09.2006 Nr. 39
Opferung einer Hand
Wir rennen auf die andere Straßenseite, wo ein Schrein mit fünf mannshohen Nat-Statuen steht – jenen animistischen Geistern, die verflixt unangenehm werden können und an die viele Myanmaren glauben, auch wenn sie eigentlich dem Buddhismus anhängen. … Wir bringen ihnen mit dem geziemenden Respekt eine Hand voll duftender weißer Blumengirlanden und ein Sträußchen Go-Blätter dar. Man weiß ja nie.
Das wäre doch nicht nötig gewesen! Man darf sich auf Beschluß der deutschen Länderministerpräsidenten auch wieder mit einer „Handvoll“ Blumengirlanden begnügen!


Giesbert Damaschke - 18. Oct 2006 23:22 (#2755 of 2755)
My mule is sick, my horse is blind
also es sieht ja wirklich blöd aus - und wenn dann noch ein Tippfehler dazu kommt:
von einer Hand voll Journalisten geründet,
wird's vollends albern.


Sigmar Salzburg - 30. Nov 2006 9:50 (#2779 of 2779)
Wieder ein Denkmal der Dummschreibung

Die ZEIT verwendet immer noch die überholte Primitivstform der kultusministeriellen Schreibung für Deppen und solche, die es werden sollen. Die Besprechung des antiken Antikythera-Mechanismus bietet wieder ausgiebig Gelegenheit, dies zu demonstrieren.
Mechanische Kunsthand:
… bis in byzantinische Zeiten konnten Mechaniker nicht mehr als eine Hand voll Zahnräder zusammenschalten, so jedenfalls dachten die Altertumsgelehrten vor dem Fund von Antikythera…
„Hand voll“ schreibt noch nicht einmal mehr unsere reformunterwürfige nördliche Provinzzeitung.


Sigmar Salzburg - 12. Dec 2006 23:01 (#2795 of 2795)
Da kommt wie von selbst eine andere Frage auf: Wie lange will eigentlich die ZEIT noch mit der veralteten Zimmerschen Reparatur-Deppenschreibe nerven?
Mit den Fingern greift er hinein, mischt, knetet, schiebt sich eine Hand voll in den Mund. Die Männer essen schweigend, nur hin und wieder lässt einer einen ...
www.zeit.de/2006/08/In_80_Tagen?page=5


Sigmar Salzburg - 6. Feb 2007 9:06 (#2841 of 2843)
[…] Im zweiten Teil steigert sich Regenauers Programm deutlich, wird politischer, bissiger. Er klärt die Zuschauer über die Vorteile der Globalisierung auf. Die Arbeit wird in Billiglohnländer verlagert, sogar die Reden im Bundestag würden von polnischen Gelegenheitskomikern geschrieben. Selbst die Rechtschreibreform sei nur das Ergebnis von Übersetzungsfehlern, denn mit der Verfassung des Dudens sei ein Billig-Usbeke beauftragt worden. Bernd Regenauer bringt Licht ins Dunkel und schaut mit den Zuschauern hinter das Brett vor dem Kopf der Politiker. […]
http://www.frankenpost.de/nachrichten/regional/fichtelgebirge/resyart.phtm?id=1083043
[…]


Christoph Droesser - 6. Feb 2007 9:29 (#2842 of 2843)
... polnische Gelegenheitskomiker ... Billig-Usbeken ...
Ja, echt bissig, der fränkische Provinzkabarettist! Irrungen und Wirrungen ...


Giesbert Damaschke - 6. Feb 2007 10:31 (#2843 of 2843)
Extremspørtler in spe
Und das ganze im fränkischen Dialekt. Ungefähr so stelle ich mir die Hölle vor.


Sigmar Salzburg - 6. Feb 2007 15:02 (#2844 of 2844)
In der Hölle des täglichen Wahnsinns herrscht eher der Neuschreib-Dialekt vor, z.B.:

Das Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe, das der jeder esoterischen Schieflage unverdächtigen Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches (DVGW) untersteht, hat bereits einer Hand voll Geräten bescheinigt, dass sie die Kalkablagerungen um mindestens 80 Prozent reduzieren.
www.zeit.de/archiv/2002/19/200219_stimmts.xml

Eine Schieflage als Camouflage von „Reform“.
Stimmt’s?


Christoph Droesser - 6. Feb 2007 15:12 (#2845 of 2850)
Nö.


