Nachrichten rund um die Rechtschreibreform
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29.07.2015
Ex-Kultusminister nennt Rechtschreibreform einen Fehler
„nie wieder“
Vor gut 20 Jahren beschlossen die Kultusminister neue Schreibregeln für Schüler. Nun bezeichnet der mitverantwortliche bayerische CSU-Politiker Zehetmair die Reform in einem Interview als überflüssig: "Das sollte nie wieder vorkommen."
Seit zehn Jahren lernen Schüler, dass es Schifffahrt heißt und nicht Schiffahrt. Spaghetti können auch ohne h geschrieben werden und der Buchstabe ß ist seltener geworden in Büchern und Zeitungen.
Am 1. August 2005 trat auf Beschluss der Kultusministerkonferenz in zunächst 14 Bundesländern eine neue Rechtschreibung in Kraft. Mit ihr sollte die Schriftsprache logischer werden; für Schüler sollte sich das Schreibenlernen vereinfachen.
Doch nun geht der ehemalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) mit den Orthografie-Regeln hart ins Gericht. Die Neuregelung sei überflüssig gewesen, sagte er der Wochenzeitung "Die Zeit". Den Streit um die Reform nennt er "gespenstisch".
Auch sich selbst bezieht er in die Kritik ein: "Ich muss mir vorwerfen, dass ich als Kultusminister nicht frühzeitig die Tragweite erkannt und die Reform in geordnete Bahnen gelenkt habe."
Im Nachhinein hält der CSU-Politiker es für einen Fehler, dass die Politik sich der Rechtschreibung angenommen hat: "Das sollte nie wieder vorkommen, die Lektion haben alle gelernt." Behutsame Änderungen der Schriftsprache seien nötig. "Sprache ist nicht statisch", sagt Zehetmair, "sondern ein lebendiger Prozess. Aber ob man Friseur mit ö schreibt oder mit eu - wen sollte das aufregen?"
Bayern zeigte sich bei der Einführung der neuen Schreibregeln bereits vor zehn Jahren zögerlich. Erst 2006 trat mit einem Jahr Verspätung auch in den Schulen im Freistaat und in Nordrhein-Westfalen die Reform in Kraft und gilt seither deutschlandweit.
(Das vollständige ZEIT-Interview mit Herrn Zehetmair ist hier zu finden. – Red.)
Quelle: SchulSPIEGEL
Link: http://www.spiegel.de/schulspiegel/csu-politiker-hans-zehetmair-kritisiert-rechtschreibreform-a-1045816.html
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Kommentare zu »Ex-Kultusminister nennt Rechtschreibreform einen Fehler« |
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 29.07.2015 um 16.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10120
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Was soll man dazu sagen? Man müßte es senil nennen, wenn Zehetmair nicht seit vielen Jahren dasselbe sagte, dieselbe Unkenntnis der von ihm durchgesetzten Reform offenbarte, mit seinem dämlichen Frisör. Und der SPIEGEL? Nicht seit zehn Jahren, seit fast 20 Jahren schreiben fast alle Schüler zwangsweise reformiert und falsch. Daß aber der SPIEGEL einen Fehler eingesteht (und ein gebrochenes Versprechen), darauf können wir lange warten.
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Kommentar von Abendzeitung München, 29. Juli 2015, verfaßt am 29.07.2015 um 17.57 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10121
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Frisör oder Friseur
Ex-Kultusminister: Rechtschreibreform war ein Fehler
Der ehemalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair war vor zehn Jahren maßgeblich an der Reform der deutschen Rechtschreibung beteiligt. Heute sieht er das umstrittene Projekt kritisch.
(siehe www.abendzeitung-muenchen.de)
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Kommentar von Friedhelm Klein, verfaßt am 29.07.2015 um 22.32 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10122
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Durchaus bemerkenswert, daß dieser Mann nach 19 Jahren eingesteht, der von ihm mitverbrochene Versuch einer Rechtschreibreform sei falsch gewesen. Bezweifele aber, daß er auch schon begriffen hat, warum!
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2015 um 07.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10123
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Wie wenig er die Lage begriffen hat, sieht man ja auch an seinem Bedauern, die Reform nicht rechtzeitig "in geordnete Bahnen"gelenkt zu haben. Das macht seine Einsicht zunichte, die Politiker sollten überhaupt nicht in die Sprache eingreifen. Er hat eben "die Lektion" nicht gelernt und wird sie auch nicht mehr lernen. Leider hat er sich in den letzten zwanzig Jahren nicht bewegt, sondern immer dieselben Standardantworten aufgesagt, ohne jede Sachkenntnis.
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Kommentar von B.Troffen, verfaßt am 30.07.2015 um 11.44 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10124
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Die Reform war ein Fehler, und die Folge sind immer mehr Fehler derjenigen, die danach weniger Fehler machen sollten. Weder Journalisten noch Zehetmair sehen da einen Konnex. Und Scholze-Stubenrecht vom Duden spricht weiter von "problemlosem Lernen" und sieht die Gründe für erhöhtes Fehleraufkommen in "neuen Textsorten" (Internet). Heute in der Augsburger Allgemeinen. Zwar ist nun amtlich, daß die Reform ein Fehler war, nach Konsequenzen ruft und an so etwas denkt aber niemand.
