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Blüthen der Thorheit

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09.06.2005
 

Meisterdenker

Cord Riechelmann wehrt sich in der Berliner Zeitung gegen Kritik an Giorgio Agamben.

Das ist Stoff für fortgeschrittene Leser. Ob die aber Riechelmanns unredigierte Schreibe goutieren, darf bezweifelt werden. Eine Probe:

Versucht man aus Balzers Beispielen einen Kern herauszuarbeiten, dann sind Meisterdenker jene Theoretiker, die es wie Foucault, Lacan oder Derrida schaffen mit ihren Arbeiten in außerakademische Medien hineinzureichen, für die sie nicht gemacht sind. Damit werden sie zu einem allgemeinen Gesprächsstoff, in dem einem Wortfetzen, Namen, Gedankenbrocken immer unter eben dem Label dieser Denker entgegen geschleudert werden. Das man sich über den dabei anfallenden Schwachsinn so aufregt, das der ganze Kosmos um den Meisterdenker zu nerven beginnt, ist verständlich. Man sollte aber die Resonanzen, die die Meister erzeugen ruhig auch wieder auf den Text zurückwenden.




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Kommentare zu »Meisterdenker«
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 25.10.2013 um 05.45 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=57#1175

Die Meisterdenker von der Antike bis heute werden in einem erfrischenden Buch des verstorbenen australischen Philosophen David Stove abgefertigt:

David Stove: The Plato cult and other philosophical follies. Oxford 1991.

Nachdem er einiges Einschlägige zitiert hat, sagt er:

„Nothing which was ever expressed originally in the English language resembles, except in the most distant way, the thought of Plotinus, or Hegel, or Foucault. I take this to be enormously to the credit of our language.“ (183)

Das dürfte im großen und ganzen zutreffen, und wir könnten uns fragen, ob es an der Sprache liegt oder an jahrhundertelang eingeschliffenen ungeschriebenen Regeln des Umgangs – oder ob das gar nicht zu trennen ist.

Allerdings gibt es auch auf englisch eine trügerische Scheinklarheit, vor der man sich ebenfalls in acht nehmen sollte. Thomas Nagels weltberühmter Fledermaus-Aufsatz gehört dazu. Es bedurfte einiger unerschrockener Leute wie Peter Hacker ("Is there anything it is like to be a bat?"), um diesen Unsinn wieder abzuräumen.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.10.2013 um 13.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=57#1176

Bei jenem "Diamanten im Kohlenstaub", den Herr Lachenmann heute im Diskussionsforum zitiert, handelt es sich um eines der vielen Bücher von Richard Rohr. Ausführlich dazu der Wikipedia-Eintrag (englisch).

Die Sprache dieser ausgedehnten und vielgelesenen Literatur läßt unsereinen freilich erschauern, und mehr kann man dazu auch kaum sagen. Wenn jemand vom "wahren Selbst" anfängt, ist entweder die europäische Tradition (Plotin, Mystik) dahinter zu vermuten oder - noch wahrscheinlicher - indischer Einfluß. Interessant ist, daß vor allem die Buddhisten, aber auch die anderen großen Strömungen in Indien, kein Problem damit haben, das Christentum wohlwollend als eine Art tapsigen Versuch tieferer Einsichten zu vereinnahmen, die man selbst dank Buddha (oder Upanischaden) schon zu besitzen glaubt. Umgekehrt ist es viel schwieriger, weil sich zum Beispiel die Artikel des KKK in ihrer oft krassen Eindeutigkeit nicht so leicht umdeuten lassen. Wenn der Glaube vorbei ist, bleibt die unentwegt beschworene "Spiritualität" übrig. So auch hier.

Bei Rohr kommt noch das Gerede von der wahren Männlichkeit hinzu, bei der deutschen Wikipedia übrigens fehlerhaft zitiert als Man as Learners and Elders. Ich habe es nicht so gern, wenn mir zölibatär lebende Männer (ob homosexuell oder nicht) erklären wollen, was wahre Männlichkeit ist., und das auch noch in so verschwiemelter Sprache. Man könnte untersuchen, wie da ständig um den Brei herumgeredet wird, und das wäre dann schon wieder interessant.