Die Unterzeilensprüche habe ich nicht besonders abgesetzt. Mehr unter:
http://www.nachrichtenbrett.de/Forum/showthread.php?postid=31455#post31455
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Manfred Ickler
Marsberg

Dieser Beitrag wurde am 17.02.2007 um 19.17 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=100#1481


Schon bemerkt? Die ZEIT hat seit einigen Wochen das schöne alte Wort Handvoll
wiederentdeckt. Die Hand voll Minister war wohl auch zu krass. Auch sogenannt kommt wieder zu Ehren. Nun warten wir auf den ersten Thunfisch, der Joghurt schmeckt schon wieder. Alles ganz erfreulich, aber gegenüber den Lesern doch irgenwie schäbig, so ohne ein Wort der Erklärung.
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Christoph Schatte
Poznan

Dieser Beitrag wurde am 15.02.2007 um 18.34 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=100#1468


1904 Doppelschreibungen erfolgreich vermindert
2006 Variantenmultum erfolgreich eingehämmert


„Wie Preußen zunächst für die Behörden, so hatte nämlich Österreich zunächst für die Schulen die Zahl der Doppelschreibungen wesentlich vermindert, indem es im Jahre 1904 »zum Gebrauche für Lehrer und Schüler« von den Regeln für die deutsche Rechtschreibung eine »Ausgabe mit eindeutigen Schreibweisen« veröffentlichte. Erwägt man nun, daß auch Württemberg und Baden in den amtlichen Regelbüchern die gelehrten Schreibungen mit cc gar nicht mehr aufführen, daß ferner die übrigen deutschen Bundesstaaten sowie die Schweiz dem Beispiel Preußens bereits gefolgt sind, so ist klar ersichtlich, daß die Herrschaft der Doppelschreibungen mit raschen Schritten ihrem Ende zugeht. Tatsächlich kann die Mehrzahl der Doppelschreibungen, die das auf Grund der Beschlüsse der »Orthographischen Konferenz« vom Jahre 1901 herausgegebene vereinbarte amtliche Regelbuch enthielt, schon jetzt als abgeschafft gelten.“ Soweit Dr. Alfred C. Schmidt in seinem im Februar 1915 unterzeichneten „Vorwort“, S. V, zum »Duden, Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter«, Leipzig: Bibliographisches Institut, 1919.
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Wolfram Metz
Den Haag, Niederlande

Dieser Beitrag wurde am 05.01.2007 um 23.00 Uhr eingetragen.
Adresse: http://www.sprachforschung.org/forum/show_comments.php?topic_id=100#1292


Nehm’n Se ’n Duden – keinen alten!

Wie begründen die Redaktionen von Duden und Wahrig eigentlich ihre Variantenempfehlungen?

In den Benutzungshinweisen zum neuesten Rechtschreibduden heißt es:
„Bei der Auswahl der Varianten hat sich die Dudenredaktion an folgenden drei Kriterien orientiert:
Erstens soll nach Möglichkeit der tatsächliche Schreibgebrauch, wie ihn die Dudenredaktion beobachtet, berücksichtigt werden.
Zweitens wollen wir den Bedürfnissen der Lesenden nach optimaler Erfassbarkeit der Texte möglichst umfassend gerecht werden.
Und drittens sollen auch die Bedürfnisse der Schreibenden nach einfacher Handhabbarkeit der Rechtschreibung weitgehend befriedigt werden.“

Auffällig ist die Steigerung „nach Möglichkeit berücksichtigen – möglichst umfassend gerecht werden – weitgehend befriedigen“. Haben die Verfasser hier etwas zu unbekümmert in die Synonymkiste gegriffen? Wahrscheinlicher ist, daß sie die durch die Numerierung der Kriterien suggerierte Rangfolge sogleich wieder außer Kraft setzen wollten, um sich alle Optionen offenzuhalten.

Wie auch immer, die Bedürfnisse der Leser werden vor denen der Schreiber erwähnt. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, mit welchem Ziel die Reformer ursprünglich angetreten sind.

In Wahrigs „Ein Wort – eine Schreibung“ wird der Leser sogar wieder auf den Thron gehoben, wenn man ihn auch nicht beim Namen nennt, sondern etwas vage von der „Wortbedeutung“ spricht, die für die Schreibempfehlungen entscheidend gewesen sei. Auf den Plätzen 2 und 3 folgen der „Schreibusus“ und die „leichte Anwendbarkeit für den Schreibenden“.