Auch der Euro war ein Fehler, spricht sich immer mehr herum, auch diesem Fehler wäre nicht anders als politisch beizukommen. Auch dazu sind Wille und Wege nicht erkennbar.
Politik, egal welches System, macht wohl unvermeidlich Fehler, manchmal richtig große, kann sie aber kaum jemals korrigieren.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 30.07.2015 um 13.12 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10125
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Von "normalen" Menschen verlangt man, daß sie aus Fehlern lernen und sie korrigieren. Politiker gehören nicht zu dieser Spezies.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 30.07.2015 um 17.49 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10126
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Doch, wenn es um das eigene Fortkommen geht.
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Kommentar von Die Welt, 29. Juli 2015, verfaßt am 30.07.2015 um 18.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10127
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Ex-Kultusminister
"Rechtschreibreform war überflüssig"
Der bayerische Ex-Kultusminister Zehetmair kritisiert die vor zehn Jahren durchgesetzte Rechtschreibreform scharf: Um die ohnehin "überflüssige" Reform sei ein "gespenstischer Streit" ausgebrochen.
(siehe www.welt.de)
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 30.07.2015 um 19.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10128
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Es war ein Großversuch, das Volk zu entmündigen; deshalb waren sich alle Parteien eing. Es sollte nicht vergessen werden, wer damals die Kultusminister waren.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 31.07.2015 um 09.18 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10133
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Zur Zehetmair-Dokumentation könnte man noch den ebenbürtigen Beitrag von Dieter Zimmer heranziehen, der vor 20 Jahren erschienen ist:
www.zeit.de/1995/38/Ein_Graeuel_doch_laengst_keine_Katastrofe
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Kommentar von Hermann Schwab, verfaßt am 31.07.2015 um 12.34 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10134
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Jetzt 12 bis 13 Uhr Fragen an Zehetmaier im BR live
Tagesgespräch am 31.07.2015
10 Jahre Rechtschreibreform: Was hat sie gebracht?
Rufen Sie an! Ihre Meinung ist gefragt!
Die Telefonnummer ins Tagesgespräch-Studio:
0800 / 94 95 95 5
Moderation: Achim Bogdahn
Gast: Hans Zehetmair, ehem. bayerischer Kultusminister
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Kommentar von Hermann Schwab, verfaßt am 31.07.2015 um 13.33 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10137
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Ich werde 'brilliant' wahrscheinlich weiterhin falsch schreiben, Duden ist für mich nicht verbindlich. Den Brillantring würde ich korrekt schreiben. Ich weiß nicht, ob ich das Eigenschaftswort wirklich verkehrt schreiben würde. Meine Rechtschreibung wird durchs Lesen gesteuert, wenn ich in einem technischen Forum in 20 Kommentaren hintereinander das Wort 'Maschiene' lese kräuseln sich mir die Zehennägel, lese ich am nächsten Tag in einem anderem Artikel das korrektgeschriebene 'Maschine', habe ich so ein leichtes Kribbeln der erhöhten Aufmerksamkeit im Kopf, Wachsamkeit? Unsicherheit?
Das korrekt geschriebene Wort erzeugt dann Reaktionen in mir, als wäre es falsch geschrieben, obwohl ich bei diesem einfachen Wort mir 100% sicher bin, daß 'Maschine' die korrekte Schreibweise ist.
Aus diesem Grund bin ich dafür, auf korrekte Rechtschreibung zu achten. Ob jemand Bettuch oder Sauerstoffflasche korrekt schreibt ist mir weniger wichtig, aber falschplazierte 'ie', 'h' und 'ß' in Wörtern stören mich enorm. Bei 'das' und 'daß' hilft mir das 'ß' automatisch die korrekte Form zu wählen, bei 'das' und 'dass' muß ich erst überlegen.
Nachtrag Tagesgespräch mit Zehetmaier:
Audio live im Internet:
http://www.br.de/static/radioplayer/player.html#/mediathek/audio/bayern2-sued-audio-livestream-100~radioplayer.json
und im Fernsehen auf ARD-Alpha/BR-Alpha von 12 bis 13 Uhr.
Kommentar & Abstimmung möglich:
http://www.br.de/radio/bayern2/gesellschaft/tagesgespraech/rechtschreibung-reform-hans-zehetmair-100.html
Ab spätem Nachmittag Möglichkeit zum Download
http://www.br-online.de/podcast/mp3-download/bayern2/mp3-download-podcast-tagesgespraech.shtml
Bei der Abstimmung auf der Website 12% Befürworter, 88% Gegner.
(Ihre zuvor woanders eingetragenen Anmerkungen und Hinweise sind jetzt hier mit enthalten. – Red.)
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Kommentar von Christian Dörner, verfaßt am 31.07.2015 um 14.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10138
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Bedauerlicherweise ließ die Radiosendung mit Zehetmair sachkundige Beiträge vollständig vermissen.
Einzig und allein interessant war die Einlassung einer Mitarbeiterin der Dudenredaktion, daß der Dudenverlag während der »heißen Phase« der Reformdiskussion parallel eine vollständige Neuauflage in bewährter Orthographie erarbeiten ließ und diese einstampfte, als klar wurde, daß die Reformkritiker eine politische Niederlage erlitten hatten. Dies war meines Wissens bislang vollkommen unbekannt.
