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09.02.2005
 

„Behutsam modernisiert“
Wie Reclam Hoffmann für die Schule zurichtet

Die gelben Reclam-Hefte haben schon früher nicht die Rechtschreibung der »Klassiker« respektiert. Neuerdings unterlaufen sie klandestin die Rechtschreibung der Kultusminister.

Germanistische Editoren sind sich heute weitgehend einig, daß orthographische Eingriffe, die nur den angeblichen »Lautstand« und vermeintlich besonders bewahrenswerte »Eigenheiten« des jeweiligen Autors unangetastet lassen, grundsätzlich von Übel sind. Aber für die Schule wird weiter nach dem überkommenen und überholten Muster gearbeitet. Was herauskommt, wenn die Anwendung der mehr oder minder neuen Rechtschreibung auf E. T. A. Hoffmann erprobt wird, beschreibt Martin String.



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Kommentare zu »„Behutsam modernisiert“«
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Kommentar von F.A.Z., verfaßt am 01.12.2005 um 18.50 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=199#2406

»Polemische Untertöne

Zu "Gretchenfrage an die Gremien" (F.A.Z. vom 21. Oktober): Der Wert des ansonsten überzeugenden Beitrags von Wolfgang Krischke wird bedauerlicherweise durch polemische Untertöne geschmälert, die gegen Deutschlehrer gerichtet sind. Zunächst einmal hat es nicht unbedingt mit "bequemer Anbiederungspädagogik" zu tun, wenn im Deutschunterricht sprachlich modernisierte Klassikertexte gelesen werden. Vielmehr stellen diese speziell für Schüler konzipierten Ausgaben oftmals die einzige Möglichkeit dar, die Traditionen der deutschsprachigen Literatur überhaupt noch zu vermitteln. Es geht schon längst nicht mehr nur um die Sprache des "Faust", auch die Schöpfungen des neunzehnten Jahrhunderts bedeuten für viele junge Menschen, auch an den Gymnasien, eine immer größer werdende Hürde. Ohne Zweifel lassen sich Schüler durchaus für etymologische Erklärungen begeistern, wie Krischke anfügt, allerdings dürfte die systematische philologische Textarbeit wohl dem germanistischen Proseminar vorbehalten bleiben. Der Deutschlehrer steht folglich vor der Wahl, die Klassikertexte völlig zu streichen oder wenigstens in modernisierter Verfassung zuzulassen, um den Schülern und Schülerinnen die Freude am Lesen, die doch primär aus dem Verständnis des Inhalts entsteht, nicht gänzlich zu verleiden.

Der zweite Einwand betrifft den etwas hochmütig wirkenden Hinweis, für die Textmodernisierungen aus dem Hause eines großen Schulbuchverlages würde "ein pensionierter Deutschlehrer" verantwortlich zeichnen. Der Verfasser dieser Zeilen, wenn auch selbst noch weit entfernt vom Pensionsstatus, hofft ebenfalls auf einen produktiven Ruhestand, auch wenn die Altersbeschäftigung dereinst nur im Abfassen von Leserbriefen an die F.A.Z. bestehen sollte. Der Rückgang der aktiven und passiven Sprachkompetenz ist am wenigsten die Schuld der Jugendlichen selbst oder die ihrer Lehrer. Einer der Hauptauslöser für den allgemeinen Niedergang des differenzierten Ausdrucksvermögens, verbunden mit der Geringschätzung des korrekten Sprachgebrauchs, dürften vielmehr die Leitmedien sein, darunter auch die von mir hochgeschätzte F.A.Z. So entdeckte ich im Artikel "Alles funktioniert hier, aber ein Leben ist das nicht" (F.A.Z. vom 15. November) nicht nur mehrere orthographische Fehler, sondern überdies kryptische Sätze wie "Hier entgegnet ihr Freundin, Dominique Lassaigne." Eine solche Formulierung markiert der Lehrer immer noch mit dem Rotstift, und zwar ganz ohne pädagogische Anbiederung. Dr. Michael Völkl, Nittenau«


( F.A.Z. / Briefe an die Herausgeber, 02.12.2005, Nr. 281 / Seite 8 )


Kommentar von Heinz Erich Stiene, verfaßt am 13.07.2006 um 01.49 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=199#4443

Wer zur Literatur des 18. und 19. in Ausgaben des 20. Jahrhunderts greift, stößt gewöhnlich auf den Hinweis, die Rechtschreibung sei modernisiert. Abgesehen davon, daß dabei grundsätzlich eine gleichermaßen ungebetene wie aufdringliche Bevormundung des Lesers und der wehrlosen alten Autoren vorliegt (für Schüler mögen aus kurzfristigen didaktischen Erwägungen ausnahmsweise gesonderte Bedingungen gelten), verstört ein solcher Hinweis gelegentlich durch den Zusatz, daß der alte Lautstand beibehalten worden sei. So las ich es jetzt zum x-ten Male in der Nachbemerkung der Insel-Ausgabe des Briefwechsels zwischen Achim und Bettina von Arnim, hg. von Werner Vordtriede (Frankfurt 1988, hier S. 945). Begriffen habe ich es aber auch diesmal nicht. Natürlich sind alle th-Schreibungen zu t-Schreibungen geworden; nur die "Mauth" hat der Lektor anscheinend übersehen. Aber um diese - vorgeblichen - Blüthen der Thorheit kann es sich ja nicht drehen. Also "Blutigel" statt "Blutegel" (S. 515 und 895), "vergesse" statt "vergiß" (S. 560) oder "vlamländisch" statt "flämisch" (S. 897)? Mit "Lautstand" hat das eigentlich nichts zu tun. Oder sind am Ende gar Trivialitäten wie "kömmst" oder "frägst" gemeint? Wer in dieser Runde kann mich über die traditionellen verlegerischen Gepflogenheiten im Umgang mit älterer deutscher Literatur aufklären?

Im übrigen, und damit springe ich ins Jahr 2006 zurück, betrachte ich immer wieder mit übergroßen, lachenden Augen, welche Schreibungen, die seit Jahrhunderten im Deutschen völlig selbstverständlich waren, von den KMK-hörigen Lehranstalten unserer Tage als fehlerhaft gebrandmarkt werden sollen.


Kommentar von R. M., verfaßt am 13.07.2006 um 02.56 Uhr  
Adresse: http://www.sprachforschung.org/index.php?show=news&id=199#4444

Die Rede von der Lautstandwahrung ist unter Literaturwissenschaftlern aufgekommen, die ihre editorischen Eingriffe als konsequent verstanden wissen wollten, ohne sie sprachwissenschaftlich zu durchdenken. So bleiben dann auffällige Schreibungen wie Mädgen stehen, obwohl kein Lautwandel, sondern ein Wandel der orthographischen Konvention vorliegt.



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