Alles in allem ziehen die beiden Redaktionen also die gleichen Kriterien für ihre Variantenempfehlungen heran. Daß sie dennoch in vielen Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, dürfte vor allem an der Gewichtung der Kriterien liegen, über die man allerdings nur lückenhaft informiert wird. Die Dudenredaktion begnügt sich zunächst mit der reichlich allgemeinen und unverbindlichen Feststellung: „Diese Gesichtspunkte, die nicht selten im Widerspruch zueinander stehen, waren sorgfältig gegeneinander abzuwägen.“ In den dann folgenden Erläuterungen zu den einzelnen Bereichen gibt sie nur teilweise darüber Auskunft, welchem Kriterium sie jeweils das größte Gewicht beigemessen hat. Die entsprechenden Ausführungen bei Wahrig sind wesentlich knapper gehalten. In beiden Werken wird oft nur mitgeteilt, wie man sich entschieden hat, ohne eine Begründung zu liefern.

Die Dudenredaktion hat sich in den vergangenen zehn Jahren alle erdenkliche Mühe gegeben, der heftigen Kritik an der Reform und dem weitgehenden Rückbau ihrer mißlungensten Teile mit der gebotenen Diskretion zu begegnen und alle damit verbundenen Veränderungen, soweit sie überhaupt darauf eingegangen ist, als etwas ganz Natürliches darzustellen. (Man lese nur einmal die Vorworte zu den Rechtschreibduden von 1996, 2000, 2004 und 2006). Deshalb stolpert man als Leser inzwischen kaum noch über Formulierungen wie „Entsprechend der Schreibung […] empfehlen wir [die Dudenredaktion] jetzt auch […]“ oder „Nach […] bevorzugen wir nun auch […]“. Zu Fällen des Typs „gewinnbringend/Gewinn bringend“ liest man: „Bei der Verbindung von Substantiv und erstem Partizip empfehlen wir in einer größeren Zahl von Fällen die früher vorwiegend übliche Zusammenschreibung.“ Hier wird also noch ein weiteres Kriterium eingeführt: der frühere Schreibgebrauch. Aber sollte sich ein aktuelles Rechtschreibwörterbuch nicht besser auf den heutigen statt auf einen überholten Schreibgebrauch stützen? Ganz offensichtlich handelt es sich hier um eine Freudsche Fehlleistung. Wäre es nicht ehrlicher gewesen, wenn man geschrieben hätte: „die trotz aller Reformbemühungen nach wie vor übliche Zusammenschreibung“?

Die Wahrig-Redakteure sind da offener. Zu den Varianten im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung stellen sie fest: „Die WAHRIG-Empfehlungen bevorzugen im größten Teil der Fälle die Zusammenschreibung, wodurch der starken Kritik an vielen obligatorischen Getrenntschreibungen der Regelung von 1996/2004 Rechnung getragen wird.“ Leider ist die Heftigkeit der Kritik aber kein geeigneter Maßstab für eine sachliche Beurteilung, sondern allenfalls eine Art politisches Metakriterium. Die Benutzer des Wörterbuchs bleiben daher meist im unklaren darüber, welche Überlegungen den Empfehlungen jeweils tatsächlich zugrunde liegen.

Exemplarisch möchte ich den Fall „-graph/-graf“ etwas näher unter die Lupe nehmen. Im „Praxiswörterbuch zur neuen Rechtschreibung“ (1998) empfahl die Dudenredaktion noch grundsätzlich die ph-Schreibung, also „Demographie“, „Geographie“, „Mammographie“ usw. Nur bei den „schon seit längerem gebräuchlichen“ Schreibungen „Fotografie“, „Stenografie“ und „Telegrafie“ sowie bei den „immer häufiger“ anzutreffenden Schreibungen „Biografie“ und „Grafik“ bevorzugte sie die Variante mit f. Im neuesten Rechtschreibduden heißt es jetzt: „Nach ‚Fotografie‛ und ‚Grafikerin‛ empfehlen wir nun auch ‚Paragraf‛, ‚Geografie‛, ‚Telegraf‛, ‚Biografie‛ usw. Als Ausnahmen betrachten wir einige Fachwörter wie ‚Graph‛ und ‚Graphem‛.“ Da auch diese Entscheidung nicht begründet wird, kann man nur spekulieren. Hat sich hier die f-Schreibung in den letzten Jahren durchgesetzt (Kriterium 1)? Hält man die f-Schreibung für besser lesbar (Kriterium 2)? Will man kein verwirrendes Nebeneinander von ph- und f-Schreibung (Kriterium 3)? Die Wahrig-Redaktion hat sich in diesem Punkt festgelegt. Sie begründet ihre – vom Duden abweichenden – Empfehlungen (mal zugunsten der ph-, mal zugunsten der f-Schreibung) ausdrücklich mit der jeweils höheren Belegdichte im hauseigenen Textkorpus.