Ich ziehe aber Schopenhauers deutliche Sprache über Hans und Grete usw. vor.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 02.12.2014 um 08.21 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=57#1474

So the present book is a translation, into something fairly remote from English, of later philosophical notebooks that Heidegger wrote, in something not quite German. The distance from English is greater than the distance from German, not only because English is more resistant to the encrustations of philosophical German but also because the translators seem to enjoy trampling on this fact. The title itself illustrates the problem. The German “vom Ereignis” would have translated into English “from happening”, or “on happening”. “Ereignis” itself lacks any connotations of “taking possession,” which presumably would be what “enown” would suggest, were it a word of English, which it isn’t.
(www2.phil.cam.ac.uk/~swb24/reviews/Heidegger.htm über „Martin Heidegger: Contributions to Philosophy: From Enowning. Trans. Parvis Enad and Kenneth Maly.“)

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 13.01.2016 um 07.25 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=57#1678

Zum naturalistischen Fehlschluß: Moral zu begründen ist nicht nur schwer, wie der Philosoph meinte, sondern unmöglich. Der Philosoph beweist mir, daß Moral verbindlich ist. Ich bedanke mich höflich und lasse ihn mit seinen Begriffsgebäuden allein (der „kategorische Imperativ“ war nichts gegen heutige Wortakrobatik!). Wenn es ihn glücklich macht ... aber was geht es mich an? Mit dem positiven Recht ist es anders. Bei Rot über die Straße zu gehen ist verboten. Wenn ich erwischt werde, zahle ich Bußgeld. Folglich gehe ich nicht bei Rot über die Straße (außer wenn niemand hinguckt). Da weiß man, was man hat.
Kant gerät auffällig ins Schwärmen, wenn er auf die „Pflicht“ zu sprechen kommt. Er scheint da ein persönliches Problem gehabt zu haben. Kopfschüttelnd liest es der Nachgeborene.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 27.09.2016 um 07.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=57#1865

Wenn man viel Zeit hat, kann man im "Historischen Wörterbuch der Philosophie" den Eintrag "Gegenstand" lesen. Hinterher weiß man nicht mehr als vorher, eher weniger. Hübsch ist auch dies:

„Der Gegenstand ist vielmehr in einer und derselben Rücksicht das Gegenteil seiner selbst, für sich, insofern er für Anderes, und für Anderes, insofern er für sich ist. Er ist für sich, in sich reflektiert, Eins; aber dies für sich, in sich reflektiert, Einssein ist mit seinem Gegenteile, dem Sein für ein Anderes, in einer Einheit, und darum nur als Aufgehobenes gesetzt; oder dies Für-sich-sein ist ebenso unwesentlich als dasjenige, was allein das Unwesentliche sein sollte, nämlich das Verhältnis zu anderem.“

Den Verfasser brauche ich nicht zu nennen.

Als Gegenstand gilt nach Meinong alles, was irgendwie gemeint oder erkannt werden kann, also auch beliebige Bedeutungsgehalte. Somit gibt es unmögliche Gegenstände wie das »viereckige Dreieck«, denn man kann sich meinend auf diese beziehen. (http://universal_lexikon.deacademic.com/241927/Gegenstandstheorie)

Manchen genügt es nicht, sich von der Sprache verführen zu lassen, sie bauen sich noch besondere Sprachgefängnisse.

The pragmatist Charles S. Peirce defines the broad notion of an object as anything that we can think or talk about.

 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.08.2017 um 05.26 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=57#1962

Daß man nicht erkennen kann, ohne etwas zu erkennen, allgemeiner: daß man nicht urteilen, ja auch nicht vorstellen kann, ohne über etwas zu urteilen, etwas vorzustellen, gehört zum Selbstverständlichsten, das bereits eine ganz elementare Betrachtung dieser Erlebnisse ergibt. (Meinong)

Nicht die Betrachtung von (erfundenen) „Erlebnissen“, sondern die deutsche Grammatik ergibt das. Das Zitat hätte natürlich auch von Husserl sein können oder vor irgendeinem aus dem großen Haufen der Phänomenologen, der hinterherstolpert.


 

Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 24.12.2018 um 06.08 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=57#2025

Zu http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=57#1865

Die Philosophen können also, wie zu erwarten war, "Gegenstand" nicht definieren. Ob Peirce, Meinong oder weniger erlauchte Köpfe: Was sie ansteuern, ohne es zu wissen, ist: alles, was sich substantivisch ausdrücken läßt. Das ist aber eine sprachliche Angelegenheit, mehr nicht.

 

Kommentar von R. M., verfaßt am 26.12.2018 um 17.31 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=57#2026

Hinzu kommt noch die Liebe mancher Philosophen für Substantivierungen wie z. B. das Seiende.

 

Kommentar von TheodorIckler, verfaßt am 28.05.2023 um 06.23 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=thorheiten&id=57#2065

Ich bin sicher nicht der einzige, an dem zumindest gelegentlich die Frage nagt, ob der kategorische Imperativ nicht eine ökologische Neufassung braucht: Kann ich ohne logischen Widerspruch wollen, daß die ganze Menschheit so viel Auto fährt, Fleisch ißt, Urlaubsreisen unternimmt wie ich? Dann wären die Ressourcen bald aufgebraucht, und das Autofahren, Fleischessen und Fernreisen erübrigt sich. (Die "Tragik der Allmende" steht im Hintergrund.)
Hans Jonas meint etwas ähnliches, drückt es aber nicht gut aus.

 

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