Die Kommentare der Anrufer verdienen eigentlich kaum eine Erwähnung. Wie immer kam die Bemerkung, daß Grundschullehrer keine Probleme sähen (natürlich nicht, denn sie sind mangels relevanten Wortschatzes auch kaum von der Reform betroffen), dann meldete sich noch eine Vertreterin des »Vereins für gemäßigte Kleinschreibung« (eine deutsche Version von Herrn Landolt?), wo auch der Moderator ins Nachdenken geriet, als ihm der Unterschied zwischen radikaler und gemäßigter Kleinschreibung nicht eingängig zu sein schien (selbstverständlich nicht, es gibt ja auch keinen), dann noch ein paar Standardbemerkungen über das Schweizer Doppel-s (Busse, Masse usw.) und ein leichtes Wehklagen älterer oder bereits pensionierter Lehrkräfte über nachlassende Rechtschreibleistungen im allgemeinen. Das war es dann schon auch.
Die Mitarbeiterin der Dudenredaktion nannte nur die beiden Beispiele rad fahren/Auto fahren und Schiffahrt/Sauerstoffflasche (Kommentar des Moderators zu letzterer: »Wer schreibt das schon in der Schule?«) und wies damit erneut auf die unbedingte Notwendigkeit der Reform hin.
Daß das amtliche Regelwerk von 1901 die Schreibung bei Dreifachkonsonanten (§ 14) freigab, man laut Duden bis zur 13. Auflage (1947) ich fahre rad, jedoch ab der 14. Auflage (1954) ich fahre Rad schreiben sollte und folglich auch eine Änderung beim Infinitiv gar keiner Reform bedurft hätte, war ihr offenbar nicht bewußt.
Übrigens nahm der Duden ebenfalls ohne Reform in den fünfziger Jahren massenweise Eindeutungen auf (Kautsch, tränieren usw.), die danach stillschweigend wieder verschwanden. Für die (wenigen) wirklich sinnvollen Änderungen wäre lediglich eine Neuausgabe des Dudens vonnöten gewesen und keine Reform. Man hätte die Änderungen im Vorwort nicht einmal erwähnen müssen (tat man bei ich fahre Rad im übrigen auch zu keiner Zeit).
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Kommentar von DIE ZEIT, 31. Juli 2015, verfaßt am 03.08.2015 um 23.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10153
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"Das war überzogen"
Vor einem Jahrzehnt endete der Krieg um die neue Rechtschreibung. Ein Gespräch mit Hans Zehetmair, der damals als bayerischer Kultusminister an vorderster Front stand.
Interview: Thomas Kerstan
DIE ZEIT: Seit zehn Jahren schreiben wir das Wörtchen dass mit Doppel-S statt mit Eszett. Wir fischen nicht mehr im trüben, kleingeschrieben, sondern im Trüben, großgeschrieben. Im Ernst: Hat sich dafür der gewaltige Aufwand der Rechtschreibreform gelohnt?
Hans Zehetmair: Die Nation wäre nicht zerbrochen, wenn wir nichts gemacht hätten. Wir hatten und wir haben drängendere Probleme.
ZEIT: Sie gehörten von 1986 an, erst als Kultusminister, dann als Wissenschaftsminister, der Kultusministerkonferenz an, die die Rechtschreibreform vorangetrieben hat. Warum haben Sie denn da mitgemacht?
Zehetmair: Ich habe die Reform nicht erfunden, ich musste auf die Reformbestrebungen vor allem aus Teilen der Wissenschaft reagieren. Aber ich will mich nicht drücken: Ich muss mir vorwerfen, dass ich als Kultusminister nicht frühzeitig die Tragweite erkannt und die Reform in geordnete Bahnen gelenkt habe. Auch viele andere haben Fehler gemacht, aber ich will mich hinter denen nicht verstecken.
ZEIT: Wie erklären Sie einem jungen Menschen, was damals los war? Der Streit um die Rechtschreibreform – einige sprachen vom Dreißigjährigen Krieg – trug surreale Züge. Die einen forderten eine radikale Kleinschreibung, die anderen sahen in jeder Änderung den Untergang des Abendlandes. Schriftsteller empörten sich, Verlage rebellierten, es gab Volksentscheide, das Bundesverfassungsgericht wurde angerufen ...
Zehetmair: Die Auseinandersetzung war wirklich gespenstisch. Mit vorsichtiger Demut möchte ich sagen, dass die Deutschen wohl zur Übertreibung und zum Grundsatzstreit neigen. Es gab die Gipfelstürmer, die alles ändern wollten, die das Lernen und Schreiben vermeintlich vereinfachen wollten. Bemerkenswert, dass sich ausgerechnet namhafte Literaten wiederum gegen jedwede Änderung wandten. Das war genauso überzogen. Das haben wir auch Jahrhunderte früher bei der Buchdruckerkunst gehabt. Viele fürchteten damals den Untergang der Kultur durch diese teuflische Kunst.
ZEIT: Die Reform war also überflüssig?
Zehetmair: In dieser Form sicher. Das heißt nicht, dass behutsame Änderungen nicht nötig sind. Sprache ist nicht statisch, sondern ein lebendiger Prozess. Aber ob man Friseur mit ö schreibt oder mit eu – wen sollte das aufregen? Wenn die Jugendlichen, wie Studien zeigen, problemlos Ketchup mit "chu" schreiben, warum sollen wir sie dann zu Ketschap zwingen? Und warum soll man par ordre du mufti festlegen, dass das Wort Portemonnaie unbedingt eingedeutscht werden muss?