Und damit bin ich bei der spannendsten Frage überhaupt: Was bedeutet heute, anno 2007, deskriptive Orthographie? Ist es in Zeiten des orthographischen Multikulti sinnvoll, wie ein Chronist gewissenhaft das und nur das aufzuzeichnen, was ist? Oder muß man erst sortieren nach unreformiert, reformiert, revidiert-reformiert und all den unzähligen Mischorthographien, denen man heute allenthalben begegnet? Was ist denn da alles so drin im „WAHRIG Textkorpus“ und im „Duden-Korpus“? Der von den Redaktionen gewählte Ansatz scheint mir jedenfalls nicht tragfähig zu sein. Man kann nicht in ein und demselben Wörterbuch ein weitgehend künstliches Regelwerk umsetzen und zugleich den tatsächlichen, davon mitunter stark abweichenden Schreibgebrauch dokumentieren wollen. Reformierte Schreibweisen, die von der Schreibgemeinschaft angenommen werden, empfehlen; von reformierten Schreibweisen, die nicht angenommen werden und zu denen es eine „zulässige“ klassische Variante gibt, abraten; reformierte Schreibweisen, die nicht angenommen werden und zu denen es keine „zulässige“ klassische Variante gibt, kommentarlos aufführen – ein solches Konzept hat doch keinen Bestand. In vielen kunsthistorischen Fachtexten, darunter vorzügliche Ausstellungskataloge, die ziemlich konsequent in Reformschreibung abgefaßt sind, erscheinen die Wörter „Zierat“, „Reliefzierat“ usw. stets in der hergebrachten Schreibung, also ohne das zweite r. Was nun? Ist das etwa kein „tatsächlicher Schreibgebrauch“? Wie groß ist der Nutzwert von Empfehlungen, die diesen Teil der Wirklichkeit einseitig ausblenden? Wer schwebt den Redakteuren eigentlich als typischer Benutzer vor? Es muß jemand sein, der einerseits das Gehege des amtlichen Regelwerks partout nicht verlassen will, andererseits aber nicht genügend Zeit, Lust oder Können aufzubringen vermag, selbst zwischen den vorgegebenen Varianten zu wählen. Warum sollte sich jemand, dem Rechtschreibung gleichgültig oder ein Buch mit sieben Siegeln ist, der aber dennoch „korrekt“ schreiben will, für die letztlich nur schwer nachvollziehbaren Präferenzen einer Wörterbuchredaktion interessieren?

Aber vielleicht kommt es ja gar nicht so genau darauf an, ob man „Topographie“ oder „Topografie“ schreibt. Vielleicht geht es nur darum, das zu schreiben, was alle schreiben, die noch einen gewissen Wert auf Rechtschreibung legen. Und das ist – da sollte man sich nichts vormachen – auch heute noch das, was im gelben Buch aus der Kurpfalz steht. Wenn niemand mehr den Durchblick hat, jeder aber den Duden, warum sollte man dann einen Sonderweg riskieren? Die Experten in Mannheim werden’s schon wissen. Nur nicht auffallen. Auf eventuelle Nachfragen könnte man eh nichts Sinniges erwidern. So scheint auch die rheinland-pfälzische Landesregierung gedacht zu haben, als sie in ihrem Merkblatt für die Aufstellung von Gesetz- und Verordnungsentwürfen (siehe hier) den verunsicherten Referenten mit der Begründung die vom Duden bevorzugte Variante empfahl, daß auch diejenigen, die sich später beruflich mit diesen Texten herumschlagen müssen, höchstwahrscheinlich den Duden benutzen.

Aus langjähriger Begeisterung für die Werke des Verlags wünsche ich dem Duden bestimmt nichts Schlechtes, im Gegenteil. Wenn sich die Herrschaften doch nur endlich entschließen könnten, nach dem größten nun auch noch den sonstigen Unsinn beseitigen zu helfen!
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