ZEIT: Um die Reform zu retten, wurde 2004 der Rat für deutsche Rechtschreibung gegründet, dem Gegner und Befürworter der Reform aus den deutschsprachigen Ländern angehören. Sie wurden zum Vorsitzenden berufen.
Zehetmair: Ja, auf Wunsch der Ministerpräsidenten und der Kultusminister habe ich nach meiner Zeit als Minister diesen Canossagang angetreten. Ich hielt es für bedenklich, dass damals eine große Unsicherheit in der Bevölkerung eingetreten war. Es konnte doch nicht angehen, dass sich die deutsche Sprache, die international ja eher ins Hintertreffen gerät, von ihren Trägern, den gewöhnlich schreibenden Menschen, entfernt.
ZEIT: Haben Sie durch den Bußgang denn zum Seelenfrieden gefunden?
Zehetmair: Ich empfinde jedenfalls große Genugtuung darüber, dass um das Thema Rechtschreibung inzwischen Ruhe eingekehrt ist. Im Großen und Ganzen konnten wir das Reformierte reformieren und die Fehler der Politik wieder ausbügeln.
ZEIT: Viele schreiben das Ihrem diplomatischen Geschick zu.
Zehetmair: Der Rat stand unter enormem Zeitdruck. Die unterschiedlichen Meinungen zur Rechtschreibreform prallten aufeinander, und wenn Menschen zusammen sind, dann geht es nicht nur um die Sache, sondern auch um Befindlichkeiten. Da machen Professoren keine Ausnahme. Habe ich das freundlich genug ausgedrückt?
ZEIT: Ich denke, ja. War es überhaupt schlau von der Politik, sich der Rechtschreibung anzunehmen?
Zehetmair: Nein, das sollte nie wieder vorkommen, die Lektion haben alle gelernt. Und auch für den Rechtschreibrat gilt, dass wir nichts verordnen können. Wir müssen Bewegung zulassen und gleichzeitig darauf achten, dass die deutsche Sprache etwa durch die vielen Anglizismen nicht verrottet. Dass es Varianten in der Schriftsprache geben kann, halte ich für normal. Als adverbiale Bestimmung gesehen, spricht zum Beispiel nichts dagegen, im trüben kleinzuschreiben. Sehe ich durch den vorangestellten Artikel stärker das Substantivische, dann bietet sich die Großschreibung, im Trüben, an.
ZEIT: Auch Medien waren an dem Rechtschreibstreit beteiligt. Die ZEIT versuchte es mit einer modifizierten Version, der Spiegel, die FAZ und die Springer-Zeitungen haben die Reform zunächst torpediert, dann aber klein beigegeben.
Zehetmair: Zum Glück hatten wir ja den Gipfel, der da gestürmt werden sollte, schon abgeschliffen.
ZEIT: Die Kultusminister, insofern ist die Politik durchaus zuständig, sind für die Schreibweise in den Schulen zuständig. Was hat sich für die Schüler eigentlich verändert?
Zehetmair: Die Kultusminister sind auch für den Lateinunterricht zuständig, aber nicht für die lateinische Sprache ... Einiges ist für die Kinder sicher einfacher als früher, zum Beispiel die Regel, dass fast alle Wörter großgeschrieben werden, denen ein Artikel vorangestellt ist, also eben im Trüben. Oder das Doppel-S nach kurz ausgesprochenen Vokalen und ß nach langen Vokalen. Meine Tochter ist Grundschullehrerin, und sie sagt, dass man in der Praxis mit der leicht reformierten Rechtschreibung ganz gut zurechtkommt.
ZEIT: Eine Frage noch: Soll ich besser Gemse oder Gämse schreiben?
Zehetmair: Aus etymologischen Gründen ist mir Gemse am liebsten, abgeleitet vom mittelhochdeutschen gemeze. Die Hauptschreibweise ist aber inzwischen Gämse. Notfalls schreiben Sie wie die Jäger Gams.
(www.zeit.de)
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 04.08.2015 um 19.30 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10163
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Auf www.br.de/nachrichten/zehn-jahre-rechtschreibreform-102.html gibt es eine Umfrage „War die Rechtschreibreform nötig?“
Derzeit steht es bei 87,1% Ablehnung zu 12,9% Zustimmung.
Interessant auch die positive Fragestellung:
„Ja, Sprache befindet sich in einem ständigen Wandel. Da müssen auch die Schreibregeln in gewissen Abständen angepasst werden.“
Mir ist kein einziger Teil der Reform bewußt, der auf Sprachwandel zurückgeführt werden kann. Trotzdem wird dieses Argument häufig genannt, wenn jemand die Reform verteidigen will. Die Reform waren eben nicht deskriptiv sondern präskriptiv!
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Kommentar von Bernhard Strowitzki, verfaßt am 05.08.2015 um 15.15 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10174
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Der angebliche Sprachwandel ist ein wichtiger Punkt. Wie konnte sich die seinerzeitige KMK-Vorsitzende Doris Ahnungslos (Rh-Pf, Parteizugehörigkeit belanglos) hinstellen und zur Rechtfertigung der Reform behaupten, "Die Rechtschreibung muß sich dem Sprachwandel anpassen", ohne ausgelacht zu werden? Hätte man den Leuten nur vermitteln können, daß die Reform zum größten Teil überhaupt nichts mit Sprachwandel zu tun hat (Pseudo-Heyse, ck-Trennung...), und wo doch, sich dem Sprachwandel entgegenstemmt, ihn rückgängig zu machen versucht (kennen lernen, behände, ...)! Aber das ist vom Publikum offenbar zu viel verlangt. (Nebenbei ein vernichtendes Urteil über den Deutschunterricht an unseren Schulen.)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 05.08.2015 um 17.43 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10177
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Ich habe keine Lust mehr, auf die immergleichen Äußerungen des Herrn Zehetmair einzugehen. Man müßte sie dumm und frech nennen, wenn der alte Mann ernstzunehmen wäre. Besonders das "Habe ich das freundlich genug ausgedrückt?" hätte ein Watschn verdient. Aber lassen wir das, es erledigt sich selbst, und die meisten Leser haben es verstanden.
Nur die Sache mit dem "Canossagang" verdient einen Kommentar. O nein! Der Rechtschreibrat bot Zehetmair nur eine weitere Bühne für seine selbstgefälligen Auftritte. Gerade die anschließenden Pressekonferenzen, die es anfangs noch gab, zeigten den witzelnden kleinen Sonnenkönig in seinem Element. Daß er die Leitung des absurden Haufens inzwischen als Belastung empfindet, will ich dagegen gern glauben.
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 05.08.2015 um 23.10 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10178
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Ich finde, es paßt in das Bild von Hans Zehetmair, daß er jetzt „zugibt“, daß die Reform ein Schmarrn war.
Er hat halt ca. 20 Jahre im Nachhinein erkannt, welchen Schwachsinn er mitgefördert hat.
All das natürlich konsequenzlos, es bleibt nur die Frage, wird die KMK ihn „zwingen“, seine Aussagen zu relativieren, oder wie man heute sagen würde, zur offiziellen Linie zu streamlinen?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.08.2015 um 03.48 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10180
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Damit rechne ich nicht. Zehetmair hat auch nichts Neues gesagt, sondern sich nur in ermüdender Weise wiederholt. Was ist eine Distanzierung von der Reform wert, die stets mit einem Lächerlichmachen der wirklichen Reformkritiker einhergeht? Es gibt praktisch keine Äußerung dieses Herrn ohne Seitenhieb auf uns und insbesondere auf die Eierköpfe ("Professoren"), die er in vulgärer Weise zu ironisieren pflegt.
Die anderen ehemaligen Kultusminister und die heute amtierenden wollen mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben und möchten am liebsten nicht mehr damit befaßt werden. Vielleicht kann man sie aber zwingen, die auch von Z. zum hundersten Male beschworene "Ruhe" aufzugeben. Leider muß man annehmen, daß ihnen das Wohl der Schüler (wie ja auch das der Studenten) gleichgültig ist - aber wenn das Volk mit Liebesentzug droht, könnte sich daran etwas ändern.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 06.08.2015 um 11.03 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10181
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Zehetmair behauptet heute, er habe seinerzeit die Tragweite der Rechtschreibreform nicht erkannt. Aber in seiner Regierungserklärung im Bayerischen Landtag vom 27.10.1995 hat er so getan, als sei er genauestens im Bilde. Hier ist es nachzulesen: www.sprachforschung.org/ickler/index.php?show=news&id=446.
Außerdem kann doch heute niemand überrascht sein, denn Zehetmair hat bei vielen Gelegenheiten gesagt, daß die Reform ein Fehler war, zum Beispiel: „Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen dürfen.“ (Bayerische Staatszeitung 11.7.2003)
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 12.08.2015 um 11.17 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10203
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Zehetmair macht sich den falschen Vorwurf. Er hätte die Rechtschreibreform nicht „in geordnete Bahnen lenken“, sondern abbrechen und verhindern müssen. Aber das war auch deshalb nicht möglich, weil er die Sache seinen Ministerialräten überlassen und sich mit der Reform selbst niemals beschäftigte hatte (das gilt ja bis heute). Dann wurde ein Mechanismus wirksam, über den ich oft nachdenken mußte. Gerade weil die KMK kein Verfassungsorgan ist (Stichwort „Nullum“) und weil sie sich außerdem noch das Einstimmigkeitsprinzip verordnet hat, ging die Reform ihren unaufhaltsamen Gang. Auch und weil gerade niemand sie wollte. Ebenso war es ja mit dem Gender mainstreaming, das jeder für Blödsinn hält.
Die Bundesverfassungsrichter haben es noch ärger getrieben. Sie haben anders als die Kultusminister die Frage nach Zuständigkeit des Staates für die Sprache ausdrücklich gestellt – und bejaht. Ganz im Sinne ihres freilich schon verstorbenen Einflüsterers Weisgerber (Ahnenerbe, nach dem Kriege enorm einflußreich in der Deutschdidaktik) haben sie sinngemäß gesagt: Wenn das Volk seine Muttersprache verlottern läßt, muß ihm der Staat auf die Finger klopfen und die Sache in Ordnung bringen. Damit fielen sie weit hinter den vermeintlichen Obrigkeitsstaat Kaiser Wilhelms zurück, als Politiker ebenso wie die großen Germanisten mit der Meinung durchdrangen, die Sprache gehöre dem Volk.
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Kommentar von DIE ZEIT, verfaßt am 15.08.2015 um 14.16 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10211
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In der Zeit No. 30 vom 16.07.2015 hat die Redaktion einen Text in alter Rechtschreibung "versteckt", der hier
www.zeit.de/2015/30/work-love-balance-fehler
zu lesen ist. In der Folgenummer No. 31 (die mit dem Zehetmair-Interview) erscheint der Text nochmals in korrigierter Form. Im Druckbild sind "Altschreibungen" rot und durchgestrichen gedruckt; "Neuschreibungen" grün. Die (vermeintlich) korrigierte Version steht auch im Netz, nämlich hier
www.zeit.de/2015/31/work-love-balance-aufloesung-alte-rechtschreibung
allerdings ist der Vergleich beider Texte im Vergleich zum Druckbild deutlich schwieriger. Schade eigentlich. Man hätte mit etwas Mühe das Druckbild mit den verschiedenen Farben durchaus per HTML abbilden können.
Schaut man sich die insgesamt 16 markierten "Fehler" näher an, beziehen sich 5 auf das "Herzstück" der Reform, die Heyse-Schreibung. 3 beziehen sich auf die geänderte Getrennt-Zusammenschreibung, über die man bekanntlich endlos diskutieren kann. 3 sind Präpositionalgefüge ("seit langem", "bei weitem", "im übrigen") von denen nur das letzte nach neuen Regeln zwingend großzuschreiben ist, 1 Zwangsneuschreibung ("rauh") und 3 fakultative Neuschreibungen (u.a. "Potential").
Tja, und dann hat die Redaktion in der korrigierten Version die Schreibung "angst und bange war" zu "Angst und Bange war" verschlechtbessert.
Oliver Voss schreibt dazu in der aktuellen Nummer:
13.08.2015 DIE ZEIT No. 33
Unser Rätsel zur Rechtschreibung
Die Schreibweisen machen kirre.
Aber es gibt einen Gewinner
...
Wie kirre der Wechsel der Rechtschreibung selbst erfahrene Korrektoren oder Redakteure macht, konnten wir übrigens am eigenen Leib erfahren: In
der Auflösung unseres Rätsels (ZEIT Nr. 31) wird behauptet, man schreibe
seit der Reform "Angst und Bange war". Das ist natürlich falsch: Die
widersinnige Großschreibung "Angst und Bange sein" ist nach wie vor irregulär (im Gegensatz zu der neuen Schreibweise "Angst und Bange machen", auf die wir abzielen wollten).
Wir bitten um Nachsicht: Denn durch die neue Rechtschreibung sind nun mal viele Menschen verunsichert, wenn nicht gar bange. Manchmal auch wir.
OLIVER VOSS
PS: Wer genau hinschaut, wird erkennen, daß der vermeintliche Altschreibtext die Wortgruppe "zu viel" enthält (die man damals als "zuviel" geschrieben hat). Die Druckversion enthält dazu noch unmarkiert die Schreibung '"Was fehlt dir?", fragte ich'. Das nach Altschreibregeln überzählige Komma fehlt richtig in der HTML-Version.
(zusammengestellt von MG)
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Kommentar von Chr. Schaefer, verfaßt am 17.08.2015 um 08.39 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10212
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In bezug auf die Rolle der KMK erscheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, daß sie nicht die einzige "Konferenz" ist, die an den Parlamenten vorbei sehr weitreichende und bindende Beschlüsse fassen kann (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Fachministerkonferenzen_der_deutschen_L%C3%A4nder). Zu erinnern ist etwa an die Entschädigung für unrechtmäßig erlittene Haft: Strafrechtsexperten sind sich seit langem darüber einig, daß die Beträge nahezu lächerlich gering sind und deutlich erhöht werden müßten, was auch der Haltung des Bundesjustizministeriums entspricht, und zwar unabhängig von der Parteizugehörigkeit der Amtsinhaber. Weil die Justiz und der Justizvollzug aber überwiegend Ländersache sind, blockiert die Justizministerkonferenz seit Jahrzehnten jede Initiative zu einer angemessenen Erhöhung. Ein weiteres Beispiel ist die Rundfunkgebühr, die hier ja ausgiebig diskutiert wurde.
Am Urteil des BVerfG sind meines Erachtens neben dem enthaltenen Zirkelschluß vor allem zwei Aspekte problematisch.
Zum ersten hat das Gericht mit dem Urteil der Exekutive einen Freibrief zur Umgehung der Parlamente ausgestellt, denn Behörden müssen sich nur noch auf ihre größere Fachkompetenz berufen, um demokratisch nicht legitimierte Maßnahmen zu ergreifen.
Zum zweiten wurde mit dem Urteil meiner Meinung nach die Freiheit von Forschung und Lehre de facto aufgehoben, denn es ist nunmehr die Verwaltung, die nicht nur vorschreibt, wie Wörter geschrieben werden, sondern auch, welchen Wortarten diese angehören und welche Wörter es überhaupt gibt. Herr Ickler hat auf dieser Website ja zahllose groteske Beispiele aufgeführt, und hier hätte meiner Überzeugung nach auch eine Verfassungsklage ansetzen müssen. Vielleicht versucht es ja noch mal jemand, solange Herr Voßkuhle im Amt ist.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 18.08.2015 um 05.46 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10213
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Das Problem ist, wie auch bei klagenden Schülern, daß man wohl einen nachweisbaren Schaden erlitten haben muß. Darauf lassen es die Zuständigen wohl nicht ankommen, und gerade in den wenigen Fällen, wo es doch geschieht, müßte ein Klagewilliger gefunden werden. Keine leichte Sache.
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 18.08.2015 um 12.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10214
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Niemand darf wegen seines Dialektes benachteiligt ("diskriminiert") werden. Also darf nicht vorgeschrieben werden: "Hier darf nur Hochdeutsch gesprochen werden!" Niemand soll wegen seiner "alten" Rechtschreibung diskriminiert werden dürfen. Also soll nicht vorgeschrieben werden dürfen: "Hier dürfen nur Schriftstücke in "reformierter" Rechtschreibung eingereicht werden!"
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 19.08.2015 um 05.02 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10215
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Na ja, an der Verbindlichkeit der Duden-Rechtschreibung "für Schulen und Behörden" hat aber vor der Reform auch niemand gezweifelt. Das nehmen die Reformer jetzt eben für die reformierte in Anspruch. Das ist also nicht gerade das beste Argument. Ich habe daher immer auf die objektive Fehlerhaftigkeit (Verstöße gegen die Grammatik) verwiesen, die mitzumachen niemand gezwungen werden könne.
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Kommentar von B.Troffen, verfaßt am 19.08.2015 um 15.25 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10216
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Aber Karlsruhe hat doch klar geurteilt, daß die KMK nur den Schulen was zu sagen habe und sonst niemandem. Also ist, auch in Behörden, Diskriminierung im Hinblick auf die praktizierte Orthographie verboten.
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 20.08.2015 um 05.29 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10217
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Meiner Ansicht nach ist noch nicht geklärt, ob die Weisungsbefugnis in Behörden sich auch auf die anzuwendende Rechtschreibung erstreckt. Wir haben schon mal das "Handbuch der Rechtsförmlichkeit" diskutiert. Ich zitiere noch einmal:
Hinweise der Verfasser und Verfasserinnen
Seit der letzten Auflage im Jahr 1999 gab es verschiedene Anlässe, das Handbuch der Rechtsförmlichkeit für eine Neuauflage zu bearbeiten: So war die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, auf deren Vorgaben zur Gestaltung von Rechtsvorschriften das Handbuch bislang verwies, grundlegend novelliert worden. Die Rechtsetzung der Europäischen Union hat sich weiterentwickelt und ihr Einfluss auf unsere Rechtsvorschriften hat zugenommen. Die Föderalismusreform und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Beispiel zur Änderung von Verordnungsrecht durch Parlamentsgesetze wirken sich auf die Gestaltung der Gesetze aus. Auch die Rechtschreibreform war zu berücksichtigen.
Seit dem 1. August 2006 gelten die neuen Regeln der Rechtschreibung auch in der Normsprache. Das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium der Justiz halten die obersten Bundesbehörden durch Gemeinsame Rundschreiben auf dem aktuellen Stand der Neuerungen. Das komplette Regelwerk sowie ein Wörterverzeichnis sind in einer Beilage zum Bundesanzeiger veröffentlicht worden.
Der Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bundestag ist spezialisiert auf Sprachberatung zu Gesetzentwürfen. Er gibt Auskunft und Rat zu allen Fragen der Wortwahl und Wortbedeutung, der Gestaltung von Texten, der Schreibweisen und Zeichensetzung sowie zur Neuregelung der Rechtschreibung. Ihm sind nach § 42 Absatz 5 Satz 3 GGO grundsätzlich alle Gesetzentwürfe zur Prüfung auf sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit zuzuleiten. Dies sollte so früh wie möglich geschehen, spätestens jedoch, bevor sie dem Kabinett zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Der Redaktionsstab weist auf sprachliche Fehler hin und bietet Formulierungsalternativen an.
Die Rechtssprache ist deutsch, ebenso die Amtssprache (§ 23 Absatz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes) und die Gerichtssprache (§ 184 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Daran sollte vor allem denken, wer im Normtext Fremdwörter verwenden oder auf fremdsprachige Texte verweisen möchte (Rn. 78 f.). Selbstverständlich gelten die Regeln der deutschen Rechtschreibung (Rn. 47). Jedoch gibt es in der Normensprache eine Besonderheit: Ist die bisherige Schreibung nach der Rechtschreibreform neben der neuen weiterhin zulässig, soll sie auch weiter verwendet werden. Ziel ist, die Einheitlichkeit der Normensprache weitgehend zu erhalten (Beispiele: „auf Grund“ statt „aufgrund“; „selbständig“ statt „selbstständig“).
http://hdr.bmj.de/vorwort.html
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Kommentar von Pt, verfaßt am 20.08.2015 um 09.41 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10218
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Jedoch gibt es in der Normensprache eine Besonderheit: Ist die bisherige Schreibung nach der Rechtschreibreform neben der neuen weiterhin zulässig, soll sie auch weiter verwendet werden.
Was ist damit gemeint? Die bisherige Schreibung nach der Rechtschreibreform neben der neuen [Schreibung nach der aktuellen Stufe der RSR]?
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 20.08.2015 um 12.27 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10219
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Sind Normsprache und Normensprache unterschiedliche Begriffe?
Oder kommt hier verklausuliert die Empfehlung der SOK zum Ausdruck, bei Varianten die klassische?
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 20.08.2015 um 15.47 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10220
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Unter "Normensprache" verstehe ich zunächst einmal die in den Normen, z.B. den DIN-Normen, verwendete Sprache. Die muß selbstverständlich völlig eindeutig sein, denn das ist ja der Zweck dieser Normen.
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Kommentar von Pt, verfaßt am 20.08.2015 um 16.19 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10221
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Für das Abfassen von Normen würde ich eine genormte Sprache, also eine Normsprache, erwarten. Eine Normsprache würde dann für das Abfassen aller Normen genügen. Es gibt ja auch die Normschrift, z. B. für technische Zeichnungen.
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Kommentar von Jan-Martin Wagner, verfaßt am 21.08.2015 um 06.20 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10222
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In »Ist die bisherige Schreibung nach der Rechtschreibreform neben der neuen weiterhin zulässig« ist natürlich die Rechtschreibreform als ein Ereignis gemeint, das einen bestimmten Zeitpunkt markiert; damit bezieht sich die Aussage auf nach diesem Zeitpunkt weiterhin zulässige herkömmliche Schreibungen, wie von Herrn Strasser vermutet („bei Varianten die klassische“).
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Kommentar von stefan strasser, verfaßt am 21.08.2015 um 18.42 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10223
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Die Frage von Prof. Ickler bzgl. Weisungsbefugnis bleibt bestehen, da jeder Beamte annehmen kann, falls er Texte für die Allgemeinheit schreibt, gibt es eine Stelle (Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bundestag), die alles auf Verständlichkeit und Regelkonformität zur aktuellen Rechtschreibnorm prüft und freigibt.
Die Weisung lautet daher nicht, selbst orthographisch richtige Texte verfassen zu können, sondern seine Texte einer Kontrollstelle zur Korrektur vorzulegen, bevor sie auf die Allgemeinheit losgelassen werden.
Gegenständlicher Vorwort-Text hat sich an dieser Kontrollstelle offenbar vorbeigeschwindelt …
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Kommentar von Germanist, verfaßt am 21.08.2015 um 19.13 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10224
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Innerhalb einer Behörde oder einer Firma mögen ja Weisungsbefugnisse gegenüber Beschäftigten für alles mögliche zulässig sein, aber doch nicht gegenüber Außenstehenden, zu denen ich auch Studenten zähle. Als ich in den Beruf eintrat, gab es noch den Spruch: "Mit solchen Vorschriften haben wir den Krieg verloren."
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Kommentar von Pt, verfaßt am 22.08.2015 um 10.24 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10225
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zu #10223:
... da jeder Beamte annehmen kann, falls er Texte für die Allgemeinheit schreibt, gibt es eine Stelle (Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bundestag), die alles auf Verständlichkeit und Regelkonformität zur aktuellen Rechtschreibnorm prüft und freigibt.
Die Weisung lautet daher nicht, selbst orthographisch richtige Texte verfassen zu können, sondern seine Texte einer Kontrollstelle zur Korrektur vorzulegen, bevor sie auf die Allgemeinheit losgelassen werden.
So wird dann ganz harmlos durch die Hintertür das Hauptamt für Zensur wieder eingeführt!
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 16.11.2019 um 04.06 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#11017
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Zu http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#10153
Zwar etwas flapsig, aber im Kern doch ernst sagt Zehetmair am Schluß:
Aus etymologischen Gründen ist mir Gemse am liebsten, abgeleitet vom mittelhochdeutschen gemeze. Die Hauptschreibweise ist aber inzwischen Gämse. Notfalls schreiben Sie wie die Jäger Gams.
Gämse ist laut Reform nicht die Hauptschreibweise, sondern die einzig zulässige.
Wäre Zehetmair über das Mittelhochdeutsche hinaus zurückgegangen, hätte er auch Gämse etymologisch richtig gefunden, wie die Reformer. Aber es ist natürlich Unsinn, ein allgemein übliches Wort nach Jahrhunderten aufgrund einer etymologischen Tüftelei zu ändern. Nachfolgerin Hohlmeier schreibt bekanntlich nur noch Gämse, woran sich das Europaparlament problemlos gewöhnt hat.
Am bezeichnendsten ist aber der Vorschlag, auf ein anderes Wort auszuweichen. Wie viele Menschen schreiben inzwischen, sei es wegen der Reform oder wegen der politischen Korrektheit, etwas anderes, als sie eigentlich schreiben wollen?
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Kommentar von Theodor Ickler, verfaßt am 28.11.2019 um 16.00 Uhr
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=720#11027
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Im Interview sagt Zehetmair auch:
Ich habe die Reform nicht erfunden, ich musste auf die Reformbestrebungen vor allem aus Teilen der Wissenschaft reagieren.
Warum mußte er das? Die Teile der Wissenschaft waren etwa ein Dutzend namentlich bekannte Reformbetreiber, die niemand im Fach ernst nahm (ein Fehler!), Leute wie Augst, Zabel, Nerius, Mentrup - ich will über diese Germanisten hier nichts weiter sagen. Aber es bestand nicht die geringste Notwendigkeit, auf ihre Bestrebungen zu "reagieren". Sie haben sich durch listige Bearbeitung gewisser Ministerialräte "den Reformauftrag geholt", wie einer von ihnen es nannte.
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